Protocol of the Session on January 31, 2013

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte etwas mehr Ruhe.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Seid doch nicht so nervös! – Gegenruf des Abg. Gerhard Merz (SPD): Vor allen Dingen nicht bei Ihnen mit islamgrünem Schlips! – Weitere Zurufe)

Ich bitte Sie, doch etwas ruhiger zu sein, damit auch der Staatsminister seine Ausführungen fortführen kann. – Herr Staatsminister, Sie haben jetzt das Wort.

Die eine Minute bekomme ich noch hinten drauf, damit ich das noch zu Ende führen kann.

Meine Damen und Herren, die damalige Reform war nur auf der Grundlage des Erfolges vor dem Bundesverfassungsgericht 1999 möglich. Wenn die damalige Regelung von vor 2005 heute noch gelten würde, wäre das wahrscheinlich ein zusätzlicher Mehraufwand im Länderfinanzausgleich für das Land Hessen, je nach Jahr, zwischen 200, 300 und 400 Millionen €. Insofern war die Neuregelung 2005 im Verhältnis zu dem, was vorher galt, ein ziemlich dramatischer Erfolg für die hessischen Staatsfinanzen.

Aber die Hoffnungen, dass die Neuregelungen des Jahres 2005 dazu führen, dass im Ergebnis nicht drei Zahlerländer und 13 Nehmerländer, sondern vielleicht vier, fünf oder gar sechs Zahlerländer stehen würden, hat sich nicht nur nicht erfüllt, sondern die Situation ist in der Folge noch dramatischer geworden. Es sind ja nur noch drei Länder, die auf Dauer zahlen, und der Rest nimmt. Deshalb reicht die Neuregelung nicht aus, um am Ende den verfassungsrechtlichen Maßstäben zu genügen, die das Bundesverfassungsgericht 1999 selbst aufgestellt hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Genau so ist es!)

Deshalb haben wir versucht, mit den anderen Bundesländern darüber zu reden. Selbst der eben in der Debatte von Herrn Decker zitierte Vorschlag von Bürgermeister Olaf Scholz ist noch nicht einmal in eine materielle Erörterung unter den Ministerpräsidenten gekommen, weil nämlich ein Großteil der Nehmerländer von vornherein das Thema vom Tisch gewischt und gesagt hat: Hierüber wollen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt gar nicht reden. Wir reden nur darüber, was nach 2019 ist. – Meine Damen und Herren, wenn das so ist, dann bleibt uns keine andere Alternative, als unser Recht in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht zu suchen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Norbert Schmitt (SPD): Indem Sie sie beschimpft haben, das ist doch klar!)

Diese Situation – ich will sie Ihnen mit konkreten Zahlen schildern – ist auf Dauer nicht hinnehmbar und genügt dem bundesverfassungsrechtlichen Nivellierungsgebot eben nicht mehr. Das Land Hessen, das im Jahr 2012 – wie wir wissen – kein besonders steuerstarkes Jahr hatte, hatte vor dem Umsatzsteuerausgleich eine Steuerkraft von 118 % des Bundesdurchschnittes, nach der Umsatzsteuerverteilung noch von 108 %, nach der Durchführung des engeren Länderfinanzausgleichs noch 101 %, nach der ersten Stufe der Bundesergänzungszuweisung noch von 100 %. Nach der zweiten Stufe der Bundesergänzungszuweisung sind

wir noch bei 97,4 % und damit deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Das ist Übernivellierung, wenn am Ende diejenigen, die leistungsstark sind, weniger als diejenigen haben, die von der Leistungsstärke anderer profitieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Und noch ein Beispiel, damit die Pervertierung des Systems noch ein Stück deutlicher wird: Im Jahre 2012 war die Freie und Hansestadt Hamburg das steuerstärkste Land. Nach allen Verteilungswirkungen ist sie zum Nehmerland im Bund-Länder-Finanzausgleich geworden. Da kann doch etwas nicht stimmen. Deshalb werden wir selbstverständlich insbesondere auch das Einwohnerprivileg angreifen müssen,

(Norbert Schmitt (SPD): Wie Frankfurt!)

weil auch klar ist: Die Rechtfertigung für die Einwohnerprivilegierung der Stadtstaaten durch die Ballungsraumfunktion – aber die Flächenländer, die auch Ballungsräume mit ihren Problemen wie bei uns das Rhein-Main-Gebiet haben, werden alleingelassen, während die Stadtstaaten privilegiert werden – ist auch verfassungsrechtlich am Ende nicht haltbar. Genauso ist die Frage, dass unter den Stadtstaaten, die sehr unterschiedliche Voraussetzungen haben, alle gleichmäßig mit 35 % privilegiert werden, jedenfalls unter der Vorgabe nicht zu rechtfertigen, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln zu müssen.

(Norbert Schmitt (SPD): Aber im Gesetzentwurf für den KFA steht das auch!)

Aber im KFA veredeln wir im Zusammenspiel mit dem Umland. Wenn ich nur an einer Stelle einen Ballungsraum privilegiere, wäre das genauso, als wenn ich die Veredelung für Kassel gewähre, aber für Frankfurt nicht. Dann haben Sie das Entsprechende. Das ist der Punkt.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt einen zweiten Teil. Natürlich – da hat Kollege Greilich völlig recht – wird uns das Bundesverfassungsgericht nicht den Gefallen tun, uns die Arbeit der politischen Setzung abzunehmen. Es wird ähnlich entscheiden wie 1999, nach unserer festen Überzeugung Maßstäbe einfordern, dafür Leitplanken definieren.

Wir brauchen diese Leitplanken, weil in einem demokratischen Bundesstaat, wo am Ende drei Bundesländer gegenüber 13 ihre Interessen durchsetzen müssen, wenn es nur nach den Regeln von Mehrheit und Minderheit geht, sich nie etwas ändert. Deshalb brauchen wir die Leitplanken des Bundesverfassungsgerichts, um am Ende in den Verhandlungen mit den Nehmerländern sagen zu können: Das ist die Grenze, die das Bundesverfassungsgericht definiert hat, und darüber können wir nicht gehen, selbst wenn ihr die Mehrheit habt. – Wir müssen uns stärker auf die Interessen der Geberländer zubewegen. Das ist der Punkt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Minister, ich möchte Sie an die Redezeit der Fraktionen erinnern.

Ich bin jetzt mitten in der Verlängerung auf den merzschen Zwischenruf. Deshalb beschränke ich mich trotzdem auf einen letzten Satz.

Bei aller Unterschiedlichkeit in der Beurteilung mancher Sachfrage würde ich mich sehr freuen, wenn wir am Ende dahin kommen – wir werden Sie transparent über alle Schritte, die wir in dem Zusammenhang im Umgang mit dem Bundesverfassungsgericht ergreifen, selbstverständlich unterrichten –, gedanklich gemeinsam nach Karlsruhe zu marschieren, um die Interessen der hessischen Steuerzahlerinnen und -zahler zu vertreten. Alles andere wäre unverantwortlich. – Vielen Dank für das Zuhören.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Staatsminister Dr. Schäfer. – Auf der Besuchertribüne habe ich den ehemaligen Kollegen Gottfried Milde entdeckt. Sehr herzlich willkommen im Hessischen Landtag.

(Allgemeiner Beifall)

Als nächster Redner hat sich Kollege Kahl von der SPD zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege Kahl, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Zielsetzung eines transparenteren, gerechteren und, ich betone ausdrücklich, mit Anreizfunktion ausgestatteten Länderfinanzausgleichs sind wir uns erst einmal einig.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Herr Minister, wir nehmen zur Kenntnis, dass Sie uns über alle Schritte informieren wollen, wie es in der Frage der Klage weitergeht. Das ist eine gute Aussage. Aber da müssen auch die Fakten kommen.

(Beifall bei der SPD – Wolfgang Decker (SPD): Auf den Tisch!)

Ich sage sehr klar: Wer den jetzigen Länderfinanzausgleich verändern will und den Klageweg beschreitet, braucht gute Sachargumente. Und die haben wir bis jetzt noch nicht von CDU und FDP gehört.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Die hatte er doch gerade vorgetragen!)

Meine Damen und Herren, Sprüche helfen überhaupt nicht – um es klar zu sagen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sinn erfassen und zuhören wäre hilfreich!)

Wer beim Länderfinanzausgleich immer noch über das Ausgabeverhalten von Bundesländern redet, hat davon keine Ahnung.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Wer den Länderfinanzausgleich mit dem Budgetrecht verwechselt, braucht die Tür nach Karlsruhe gar nicht zu öffnen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Der Länderfinanzausgleich ist ausschließlich eine Frage der steuerlichen Einnahmen; darüber sollten wir uns im Klaren sein. Deswegen haben die rheinland-pfälzischen Beispiele, die hier genannt wurden, gar nichts mit der Sache zu tun.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich will auf eines hinweisen: Das Gejammer von CDU und FDP – ich sage es so – über die hohen Zahlungen Hessens in den Länderfinanzausgleich hat leider nichts mehr mit den Fakten zu tun. Hessen hatte 2012 – ich habe es im Haushaltsausschuss gesagt – eine Finanzkraft von 111 %, 11 Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt. Das ist die niedrigste Finanzkraft Hessens seit dem Jahre 1995. – So weit zur Steuerstärke des Landes Hessen.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

Damals waren es 112 %. Mindestens sechs Jahre lang lag unsere Steuerkraft über 120 %. Zufälligerweise hatten wir in den meisten Jahren eine rot-grüne Regierung in Berlin. Das sollten Sie vielleicht auch einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie auf die absoluten Zahlen zu sprechen kommen, dann können wir feststellen: 2012 haben wir nach den Abrechnungen des Bundes 1,3 Milliarden € in den Länderfinanzausgleich gezahlt, bei anzurechnenden Steuereinnahmen von 21,6 Milliarden €. Im Jahre 1995 – so lange ist das schon her, es gibt keine niedrigere Zahl – mussten wir 1,1 Milliarden € in den Länderfinanzausgleich zahlen, aber bei Steuereinnahmen von 14 Milliarden €. Bei den Zahlen kann ich nur sagen: Hören Sie auf mit dem Gejammer und sorgen dafür, dass Hessen wieder steuerstärker wird, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Selbstverständlich können wir über die Stellschrauben des Länderfinanzausgleichs reden. Die Frage der Einwohnerveredelung der Stadtstaaten ist eine Diskussion wert, das ist vollkommen klar. Nur, man muss gute Argumente haben, wenn Hessen einen ähnlichen Weg bezüglich Metropolregionen und Oberzentren im KFA geht. Das muss man sehr klar sehen.

Der zweite Punkt, auf den ich hinweisen will, betrifft die Anreizfunktion und das Tarifmodell, das von Herrn Koch maßgeblich beeinflusst worden ist. Die Höchstabschöpfung liegt heute bei 72,5 %. Die Höchstabschöpfung kommt nur dann infrage, wenn die Steuerkraft über 120 % liegt. Davon ist Hessen weit entfernt, meine Damen und Herren.

(Petra Fuhrmann (SPD): Leider!)