Wo war damals die Wahlfreiheit, die heute als liberales Deckmäntelchen dafür herhalten muss, dass den Schulen
die Entscheidung über die Länge der gymnasialen Mittelstufe vor die Tür gekehrt wurde? Die Bedenken aller Beteiligten wurden damals schlicht ignoriert. G 8 wurde zwangsweise allen Gymnasien und Gymnasialzweigen übergestülpt, obwohl bereits die Erfahrung mit den Turboklassen gezeigt hatte, dass nur für einen kleinen Teil besonders leistungsfähiger Schüler und Schülerinnen die in der Mittelstufe verkürzte Gymnasialzeit geeignet war.
Meine Damen und Herren, 2008 haben alle Fraktionen in diesem Haus einem Gesetzentwurf der GRÜNEN zugestimmt, der den kooperativen Gesamtschulen die Rückkehr zu G 9 erlaubte. Auch wir haben dies getan, weil uns wichtig war, dass zumindest einem Teil der Kinder in gymnasialen Bildungsgängen G 8 erspart werden konnte.
Aber wo blieb damals die Wahlfreiheit der Gymnasien? Nicht die FDP, nicht die CDU und nicht die GRÜNEN haben eine Rückkehrmöglichkeit für die Gymnasien zum damaligen Zeitpunkt auch nur angedacht, obwohl auch damals deutlich wurde, dass G 8 von den Anzuhörenden nicht akzeptiert wird.
So vergingen weitere vier Jahre. Ein kompletter Schülerjahrgang musste unter einer Schulreform leiden, für die diese Landesregierung bis heute eine Begründung schuldig geblieben ist.
Erst der näher rückende Wahltermin führte zur Erfindung der Wahlfreiheit der Gymnasien aus Angst davor, dass die Verkürzung der Gymnasialzeit erneut zum Bumerang für die amtierende Landesregierung werden könnte. Wie gering die Akzeptanz für G 8 weiterhin ist, beweist die Tatsache, dass 39 Gymnasien innerhalb kürzester Fristen den Weg zurück zu G 9 gegangen sind und mit ihnen weitere 23 kooperative Gesamtschulen.
Frau Kultusministerin, wie wenig Ihnen die sogenannte Wahlfreiheit für die Eltern und Schüler gilt, beweisen die Umfragen, die in vielen Grundschulen unter den Eltern gemacht wurden. Offenbach, Marburg, Lahn-Dill-Kreis, Main-Kinzig-Kreis, gleichgültig, wo es Umfragen gab, gleichen sich die Ergebnisse: Zwischen 85 und 95 % und mehr der Grundschuleltern wollen keine verkürzte Mittelstufe.
Frau Kultusministerin, wenn Sie erklären, die Problematik G 8/G 9 sei gelöst, weil es ein ausreichendes Angebot gebe und die Eltern die Wahl hätten, dann ist das schlicht ignorant. Das muss insbesondere den Eltern wie Hohn vorkommen, die in diesen Tagen in Kassel und in Wiesbaden vergeblich nach einem G-9-Angebot im Gymnasium gesucht haben.
Meine Damen und Herren, die SPD wird das G-8-Experiment auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler beenden und dafür sorgen, dass auch bestehende 5. und 6. Klassen zur sechsjährigen Mittelstufe zurückkehren können.
Wenn 90 % der Eltern G 8 nicht wollen, müssen für 10 % Möglichkeiten einer individuellen Schulzeitverkürzung angeboten werden, z. B. durch die Schuleingangsstufe, aber insbesondere durch die Möglichkeiten einer modularisierten Oberstufe. Schulzeitverkürzung ist nämlich kein Wert an sich. Sie sollte Schülerinnen und Schülern ermöglicht werden, wenn sie schneller zu einem Abschluss kommen wollen und dieses auch können.
Aber Sie haben G 8 allen Kindern aufgezwungen. Das ist Bildungspolitik nach Gutsherrenart und zeigt, wie wohlfeil Ihre Behauptungen sind, man wolle Schule mit den Beteiligten gestalten und nicht über ihre Köpfe hinweg, Frau Kultusministerin.
Sie haben die Entwicklung von Ganztagsschulen verschleppt und wissen offensichtlich auch nicht um den pädagogischen Wert einer Ganztagsschule, wenn Sie Ganztagsschule als Zwangseinrichtung diskriminieren. Damit haben Sie nicht nur den Protest des hessischen Ganztagsschulverbandes hervorgerufen. Die Aussage, der Besuch bei der Oma wäre verhindert, wenn Kinder eine Ganztagsschule besuchen, ist entlarvend, Frau Kultusministerin.
Sie haben den Begriff der Ganztagsschule abqualifiziert, weil Sie offensichtlich unfähig sind, den Gewinn einzuschätzen, den Kinder durch den Besuch einer Ganztagsschule haben.
Es geht nicht allein darum, Eltern die Betreuungszeiten anzubieten, die sie brauchen. Es geht vor allem darum, Kindern mehr Zeit zum Lernen zu geben und in der Schule einen Tagesablauf so zu gestalten – im Wechsel von Unterricht, Förderung gemeinsamer Aktivitäten, Angeboten von Vereinen und Ruhephasen –, dass das Kind diese Schule auch als Lebensraum und als Gewinn für seine Bildungsperspektive empfindet.
Ein Kind, das aus einer solchen Schule nach Hause kommt, besucht auch gern die Oma, weil es nämlich keine Hausaufgaben mehr zu machen hat.
Meine Damen und Herren, wir wollen anbieten, dass sich 500 Grundschulen in den nächsten fünf Jahren zu solchen Ganztagsschulen entwickeln können. Zurzeit gibt es von 1.035 Grundschulen lediglich fünf gebundene Ganztagsschulen; das sind 0,5 %. 28 weitere können im Profil 2 an fünf Tagen ein Angebot machen. Insgesamt sind lediglich 351 Grundschulen im Landesganztagsprogramm.
Frau Kultusministerin, es ist ja schön, wenn Sie jetzt auch eine Priorität für die Grundschulen entdecken. Aber es ist schäbig, die Verantwortung für die Prioritätensetzung in der Vergangenheit auf die Schulträger abzuladen, so wie Sie dies im Ausschuss getan haben. Mit zwei, drei Stellen im Jahr können die Schulträger keine Ganztagsschule nach Profil 3 ausstatten, auch wenn Schulen dies gern wollen.
Die Förderung von Ganztagsschulen ist eine Entscheidung für mehr Bildungsqualität und keine Zwangsmaßnahme. Die einzige Zwangsganztagsschule in Hessen haben Sie mit der Einführung von G 8 geschaffen.
Aber so recht weiß niemand, was sich dahinter verbirgt. Immerhin ist dieser Vorgang von der Einsicht geprägt, dass es Bedarf für eine Betreuung bis 16 Uhr gibt. Frau Kultusministerin, wir fragen uns allerdings, was genau bei Ihnen wie bei den GRÜNEN, muss ich sagen, hinter der wolkigen Formulierung verbirgt, man werde diesen Pakt oder die Betreuungsgarantie gemeinsam mit den Kommunen umsetzen.
und die Kosten für den Betrieb einer solchen Ganztagsschule dürfen nicht anteilig und obligatorisch von den Kommunen eingefordert werden. Schon jetzt investieren viele Schulträger in zusätzliche Ganztagsangebote, weil das Land sie im Regen stehen lässt. Übrigens nannte man einen solchen Pakt für den Nachmittag für Kinder bis zwölf Jahre früher Hortplätze. Das Innovative an diesem Konzept ist wohl mehr der Zeitpunkt der Verkündung als der Inhalt.
Frau Kultusministerin, mit behutsamen Schritten, die Sie beschrieben haben, hat das nichts zu tun, was die Inklusion an hessischen Schulen betrifft. Vielmehr wird in Hessen Inklusion vereitelt. Es fehlen die notwendigen Lehrerstunden, um Schulen überhaupt in die Lage zu versetzen, die Anforderungen inklusiver Arbeit zu bewältigen.
Wer den Ressourcenvorbehalt im Schulgesetz belässt, sabotiert den Auftrag der UN-Konvention, die jedem Kind mit besonderem Förderungsbedarf das Recht gibt, gemeinsam mit allen anderen Kindern eine Schule zu besuchen.
Sie entmutigen die Eltern, die sich fragen, ob an der Regelschule die notwendigen personellen und sächlichen Vorkehrungen getroffen werden, um ihr Kind bestmöglich zu fördern. Und Sie demotivieren die Lehrkräfte. Ohne ein Fortbildungsangebot in der Fläche werden sie mit den Anforderungen eines inklusiven Unterrichts konfrontiert und reagieren dann verständlicherweise auch oft mit Überforderung oder Abwehr.
Frau Kultusministerin, gesellschaftliche Akzeptanz für den Gedanken der Inklusion schafft man so nicht. Aber das ist wohl auch nicht gewollt.
Mit der neuen Verordnung zur sonderpädagogischen Förderung in den allgemeinen Schulen haben sich die Bedingungen gegenüber dem gemeinsamen Unterricht in Hessen
verschlechtert. Die Erhöhung der Inklusionsquote geht zulasten einer notwendigen sonderpädagogischen Förderung. Auch wenn Sie die Erhöhung der Inklusionsquote in den Vordergrund stellen, steigt gleichzeitig in Hessen die Zahl der Förderschülerinnen und Förderschüler, weil Eltern aus Angst vor dem, was ihren Kindern in der allgemeinen Schule ohne Förderung bevorsteht, diese lieber gleich auf einer Förderschule anmelden.
„Wer etwas will, sucht nach Wegen – wer etwas nicht will, sucht Begründungen”, sagt ein altes Sprichwort. Sie suchen nach Begründungen, weil Sie keine Perspektive für ein inklusives Schulsystem wollen, Frau Kultusministerin. Wir wollen innerhalb von zehn Jahren das Parallelsystem von Förderschule und allgemeiner Schule auflösen.
Wenn man diese Perspektive als „Hauruck-Inklusion“ bezeichnet, will man keine Wege öffnen, sondern Türen verschließen.