Das ist die Frage, wie man mit einer Ein-Elter-Politik umgeht. Diese Eingliederungsquoten können Sie nicht als Erfolg verkaufen. Im Gegenteil, das zeigt einmal mehr, dass gerade die erwerbsfähigen leistungsberechtigten Alleinerziehenden nach wie vor ein Graufeld für Sie bleiben, wo Sie keine Aktivitäten entwickelt haben, zumindest nicht solche, die sich in irgendeiner Zahl widerspiegeln.
Schließlich kann ich Ihnen die Fragen nicht ersparen: Helfen Sie wirklich ärmeren Familien? Kann Ihre Familienkarte ein Instrument sein? Wir wissen alle, dass das mehr oder weniger eine Rabattkarte ist. Nichts gegen Rabatte, die nehmen wir alle gerne irgendwo mit. Aber hat damit irgendeine Familie mehr Zugang zur musischen, sportlichen, künstlerischen Teilhabe wie etwa beim Frankfurt-Pass bekommen? Es ist eine nette Beigabe, aber das erfüllt doch nicht die Aufgabe, ärmeren Familien in diesem Land die Teilhabe und den Zugang zu erleichtern. Mitnichten, es ist eine Rabattkarte und eigentlich nur eine Verhöhnung vieler Familien in diesem Land.
Oder helfen Sie homosexuellen Paaren? Ich habe es schon zu Beginn meiner Rede gesagt, gerade bei der steuerlichen Gleichstellung sind Sie Meilen davon entfernt, diesen Menschen als hessische CDU oder hessische FDP dabei zu helfen, eine tatsächliche Gleichstellung zu bekommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir GRÜNE glauben, dass die Familien und Eltern in Hessen es leid sind, sich als Bittsteller bei der Lösung ihrer Probleme zu empfinden. Sie sind es leid, wenn man ihnen nur hilft, wenn sie massiv protestieren. Sie sind es leid, darauf zu hoffen, dass irgendwann vielleicht ein Lichtlein der Erkenntnis in einem der Ministerien angeht und sich eine zukunftsgewandte Familienpolitik durchsetzt.
Man kann es auch so zusammenfassen: Es muss damit Schluss sein, dass man eine Landesregierung zum Jagen tragen muss. Die Familien dieses Landes sind die Landesregierung leid, und – ich füge hinzu – sie haben eine andere Familienpolitik verdient. – Das war Ihre Familienpolitik: Sie kam zu spät, zu wenig und zu schlecht. Erst war sie nicht gewollt, jetzt ist sie nicht gekonnt. Ein Wechsel ist nötiger denn je. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eine Regierung sollte eine Regierungserklärung abgeben, wenn sie etwas zu sagen hat. Insofern war diese Erklärung überflüssig.
Ihre Projekteritis darzustellen, ohne die Probleme und vor allen Dingen die Leistungen zu nennen, war ganz einfach unnötig. Benennen wir einmal die Herausforderungen. Es hat sich offensichtlich auch in konservativen Kreisen inzwischen herumgesprochen, dass die Dominanz des alten Familienmodells faktisch immer weniger trägt.
Dieses Modell bestand und besteht durchaus noch vor allem aus einem auf Dauer angelegten Zusammenleben von Mann, Frau und Kindern, vor allem in Form der Ehe. Wenn ich betone, dass dieses Modell faktisch immer weniger trägt, dann auch deshalb,
weil Trennung und Scheidung selten für beide Seiten angenehme Veranstaltungen sind, aber trotzdem passieren, jedenfalls häufiger als früher. Viele Eltern entscheiden sich von vornherein gegen die Ehe. Die Herausforderung besteht also darin, es den Menschen zu ermöglichen, auch jenseits der Ehe zusammenzuleben, ohne sie in ein Korsett zwingen zu wollen.
Statt Ehe wollen die Menschen ökonomische Unabhängigkeit und die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf. Das ist eine Herausforderung, insbesondere bei Alleinerziehenden, von denen es immer mehr gibt.
Die erste praktische politische Herausforderung bei der Vereinbarkeit von Kindern und Beruf lautet: Eltern brauchen einerseits Unterstützung in Form von öffentlicher Kinderbetreuung, andererseits kollidiert der Wunsch nach Vereinbarkeit aber mit wirtschaftlichen Entwicklungen am Arbeitsmarkt.
Zunehmende Prekarisierung wie Befristung und Leiharbeit führen dazu, dass die Planbarkeit mehr oder weniger verloren geht. Belastend kommt die Flexibilisierung der Arbeitszeit hinzu. Ausdehnung der Arbeitszeit, Arbeit am Wochenende und nachts sind nicht gut mit Kinderbetreuung in Einklang zu bringen. Niedriglöhne und Minijobs, die vor allem Alleinerziehenden kein Auskommen sichern, halten Menschen davon ab, sich auf das Abenteuer Kinder einzulassen.
Was ist das faktische Resultat dieser Entwicklung? – Das vormalige dominante Modell der Alleinverdienerehe hat sich zu einer modernisierten Variante weiterentwickelt. Der Mann arbeitet voll, weit über die gewöhnliche Arbeitszeit hinaus, tags, nachts, samstags, sonntags usw. Und Frauen, auch Mütter, sind inzwischen mehr und mehr erwerbstätig, aber in aller Regel schlechter bezahlt oder mit geringerer Arbeitszeit – häufig sowohl das eine wie auch das andere. Nicht nur finanzielle Unabhängigkeit ist so nicht möglich. Viel schlimmer ist: Alleinerziehende – das sind häufig Frauen – haben ein enormes Armutsrisiko.
Die zweite praktische Herausforderung bei der Vereinbarkeit von Kindern und Beruf lautet also: Eltern brauchen eine Organisation und Regulierung der Erwerbstätigkeit, die diese familienkompatibel macht. Hinzu kommt, Erziehung wird zu einer immer komplexeren Aufgabe.
Die daraus resultierende dritte praktische familienpolitische Herausforderung lautet: Eltern brauchen mehr Unterstützung, vor allem in Form von Beratung und Unterstützung für die Erziehung und Bildung im Elternhaus. In Hessen werden jährlich rund 3.000 Kinder aus ihren Familien genommen. Das zeigt, dass es Familien gibt, in denen das Zusammenleben eben nicht funktioniert.
Die Herausnahme ist der heftigste Eingriff. Was passiert in diesen Familien, und welche Hilfsangebote bestehen, um diese hohe Zahl der Herausnahmen zu vermeiden? – Mit Projekteritis kommt man nicht voran. Es braucht beständige Strukturen vor Ort und gute Hilfsangebote.
Sie verlieren kein Wort darüber, dass es Eltern gibt, die der Aufgabe nicht gewachsen sind. Sie verlieren kein Wort über Gewalt in Familie, Missbrauch oder Vernachlässigung. Nein, denn Sie haben über Jahre hinweg die Hilfsangebote zurückgefahren, zuletzt bei der Schwangerenkonfliktberatung.
Sie verlieren kein Wort über die besondere Belastung von Eltern mit Kindern mit Behinderungen. Nein, denn bei der inklusiven Beschulung und auch bei dem, was in den Kitas nach dem KiföG möglich wird, haben Sie sich wirklich nicht mit Ruhm bekleckert – ganz im Gegenteil. Hier lassen Sie die Eltern, die diesen Problemen gegenüberstehen, völlig im Regen stehen.
Sie loben sich für die Familienhebammen. Aber Sie erwähnen nicht, dass wir davon viel, viel mehr brauchen. Auch die Schulsozialarbeit muss deutlich aufgestockt werden. Die Schule ist der Ort, an dem die Probleme von Kindern und Jugendlichen am schnellsten auffallen und wo der Zugang zum Kind am leichtesten ist. Aber dafür haben Sie kein Geld und verlieren darüber in Ihrer Erklärung kein Wort.
Und es braucht nicht nur quantitativen Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung, sondern auch eine Steigerung der Qualität der Erziehung und Bildung in den Kitas. Zusammengefasst heißt das: Eltern brauchen Unterstützung bei und Beratung für die Erziehung.
Notwendig ist der quantitative Ausbau der Kinderbetreuung vor allem im Bereich U 3 und in der Ganztagsbetreuung. Der quantitative Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung muss einhergehen mit qualitativen Verbesserungen der Kinderbetreuung in allen Bereichen.
Herzustellen ist die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern. Hier sind vor allem Regulierungen der Arbeitszeit usw. notwendig, die der Unterordnung der Kinder unter die Anforderungen der Arbeitgeber entgegentreten. Schließlich muss die Kinderarmut bekämpft werden, vor allem durch Bekämpfung des Niedriglohnsektors.
Was machen die CDU/FDP-Landes- und Bundesregierung stattdessen? Sie setzen weiter auf die Versorgungsehe. Und die wirtschaftspolitische Grundposition ist: Regulierende
Eingriffe in wirtschaftliche Entwicklungen werden grundsätzlich abgelehnt. Die Grundlinie ist Flexibilisierung. Sie gilt auch dann, wenn ökonomische Entwicklungen das Leben mit Kindern bedrohen. Das Hohelied der ökonomischen Flexibilisierung wird von CDU und FDP ausschließlich zugunsten der Unternehmen bzw. der Arbeitgeber gesungen.
Traurige Beispiele in Hessen sind die Verlängerung der Öffnungszeiten in Videotheken und die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten, die zu noch prekärerer Beschäftigung von Frauen geführt haben.
Die Zurückdrängung von Mini- und Midijobs und Niedriglöhnen wurde von CDU und FDP nicht nur abgelehnt, sondern geradezu bekämpft. Herr Grüttner, Sie sagten, als Arbeitgeber beschäftige sich die Landesregierung seit geraumer Zeit mit der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Das ist doch wirklich ein Hohn. Sprechen Sie einmal mit den Beamtinnen und Beamten in diesem Land. Hessen hält als einziges Land an einer Regelung fest, dass die Menschen 42 Stunden in der Woche arbeiten müssen. Sie halten an einem Dienstag eine Sonntagsrede, und das reale Leben der hessischen Beamtinnen und Beamten sieht ganz anders aus. Wenn das Ihre familienfreundlichen Arbeitszeiten sind, dann möchte ich einmal wissen, wie Sie von Arbeitgebern außerhalb dieser Regierung etwas anderes verlangen wollen.
Natürlich gibt es die. Die betrifft Eltern genauso wie Nichteltern. Die betrifft allein erziehende Väter und Mütter. Die betrifft die Menschen, die in diesem Land arbeiten, wo sich der Sozialminister hier gerade gerühmt hat, dass sich die Landesregierung als Arbeitgeber damit beschäftigt, Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern.
Dann frage ich Sie: Wann nehmen Sie die Wochenarbeitszeit von Beamtinnen und Beamten wieder zurück? – Auf Ihre Zwischenfrage: „Was hat das mit der Wochenarbeitszeit zu tun?“, würde ich einmal antworten: ganz schön viel. Wenn ich zwei oder vier Stunden mehr als andere Menschen arbeiten muss, heißt das, ich habe zwei oder vier Stunden weniger, in denen ich mich um meine Beziehung, um meine Kindern, meine Eltern und andere Menschen kümmern kann – wozu Sie die ganze Zeit sagen, das ist so eine wichtige Aufgabe.
Wenn das so wichtig ist, dann ermöglichen Sie das an erster Stelle einmal, wo Sie Einfluss haben, und das ist da, wo Sie Arbeitgeber sind. Geben Sie den Menschen wieder eine 38,5-Stunden-Woche.
Aus diesen und den anderen hier genannten Gründen ist die so konzipierte konservative Familienpolitik dazu verurteilt, an den realen Herausforderungen zu scheitern. Wir
können die Latte aber etwas tiefer hängen und die Landesregierung fragen, was denn die selbst gesteckten Ansprüche waren, was davon eingelöst wurde und was nicht.
Maßgeblich für die selbst gesteckten Ansprüche sind die Regierungserklärung von Ministerpräsident Bouffier vom 7. September 2010 und das familienpolitische Programmpapier der CDU Hessen. Letzteres wurde hier auf einer Pressekonferenz im November 2010 vorgestellt. Es hatte immerhin den Anspruch, auch über Hessen hinaus Impulse zu geben. Ich könnte jetzt höhnisch darauf hinweisen, dass die Impulse selbst in Hessen ziemlich mau geblieben sind, von einem nur kurzen Echo jenseits der Landesgrenzen ganz zu schweigen.
Die Frage in der Sache lautet aber: Warum war und ist das so? – Die Antwort darauf erscheint ganz einfach: Es gibt keine vernünftige Analyse oder auch nur Beschreibung der Situation und keine Benennung der Herausforderungen.
Sie haben geschrieben, Sie wollten die Finanzierung der Kitas auf eine kindbezogene umstellen. Das haben Sie umgesetzt. Was uns das bringen wird, wird sich noch zeigen. So wie es sich im Moment anlässt, scheint es eher nichts Gutes zu bringen. Ganz im Gegenteil: Es scheint konkrete Verschlechterungen zu bringen. Das wird Ihnen aus den Kommunen landauf, landab gesagt.
Sie haben gesagt, Sie wollten Wahlfreiheit und die Betreuungsangebote bedarfsgerecht ausbauen. Dabei wollen Sie sowohl quantitative als auch qualitative Fortschritte erzielen. Wo sind die denn? – Sie haben das gemacht, was Sie von der Bundesgesetzgebung als Auflage bekommen haben. Wir werden ab diesem Sommer eine Betreuungsregelung haben. Das haben Sie noch nicht einmal so gemacht, dass es wirklich abgesichert ist. Wo sind denn da Ihre eigenen Impulse?