Wenn wir feststellen, dass die Hälfte der unter 30-Jährigen im Niedriglohnsektor arbeitet, wenn wir feststellen, dass die Hälfte der unter 35-Jährigen noch nie in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gearbeitet hat,
Jemand, der vollschichtig arbeitet, muss von dieser vollschichtigen Arbeit auch anständig leben können.
Deswegen streiten wir so engagiert für Mindestlöhne. Sie missachten mit Ihrer Position, eine Untergrenze einzuführen, die Leistung der Menschen, die von solchen Löhnen leben müssen.
Deswegen ist das Gebot der Stunde die Einführung von Mindestlöhnen. Ich fordere Sie noch einmal auf: Beenden Sie Ihre ideologische Blockade. Den Formelkompromiss auf dem Parteitag, den Sie geschaffen haben, hat der Ministerpräsident zu Recht zu einem Symbolthema erklärt, das aber eigentlich nichts bringe. Er argumentiert wie immer schön mit dem Hinweis darauf, dass man die ökonomischen Regeln nicht außer Kraft setzen könne.
Ich will gern dazu ergänzen: Es wäre allerdings manchmal auch richtig, wenn man die ökonomischen Regeln anwenden würde. Dann könnte man nämlich gelegentlich auch zu einem Ergebnis kommen.
Ich will Ihnen das mit einem beeindruckenden Beispiel, wie ich finde, illustrieren. Die 1.000 Callcenter in der Bundesrepublik Deutschland haben im Jahr 2008 einen Gewinn von 677 Millionen € erwirtschaftet.
Das sind 14 % Rendite. So weit, so gut. Aber gleichzeitig haben die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler den Beschäftigten der Callcenterbranche 32 Millionen € an Lohnkostenzuschüssen über Aufstockungsregelungen zahlen müssen. Das ist eine Sauerei. Das geht nicht.
Herr Rentsch, deswegen sage ich Ihnen sehr klar: Wir haben ein Ziel. Wir wollen bis zum Jahr 2020, dass kein Mensch, der vollschichtig arbeitet, noch von Lohnkostenzuschüssen leben muss, sondern dass das über die Lohntüte zurückkommt.
Ich will das an wenigen Beispielen deutlich machen. Es gab ein sehr beeindruckendes Interview des Ministerpräsidenten im Frühjahr dieses Jahres angesichts der angekündigten Fusion der Deutschen Börse mit der NYSE. Sinngemäß erklärte er: Das ist doch toll, dass wir jetzt auch Global Player aus Frankfurt haben.
(Ministerpräsident Volker Bouffier: Können Sie das einmal vorlesen, wo das steht? Ich kenne das nicht!)
Herr Ministerpräsident, das wundert mich jetzt auch wieder nicht. Aber ich suche es Ihnen gerne anschließend heraus.
Der Ministerpräsident hat damals davon gesprochen, dass es da viele Chancen gibt, offensichtlich ohne sonderliche Kenntnis dessen, was im Hintergrund alles passiert.
Es gab dann die eine oder andere Debatte. Freundlicherweise hat der Wirtschaftsminister ein paar kritische Bemerkungen dazu gemacht oder zumindest Hinweise dazu gegeben, dass die Welt nicht ganz so einfach ist, wie sie sich in solchen Interviews beschreiben lässt.
Fakt ist aber, dass inzwischen selbst in Ihren Reihen die kritischen Stimmen zur Börsenfusion zunehmen, weil viele begreifen, dass das, was dort passiert, erhebliche Gefährdungen für den Finanzplatz Frankfurt insgesamt mit sich bringt und im Übrigen auch für die Möglichkeiten, eine Finanzmarktregulierung durchzusetzen, die zwingend notwendig ist, weil wir endlich Ordnung an den Finanzmärkten schaffen müssen, Konsequenzen hat. Deswegen ist die Perspektive bei solchen Fragen nicht, irgendwie ein bisschen Global Player zu sein, sondern dass wir am Ende Ordnung an den Finanzmärkten schaffen. Herr Ministerpräsident, das ist der Gradmesser.
Das gilt auch für die Position zum Frankfurter Flughafen. Wir hatten Gelegenheit, das im Rahmen der Sondersitzung zu diskutieren. Deswegen kann ich das hier kurz machen. Aber auch das gehört in eine solche Generaldebatte,
weil das ein Thema ist, das uns noch viele Jahre beschäftigen wird. Das Mediationsergebnis war der gekonnte Ausgleich zwischen den wirtschaftlichen Interessen des Frankfurter Flughafens und der Airlines auf der einen Seite und den Schutzinteressen der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite. Ich habe letzte Woche sowohl Lufthansa Cargo in all ihren Teildisziplinen, vom Vorstand über den Betriebsrat bis zum Vorfeld, als auch Flörsheim besucht. Denn ich habe versucht, beiden jeweils deutlich zu machen,
warum die hessische Sozialdemokratie nach wie vor zu diesem gefundenen Mediationsergebnis steht: weil es darum geht, diesen Ausgleich zu schaffen, eine Vertrauensgrundlage, dass diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die höher belastet sind, einen Ausgleich bekommen. Auf der anderen Seite müssen aber auch die Chancen des Flughafens weiterentwickelt werden.
Herr Ministerpräsident, ich würde mir wünschen, dass Sie in gleicher Weise Ihrer Verantwortung gerecht würden, mit den Akteuren reden und für diesen Ausgleich werben und nicht länger gegen Ihr eigenes Versprechen vor dem Verwaltungsgericht in Leipzig klagen.
Mit Blick auf die Zeit will ich mir die Anmerkungen zu anderen Themen, wie Sanofi-Aventis, ersparen. Wir werden morgen Gelegenheit haben, auch über das Thema Bodenverkehrsdienste zu sprechen. Auch bei diesem Thema will ich sehen, dass Sie nicht nur in den Sonntagsreden und Grußworten die Unterstützung in Richtung der Beschäftigten geben, sondern auch hinsichtlich der Beschlüsse des Hessischen Landtags, und dass Sie vor allem in den Hintergrundgesprächen in Brüssel stabil bleiben.
Deswegen bleibt es dabei: Wo sind Sie eigentlich bei all diesen Fragen? Es hilft nichts, nur ein bisschen Hü und Hott in Interviews zu vermitteln, mal hier und da ein bisschen was zu erzählen, vor Parteitagen die Backen aufzublasen, es anschließend wieder einzuräumen. Beim Steuerthema haben Sie das in besonderer Weise gemacht, nach dem Motto: „Mit uns wird hier gar nichts passieren.“ Zwei Tage später erklären Sie: „Alles ein Superkompromiss.“ Herr Ministerpräsident, so kann man nicht arbeiten. Ein bisschen mehr Verlässlichkeit wäre schon geboten.
Ich will ausdrücklich ein, zwei Bemerkungen zum Thema soziale Gerechtigkeit machen. Ich habe das schon auf dem Landesparteitag der hessischen SPD gesagt:
Es treibt mich um, in welcher Weise – Herr Wagner, auch in Ihrem Wahlkreis gibt es entsprechende Beispiele – in den letzten Jahren die Tafeln aus dem Boden gesprossen sind. Ich sage Ihnen: Jeder Besuch bei einer Tafel löst bei mir zwei Reaktionen aus. Die erste Reaktion ist nach wie vor, dass ich hohen Respekt vor der Leistung und dem Engagement der vielen Ehrenamtlichen habe, die Verantwortung übernehmen und Menschen helfen.
Aber ich sage auch, dass jeder Besuch bei einer Tafel deutlich macht, dass wir viel zu richten haben. Armut gibt es
auch in Deutschland. Armut beschämt. Sie nimmt Menschen Kraft. Deswegen ist jede existierende Tafel ein Stachel im Fleisch des Sozialstaats.