Auch das ist doch falsch. 40 % unserer Abiturienten, die heute studieren, haben das Abitur nicht auf dem klassischen, dem herkömmlichen Weg gemacht. Das ist der bes te Beweis für die Durchlässigkeit in diesem Schulsystem. Nehmen Sie das doch einfach einmal zur Kenntnis.
Dritter Punkt. Sie sagen: Finnland zeigt, dass ein gemeinsames Lernen bis Klasse 9 erfolgreich ist. – Auch das ist in der Sache doch letzten Endes falsch, weil es nicht übertragbar ist. Sie können doch finnische Verhältnisse nicht auf Hessen übertragen, ich bitte Sie, bei aller Wertschätzung.
Wir haben dort einen Ausländeranteil von 2 %, keine Sprachprobleme und eine hohe Akzeptanz von Bildung in der Gesellschaft. 60 % aller finnischen Schulen haben weniger als 50 Kinder.
Das ist doch mit der Situation in Hessen überhaupt nicht vergleichbar. Also bitte von dieser Schimäre einmal herunterkommen.
Einen vierten Punkt haben Sie heute wieder genannt. Sie haben gesagt, in allen anderen Bundesländern läuft das mit der Zweisäuligkeit genauso, und Sie haben dazu auf
die bundesweite Stellungnahme der Oberstudiendirektoren hingewiesen. – Es ist doch klar, dass die dafür sind. Denn die meinen inhaltlich etwas anderes als das, was Sie gesagt haben. Die gehen doch davon aus: Damit bleibt das Gymnasium in seiner klassischen Form erhalten, und dieses andere, diese zweite Säule, besteht aus H und R.
Doch. – Das ist der Unterschied zu Ihrem Konzept. Ob Oberschule, Sekundarschule, erweiterte Realschule, Mittelschule oder Regionalschule – egal, wie diese Schulform in den anderen Bundesländern genannt wird, sie alle haben eine einigende Klammer. Das ist die Tatsache, dass es dort ausschließlich um Haupt- und Realschüler geht, die in irgendeiner Form zusammengefasst werden.
In letzter Konsequenz heißt Ihr Projekt, perspektivisch zu Ende gedacht: Gymnasialschüler, Realschüler, Hauptschüler, Förderschüler – alle in einem System. Das bedeutet übersetzt, perspektivisch, Sie wollen die Abschaffung von integrierten Gesamtschulen, kooperativen Gesamtschulen, Förderschulen, Haupt- und Realschulen. Das ist die logische, politische Konsequenz, perspektivisch gedacht.
In Ihrem Konzept „Neue Schule“ sagen Sie dann, diese „Schülertypen“ kommen zusammen, und das Ganze ohne äußere Fachleistungsdifferenzierung, ohne Sitzenbleiben, ohne Querversetzung – und in Klassen mit 25 Schülern.
Herr Kollege Wagner, ich frage Sie jetzt einmal allen Erns tes: Glauben Sie denn wirklich, dass in einer solch heterogenen Klasse 25 Kinder, in einer Klasse – Förderschüler, geistig behinderte Kinder, lernhilfebedürftige Kinder, die derzeit in Kleinklassen von acht, zehn oder zwölf Schülern beschult werden – auch nur ansatzweise genauso gut individuell gefördert werden können wie an den hervorragend ausgestatteten Förderschulen? Glauben Sie das allen Ernstes? Dies ist ein Rückschritt in der Förderung von Förderschülern.
Meine Damen und Herren, die SPD kritisiert Ihre Pläne – aus Sicht der SPD gerechtfertigterweise – als halbherzig und erklärt: Wer den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg auflösen wolle, der brauche die Gemeinschaftsschule.
Die kommunistische Linkspartei erklärt: Wer das Ende der sozialen Diskriminierung wolle, der dürfe nicht am Gymnasium festhalten. – Letzten Endes heißt doch auch das, übersetzt, bei den Kommunisten sowieso: Abschaffung aller anderen Schulformen, die wir derzeit haben, hin zu einer Einheitsschule.
Die Sozialdemokraten formulieren das etwas weicher: Wir wollen eine Gemeinschaftsschule. – Wer aber eine Gemeinschaftsschule will, der macht in letzter Konsequenz genau das Gleiche, was die kommunistische Linkspartei will, nämlich – logischerweise – die Abschaffung al
Jetzt sagen die GRÜNEN: Das soll bei uns freiwillig geschehen. – Herr Kollege Wagner, ich mache Ihnen ein Angebot, ich habe das schon einmal gesagt; ich kann das nicht entscheiden, aber ich würde es unterstützen. Schauen Sie, ob Sie irgendwo in diesem Bundesland eine, oder von mir aus mehrere integrierte Gesamtschulen finden, die sagen: Wir möchten gerne das Konzept der GRÜNEN 1 : 1 in die Tat umsetzen – so wie Sie es eben vorgestellt haben.
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Schulgesetz! Das machen wir doch! Das machen wir, wir schreiben das ins Schulgesetz!)
Ich bin ja noch gar nicht fertig. – Versuchen Sie doch einmal, solche Schulen zu finden. Wenn diese Schulen den Antrag stellen, dann sage ich Ihnen zu: Als Modellprojekt unterstützen wir das politisch, schlicht und ergreifend.
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht als Modellprojekt! – Tarek AlWazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben Angst vor der Freiheit!)
Wir wollen das doch erst einmal erproben. Entschuldigung, versuchen Sie doch erst einmal, solche Schulen zu finden, dann sehen wir weiter. Wenn Sie diese Schulen gefunden haben, dann sage ich Ihnen als CDU-Vertreter zu: Dieses Modell unterstützen wir, weil wir wollen, dass es einmal erprobt wird.
Aber ich will nicht, dass das ohne Erkenntnisgewinn zunächst einmal im Schulgesetz verankert wird. Lassen Sie uns daraus einen Modellversuch machen. Bringen Sie drei, vier oder fünf integrierte Gesamtschulen, und dann können wir weitermachen.
Zum Thema Freiwilligkeit. In Ihrem Schulkonzept vom Februar 2010 haben Sie gesagt, 50 % der weiterführenden Schulen sollen sich freiwillig zu neuen Schulen entwickeln. Die Frage ist: Was machen Sie, wenn die das gar nicht wollen? – Darauf haben Sie keine Antwort.
Meine Damen und Herren, Sie sagen weiter: Das ganze Problem der neuen Schule können wir lösen durch – – Und jetzt füge ich einmal sehr deutlich hinzu: das ist für mich, ich will nicht sagen, ziemliches Geschwafel; das wäre vielleicht etwas zu hart formuliert. Aber das ist nicht konkret formuliert, nicht substanziell. Sie sagen: Wir wollen binnendifferenzierten Unterricht. – „BOM“ hieß das einmal bei Herrn Holzapfel, „Binnenoptimierung“. Was heißt denn „binnendifferenzierter Unterricht“ in einer Klasse mit 25 Schülern?
Versetzen Sie sich einmal in die Situation eines Kollegen hinein, der in einer Klasse sitzt, 25 Schüler, darunter fünf potenzielle Gymnasiasten, acht Realschüler, sieben Hauptschüler, einen geistig Behinderten, zwei lernhilfebedürftige Kinder, einen Ausländeranteil von 40 % mit, zumindest teilweise, erheblichen Sprachproblemen. Und jetzt soll eine Binnendifferenzierung stattfinden? Das hat
mit der Lebenswirklichkeit nichts zu tun. Das ist schlicht und ergreifend banal, nicht mehr und nicht weniger.
Sie sagen, es gebe neue pädagogische Möglichkeiten. Ja, welche neuen pädagogischen Möglichkeiten gibt es denn? Das ist doch einfach dünn.
Das Schulsystem werde einfacher und überschaubarer, sagen Sie. Wenn das, was Sie vorstellen, ein Additum ist, dann wird es nicht überschaubarer. Denn dann haben wir eine zusätzliche Schulform. Das ist die logische Konsequenz. Überschaubarer wird es also nicht. Es sei denn, Sie wollen das par ordre du mufti doch in letzter Konsequenz flächendeckend, als scheinbare Alternative, einführen – dann allerdings wird es in der Tat einfacher.
Sie sagen, es gibt eine bedarfsgerechte Ganztagsversorgung. Dann sagen Sie doch einmal, was „bedarfsgerecht“ heißt. Sie sagen, Sie wollen individuelle Förderung. Dann sagen Sie doch, was „individuelle Förderung“ ganz konkret an dieser Schule heißt. Sie sagen, Sie wollen eine bessere Personalausstattung. Was heißt das konkret? Sie sagen, Sie wollen eine bessere Finanzausstattung. Was, bitte schön, heißt das konkret?
Übersetzt formuliert: Sie wollen eine Schulform privilegieren, zulasten anderer. Künftig gibt es dann Schulen ers ter Klasse, Schüler erster Klasse, und Schüler zweiter Klasse. Das ist das Ergebnis Ihrer „Neuen Schule“.
Meine Damen und Herren, eine letzte Konsequenz. Was mich wirklich immer wieder fasziniert, das ist die unglaubliche Beratungsresistenz der linken Seite. Ich möchte Sie einmal bitten, sich hier hinzustellen. Nennen Sie mir eine einzige Studie in Deutschland, die die Überlegenheit einer wie auch immer gearteten Einheitsschule gegenüber dem gegliederten Schulsystem beweist. Es gibt keine einzige Studie, im Gegenteil.
Alle aktuelle Studien – alleine drei vom Max-Planck-Institut, Fend-Untersuchung, Lehmann-Studie, Berlin – kommen zu einem Ergebnis: dass die Kinder, die das gegliederte Schulwesen besucht haben, in ihren Leistungen deutlich besser sind als die Kinder, die die Einheitsschule in irgendeiner Form, als Beispiel die sechsjährige Grundschule, durchlaufen haben.
Es gibt sechsjährige Grundschulen in Berlin und Brandenburg. Das sind die großen PISA-Verlierer. Das wollen Sie überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen.
Die Kinder sind am Anfang der Klasse 7 im Gymnasium verglichen worden. Es gab einen Leistungsvorsprung der Kinder, die aus dem klassischen Gymnasium kommen, von 1,5 Jahren gegenüber den Brandenburger Kindern. Das nehmen Sie einfach nicht zur Kenntnis. Was mich offen gestanden immer wieder wundert, das ist, dass Sie so beratungsresistent sind, dass Sie eine Politik machen, die letzten Endes auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird.