Protocol of the Session on February 1, 2011

Ich hatte schon gesagt, dass Ausfuhren der Industrie an Autos, Maschinen und Chemieprodukten usw. sofort leicht anschaulich werden. Die Chancen, aber auch die Risiken sind hoch. Sie hängen an der Weltwirtschaft. Sie hängen nach wie vor zu einem guten Teil an dem Wohlergehen der USA und zunehmend – das ist völlig unstrittig – am Wohlergehen Chinas und anderer Schwellenländer.

Das weiß Baden-Württemberg. Das müssen wir in Hessen noch stärker zur Kenntnis nehmen. Dass die Exportquoten unserer Industrieunternehmen zum Teil noch über den Exportquoten im Bundesdurchschnitt liegen, trägt einen besonderen Teil dazu bei. Viel weniger greifbar als diese Ausfuhren von Industrieprodukten sind die Auslandsverflechtungen der Banken, der Börse und der Fondsgesellschaften am Finanzplatz Frankfurt.

Dass insbesondere die Finanzmärkte weltweit verknüpft sind und dass diese Entwicklung unumkehrbar ist, das haben wir fast alle akzeptiert. Dass die weltweite Vernetzung der Finanzmärkte aber auch mit ganz erheblichen Risiken verbunden ist, das hat gerade Hessen schmerzlich erfahren müssen. Die Bankenkrise, insbesondere die weltweite Finanzkrise nach der Lehman-Insolvenz im Jahre 2008 haben durchaus auch in Hessen deutliche Spuren hinterlassen.

Von den drei großen privaten Banken mit Sitz in Frankfurt ist im Grunde lediglich die Deutsche Bank mehr oder minder unversehrt bestehen geblieben. Wir können uns glücklich schätzen, dass die Helaba dank ihrer konservativen Geschäftspolitik nicht in den Sog manch anderer Landesbank geraten ist.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Richtig!)

Deshalb ist es einfach richtig, dass die von Präsident Obama eingesetzte Kommission zur Erforschung der Ursachen der Finanzkrise unmissverständlich festgestellt hat – ich zitiere –: „Es waren nicht Mutter Natur oder durchgeknallte Computermodelle“, nein, es war die jahrelange Deregulierung der Finanzmärkte auf Teufel komm raus. Es waren Gier, Missmanagement und Tatenlosigkeit, die in diese Krise geführt haben.

Es war gerade diese blinde Marktgläubigkeit, die wesentlichen Anteil daran hat, dass die Welt nach der LehmanPleite wirtschaftlich in Schieflage geriet, und zwar so sehr in Schieflage, dass ein einmaliger Vorgang eingetreten ist, dass sich nämlich Kanzlerin und Finanzminister gezwungen sahen, an einem – ich meine – Sonntag eine öffentliche Garantieerklärung für die Spareinlagen abzugeben.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Das war ein Sonntag, genau!)

So richtig es war, dass die Politik auf die weltweite Krise mit kurzfristigen Konjunkturprogrammen, staatlichen Garantien und Bürgschaften reagiert hat – der zweite Schritt, sinnvolle Leitplanken und verlässliche Regularien für den weltweiten Finanzmarkt einzuführen, ist noch lange nicht abgeschlossen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, wenn Sie auf nationaler und internationaler Ebene gerade für die hessische Wirtschaft etwas erreichen wollen, dann packen Sie bitte auch an dieser Stelle beherzt zu. Setzen Sie sich dafür ein, dass es kein Finanzinstitut und kein Finanzprodukt mehr gibt, das ohne rechtlichen Rahmen und staatliche Aufsicht bleibt. Sorgen Sie dafür, dass der Konsument die Risiken kennt, die in den ihm angebotenen Finanzprodukten enthalten sind.

Es wäre eine dringend gebotene Maßnahme im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, aber auch im Interesse der hessischen Finanzdienstleistungsbranche.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Walter Arnold (CDU): Reden wir doch noch einmal über Außenwirtschaft, Herr Kollege!)

Herr Dr. Arnold, dass das im Zusammenhang zur Außenwirtschaft steht, werden Sie am Ende der Gedankenführung nicht bestreiten.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sie müssten es eigentlich jetzt schon erkennen! – Gegenruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU): Ich strenge mich auch an!)

Ich will mich deshalb auch unserer Verantwortung für den dringend nötigen Umbau der Industriegesellschaft widmen. Auch das steht in einem Zusammenhang mit der hessischen Außenwirtschaft. Jedem ist mittlerweile klar, dass wirkliche Massenmobilität z. B. in den Ländern, die der Minister genannt hat, Brasilien, China, Indien, heute nicht mehr mit der Effizienz eines VW Käfer zu erreichen ist. Es muss aber auch jedem klar sein, das würde auch mit der Effizienz eines heutigen VW Golf nicht gelingen.

Natürlich haben Brasilianer, Chinesinnen oder Inder den gleichen Anspruch auf komfortable Fortbewegung wie wir in den Industriestaaten. Um diesen Anspruch zukunftsfähig umzusetzen, bedarf es einer neuen Vernetzung der Verkehrsträger. Es bedarf neuer energieeffizienter Fahrzeuge. Es bedarf eines umfassenden Einsatzes moderner Informationstechnologien. Wer hier auf dem heimischen Markt mutig vorangeht und beispielhaft Lösungen umsetzt, der gewinnt mittelfristig – das ist unsere feste Überzeugung – auch auf den Weltmärkten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer diesen Weg beschreitet, der muss zunächst Widerstände überwinden. Er wird den Märkten aber auch voraus sein. Wer im Verkehrssektor, in der Energiewirtschaft, in Chemie und Landwirtschaft früh umsteuert, wer auf die Herausforderungen des globalen Klimawandels und der Ressourcenknappheit rechtzeitig reagiert, der sorgt auch dafür, dass er wenige Jahre später weltweit effiziente Fahrzeuge, effiziente Maschinen, Heizungen oder z. B. Wärmedämmung verkaufen kann. Wenn wir es nicht tun, dann verkaufen es eben andere. Deshalb kommen moderne Hybridautos aus Japan.

Zielführender als die Erklärung zur Außenwirtschaft wäre deshalb, auch Sie von CDU und FDP würden sich der notwendigen Weiterentwicklung der Industriegesellschaft nicht länger verschließen, statt am Althergebrachten festzuhalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Walter Arnold (CDU): Ach, Herr Kollege, keine alten Feindbilder!)

Lösen Sie sich an dieser Stelle von Ihren Reflexen. Genau solche Unternehmen, die in ihren Produkten Effizienz und Leistungsfähigkeit verbinden, sind es doch, die für qualitatives Wachstum sorgen – beim Export, bei der Wertschöpfung und auch bei den Arbeitsplätzen. Wer im Geschäft bleiben will, der muss den Märkten voraus sein. Der muss ökologische Notwendigkeit und ökonomische Vernunft zusammenführen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer den Märkten voraus ist, der setzt übrigens auch Milliardeninvestitionen im Inland frei. Dies erhöht hier die Stabilität von Wirtschaft und Beschäftigung, fördert beispielsweise das Handwerk und kleinere Dienstleistungsbetriebe oder auch eine verbrauchernahe Landwirtschaft, wie sie gerade angesichts der stetig wiederkehrenden Lebensmittelskandale immer mehr Bürgerinnen und Bürger wollen.

Wenn wir diese Situation der globalen Klima-, Finanzund Gerechtigkeitskrise nicht auch, wie es Präsident Obama so treffend ausgedrückt hat, als Sputnikmoment begreifen und grundsätzliche Änderungen angehen, dann haben wir nichts, aber auch gar nichts aus dieser Krise gelernt. Deshalb heißt, über die hessischen Exporterfolge zu reden, auch, den Blick auf die Verantwortung für den Rest der Welt nicht zu verlieren. Ein nachhaltiges globales Wirtschaftssystem zu ermöglichen heißt auch, die soziale Spaltung zwischen Nord und Süd zu überwinden. Gemeinsames Handeln beispielsweise beim Klimaschutz gibt es nur unter der Voraussetzung gerechter Bedingungen.

Die hessische Wirtschaftspolitik trägt ihren Anteil an der Verantwortung für die weltweite Entwicklung. Deshalb begrüßen wir, dass Union und FDP diesen Aspekt in ihrem Antrag aufgreifen. Gegen die von Ihnen benannten Ziele ist nichts einzuwenden. Die Förderung der Privatwirtschaft, von Beschäftigung und Qualifizierung trägt unzweifelhaft zur wirtschaftlichen Entwicklung in den Schwellenländern bei. Allerdings ignorieren Sie andere, aus unserer Sicht ebenso wichtige Entwicklungsziele.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Nämlich?)

Zum einen bleibt das Wirtschaftswachstum vieler Schwellenländer ohne eine angemessene Verteilung des Wohlstandes auf alle Bevölkerungsschichten unbefriedigend und wenig stabil. Die aktuellen Vorgänge in Nordafrika legen davon täglich beredt Zeugnis ab.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Wie sollen wir das beeinflussen?)

Zum anderen sollten wir unsere Außenwirtschaft nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ, z. B. mit ethischen Maßstäben, messen. Welche Güter exportieren wir eigentlich? Sind das in erster Linie Luxusgüter für eine kleine Oberschicht oder z. B. Rüstungsgüter? Oder liefern wir, wenn man das andere Ende der Skala betrachtet, Investitionsgüter, die dazu dienen, vor Ort eine nachhaltige Produktion und Wertschöpfung aufzubauen?

Ähnliche Fragen können wir genauso beim Import stellen. Unter welchen ökologischen und sozialen Bedingungen werden eigentlich die Güter erzeugt, die bei unseren Discountern in den Regalen stehen? Wie gestalten hessische Unternehmen, die in Entwicklungs- und Schwellenländern tätig sind, die dortigen Arbeitsbedingungen? Wie gehen sie mit den Arbeitnehmervertretungen um? – Darüber müssen wir genauso nachdenken, wenn es um die öffentliche Beschaffung geht; denn der Staat hat hier eine Vorbildfunktion.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wir GRÜNE halten es deshalb für notwendig – Ihre Regierungserklärung hat das noch einmal bestätigt –, dass es eine von der Außenwirtschaft losgelöste eigenständige Entwicklungszusammenarbeit gibt.

In den ärmsten Entwicklungsländern ist es absolut vordringlich, die Grundbedürfnisse zu befriedigen. Dazu haben die Vereinten Nationen in den bereits angesprochenen Millenniumszielen unter anderem verankert, dass Armut und Hunger in der Welt bis 2015 halbiert werden sollen. Wenn wir dabei helfen wollen – dazu sind wir gerade aufgrund unserer Wirtschaftsweise der vergangenen Jahrzehnte verpflichtet –, dann treten unsere vordergründigen und kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen in den Hintergrund. Ein entsprechender Antrag der GRÜNEN und der SPD zu den Millenniumszielen wird derzeit vom Sozialpolitischen Ausschuss beraten.

In diesem Sektor sehen wir leider erhebliche Lücken in Ihrem Antrag. Die Schwellen- und Entwicklungsländer sind eben nicht nur potenzielle Absatzmärkte. Wenn wir die Verantwortung Hessens für die Welt ernst nehmen, müssen wir sie als Partner auf Augenhöhe respektieren. Wir müssen die Bedingungen eines wirklich fairen Welthandels akzeptieren und die Agenda der wechselseitigen Verantwortung von reichen und armen Staaten endlich ernst nehmen. Es würde unserem Bundesland gut anstehen, hierbei mit gutem Beispiel voranzugehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Lassen Sie mich abschließend auf die Frage der einseitigen Exportorientierung zurückkommen. Es gibt zwei Glaubenssätze, die in der außenwirtschaftlichen Diskussion der vergangenen Jahrzehnte wie in Beton gegossen waren.

Erstens. Das Wohlergehen der Wirtschaft hängt von der Laune und der Kaufkraft der amerikanischen Konsumenten ab. Geht es dem amerikanischen Konsumenten gut, wächst demzufolge die amerikanische Wirtschaft und damit auch die Weltwirtschaft.

Zweitens. Das Wohlergehen der deutschen Wirtschaft hängt vom Export und der Weltwirtschaft ab; denn die Binnennachfrage des deutschen Konsumenten ist und bleibt schwach. Das ist eine Rhetorik, von der wir heute auch schon gehört haben.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Ja, das ist auch richtig!)

Die erste Überzeugung wird inzwischen zu Recht modifiziert. Auch die Regierungsfraktionen thematisieren in der Begründung ihres Antrags, dass neben den USA inzwischen Länder wie China, Indien, Russland und Brasilien ein Viertel der globalen Wirtschaftsleistung repräsentieren.

Die zweite Überzeugung – Sie haben es vorhin noch einmal bestätigt, Herr Dr. Arnold – bleibt jedoch augenscheinlich bestehen. In der Begründung Ihres Antrags ist hierzu zu lesen:

Prognosen für Deutschland zeigen, dass auf absehbare Zeit über eine stärkere Binnennachfrage allein kein wirklicher Wachstumsschub ausgelöst werden kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft ist ausweislich aller Zahlen tatsächlich hoch. Allerdings ist es auch kein Geheimnis, dass die Weltwirtschaft keine Einbahnstraße ist. Weltweit betrachtet entspricht der Wert aller Exporte dem Wert aller Importe. Das heißt, Überschussländern wie Deutschland müssen Defizitländer wie z. B. die USA gegenüberstehen. Wir sollten allerdings gelernt haben, wie fahrlässig es ist, unsere wirtschaftliche Dynamik darauf aufzubauen, dass sich Millionen Konsu

menten in den USA oder anderswo verschulden. Irgendwann bricht die Schuldenfinanzierung der amerikanischen Handelsdefizite ab. Die USA werden irgendwann ihre Defizite abbauen. Wenn sie ihre Schulden tilgen, dann werden sie ihre Defizite möglicherweise sogar in Überschüsse verwandeln.

Temporäre Defizite oder Überschüsse sind unproblematisch. Die simple Arithmetik zeigt aber auch: Mit dauerhaften Defiziten oder Überschüssen zu rechnen, ist gefährlich. Damit werden die Lehren der gerade erst überwunden geglaubten globalen Wirtschafts- und Finanzkrise bewusst ignoriert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hinzu kommt, dass Unternehmen, die ihre Produkte erfolgreich exportieren wollen, ihre Produkte zunächst einmal in einem anspruchsvollen Heimatmarkt erproben und dort erfolgreich durchsetzen können müssen. In diesem Zusammenhang schafft der europäische Binnenmarkt als unser Heimatmarkt unbestritten eine hervorragende Basis für Exporterfolge auf globalen Märkten.

Darüber hinaus ist in Deutschland ein erheblicher Nachholbedarf insbesondere im Dienstleistungssektor – ich nenne die Stichworte Gesundheit, Pflege, Kinderbetreuung usw. – entstanden, ein Nachholbedarf, der in Zukunft überwiegend von heimischen Unternehmen und Arbeitskräften befriedigt werden muss.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Das ist aber kein großer Exportschlager!)

Es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass z. B. die Exportindustrie und das Gesundheits- und Bildungswesen verstärkt um Fachkräfte konkurrieren werden müssen. Das ist ein Problem, das Sie ignorieren wollen, wie Ihr Umgang mit unserem Antrag zum Fachkräftemangel in den vergangenen Wochen zeigt.