Protocol of the Session on September 28, 2010

Jetzt wollen Sie darüber diskutieren, wo die Vorsitzende des Landeselternbeirates politisch steht? Ob das die bildungspolitische Debatte weiterführt, das weiß ich nicht. Ich dachte immer, Sie haben nichts gegen politisches Engagement. Aber wenn es Ihnen nicht passt, scheint es offenkundig anders zu sein. – Ich würde dennoch gerne die Meinung der hessischen Eltern zitieren:

Die hessischen Kreis- und Stadtelternbeiräte und der Landeselternbeirat von Hessen fordern, die Sparmaßnahmen, die eklatante Auswirkungen auf die Unterrichtsversorgung haben..., nicht umzusetzen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Märchen!)

Jetzt sagen Sie: „Märchen“.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Quatsch!)

Nein, es ist nicht Quatsch, Herr Kollege Irmer.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU):100 % Unterrichtsversorgung, das reicht doch, oder?)

100 % Unterrichtsversorgung reicht doch? Hatten Sie nicht 105 % im Wahlkampf versprochen? Jetzt sagen Sie, 100 % reicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Herr Wagner, Sie müssen lernen, zuzuhören! Es ist falsch, was Sie sagen, und das wissen Sie doch!)

Das ist eine interessante Botschaft. Nein, Herr Kollege Irmer, Sie versuchen, mit dem Haushalt 2011 einen Taschenspielertrick zu machen. Sie sagen auf der einen Seite, Sie schaffen neue Lehrerstellen. Dazu sagen wir, es ist gut, dass Sie das tun.

Auf der anderen Seite nehmen Sie aber den Schulen 27 Millionen c für Vertretungsmittel weg. Was den Schulen an der einen Stelle gegeben wird, wird ihnen an der anderen Stelle genommen, und unterm Strich bleibt ein Nullsummenspiel. Das funktioniert eben nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gehen wir bei ein paar Punkten ins Detail. Die selbstständige Schule ist ein Projekt,das Ihnen,Frau Ministerin, und vier Fraktionen in diesem Haus wichtig ist. Ich muss es immer sehr präzise formulieren, weil die Kolleginnen und Kollegen der LINKEN sich sonst aufregen, weil sie nicht für die selbstständige Schule sind – aus Gründen,die ich nicht nachvollziehen kann, aber bitte sehr. Vier Fraktionen in diesem Haus sind für diese selbstständige Schule.

Sie sind sehr hoffnungsfroh gestartet. Sie haben sich sogar aus Niedersachsen einen Staatssekretär geholt, der dort damit betraut war, die selbstständige Schule umzusetzen. Sie haben eine eigene Stabsstelle bei diesem Staatssekretär eingerichtet, die ein Jahr lang gearbeitet hat. Jetzt darf man einmal fragen: Was sind die Ergebnisse, wenn ein ganzer Staatssekretär daran arbeitet und eine Stabsstelle eingerichtet wurde? Wo sind die Ergebnisse?

Da ist wieder absolute Fehlanzeige. Herr Brockmann ist zwar noch da, aber die Stabsstelle ist mittlerweile aufgelöst. Ein Konzept für die Schulen gibt es immer noch nicht. So können wir doch nicht arbeiten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Ministerin, wie Sie es mit dem Kern der selbstständigen Schule halten, kann man sehr schön sehen, wenn Schulen das, was Sie angeblich wollen – mehr Freiheit für die Schulen –, tatsächlich für sich in Anspruch nehmen wollen. Das ist sehr interessant.

Für uns GRÜNE bedeutet selbstständige Schule vor allem pädagogische Freiheit, bedeutet, den Schulen zu vertrauen und ihnen etwas zuzutrauen. Es bedeutet, Lehre

rinnen und Lehrer, Eltern, Schülerinnen und Schüler ernst zu nehmen in dem, was sie für ihre Schulgemeinde wollen.

Jetzt gibt es einige Schulen in Hessen,die sich auf den Weg machen. Sie erarbeiten eigene pädagogische Konzepte. Sie schauen, wie sie sich um jeden Schüler und jede Schülerin kümmern können.Was macht dann die Kultusministerin?

Ich nehme das Beispiel der Römerstadtschule in Frankfurt, eine Grundschule. Da hat ein Kollegium in intensivster Arbeit ein Konzept erarbeitet, wie die Schule tatsächlich zu einer inklusiven Grundschule werden kann, wie sie das machen können. Sie haben ein pädagogisch, wie ich finde, hervorragendes Konzept ausgearbeitet, mit Elementen von jahrgangsübergreifendem Unterricht. Am Ende stand sogar, es würde nicht mehr Lehrerzuweisungen kosten, als die Schule bislang bekommt. Ich finde, das ist selbstständige Schule, wie sie sein muss.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Heike Habermann (SPD))

Was sagt diese Kultusministerin? Sie sagt: Das genehmige ich nicht.

Frau Ministerin, Sie können sich das ganze Gerede über selbstständige Schule sparen, wenn Sie die Schulen, die sich mutig,engagiert und klug auf den Weg machen,so vor den Kopf stoßen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Oder nehmen wir die Tümpelgarten-Schule in Hanau, eine Schule,die integrierte Gesamtschule werden möchte. Dort gibt es die entsprechenden Beschlüsse der Schulgemeinde und des Schulträgers, und in der Stadt Hanau gibt es einen FDP-Schuldezernenten. Die sagen: Wir wollen integrierte Gesamtschule werden. – Die Einzige, die verhindert, dass diese Schule integrierte Gesamtschule werden kann, ist diese Kultusministerin. Ich frage: Frau Ministerin, was hat das mit selbstständiger Schule zu tun?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb kann man als Beschreibung für Ihre Bildungspolitik leider nur sagen: Sie ist gekennzeichnet von „Schwerfälligkeit, Ideologiehaftigkeit und Kultusbürokratie“. Meine Damen und Herren,das sage nicht ich,sondern das sagt der FDP-Stadtrat von Hanau, der für die Bildungspolitik in dieser Stadt zuständig ist. Recht hat dieser Mann, genau so ist es.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sagen seit 18 Monaten, die selbstständige Schule ist das zentrale Projekt Ihrer Amtszeit. In jeder größeren Rede, die Sie im Landtag oder draußen im Land halten, geht es um die selbstständige Schule. Das Einzige, was bei Ihrer Erklärung heute herauskommt, ist, dass die Schulen ein kleines Budget bekommen. Es ist mit Sicherheit besser als nichts, dass sie das kleine Budget bekommen.Aber mit selbstständiger Schule hat das noch nichts zu tun, mit einem umfassenden Konzept für selbstständige Schule auch nicht.

Frau Ministerin, vor allem aber geht es nicht darum, dass die Schulen das vorhandene Geld selbst verwalten können, sondern es muss darum gehen, dass die Schulen zusätzliche Mittel bekommen, mit denen sie zusätzliche Maßnahmen auf den Weg bringen können.Wenn Sie glauben, sie können mit den bisherigen Ressourcen die selbstständige Schule verwirklichen, dann werden die Befürch

tungen wahr, die es an vielen Schulen gibt, dass selbstständige Schule für Sie Mangelverwaltung bedeutet. Dann würden Sie dieser großen Idee der selbstständigen Schule, die von vier Fraktionen in diesem Landtag getragen wird, einen schweren Schaden zufügen, Frau Ministerin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sprechen wir über die Entwicklung der Ganztagsschulen. Da wurde vergangene Woche im Auftrag der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände eine Studie über den Finanzierungsbedarf im Bildungswesen vorgestellt – im Übrigen über den Finanzierungsbedarf im Bildungswesen unter den Bedingungen der Schuldenbremse. Das war die eigentliche Leistung dieser Studie,bei aller Kritik, die man an ihr haben kann.

Da wird formuliert, dass wir im Ganztagsschulbereich auf kommunaler Ebene und Landesebene zusammengenommen bis 2020 einen Investitionsbedarf von 400 bis 600 Millionen c haben, wenn wir ein annähernd bedarfsgerechtes Ganztagsangebot erreichen wollen.

Frau Ministerin,dann können Sie doch nicht allen Ernstes sagen, dass der Kurs und die Geschwindigkeit, die Sie beim Ausbau der Ganztagsangebote in Hessen einschlagen, in irgendeiner Form irgendetwas mit einem bedarfsgerechten Ausbau der Ganztagsschulen in unserem Land zu tun hätten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Claudia Ravensburg (CDU))

Jetzt machen Sie etwas, wovon ich Ihnen abraten würde. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung den Schwarzen Peter an die Kommunen geschoben. Sie haben gesagt, die Kommunen können selbst entscheiden, ob sie neue pädagogische Mittagsbetreuung einrichten oder ob sie bestehende pädagogische Mittagsbetreuung ausbauen zu offenen oder gebundenen Ganztagsschulen. Das ist klassisch der Schwarze Peter den Kommunen zugeschoben. Die Kommunen können nur über das entscheiden, was Sie ihnen an Mitteln geben.Wenn der Kuchen zu klein ist, dann können sie auf kommunaler Ebene keine adäquaten Entscheidungen treffen. Dann können die Schulen vor Ort nicht die Konzepte verwirklichen, die sie haben.

Frau Ministerin, wenn Sie jetzt versuchen, den Schwarzen Peter Ihrer Verantwortlichkeit für diese Frage auf die Kommunen zu schieben, dann ist das einmal mehr kommunalfeindlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Irmer, bei der Reform der Lehrerbildung habe ich mich etwas gewundert. Denn bei allen Schwierigkeiten, die wir mit Ihnen inhaltlich in der Bildungspolitik

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das kann doch überhaupt nicht sein!)

und bei vielen anderen Äußerungen haben, die Sie machen, hatte ich die CDU-Fraktion bislang immer so verstanden, dass Sie die Notwendigkeit für eine große Reform der Lehrerbildung sehen, weil Sie der Meinung sind, so, wie wir auch:Wir müssen möglichst gute Menschen für das Studium gewinnen, und wir müssen möglichst gute Menschen für unsere Schulen gewinnen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Richtig!)

Deshalb hatte ich Sie bislang immer so verstanden, dass Sie die Idee von Praxissemestern in der ersten Phase der Lehrerausbildung richtig finden.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU):Völlig richtig!)

Dann frage ich Sie:Warum geben Sie das jetzt auf?

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wer sagt, dass wir das aufgeben?)

Sie sind doch die stärkere Fraktion. Warum geben Sie in einer Reform etwas auf, was völlig richtig ist, bei der sich die Fachwelt einig ist,dass das eine der wesentlichen Stellschrauben ist, um die Lehrerausbildung zu verbessern, nämlich die Einführung von Praxissemestern in der universitären Phase? Die wird es jetzt nicht geben, weil sie auf dem Altar des Koalitionsfriedens von CDU und FDP geopfert wird. Meine Damen und Herren, das ist keine sachgerechte Bildungspolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Frau Henzler, Sie haben in Ihrer ganzen Rede nichts zu den Eltern gesagt, die sich für ihre Kinder längeres gemeinsames Lernen wünschen. Das kam in Ihrer gesamten Rede überhaupt nicht vor.