Protocol of the Session on March 25, 2010

mit Tagesordnungspunkt 77:

Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend Arbeitsbelastung der Lehrkräfte reduzieren – Drucks. 18/2150 –

Da ich keine Wortmeldungen vorliegen habe,

(Axel Wintermeyer (CDU): Ja, schade!)

hätte ich fast etwas gesagt.

(Barbara Cárdenas (DIE LINKE): Ich bin nicht so schnell!)

Ich sage es ja nicht. – Frau Kollegin Cárdenas, Sie dürfen sofort.

(Barbara Cárdenas (DIE LINKE): Ich komme gleich!)

Das ist lieb.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In unserem Antrag geht es nicht nur um die schlechten Arbeitsbedingungen und die viel zu langen Arbeitszeiten und zu hohen Belastungen der hessischen Lehrkräfte, es geht auch und insbesondere darum, dass damit die Qualität der Bildung an hessischen Schulen inzwischen massiv bedroht ist.

(Zurufe: Lauter!)

Noch lauter?

Machen Sie das Pult höher oder tiefer. Das hatten wir schon einmal. – Alles wird außerdem ein bisschen ruhiger; dann kriegen wir das hin.

Ein besonderer Skandal ist es in diesem Zusammenhang, wenn das Kultusministerium auf Überlastungsanzeigen der Personalräte aller Wiesbadener Gymnasien nicht reagiert. Ich bin mir nicht sicher, ob das inzwischen immer noch nicht passiert ist. Aber dazu können Sie gleich vielleicht etwas sagen, Frau Henzler.

Zum Thema. Über Jahrzehnte hinweg galt in der Bundesrepublik Deutschland der Grundsatz, dass das Beamtenrecht dem Tarifrecht folgt; denn während Arbeitszeit und Einkommen der Tarifbeschäftigten durch Verhandlungen und gegebenenfalls infolge von Arbeitskampfmaßnahmen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern vereinbart werden,werden sie für die Beamtinnen und Beamten einseitig durch den Dienstherrn gesetzt. Diese Festlegung muss sich aber an einem Maßstab orientieren, um Willkür auszuschließen. Das Land Hessen hat für die Besoldung 2009 die Tarifentwicklung als Maßstab akzeptiert, so wie das auch früher selbstverständlich gewesen ist.Bei der Arbeitszeit soll das nun anders sein. Diese Politik nach Gutsherrenart lehnen wir entschieden ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Einer tarifvertraglichen Arbeitszeitverkürzung um knapp 5 %, also von 42 auf 40 Stunden, entspräche volumenbezogen im Schulbereich die Rücknahme der Pflichtstundenerhöhung von 2004: plus 10.000 zusätzliche Deputatstunden. Damit wären die Probleme gerade einmal angegangen, jedoch noch lange nicht gelöst.

Unsere Lehrkräfte sind also in der Vergangenheit im Hinblick auf die regelmäßigen Wochenarbeitszeiten, jedenfalls langfristig betrachtet, schlechter behandelt worden als die Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst insgesamt. Bei den Pflichtstunden der Lehrkräfte liegt Hessen im Vergleich zu den anderen Bundesländern auf einem traurigen Spitzenplatz.

Die Kolleginnen und Kollegen reagieren auf das Belastungsniveau inzwischen zunehmend mit einer Reduzierung ihrer Pflichtstundenzahl auf eigene Kosten. Wurde Teilzeitarbeit früher fast ausschließlich wegen Kindererziehung oder aus anderen privaten Gründen beantragt, so arbeitet mittlerweile ein hoher Anteil der Lehrkräfte wegen der gestiegenen Arbeitsbelastung in Teilzeit. Eine Befragung von Teilzeitbeschäftigten in Stadt und Landkreis Offenbach ergab im Frühjahr 2009, dass wegen der hohen Arbeitsbelastung 58 % der Grundschullehrkräfte ihre Pflichtstunden reduziert haben, 86 % der Lehrkräfte an den Gesamtschulen,77 % im gymnasialen Bereich und 57 % an Berufsschulen. Sie nehmen ein geringeres Einkommen in Kauf, um erhöhte Belastungen zu kompensieren.

Gegen freiwillige Teilzeitarbeit spricht dabei nichts. Aber durch Arbeitsdruck erzwungene Teilzeitarbeit und Einkommenskürzungen sind in keinem Fall zu akzeptieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, wir wollen nicht, dass sich unsere Lehrkräfte krank arbeiten oder zunehmend schlecht unterrichten. Mindestens notwendig sind daher sofort die zeit- und volumengleiche Übertragung der Arbeitszeitverkürzung aus dem Tarifvertrag, d. h. die Rücknahme der Pflichtstundenerhöhung von 2004 sowie 10.000 zusätzliche Deputatstunden für die Lehrkräfte an den Schulen,

(Beifall bei der LINKEN)

die Fortsetzung der Altersteilzeitregelung und keine Erhöhung des Eintrittsalters in den Ruhestand, die Besetzung der frei werdenden Stellen durch ausgebildete Lehrkräfte. Die Arbeitsbedingungen müssen den für die Gesundheit geltenden Normen angepasst werden.Geeignete Büroarbeitsplätze und hinreichende Ablagemöglichkeiten sind ebenso zu schaffen wie Pausenräume. Umfangreiche Entlastungen für die immer mehr und umfangreicher werdenden neuen Aufgaben an der Schule sind dringend notwendig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für eine zukunftsweisende Bildungspolitik müssen auch die Akteure, also die Lehrerinnen und Lehrer, topfit und motiviert sein.

Die SPD hat unseren Antrag zum Anlass genommen, um weitere Forderungen zur Reduzierung der Arbeitsbelastung der Lehrkräfte zu stellen. Wir halten diese ebenfalls für sinnvoll und werden den Antrag daher unterstützen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Nächste Wortmeldung, Frau Abg. Hofmeyer für die SPDFraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Schlechte Bildungspolitik in Hessen macht es immer wieder erforderlich, das Thema im Landtag aufzurufen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Dass unsere Lehrerinnen und Lehrer am Limit arbeiten, das wissen wir,und dass die Rahmenbedingungen an Hessens Schulen schlecht sind, ist auch dem Kultusministe

rium bekannt. Doch leider fehlen bis heute durchgreifende Verbesserungsmaßnahmen.

Wie die Arbeitsbelastung für die Lehrkräfte verbessert werden kann, dazu haben wir viele Anträge, auch hier im Plenum, eingebracht. Der Antrag der LINKEN greift uns hier zu kurz. Aus diesem Grunde liegt Ihnen noch ein eigener Antrag der SPD mit einzelnen Unterpunkten vor.

Hessen hat mit das schlechteste Schüler-Lehrer-Verhältnis unter den Bundesländern. Da hilft auch nicht Ihr Hinweis – Herr Irmer, von Ihnen kam das gestern – auf neue Lehrerstellen, die in der Tat im letzten Jahr geschaffen wurden. Die Frage ist bei diesen Vergleichen aber, von wo wir kommen. Wenn wir aus dem Keller kommen – so ist das in Hessen –, besteht heute im Vergleich nach wie vor ein schlechtes Schüler-Lehrer-Verhältnis in Hessen. Das wiederum führt dazu,dass Mehrbelastungen auf die Lehrkräfte zukommen, dass Lehren in den Schulen immer schwieriger wird und dass individuelle Förderung hinten runterfällt.

Viele verunglückte Reformen in den letzten Jahren mussten unsere Lehrer regelrecht aushalten, viel Zeit dafür investieren. Es war letztendlich kontraproduktiv für die Unterrichtsqualität. Der letzte Bildungsmonitor hat Hessen leider nur auf Platz 11 gesehen, also nichts mit „Hessen vorn“.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, es gibt zusätzliche Verwaltungstätigkeiten in den Schulen. Ich erinnere an das chaotische Thema LUSD. Ich erinnere an Unterrichtsgarantie plus ohne ausgebildetes Lehrerpersonal, aber mit viel Schreibkram. Ich erinnere auch an die Einführung von G 8 – das Thema hatten wir gestern erst – mit viel Druck auf Schüler und auf Lehrer.

Das alles muss man zusammen sehen.Es hat dazu geführt, dass unsere Schulen nicht in ruhiges Fahrwasser geraten, sondern viel Unruhe und hohe Belastungen für die Lehrkräfte verursacht wurden.

Die zusätzliche Pflichtstunde, die im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ auf die Lehrer zukam, war sicherlich auch für viele ein Affront, zumindest für all jene, die sich im Lehrerberuf engagiert wiederfanden, und für diejenigen, die vor einer Klasse mit vielleicht 30 Kindern stehen, wo wir heute doch wissen, dass vielleicht die Hälfte dieser 30 Kinder nicht ruhig sitzt und die andere Hälfte sich fragt, warum sie da sitzt. – Ich sage das nur beispielhaft, weil wir, als wir noch die Schulbank drückten, sicherlich andere Situationen vorfanden.

Daher will ich damit nur exemplarisch sagen:Wir müssen heute andere Antworten finden und Rahmenbedingungen setzen, die es ermöglichen, dass Kinder unterschiedlicher Struktur und Herkunft bestens gefördert und gefordert werden.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist schon einmal klasse!)

Dies wiederum bedeutet, dass wir motivierte Lehrerinnen und Lehrer in unseren Schulen haben müssen, denen wir daher auch zumutbare Lehrbedingungen bieten müssen. Wir dürfen sie mit ihren Problemen nicht alleinlassen.

(Zuruf des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))

Die von der Kultusministerin avisierte, versprochene – wie Sie wollen – 105-prozentige Lehrerversorgung war sicherlich ein guter Ansatz. Aber ich sage, es war nur ein Ansatz; denn bis heute gibt es noch keine einzige Stelle in den Schulen. Frau Henzler, Sie haben die 105 % versprochen, das aber bis heute nicht gehalten.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Wenn man so hört, was man alles in die 105 % hineinpacken will, dann gehört dazu unter anderem auch die dringend notwendige Schulsozialarbeit. Nach Ihren Vorstellungen soll das auch aus diesem Pool finanziert werden, der aber noch nicht da ist.

Meine Damen und Herren, das haut nicht nur rechnerisch nicht hin, sondern wir machen damit ein zusätzliches Problem auf. Wir verschieben das Thema Schulsozialarbeit immer weiter nach hinten,und das verstärkt die Probleme in unseren Schulen. Auch so belasten wir die Lehrer mit ganz anderen Sorgen. Damit können sie ihrem eigentlichen Auftrag, dem dringend notwendigen Lehrauftrag, nicht nachkommen.

Von daher fordern wir zum wiederholten Male, die Rahmenbedingungen für die Lehrkräfte zu verbessern. Wir wollen die Entlastung der Lehrer von Verwaltungstätigkeiten an den Schulen. Wir wollen aber natürlich auch kleinere Klassen, z. B. im R- und G-Zweig, wo immer noch die Zahl 30 vorherrscht.Wir wollen auch die stufenweise Rücknahme der zusätzlichen Pflichtstunde,die 2004 eingeführt wurde. Und wir wollen damit mehr Personal für Unterricht, aber auch für individuelle Förderung, die, wie gesagt, ganz vernachlässigt wurde. Last, but not least wollen wir natürlich Personal für die Schulsozialarbeit.

Ich denke, das sind wir den Lehrkräften schuldig, denen wir die Verantwortung für den Lernerfolg unserer Kinder übertragen. Das sind wir aber auch den Kindern schuldig, denen wir mit guter Bildung eine gute Ausbildung und eine gute berufliche Zukunft sichern wollen. In diesem Sinne bitte ich um Ihre Unterstützung. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Abg. Bauer für die CDU-Fraktion.