Protocol of the Session on November 18, 2009

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir müssen – ich sagte es – zeitlich begrenzt weitere Schulden machen. Dennoch werden wir das mittelfristige Ziel nicht aus den Augen verlieren, nämlich nach und nach bis zum Jahre 2019 die Nettoneuverschuldung auf null zurückzuführen.Meine Damen und Herren,mit Blick

auf die im Grundgesetz geregelte Schuldenbremse sind die Länder dazu verpflichtet, dies zu tun.

Ich füge Folgendes hinzu. Aus Verantwortung für die nachfolgende Generation ist dies auch jenseits der Verfassungslage unsere Pflicht. Wir dürfen heute keine Politik machen, mit der wir unsere Enkelgeneration zum Schluss und im Ergebnis enteignen. Das muss uns permanent vor Augen bleiben und in unserem Bewusstsein sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ein erster Schritt ist hierzu die in der Koalitionsvereinbarung festgeschriebene Beschränkung des Anstiegs der konsumtiven Ausgaben,also aller laufenden Ausgaben für die Verwaltung, für Gebäudemieten, Gebäudebewirtschaftung,Bauunterhaltung und sogenanntes bewegliches Inventar. Diese Ausgaben dürfen nach unseren eigenen Vorgaben, die wir miteinander verabredet haben, nicht mehr als um 0,5 % gesteigert werden.

Meine Damen und Herren, dieses ehrgeizige Ziel haben wir mit dem Haushaltsplan 2010 bereits erreicht und sogar unterschritten, weil es in diesem Haushaltsplan nur eine Steigerung um 0,3 % geben wird. Darüber hinaus, es ist bereits angesprochen worden, wird sich die Haushaltsstrukturkommission mit der Aufgabenstruktur in unserem Land beschäftigen und auch Vergleiche zu den Aufgabenstrukturen in den anderen Bundesländern herstellen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Sätze zur Rede von Herrn Schäfer-Gümbel sagen. Es ist das Recht der Opposition,die Regierung für ihre Konzepte zu kritisieren. Davon lebt die Demokratie. Die Demokratie lebt vom Wettbewerb der Ideen und der Konzepte. Deshalb sage ich: Es ist nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht der Opposition, eigene Konzepte vorzulegen. Verehrter Herr Kollege Schäfer-Gümbel, aber ich muss nach Ihrer Rede resignierend feststellen,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Och!)

dass Sie diese Chance, die Sie hier hatten,

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD):Wollen Sie mich überzeugen?)

wieder einmal vertan haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Schäfer-Gümbel, Sie haben, das ist das Spannende, in Ihrer Partei einen anderen Ansatz als wir von dem – auf Herrn Al-Wazir komme ich noch zu sprechen –, was Staat tun soll und tun muss. Aber ich will Ihnen ganz freimütig und fast ein bisschen persönlich kollegial sagen: Ich warte seit neun Monaten, dass Sie jetzt Ihre Philosophie der Politik für dieses Land, auch für diese Gesellschaft entwickeln.

Ich muss sagen: bisher Fehlanzeige. Ich muss Ihnen wirklich sagen: Das Niveau Ihrer Rede hatte eine ähnliche intellektuelle Herausforderung wie die Rechenmaschine, mit der Sie offenbar arbeiten und die Sie hier vorne hingestellt haben.

(Beifall bei der CDU)

Wenn ich so einige Vokabeln, die Sie wahrscheinlich als besonders PR-trächtig empfinden, wie Tigerente, Wespe, Wackeldackel rekapituliere – das ist doch die Sprache des Kindergartens. Mir fällt nur noch Biene Maja ein. Meine Damen und Herren, so können wir uns doch nicht miteinander auseinandersetzen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Mathias Wag- ner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mir fallen gerade Sie ein!)

Ich habe mich zwischendurch ganz ernsthaft gefragt, wer Ihnen diese Rede aufgeschrieben hat. Ich finde, diese Rede war unter Ihrem eigenen Niveau, das Sie sonst durchaus hier zur Geltung bringen können.Wenn ich jenseits der Polemik versuche, herauszufiltern, wo denn jetzt Ihre Ansätze sind, dann finde ich sie jedenfalls zum Teil in Beschlüssen des Bundesparteitages der SPD – Wiedereinführung der Vermögensteuer. Ihr neuer Bundesvorsitzender sagt wortwörtlich: Millionäre sollen aus Gründen des sozialen Patriotismus – ich freue mich,dass er sich wenigstens zu dem Begriff Patriotismus bekennt – mehr abgeben als Niedrigverdiener.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns doch einmal in aller Ruhe sine ira et studio über einen solchen Satz nachdenken. Wer 30 % von einem Jahreseinkommen von 50.000 c bezahlen muss – theoretische Größe –, der wird 15.000 c Steuern entrichten müssen. Wer 30 % von 100.000 c Jahreseinkommen bezahlen muss,wird 30.000 c bezahlen müssen. Das ist aber nur die halbe Steuerwirklichkeit in unserem Land, denn derjenige, der 100.000 c verdient, wird durch die Progression mehr als 30.000 c Steuern abführen müssen.

Meine Damen und Herren, ich will eine weitere Zahl, die zur Versachlichung der Diskussion dazugehört, hinzufügen. Schon heute erbringen die oberen 20 % der Einkommensbezieher mehr als 70 % am Gesamtaufkommen der Einkommensteuer.Die unteren 20 % bezahlen überhaupt keine Steuern.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Und die Mehrwertsteuer?)

Die von Ihnen immer wieder angesprochene und geforderte Umverteilung von oben nach unten findet in unserem Land in vollem Umfange seit Jahren,seit Jahrzehnten statt. Diskutieren Sie also doch bitte nicht an der Lebenswirklichkeit vorbei.

(Beifall bei der CDU)

Ich werde seit langer Zeit einfach den Eindruck nicht los, dass Sie auf die Neidkomplexe der Menschen setzen, dass Sie jenseits der Fakten, die ich hier vorgetragen habe, versuchen, eine Mehrheit an der Lebenswirklichkeit, an den Fakten, an der Wahrheit vorbei für Ihre politischen Ziele zu mobilisieren. Dies halte ich einfach für unsachlich und auch unanständig.

Meine Damen und Herren,Sie wollen die Leistungsträger in unserem Land noch stärker zur Kasse bitten. Ich sage Ihnen: Sie werden die Schwachen nicht stärken, indem Sie die Starken schwächen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

So wird zum Schluss aus unserem Land keine Gesellschaft, die auch Steuern erwirtschaftet, um den Armen und den Hilfebedürftigen zu helfen. Lassen Sie mich Ihnen in dem Zusammenhang aus der „Welt“ vom gestrigen Tag vortragen. Darin beschäftigt sich der Kommentator Gerd Held genau mit diesem Sachverhalt und mit dem Bundesparteitag der SPD. Er sagt wortwörtlich:

Wer soziale Wärme will, muss sich zuallererst um das Erwerbsleben im Lande kümmern. Das Soziale muss in einer ständigen Relation zur Arbeit stehen.

Er führt fort:

Der SPD ist ihr gutes Argument abhanden gekommen, dass das Geld für Sozialausgaben erst erworben werden will.

Und er führt fort: Die SPD

will die Partei einer „sozialen Gerechtigkeit“ sein, deren Maßstab allein die Höhe von Sozialleistungen zu sein scheint – ohne Rücksicht auf diejenigen, die die Sozialbeiträge und Steuern erarbeiten müssen.

Er schließt mit folgender Feststellung:

Hier liegt auch das Grundproblem der Sozialdemokratie: Sie bringt das Soziale und die Arbeit nicht mehr zusammen.

Meine Damen und Herren, das genau ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten Ihr strategisches Problem, dass Sie beides nicht mehr zusammenbringen; denn nur das ist sozial, was Arbeit schafft. Nur dort, wo Arbeit vorhanden ist,können Steuern erwirtschaftet werden,mit deren Hilfe wir wiederum sozial Bedürftigen helfen können. Das schreibe ich Ihnen ins Stammbuch.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich will am Rande feststellen und finde es sehr bemerkenswert, dass vor wenigen Tagen der hessische Generalsekretär der SPD, Herr Roth, sagte, dass er die Schuldenbremse, die im Grundgesetz festgelegt ist, als unpolitisches, rein mathematisches Modell bezeichnet. Wörtlich sagt er: „Ich persönlich halte diesen Ansatz für falsch.“

Damit steht er in völligem Gegensatz zu dem früheren Bundesfinanzminister Steinbrück, der wörtlich sagte: „Wer auch zukünftig einen handlungsfähigen Staat will, der muss die Schulden- und Zinslast reduzieren.“ Struck hat das ähnlich gesagt. Meine Damen und Herren, hier muss die SPD Hessen klar und deutlich Stellung beziehen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber Sie machen doch die Schulden!)

Sie muss sagen, wie sie dauerhaft ihre eigenen Konzepte umsetzen will, im Hinblick auf die mit der CDU gemeinsam im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse.

(Beifall des Abg. Florian Rentsch (FDP) – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber Sie machen doch die Schulden!)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas zu dem SPD-Bundesparteitag in Dresden hinzufügen. Neben der Vermögensteuer wurden dort weitere Belastungen der Leistungsträger beschlossen: Bildungssoli für Spitzenverdiener, Börsenumsatzsteuer usw. So vertreibt man die Leistungswilligen aus unserem Lande, zulasten der gesamten Gesellschaft und zulasten derjenigen,die ihnen sozial helfen wollen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Meine Damen und Herren, am Rande sage ich: Überraschenderweise sind das Konzepte, die wir auch bei der Linkspartei immer wieder vorfinden. Deshalb, lieber Kollege Rentsch: Die SPD baut keinen Tunnel zur Linkspartei – das hat mir gut gefallen –, sondern sie geht auf einer breiten Autobahn auf die Linkspartei zu und versucht, sie zu überholen. Aber das ist der große strategische Fehler der SPD, und das wird ihr nicht gelingen. Denn in Sachen Populismus ist die Linkspartei einfach unbesiegbar. Das muss man leider feststellen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Meine Damen und Herren, die SPD sieht tatenlos zu, wenn der linke Parteiflügel – wie vor zwei Wochen in Kassel geschehen – hinter dem Rücken des Landesvorsitzenden Schäfer-Gümbel Frau Ypsilanti erneut zujubelt. Frau Ypsilanti hat erklärt, sie kandidiere nicht mehr für den Bundesvorstand, weil sie mit den „vermachteten Strukturen im Bundesvorstand“ – ein wörtliches Zitat aus dem Munde von Frau Ypsilanti – nichts zu tun haben wolle.

Verehrte Frau Ypsilanti, ich habe ein bisschen die Befürchtung, Sie unterliegen erneut einem Selbstbetrug. Dieser freiwillige Verzicht war nicht freiwillig. Ich habe den Eindruck, selbst in Ihrer Bundes-SPD hätten Sie keine Mehrheit mehr bekommen, wenn Sie kandidiert hätten.

(Zurufe der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) und Janine Wissler (DIE LINKE))

Meine Damen und Herren, anstatt die strategischen Fehler, die die SPD in den letzten zehn Jahren begangen hat, selbstkritisch aufzuarbeiten, stellt der Landesvorsitzende der SPD in Hessen, Schäfer-Gümbel, vor zwei Wochen wörtlich Folgendes fest: „Schäfer-Gümbel sieht seine Partei kollektiv in der Verantwortung für den Wortbruch im vergangenen Jahr.“ Er sieht seine Partei kollektiv verantwortlich für den Wortbruch seiner Partei. „Es war die hessische SPD insgesamt“ – so Schäfer-Gümbel, nicht Christean Wager –, „die diesen Weg gehen wollte... Insofern widerspreche ich dem Vorwurf, das sei der Wortbruch von Frau Ypsilanti gewesen.“

Herr Schäfer-Gümbel, ich habe fast das Gefühl, Sie haben aus einer Rede von mir abgeschrieben,die ich Anfang dieses Jahres gehalten habe. Da habe ich Ihnen bereits unterstellt, dass nicht Frau Ypsilanti allein diesen Wortbruch begangen hat, sondern dass Sie in tätiger Mithilfe diesen Wortbruch unterstützt haben.