Protocol of the Session on December 15, 2011

Haushaltskontrolle ist das originäre Recht eines Parlaments. Natürlich hat Bundestagspräsident Lammert recht, wenn er das Parlament an dieser Stelle in die erste Reihe bringt und sagt: Da sind wir als Gesetzgeber natürlich besonders gefordert. – Die Haushaltskontrolle der Staaten soll aber jetzt übertragen werden an den Europäischen Gerichtshof. Glauben Sie, dass das überhaupt verfassungsrechtlich hält?

Dann Frau Merkels „Ich habe fertig“. Ich befürchte, da werden sich noch große Probleme zeigen. Wir sind weit davon entfernt, die zentralen Ursachen dieser Krise überhaupt anzugehen.

Ich zitiere noch einmal Karel Schwarzenberg, tschechischer Außenminister:

Wollen wir wirklich in einem Moment, da das Ansehen des europäischen Projekts an einem Tiefpunkt ist, neue Abstimmungen in den einzelnen Ländern wagen? Das finde ich sehr kühn.

Der Sprecher von Attac, Alexis Passadakis, erklärt dazu: Durch neue automatische Sanktionen würden die demokratischen Rechte der nationalen Parlamente empfindlich beschnitten; die Institutionen der EU-Staaten steuerten damit auf einen Demokratie-Crash zu.

Karl Bildt, Außenminister Schwedens, warnt davor, dem Europäischen Gerichtshof die Kompetenz zu geben, Entscheidungen der demokratisch gewählten Parlamente der Mitgliedstaaten der Union kontrollieren zu lassen – dadurch würden Grundsätze der Demokratie infrage gestellt.

Meine Damen und Herren, all dies zeigt: Es liegen noch große Hürden vor uns, wenn tatsächlich durch diese Schritte, die eingeleitet sind, nachhaltige Wirkung erreicht werden soll.

(Florian Rentsch (FDP): Was ist die Alternative der SPD?)

In der gebotenen Kürze der Zeit verweise ich darauf, dass wir in unserem Antrag zentrale Ursachen und Maßnahmen zur Bekämpfung aufgeschrieben haben. Ich empfehle Ihnen das als Lektüre. Es sind sieben Forderungen. Ich zitiere die Überschriften:

Erstens. Die globalen Finanzmärkte sind zu regulieren.

Zweitens. Spekulationen und Finanzmärkte sind zu besteuern.

Drittens. Gläubigerbeteiligungen und Schuldenschnitte sind in größerem Umfang und weiterhin notwendig.

Viertens. Steuerdumping muss beendet und Schuldenbremsen müssen eingeführt werden.

Fünftens. Staatsschulden sind abzubauen.

Sechstens. In Wachstum muss investiert werden.

Siebtens. Eine gemeinsame Wirtschaftspolitik in der EU ist notwendig.

Das sind zentrale Forderungen. Die lassen sich noch durch zwei wichtige Felder ergänzen. Eines hat Herr van Ooyen angesprochen: Solange wir ein so massives Ungleichgewicht bei den Leistungsbilanzen haben, solange wir wegen niedriger Lohnstückkosten einen Teil der Arbeitslosigkeit exportieren und in den Nehmerländern letztlich verursachen, so lange ist ein entscheidendes Problem nicht gelöst und wird dauerhaft ein Problem auch der Finanzausstattung in den Ländern sein.

Ein Weiteres ist die Finanzwirtschaft. Ein Kabarettist hat das im Wochenendfernsehen für mich auf den Punkt gebracht – Spielregeln, die außer Kraft gesetzt sind –: Da verabreden sich einige zum Fußballspielen. Der den Ball mitbringen sollte, hat ihn vergessen. Aber anschließend spielen die trotzdem Fußball.

Da sind grundsätzliche Regeln nicht intakt. Die Finanzwirtschaft ist weitgehend von der Realwirtschaft abgekoppelt. Solange dies nicht näher zusammengebracht wird, werden wir immer wieder nur an Symptomen kurieren – weil es nicht gelingt, die entscheidenden Ursachen zu bekämpfen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich will noch ganz kurz auf den Antrag von CDU und FDP eingehen. Unter Punkt 2 steht dort:

Nur wenn alle Staaten ihre Konsolidierungsbemühungen mit vergleichbarem Engagement durchführen und konsequent einen Weg hin zu soliden Staatsfinanzen beschreiten, werden die Bürger wieder leichter für eine Unterstützung der europäischen Idee zu gewinnen sein.

Ich sage Ihnen: Allein mit Konsolidierungsbemühungen wird man genau dies nicht erreichen. Man wird es nur erreichen, wenn es gelingt, ein soziales Europa zu gestalten; wenn es gelingt, Europa als Wohlstand für alle durchzusetzen, nicht als Reichtum für wenige; wenn es gelingt, durchzusetzen, dass Europa demokratisch organisiert ist und politische Willensbildung in den Parlamenten stattfindet. Dann wird man Europa wieder zur Idee der Bürgerinnen und Bürger machen, aber nicht allein durch einen Konsolidierungskurs.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Zu Punkt 3 Ihres Antrags: Solange Sie nicht auch aufschreiben, dass wir natürlich höhere Steuereinnahmen brauchen, dass wir Steuergerechtigkeit brauchen,

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Genau!)

dass wir in allen Ländern eine effiziente und nachhaltige Steuerverwaltung bekommen müssen – – Nur dann haben wir wenigstens annähernd eine Chance, alle Staaten wieder so handlungsfähig zu machen, dass sie auch Zukunftsprojekte und Investitionen stemmen können, die Voraussetzungen dafür sind, dass Europa wirklich eine Zukunft hat.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Herr Kollege Quanz, ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Sehr bedauerlich!)

Das mache ich gerne, mit wenigen Sätzen. – Welches Europa wollen wir, und welches ist wirklich zukunftssicher? Ich sage noch einmal: Wir wollen ein Europa, das möglichst allen Menschen in allen Mitgliedstaaten dient, ein Europa, das sich der Mehrung des Wohlstands für alle verpflichtet fühlt, für soziale Mindeststandards, für eine ge

rechte Verteilung der Einnahmen und Vermögen, ein Europa, das sich einsetzt für effiziente Steuergesetzgebung und Steuerverwaltung, für Investitionen in die Zukunftsfähigkeit, das heißt, in Bildung, Forschung, Entwicklung und Infrastruktur. Wenn uns das gelingt, dann hat die europäische Idee eine Zukunft; um die muss es in jedem Moment unserer Politik gehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Marius Weiß (SPD): Die erste angemessene Rede zu dem Thema! – Gegenruf des Abg. Holger Bellino (CDU): Fast alle Reden waren bisher angemessen!)

Vielen Dank, Herr Kollege Quanz. – Nun hat Frau Kollegin Erfurth für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der uns vorliegende Antrag von CDU und FDP beschreibt aus meiner Perspektive ziemlich genau das Dilemma, in dem sich die beiden Regierungsfraktionen befinden. Die Europäische Union wird aus der Perspektive der FDP wahrgenommen, nämlich nur als Instrument, in dem man nur über Geld redet, über Euro und Cent.

Frau Osterburg, ich war Ihnen sehr dankbar, dass Sie auch die historische Dimension von Europa aufgemacht haben und das vorgetragen haben, was jenseits des Geldes eine wichtige Rolle für Europa spielt; denn das darf nicht vergessen werden. Leider ist es in Ihrem Antrag untergegangen. Das haben Sie in dem Antrag nicht erwähnt. Ich bin Ihnen aber dankbar, dass Sie es hier gesagt haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vielleicht können Sie an der Stelle unseren Antrag unterstützen, der holt das ganz klar nach.

(Florian Rentsch (FDP): Unterstützen Sie unseren Antrag, dann sehen wir, was wir mit Ihrem machen!)

Herr Rentsch, ich habe schon gesagt, dass ich nicht so ganz verstehe, warum der Antrag so auf die Perspektive der FDP reduziert ist. Ich habe auch nicht so ganz verstanden, warum die FDP diesen Antrag zu ihrem Setzpunkt erhebt. Möglicherweise wollten Sie damit eine Chance nutzen, nach dem verunglückten Mitgliederentscheid auf Bundesebene eine klare Botschaft zu senden.

(Florian Rentsch (FDP): Da wissen Sie mehr als wir!)

Herr Rentsch, das gelingt Ihnen mit so einem Antrag im Hessischen Landtag nicht. Damit können Sie den Schaden, den Sie angerichtet haben, keineswegs begrenzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie legen uns einen Antrag vor, der Europa auf Ihr Weltbild einer sparsamen Haushaltsführung reduziert. Eine Vision von Europa, eine Weiterentwicklung der Europäischen Union, bleiben Sie uns leider schuldig.

Sie haben vergessen, was Europa für uns Deutsche und auch für uns Hessen bedeutet. Wenn Sie den Versuch

unternehmen, den Hessinnen und Hessen Europa nahezubringen, so wie es neulich Europaminister Hahn getan hat, indem er eine gemeinsame Pressekonferenz mit Frau Puttrich, Herrn Posch und Herrn Grüttner gemacht hat, dann geht es auch wieder nur um Geld. Es geht nur um die Frage, was an Geld in Hessen ankommt. Meine Herren von der FDP, ich kann Ihnen nur sagen: Geld ist vieles, aber nicht alles, und Europa ist viel, viel mehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Ich kann verstehen, dass die Diskussion um den Mitgliederentscheid in der FDP, die zu tiefen Zerwürfnissen und zum überraschenden Verlust des Generalsekretärs geführt hat, den Blick für wesentliche Fragen in Europa verstellt. Das kann ich ja verstehen. Es ist schwer für eine Partei, aus diesem Sog, der sich entwickelt hat, ohne Schaden herauszukommen, sich davon zu lösen und den Blick wieder freizubekommen, so wie es eine Regierungspartei braucht. Sie regieren in Berlin mit. Da müssten Sie schon ein bisschen weiter blicken als über den Tellerrand eines Mitgliederentscheids und des Interesses, wie Sie Ihre Mitgliedschaft wieder einfangen und wie Sie die Wählerinnen und Wähler dazu bekommen, dass sie Ihnen das Trikot bei der nächsten Wahl nicht ausziehen. Das interessiert Sie im Augenblick viel mehr als die europäische Frage.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann diesen Spagat und diese Schwierigkeiten gut nachvollziehen, das können Sie mir glauben.

(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))