(Fritz-Wilhelm Krüger (FDP): Ach! – Zurufe von der FDP und der CDU: Großartig! – Lachen und weitere Zurufe von der CDU und der FDP)
Dieser Verpflichtung entsprechend wollen wir ein Europa, das mehr ist als eine Union aus Nationalstaaten, die sich auf einen gemeinsamen liberalisierten Wettbewerb verständigen,
ein Europa, das mehr sein wird als die heutige Europäische Union, die ein neoliberales Projekt von Lobbygrup
Im Kern besteht die Europäische Union von heute aus der Verständigung darüber, dass Europa überall da eine Rolle spielen soll, wo demokratisch legitimierte Nationalstaaten nicht mehr das geeignete Instrument sind, um über Liberalisierung und Deregulierung von Märkten dem Kapitalismus in alle Lebensbereiche hinein die Bahn zu brechen. Dieses Europa wollen wir nicht.
dass die Steuergesetzgebung und die Steuererhebung originäre Angelegenheiten der jeweiligen Mitgliedstaaten sind.
So plausibel dieser Satz daherkommt, so falsch ist er. Denn tatsächlich haben innerhalb der Europäischen Union schon Rechtsakte Gültigkeit, die den Mitgliedstaaten die Hoheit über die Steuergesetzgebung teilweise entziehen.
Herr Krüger, Sie bezeichnen sich immer als guten Europäer. Wenn Sie wenigstens einmal den Rechtsstand der Europäischen Union durchgesehen hätten, dann wüssten Sie, dass Ihr Antrag schlicht die Rechtslage ignoriert. Denn die logische Folge Ihres Antrags wäre es, dass sich die Landesregierung dafür einsetzt, die europäische und europaweite Harmonisierung der Mehrwertsteuer wieder abzuschaffen. Denn bereits jetzt legt Europa fest, wie die Mehrwertsteuer zu erheben ist – dass sie im Regelsatz wenigstens 15 % und im ermäßigten Steuertarif mindestens 5 % betragen muss.
So weit haben Sie bei Ihrem Antrag sicher nicht gedacht. Ihnen ging es wieder einmal darum, mit einem inhaltsleeren populistischen Antrag zu dokumentieren, dass Sie gegen ein soziales, demokratisches und politisch gestaltendes Europa sind. Ihre Vorstellung von Europa ist neoliberal, und da haben Steuern nun einmal nichts zu suchen.
Dabei wäre eine EU-Steuer durchaus eine Möglichkeit, um den Erfordernissen einer zunehmend globalisierten Welt gerecht zu werden. Sie wäre ein Mittel, um endlich dem Steuerwettbewerb in Europa Einhalt zu gebieten und dem Europa der Deregulierung und des unsozialen Wettbewerbs etwas entgegenzusetzen.
Gerade angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise wäre es angebracht, zunehmend auf Regulierung und Koordinierung in Europa zu setzen.
Nehmen Sie nur die Finanzmärkte. Hier ist es weitgehend Konsens, dass eine wirksame Begrenzung der schlimms ten Auswüchse der Spekulation nicht allein auf nationaler Ebene gelingen kann. Das sagen Sie auch immer wieder aufs Neue.
Warum aber wollen Sie dann die Möglichkeit einer europäischen Finanztransaktionsteuer verbieten? Es muss doch auch aus Ihrer Sicht sinnvoll sein, dass man sich in Europa auf ein gemeinsames Konzept einigt.
Wenn man eine solche Steuer dann auch noch für die Entwicklungszusammenarbeit aufwendet, wie das z. B. Attac
fordert, und einen wahrscheinlich sehr geringen Teil des Steueraufkommens zur Finanzierung der EU benutzt, dann wäre dies sicher ein Schritt in die richtige Richtung.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sigrid Er- furth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Lothar Quanz (SPD))
Dann hätte die EU eine besser gesicherte Finanzierung. Die Finanzmärkte wären immerhin ein klein wenig begrenzt, und die Mitgliedstaaten müssten nicht dauerhaft fürchten, in einem europäischen Steuerwettbewerb gegeneinander ausgespielt zu werden. Im besten Sinne des Wortes könnte man hier also steuern.
Aber statt zu steuern, fordern Sie in Ihrem Antrag wieder einmal, die Gerechtigkeit in Europa den Kräften des Marktes auszuliefern, in diesem Fall konkret dem Marktsegment Steuerwettbewerb. Sie begründen dies wieder einmal mit dem Mantra vom Kürzen bei den Ausgaben. Offenbar wollen Sie, dass Europa weniger Geld zur Verfügung steht. Das heißt dann aber auch: ein Weniger an Europa.
Wir als LINKE wollen aber gerade nicht weniger Europa, wir wollen mehr. Wir wollen eine Demokratie, mehr Gerechtigkeit und mehr sozialen Ausgleich.
Was es bedeutet, wenn man diesen sozialen Ausgleich nicht sucht, sieht man im Moment in Griechenland. Hier wird einem Land, gemeinsam mit dem IWF, ein geradezu beispielloses Kürzungsprogramm diktiert, um Gläubiger zu bedienen und die Interessen der Besitzenden zu verteidigen.
Allerdings wird dies nicht gelingen. Denn diese Programme lösen die Probleme nicht, die zur tiefen sozialen und politischen Krise in Griechenland – aber auch in Irland, Portugal oder Spanien – geführt haben. Sie bekämpfen gerade nicht die Ungleichgewichte innerhalb der Europäischen Union, die dafür verantwortlich sind, dass sich die Leistungsbilanzen zwischen den Mitgliedstaaten vergrößern.
In einem solidarischen Europa, wie wir es fordern, würde man sich gerade darum bemühen, einen möglichst weitgehenden, integren Wirtschaftsraum zu schaffen, in dem Ungleichgewichte vermieden werden. Tut man dies nicht, geschieht genau das, was wir jetzt beobachten. Einigen Staaten gelingt es, sich eine herausragende Wettbewerbsposition gegenüber den anderen zu verschaffen.
In Deutschland ist es in den letzten 15 Jahren durch den ständigen Druck auf die Löhne und Sozialsysteme geschehen. Vor der Einführung des Euro wäre dies von Ländern wie Griechenland mit einer Abwertung der eigenen Währung abgefangen worden. Das hätte den deutschen Export gebremst und die griechische Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig gemacht.
Heute fehlt dieser Mechanismus. Nach dem Export deutscher Arbeitslosigkeit über arbeitgebergetriebene Schmutzkonkurrenz wird nun auch noch der Druck auf die Sozialsysteme von Deutschland exportiert.
Daher fordern wir, dass endlich eine fortschreitende Koordinierung der Steuer- und Tarifpolitik in Europa erfolgt. Eine europäische Koordinierung der Lohn- und Steuerpolitik kann regionale Krisenzyklen abfedern, divergierende makroökonomische Entwicklungen verhindern, Leistungsbilanzungleichgewichte eindämmen und die Staatsverschuldung verringern.
Um Steuerdumpingpraktiken zu vermeiden, wären etliche Mindestsätze und Bemessungsgrundlagen für die Unternehmensteuer sicher sinnvoll. Nur so kann vermieden werden, dass sich einige Länder auf Kosten anderer EU-Mitglieder Marktanteile sichern. Nicht die Griechen sind also schuld am Zusammenbrechen ihrer Ökonomie, sondern Neoliberale, die immer wieder gefordert haben, dass europäische Politik sich auf einen Rahmen für die Wirtschaftspolitik beschränkt, der gar keiner ist.
Ich will nur an Jacques Delors erinnern, der das sehr deutlich bei der Einführung des Euro noch einmal unterstrichen hat.
Ein Rahmen hätte dem Auseinanderdriften der Wirtschaft im Euroraum geradezu Grenzen gesetzt. Stattdessen wurde aber dafür gesorgt, dass die EU immer nur festlegt, was alles nicht mehr geregelt und begrenzt werden darf. Wir ziehen daraus die Konsequenz und fordern endlich ein soziales Europa, in dem Tarife, Steuern und auch die Leistungsbilanzen koordiniert werden. Wir fordern ein Europa, in dem ein demokratisches Gemeinwesen wieder das Primat über die Märkte und damit auch die Möglichkeit hat, gemeinsam in der EU Steuern zu erheben.
(Florian Rentsch (FDP): Mensch, Willi, das ist doch alles vorbei! Das war doch die Rede von vor 20 Jahren!)
Nein, sie ist sehr aktuell. Herr Krüger hat darauf hingewiesen, dass wir uns gerade aktuell in der Debatte um die Frage der Steuererhebung in Europa befinden. Deshalb will ich das durchaus ergänzen.
Es geht also um die Möglichkeit, gemeinsam mit der EU Steuern zu erheben, die für alle gelten und die auch für die gemeinsamen europäischen Aufgaben verwendet werden. In der europäischen Sozialforumsbewegung – ich war vor drei Wochen in Paris, wo wir diese europäische Vorbereitungskonferenz hatten – arbeiten wir an sehr unterschiedlichen Themen und mit sehr unterschiedlichen Initiativen und Gewerkschaften und NGOs an solchen gemeinsamen Standards. Es geht nicht nur um die Angleichung von Steuern, sondern es geht viel mehr um die Angleichung von Löhnen, von Arbeitszeiten, von Renteneintrittsaltern. Ich denke z. B. an das Renteneintrittsalter von 60 Jahren in Frankreich. Es geht um die Grundsicherung und natürlich auch um die Sozialsysteme.
Wir wollen Liberté, Egalité und Fraternité der Französischen Revolution für ein grenzenloses Europa.
Populistisch eine EU-Steuer abzulehnen ist dumpfer, kalter Neoliberalismus. Wir LINKEN aber bleiben dabei: Europa braucht mehr und nicht weniger Handlungsfähigkeit, auch in der Steuerpolitik, und deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen.
Vielen Dank, Herr Kollege van Ooyen. – Nächster Redner ist Herr Kollege Reuter für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! So ist es: Herr Kollege Krüger, wenn Europa auf der Tagesordnung steht, ist das Interesse etwas überschaubar.