Meine Damen und Herren, wir brauchen dringend Rahmenbedingungen, die eine gute Pädagogik erst möglich machen: Bedingungen, die es erlauben, tatsächlich kein Kind zurückzulassen und jedes entsprechend seinen Fä
higkeiten zu fördern, wie es bei Ihnen immer so vollmundig heißt. Bedingungen, die Lehrerinnen und Lehrer in die Lage versetzen, diese Art individueller Förderung, die auch Nachteile durch die familiäre und häusliche Situation, unzureichende Sprachkenntnisse oder die soziale Lage der Familien auszugleichen imstande wäre, zu leisten.
Obwohl in der Öffentlichkeit inzwischen hinlänglich bekannt sein dürfte, dass auch in den kommenden Jahren Lehrerinnen und Lehrer in Hessen und anderen Bundesländern dringend benötigt werden, scheuen Abiturientinnen und Abiturienten davor zurück, den Lehrerberuf zu ergreifen. Sie werden abgeschreckt von den eigenen schulischen Erlebnissen und den Schilderungen angehender Lehrerinnen und Lehrer, und nehmen ein Lehramtsstudium gar nicht erst auf.
Eine zu Schuljahresbeginn erreichte 99,7-prozentige Stellenbesetzungsquote bei Lehrerinnen und Lehrern hört sich vielleicht gut an. Aber allen Schulpraktikern ist klar, dass damit eine vollständige Unterrichtsabdeckung nicht zu erreichen ist. DIE LINKE fordert weiterhin eine Lehrerversorgung für Hessens Schulen, die eine vollständige Unterrichtsabdeckung sicherstellt.
Ich habe wiederholt auf die Zahlen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hingewiesen, die überzeugend nachweisen konnte, dass eine 105-prozentige Lehrerversorgung allein für die Sicherstellung von Vertretungen in Krankheitsfällen und bei kurzfristigen Urlauben erforderlich ist. Damit ist noch überhaupt keine Verbesserung des Unterrichts erreicht, sondern lediglich sichergestellt, dass keine Stunden ausfallen. Und selbst davon sind wir noch Jahre entfernt.
Im August hat die Ministerin bereits angedeutet, dass selbst dieses Ziel bis zum Ende der Legislaturperiode in dreieinhalb Jahren nur mit Mühe zu erreichen sein wird. Warum sie sich jetzt wieder auf einem guten Weg dorthin sieht, das ist sicherlich eine interessante Frage und steht für uns in den Sternen.
Auch der Aufbau von Ganztagsschulen in Hessen kommt nur schleppend voran, und es fehlt jedes Konzept des Ministeriums, wie dem abgeholfen werden soll. Unfreiwillig komisch ist da der in der Regierungserklärung bemühte Vergleich mit der Situation vor zehn Jahren. Lediglich 118 von möglichen 1.748 Schulen sind heute Ganztagsschulen mit einem offenen oder gebundenen Angebot. 595 Schulen böten nach Henzlers Angaben eine „pädagogische Mittagsbetreuung“ an. Dass diese überwiegend organisatorische Maßnahme, die mit Pädagogik noch wenig zu tun hat, in ein „Ganztagsangebot“ umbenannt worden ist, ist einfach nur der durchsichtige Versuch,die eigene unzureichende Bilanz aufzuhübschen.
Wir wissen: Ganztagsangebote sind eben keine Ganztagsschulen. Sie bieten nicht die Gewähr – jetzt zitiere ich Kriterien des Ganztagsschulverbandes mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident –, „dass Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler am Vormittag und am Nachmittag in einem konzeptionellen Zusammenhang stehen, dass erweiterte Lernangebote, individuelle Fördermaßnahmen und Hausaufgaben/Schulaufgaben in die Konzeption eingebunden sind, dass die gemeinsame und individuelle Freizeitgestaltung der Schülerinnen und Schüler als pädagogische Aufgabe im Konzept enthalten ist, dass ihre Angebote alters
gerechte Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen fördernd aufgreifen, dass alternative Unterrichtsformen wie z. B. Projektarbeit ermöglicht werden, dass das soziale Lernen begünstigt wird, dass eine ausreichende Ausstattung mit zusätzlichem pädagogischen Personal, mit einem erweiterten Raumangebot und mit zusätzlichen Lehr- und Lernmitteln vorhanden ist, und“ – das ist wichtig – „dass die Organisation aller Angebote unter der Aufsicht und Verantwortung der Schule steht“.
Meine Damen und Herren, wenn das so wäre, dann wären es wirklich gute Schulen, verdammt gute Schulen. Ich denke, dann könnten wir gemeinsam gut in die Zukunft blicken. Aber das ist bei Ihnen bisher nicht der Fall, und ich sehe auch nicht, dass das in nächster Zeit der Fall sein könnte.
Frau Henzler, zu den Bildungsstandards muss ich sagen, dass wir dieser Neuerung ebenfalls kritisch gegenüberstehen. Sie behaupten, Bildungsstandards und Kompetenzorientierung würden individuelle Förderung voranbringen und den Kindern nützen. Sie appellieren an die Kritiker von Standards, endlich in den Blick zu nehmen, dass dies die „freie Gestaltung der Inhalte“ ermögliche. Frau Henzler, genau das ist eines der Probleme, die wir sehen: Die Verfassung verpflichtet das Land und die Lehrerschaft auf bestimmte, nämlich demokratische, rationalaufgeklärte und pazifistische Inhalte; von diesem Verfassungsauftrag sind Sie meines Erachtens nun dabei sich zu verabschieden, wenn Sie die freigeben.
Wir befürchten: Nationale Standards verwehren Kindern wichtige Entwicklungsanregungen und verhindern wirkliche Reformen des Bildungssystems. Sie sind immer verbunden mit normierten Leistungstests, die von vielen Erziehungswissenschaftlern und Psychologen aus guten Gründen abgelehnt werden:
Nach Urs Haeberlin werden die Leistungstests unerwünschte Nebenwirkungen haben, aber die hohen Erwartungen nie erfüllen. Er ist emeritierter Professor der Universität Freiburg und Autor mehrerer Nationalfonds-Studien. Er befürchtet auch, dass Tests nicht zu besserem Unterricht und höheren Schulleistungen führen, sondern zum gezielten Training auf Tests hin – „training the test“ – und zu einer Wettkampfmentalität, in der schwache Schüler auf der Strecke bleiben.
Mit Haeberlin erheben auch andere Forscher ihre kritische Stimme; das wissen Sie: Prof. Georg Feuser von der Universität Zürich, Prof. Winfried Kronig von der Universität Freiburg und Prof.Walter Herzog vom Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Bern.
Auf einer Wissenschaftstagung „Der Bluff mit der Kompetenzorientierung“ – so heißt sie tatsächlich – vor wenigen Wochen in Köln hat Prof. Lutz Koch von der Universität Bayreuth ausgeführt, dass allgemeine Bildung durch Kompetenzen und Standards nicht konkretisiert, sondern in abstrakte Teile aufgelöst werde. Das deshalb, weil jede Teilkompetenz nur dadurch definiert werden kann, dass sie aus ihrem Zusammenhang mit den anderen Teilen herausgelöst wird.
Nach seiner Meinung – bald werde ich wieder ein bisschen weniger wissenschaftlich – ist damit die in der Klieme-Expertise behauptete These der Vereinbarkeit von Kompetenz mit Bildung,wonach Kompetenz die Konkretisierung von Bildungszielen leiste, gescheitert. Das Festhalten an dieser Vereinbarkeit sei nicht begründbar und habe mit einem überzogenen Anspruch zu tun. Der Kompetenzbegriff sei pädagogisch defizitär und bildungstheoretisch
überzogen. Die Vision von Bildungsprozessen, welche die Klieme-Expertise aus den Bildungsstandards hervorleuchten sah,sei wohl eher die „Vision einer grauen Messund Steuerungsindustrie“. So weit die Einschätzung von Prof. Koch aus Bayreuth. Dem schließen wir uns hier an.
Prof. Hans Peter Klein, Professor für Didaktik der Biowissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt und Präsident der Gesellschaft für Didaktik der Biowissenschaften, hat erst vor wenigen Wochen eine empirische Untersuchung vorgestellt, die belegte, dass eine 9. Klasse eines nordrhein-westfälischen Gymnasiums eine auf sogenannten Bildungsstandards aufbauende Abiturleistungskursarbeit im Fach Biologie ohne jede inhaltliche Vorbereitung bestehen konnte. Seine Schlussfolgerung ist: Die neue Fokussierung auf Soft Skills macht Schüler erfolgreich und dumm. – Wollen Sie das, Frau Henzler? Ich fordere Sie auf, diesen Weg nicht weiter zu beschreiten.
Damit komme ich zum Thema Selbstständigkeit.Vor dem Hintergrund von Unterfinanzierung und Etatkürzungen bestätigen Ihre heutigen Ausführungen zu den von Ihnen angestrebten selbstständigen Schulen in Hessen nur die allerschlimmsten Befürchtungen.Wir haben immer davor gewarnt, dass Ihre Vorstellungen von Selbstständigkeit unter den herrschenden Bedingungen nur dazu führen werden, den Schulen die Verwaltung der Mängel selbst aufzubürden. Wir werden genau beobachten, welche tatsächlichen Klassengrößen sich ergeben werden. Schließlich kündigen Sie heute an, die Schulen sollten mehr Flexibilität bei der Bildung von Klassen erhalten und dafür nicht an die Verordnung über die Klassengrößen gebunden sein. Dies bestätigt nur unseren wiederholten Vorwurf, die Landesregierung lasse unter dem wohlklingenden Titel „Selbstständige Schule“ die hessischen Schulen mit ihren Problemen alleine und stehle sich aus der Verantwortung.
Sie, die FDP, arbeiten ein weiteres Mal mit dem in der Politik so beliebten Mittel der Neubelegung von vorher positiv konnotierten Begriffen. Wer hat denn schon etwas gegen Selbstständigkeit? – Dies frage ich vor allen Dinge im Zusammenhang mit dem Begriff Schule, die den Erziehungsauftrag hat, unsere Kinder zu Selbstständigkeit zu erziehen.
Was Sie aber meinen, ist die Politik des Neoliberalismus, die Politik der Deregulierung. Sie wollen Schule deregulieren. Sie wollen sie zunehmend aus der staatlichen Verantwortung holen und mit privaten Partnern versehen,die von ihren neuen Führungspersönlichkeiten, den Schulleiterinnen und Schulleitern, akquiriert wurden. Wahrscheinlich werden bestimmten Schulen eher von privaten Partnern akquiriert. Dann werden Schulen in guten Wohnvierteln andere Erfolgschancen haben als Schulen wie beispielsweise in meiner Heimatstadt Dietzenbach mit einem Anteil von über 90 % an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund.
Sie hatten auch das Thema Indizes aufgebracht, um hier gegenzusteuern. Auch davon höre ich nichts mehr. Sind Sie davon inzwischen abgerückt, Frau Henzler? – Das würde nämlich unsere Befürchtungen bestätigen, dass Schulen demnächst wie Betriebe geführt werden sollen, dass mit der Bildung ein Geschäft gemacht werden soll und dass bürokratische und verwaltungstechnische Effizienz zum zentralen Kriterium für eine gute Schule wird.
Wir befürchten, dass es so ablaufen könnte wie mit vielen Public-Private-Partnership-Projekten, wo die Kommunen erst auf den neoliberalen Schmu mit angeblich starken privaten Partnern hereingefallen sind, sich und ihren Bürgerinnen und Bürgern damit Wünsche erfüllt haben oder längst überfällige Aufgaben angepackt haben, die wegen der Finanzknappheit der Kommunen liegen geblieben waren. Nun müssen sie den mühsamen Weg der Rekommunalisierung gehen, um die Abhängigkeit und Fesselung über 20 Jahre und länger, die sie insgesamt sehr viel teurer kommen, zu beenden.
Wir bleiben dabei, Frau Henzler: Der Weg der Schulen in die sogenannte Selbstständigkeit ist kein guter Weg.Vielmehr ist es ein gefährlicher Weg, der Schulen von der öffentlichen Verantwortung abkoppeln will.
In unserem Land – vor allem in meinen Wahlkreisen Offenbach und Main-Kinzig-Kreis – gibt es eine Reihe von Schulen, die zu mehr als 90 % von Kindern mit Migrationshintergrund besucht werden. Und diesen vielschichtigen Herausforderungen müssen die Schulen demnächst unbedingt begegnen können.Dies funktioniert aber nicht, indem sie von Managern geführt werden,
sondern indem die Schulen angesichts der Herausforderungen von Sprachförderung, Integration, Inklusion und Aufbau eines Ganztagsschulsystems tatsächlich die notwendige Unterstützung bekommen. Oftmals herrschen gerade an den Schulen in den sozial schwachen oder konfliktbehafteten Stadtteilen sehr schwierige Bedingungen.
Die Schulen kennen sehr genau ihre Probleme, und sie können ihre Bedarfe sehr genau definieren:sei es das Etablieren von Schulsozialarbeit,sei es die Chance,eine echte Ganztagsschule mit integrierter, von Lehrern verantworteter Hausaufgabenbetreuung zu sein, sei es die Einführung eines bilingualen Unterrichts oder die Möglichkeit, Mediation bzw. Streitschlichterprogramme zu etablieren etc.
Die Schulgemeinschaften kennen ihre Schwächen,und sie kennen ihre Stärken. Sie kennen ihre Lehrerschaft. Sie kennen ihre Elternschaft. Sie kennen ihr Gemeinwesen. Was liegt da näher, als eigene, neue Wege anzusteuern, sich von demokratischen Gremien wie Schulkonferenz und Gesamtkonferenz beauftragen zu lassen, um die von Eltern, Lehrerinnen und Lehrern und Schulleitung gemeinsam erkannten Ziele anzusteuern? Aber genau da wird der Riegel vorgeschoben. Da bleibt Schule unselbstständig.
Und ich befürchte,dass hier auch Ihr Vorschlag nicht hilft, dass sich Schulen zu Schulverbünden zusammenschließen können. Ich weiß nicht, was es in einer Stadt wie Dietzenbach bringen soll, wenn sich die Schulen, die ohnehin schon die größten Schwierigkeiten haben,zu einem Schulverbund zusammenschließen sollen. Sie müssten mir erst einmal aufzeigen, was das bringen soll.
Sie, Frau Ministerin, behaupten, die Schulen erhielten mehr Freiheit bei der Unterrichtsgestaltung. Aber es ist doch so, dass mit dem Zentralabitur und den nun auch noch angedachten Zielvereinbarungen für einzelne Schulen die pädagogische Freiheit der Schulen immer weiter beschnitten wird. Ich erinnere nur an ein Zeitungsinter
view mit Ihnen, Frau Henzler, in dem Sie sagten: Bei Noten hört die Freiheit auf. – Wie es scheint, haben Sie ein sehr selektives Verständnis von Freiheit.
Eigene Schulprofile? – Sicherlich ist es sinnvoll, dass Schulen ihre eigenen Profile schärfen, indem sie sich den besonderen Herausforderungen vor Ort stellen.Aber damit dürfen wir uns nicht vom Verfassungsauftrag, gleichwertige Lebensverhältnisse sicherzustellen, verabschieden. Wir dürfen doch nicht zulassen, dass sich Schulen fortan weiter auseinanderentwickeln, dass die Bedingungen für Schülerinnen und Schüler an dem einen Ort andere als an dem anderen Ort sind und dass es demnächst zu Schülerwanderungen – damit meine ich die Familien, die sich das leisten können – kommen wird. Darauf geben Sie keine Antwort, Frau Henzler.
Frau Henzler, Sie wollen die Schulleiter stärken. Das ist für uns die Forcierung der Entdemokratisierung von Schule.Wir wollen, dass Schulleiter Pädagogen und keine – wie Sie es nennen – Führer von Schulen sind. Nicht die Schulleiter sollen die Schule gestalten, wie Sie es fordern. Vielmehr ist dies unserer Meinung nach eine ganz breite Aufgabe der gesamten Schulgemeinde und nicht nur des Schulleiters.
Deutlich wird Ihr Vorhaben der Entdemokratisierung von Schule auch am Beispiel Schulvorstand, den Sie statt der Schulkonferenz etablieren wollen. Sie arbeiten daran, Schulen zu Unternehmen umzuformen. Wir befürchten, Sie entziehen den betroffenen Gruppen immer mehr Mitsprache und Kompetenz. Partizipationsrechte müssen jedoch unbedingt ausgebaut und nicht abgebaut werden, Frau Henzler.
Zum Modellversuch SV+ ist in den letzten Wochen und Monaten genug gesagt worden. Die Qualität des Unterrichts an den Schulen hat sich nicht verbessert. Vielmehr ist eine Verschlechterung zu befürchten. Dieses falsche Projekt ohne glaubwürdige Positivergebnisse wollen Sie nun ausweiten, womit Sie auch forcieren, die beruflichen Schulen sukzessive vom Staatsschulsystem abzuspalten und noch weiter als bisher auszugliedern. Prost Mahlzeit.
Was ist aber mit den Reformvorhaben geschehen, die die Schulen zwar selbst vornehmen wollten, die aber nicht im Mainstream Ihrer Vorstellung von Schulentwicklung lagen? Was ist an vielen Gesamtschulen geschehen, die als große Schulen G 8 und G 9 parallel anbieten wollten, um damit allen Eltern, die ein Zurück zu G 9 wollten und sich nie aktiv für G 8 entschieden haben,ebenfalls eine Option zu geben? Selbstständige Schule? – Nein, so selbstständig bitte auch nicht.
Was ist mit Schulen wie der Tümpelgarten-Schule in Hanau – darauf ist Herr Wagner eben schon eingegangen – geschehen? Dazu erging diese Woche ein Brief an Sie, Frau Henzler. Dort gab und gibt es einen Bedarf. Es gab Beschlüsse. Sie erlauben es aber nicht, dass sich Schule dort selbstständig weiterentwickelt.
Was ist an den Schulen geschehen, die z. B. jahrgangsübergreifenden Unterricht anbieten und den Verzicht auf Notengebung einführen wollten? – Auch diese Form der Selbstständigkeit wollen Sie nicht, Frau Henzler.
Was ist an den Schulen geschehen, die schon vor Jahren gebundene Ganztagsschulen werden wollten, weil sie dieses Konzept für ihre Klientel am sinnvollsten fanden? – Die Beratung durch die Schulämter ging dahin, dem Mainstream zu folgen, der ein langsames Wachsen aller Schulen hin zu einer Über-Mittag-Betreuung als der billigsten und mit dem Familienbild der CDU am ehesten zu vereinbarenden Form vorsah.
Erst in grauer Zukunft könnte eventuell die gebundene Form der Ganztagsschule kommen, die hier in Hessen – und nur hier – von politisch interessierter Seite schon früh mit Vorstellungen von „Zwang“ und „Fesselung“ verbunden worden war und deshalb jetzt von Befürwortern lieber als rhythmisierte oder echte Ganztagsschule bezeichnet wird. Der Ganztagsschulverband hat übrigens einen meines Erachtens klärenden Vorschlag gemacht. Er will, dass man nur bei gebundenen Ganztagsschulen von „Ganztagsschulen“ spricht, in offenen Formen immer nur von der „Ganztagsangebotsschule“. Diese Begriffsklärung sollten Sie übernehmen, Frau Henzler.
Wir alle wissen: Die Anträge auf Ganztagsschulen in gebundener Form mussten jährlich erneuert werden; und statt die Schulen, die diese Anträge selbstständig gestellt hatten – ich habe in meinem Ort zwei Schulen, die genau das vor einigen Jahren getan haben –, ernst zu nehmen, wurden sie vom Staatlichen Schulamt dahin gehend beraten, von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen und lieber erst einmal kleine Brötchen mit einer Über-Mittag-Betreuung zu backen. Ist dies Ihre Vorstellung von Selbstständigkeit, Frau Henzler? Eine wirkliche Entscheidungsfreiheit ist nicht gewünscht – müssen wir daraus schließen –, da können Sie noch so oft wiederholen, dass das Staatliche Schulamt frei genug gewesen sei, das zuzulassen. Für die Rahmenbedingungen können wir Sie nicht aus der Verantwortung entlassen. Ich denke, Sie wollten einfach nicht haben, dass sich schon frühzeitig gebundene Ganztagsschulen bildeten.
Nach unserer Auffassung – damit komme ich zu unserem Gegenkonzept – muss Selbstständigkeit, muss selbstständiges Handeln einer Schule generell verbunden werden mit einer demokratisch legitimierten Entscheidung der gesamten Schulgemeinde. Die Lehrergewerkschaft GEW spricht in diesem Zusammenhang von einer demokratisch verfassten Schule. Nicht nur das, sie muss immer auch eingebunden sein in eine gemeinsame regionale Planung, um Benachteiligungen einzelner Schulen auszugleichen. Das heißt, wir brauchen unbedingt eine regionale Steuerung, statt die einzelnen Schulen in eine Konkurrenz untereinander um knappe Ressourcen zu bringen.