Es war sehr auffällig, dass Sie, völlig zu Recht, die Krise in den Mittelpunkt Ihrer Rede gestellt haben.Die Krise wird in den nächsten Jahren die zentrale Herausforderung sein. Das wird keine kurzfristige Angelegenheit. Das wird kein Kurzstreckenlauf, sondern ein Marathon. Sie haben, aus meiner Sicht völlig zu Recht, darauf hingewiesen, dass es in einer solchen Regierungserklärung im Prinzip um
zwei Dinge geht, einerseits um Prinzipien, um Gestaltungsleitlinien, und andererseits um konkrete Projekte. Deswegen war ich sehr verwundert, dass zentrale Kategorien,nämlich die Frage der Gerechtigkeit,aber auch die Frage der Arbeitslosigkeit, in Ihrer Rede kein einziges Mal Erwähnung gefunden haben.
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Axel Winter- meyer (CDU): Sie haben nicht richtig zugehört! – Weitere Zurufe von der CDU)
Ich teile ausdrücklich Ihre Ansicht, dass eine Krise auch eine Chance sein kann. Wenn man das Thema Gerechtigkeit einbezieht, heißt das aber gerade, dass wir im Wandel Sicherheit und in einer Krise vor allem Gerechtigkeit und Innovation brauchen. Davon war in Ihrer Erklärung nichts, aber auch überhaupt nichts zu lesen und zu hören.
Ich will zunächst eine zurückblickende Bemerkung machen, weil auch das am heutigen Tag dazugehört. Am 18. Januar 2009 haben die Wählerinnen und Wähler entschieden. Ich sage sehr klar: Der 18. Januar brachte für die Sozialdemokratie in Hessen eine herbe Niederlage. Das ist für uns ein Denkzettel. Wir werden uns mit den Konsequenzen dieses Ergebnisses beschäftigen. Das werden Sie das eine oder andere Mal in den Zeitungen lesen können. Wir werden das aber in dem notwendigen Selbstbewusstsein tun und in diesem Landtag eine konstruktive Oppositionsrolle übernehmen.
(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Da wird mir angst und bange! – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Sie mit Ihrer Arroganz!)
Herr Wagner, ich nehme das Thema Zusammenarbeit ernst. Deswegen will ich die Äußerungen von Herrn Koch, mit denen er in seinen Regierungserklärungen vor diesem Landtag eine Zusammenarbeit in dem Spannungsverhältnis zwischen Opposition und Regierung immer wieder angeboten, die er aber in der Realität eben nicht umgesetzt hat, ausdrücklich nicht aufnehmen, sondern ich will hier seitens meiner Fraktion erklären, dass wir eine konstruktive Oppositionsrolle einnehmen wollen. Ich sage aber auch – Sie wissen, dass ich gelegentlich Anleihen bei Filmen mache –, dass ich nach den Erfahrungen der letzten zehn Jahre und nach dem, was ich in der Regierungserklärung gelesen, aber auch heute hier gehört habe, nicht an den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erinnert sein will.
Wir nehmen die sich wiederholenden Ankündigungen einer guten Zusammenarbeit zwar gerne zur Kenntnis, in der Realität ist aber an der Stelle wenig passiert. Deswegen sage ich Ihnen:Der absolute Anfangspunkt und die notwendige Basis dafür, dass das funktionieren kann, sind eine Beendigung der Oberflächlichkeit und der Selbstinszenierung.
Ein deutlicher Beleg dafür, was ich damit meine, finde ich in Ihrer Regierungserklärung, wo Sie versuchen, aus dem Wahlergebnis – ich habe gesagt, das Wahlergebnis war ein dezidierter Denkzettel für die Sozialdemokratie,
Herr Wagner – einen inhaltlichen Anspruch auf Fortsetzung Ihrer Politik abzuleiten. Sie betonen dabei – ich will mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren – in Ihrer Regierungserklärung:
eine Politik, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, seine individuellen Freiheiten respektiert und ihn als eigenverantwortlichen Bürger stärkt;
eine Politik, die auf eine Kultur des Miteinanders baut, die allen eine Chance zur gesellschaftlichen Teilhabe gibt;
Herr Wagner, ich danke Ihnen für Ihren Applaus, denn der entscheidende Punkt ist: Das, was der Herr Ministerpräsident getan hat, hat mit dem, was hier niedergeschrieben ist, eigentlich nichts zu tun.
Sie können aus dem Wahlergebnis keine inhaltliche Legitimation für das „Weiter so!“ Ihrer Politik ableiten. Schwarz-Gelb hat keine gesellschaftliche Mehrheit, keine inhaltliche Meinungsführerschaft.
(Lachen bei der CDU und der FDP – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das war ein schöner Kracher!)
Ich bin ein Freund der Empirie,Herr Wagner.Deswegen will ich Sie mit vier Punkten konfrontieren, die Sie einmal zur Kenntnis nehmen sollten.
Für die Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen sprechen sich nach aktuellen Umfragen 81 % der CDU/CSUSympathisanten und sogar eine Mehrheit der FDP-Anhänger – 62 % – aus.
Zweitens. Angela Merkel versprach vor dem EU-Gipfel im Dezember 2008,EU-Klimaschutzbeschlüsse zu verhindern, die in Deutschland Arbeitsplätze oder Investitionen gefährden. Frau Merkel in der „Bild“-Zeitung vom 8. Dezember 2008: Auch die FDP fordert in ihren Beschlüssen zur Rezessionsbekämpfung eine Aufweichung der europäischen Klimapolitik zugunsten deutscher Kraftwerksbetreiber. – Wörtliches Zitat: „In der aktuellen Situation wäre jede Verschärfung von Klimaschutzauflagen kontraproduktiv. Nur eine wachsende Wirtschaft kann auch eine ökologisch effiziente Wirtschaft sein“, so Michael Glos. – Auf den komme ich später noch zurück.
(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer war denn das? – Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der war einmal Wirtschaftminister. Er ist jetzt durch einen Familienunternehmer ersetzt worden.Der Begriff Familienunternehmer hat ja seit einer Woche eine neue Bedeutung.
Zweites Zitat: „Klimaschutz muss als Wachstumsmotor für effiziente Klimaschutztechnik angelegt werden und darf nicht die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gefährden – schon gar nicht inmitten einer Wirtschaftskrise – und so zu einem zusätzlichen Jobkiller werden“. So die energiepolitische Sprecherin der FDPBundstagsfraktion, Gudrun Kopp, im Dezember 2008.
Sie haben für diese Position nicht einmal in Ihren eigenen Reihen eine Mehrheit. Nach einer aktuellen Umfrage sagen 72 % aller Bürgerinnen und Bürger, 67 % der CDUAnhänger, 66 % der FDP-Anhänger, dass an den Klimaschutzzielen festgehalten werden soll. Ihre Wählerschaft ist also deutlich klüger als der Inhalt Ihrer Regierungserklärung, die Sie uns heute hier auf den Tisch gelegt haben.
Drittens. Union und FDP sind sich einig, dass sich der Staat aus der Wirtschaft heraushalten sollte. Roland Koch am 22. Oktober 2008 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“:
In einigen Monaten wird es schon wieder darum gehen, dass sich der Staat zurücknimmt – aus Respekt vor den grundlegenden Stärken des Marktes.
Hermann Otto Solms legte nach. Am 14. Januar 2009 sagte er im Bundestag zu den Maßnahmen der Bundesregierung:
Der Staat muss sich auf seine Aufgaben beschränken. Das entspricht dem Ordoliberalismus, der Ordnungspolitik der sozialen Marktwirtschaft, wie wir sie gelernt und lange Zeit praktiziert haben.
Zum Abschluss sage ich Ihnen: Die FDP wird ganz konsequent und prinzipientreu die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft verteidigen und auch in Zukunft als Partei der sozialen Marktwirtschaft auftreten.
Die Bürgerinnen und Bürger – und damit auch Ihre Wählerinnen und Wähler – sehen das nach einer aktuellen Umfrage des „Deutschland Trend“ ein bisschen anders. Die Aussage: „Ich fände es generell gut, wenn der Staat wieder stärker in die Wirtschaft eingreifen würde“, wird nämlich von 59 % der Befragten bejaht.
Viertens. FDP und CDU wollen den Atomausstieg rückgängig machen – so auch der Herr Ministerpräsident in der heutigen Regierungserklärung. Die Mehrheit der Bundesbürgerinnen und -bürger, immerhin 51 %, hat sich in einer aktuellen Umfrage dafür ausgesprochen, dass es beim Atomausstieg bleibt.
Fünftens. CDU/CSU und FDP wollen unter dem Vorwand, das Arbeitsrecht zu flexibilisieren und beschäftigungs- und mittelstandsfreundlicher auszugestalten – so der FDP-Präsidiumsbeschluss mit dem Titel „Wege aus der Rezession“ vom 6. Januar 2009 –, den Kündigungsschutz aushöhlen. Mehr als 80 % der Wählerinnen und Wähler wollen, dass der Kündigungsschutz gestärkt wird oder unverändert bleibt.
Deswegen sage ich Ihnen: Sie haben hier zwar eine parlamentarische Mehrheit – das ist nicht zu leugnen, das wird auch ausdrücklich akzeptiert und anerkannt –, aber Sie haben keine inhaltliche Legitimation für die Fortsetzung Ihrer Politik.
(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU und der FDP – Peter Beuth (CDU): Wie ist die Forsa-Umfrage von heute?)
Sie wissen ja, über das Forsa-Institut freuen wir uns besonders: Schließlich machen sie jede Woche eine neue Umfrage. Sie sind eher in der Meinungsbildung als in der Meinungsforschung unterwegs.
(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU und der FDP – Florian Rentsch (FDP): Jetzt wird es wunderbar!)
Herr Rentsch, ich sage Ihnen noch einmal: Sie haben für ein „Weiter so!“ keine gesellschaftliche Mehrheit. Ich habe in Ihre Erkenntnis wenig Vertrauen; das sage ich ganz klar.