Protocol of the Session on December 12, 2012

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich danke dem Herrn Präsidenten ausdrücklich, dass er das Stichwort für den Anfang meiner Rede genannt hat. Es ist schon beeindruckend, dass wir wenige Tage vor Weihnachten über dieses Thema diskutieren. Wenn es ein Thema gibt, das sich bis auf den heutigen Tag sowohl durch die jüdische als auch durch die christliche Tradition zieht, dann ist es das Thema Asyl. Das Recht auf Asyl ist eines der sensiblen Rechte, die wir Gott sei Dank in unserer Verfassung haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Ich glaube, das Thema Asyl und vor allen Dingen die Schicksale, die dahinter stehen, eignen sich nicht, um sich in die eine oder in die andere Richtung zu profilieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Die Zahlen sind genannt worden. 1992, also in dem Jahr, bevor das Asylbewerberleistungsgesetz verabschiedet wurde, hatten wir in unserem Land rund 450.000 Asylanträge. In diesem Jahr werden es – bei vorsichtigen Schätzungen – etwa 50.000 Anträge sein; im Vergleich also knapp 10 %. Ich glaube, dieses Verhältnis macht deutlich, welche Bedeutung das Thema Asyl heute im Vergleich zu der Zeit vor 20 Jahren hat. Mit der Verabschiedung des Asylbewerberleistungsgesetzes hat man 1993 auf die Situation reagiert. Wer wollte es leugnen: Das Asylbewerberleistungsgesetz hatte auch eine abschreckende Wirkung.

Wir leben jetzt aber im Jahr 2012 und betrachten die Situation etwas anders, denn in diesem Jahr hat uns das Bundesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben, mit den Regelsätzen ordentlich umzugehen. Das Verfassungsgericht hat die Regelsätze für verfassungswidrig erklärt. Wenn man aufseiten von CDU und FDP der Opposition nicht glauben will, dann bitte ich doch darum, an der Stelle wenigstens dem Verfassungsgericht zu glauben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Außer der Höhe der Regelsätze hat das Verfassungsgericht auch angemahnt, dass die Regelsätze transparenter und nachvollziehbar sein müssen. Es hat lange gedauert, bis an der Stelle überhaupt etwas in Gang gekommen ist. Die Bundestagsfraktion der SPD hat aus diesem Grunde mehrmals auf diesen Missstand hingewiesen. Ich nehme als Beispiel die Beträge, die Mitte dieses Jahres ausgezahlt wurden: Ein Alleinstehender hat in der Grundsicherung für Arbeitsuchende 374 € pro Monat erhalten, während ein Flüchtling mit 225 € auskommen musste. Das sind 40 % weniger – bei einem Betrag, über den wir hier schon oft diskutiert und von dem wir gesagt haben, dass dies wirklich das absolute Minimum ist.

Wir haben seit dem Jahr 1993 an den Leistungen also nichts verändert. Es wäre müßig, sich gegenseitig vorzuwerfen, wer etwas hätte ändern sollen. Ich wäre froh, wenn meine Partei das zu früherer Zeit geändert hätte.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Jetzt hat das Verfassungsgericht gesagt, dass wir es ändern müssen. Derzeit regiert Schwarz-Gelb.

Ich will einen zweiten Punkt nennen. Der Reformenbedarf, den meine Fraktion angemahnt hat, geht deutlich über die Frage der Regelsätze hinaus. Flüchtlingskinder dürfen nicht länger ausgegrenzt werden und brauchen einen Rechtsanspruch auf Teilhabe am Bildungspaket. Auch das ist eben schon einmal angeklungen. Dazu gab es auf Bundesebene bereits verschiedene Vorstöße.

Asylbewerber und ihre Kinder brauchen eine verbesserte Gesundheitsversorgung, insbesondere bei der psychologischen Betreuung. Frau Wallmann, Sie haben das Petitionsverfahren angesprochen. Kollegin Öztürk hat über die Härtefallkommission gesprochen. Da ist die psychologische Betreuung oft unser Hauptthema. Wie oft beklagen und bedauern wir, dass junge Menschen buchstäblich vor die

Hunde gehen, weil ihnen diese Betreuung aus unterschiedlichsten Gründen und auch nicht aus bösem Willen nicht zugutekommt. Da ist doch dringend nachzubessern.

(Beifall bei der SPD)

Einen Punkt will ich nicht verschweigen: Die entmündigende und meist aufwendige Versorgung mit Sachleistungen sowie die Unterbringung in Sammelunterkünften als Regelfall sollen für Asylbewerber abgeschafft werden. Es kann Situationen geben, in denen es dringend geboten ist, dass wir von einer solchen Möglichkeit Gebrauch machen. Das muss aber wirklich die Ausnahme sein.

(Beifall bei der SPD)

Die Übergangszeit von 48 Monaten muss wieder auf die ursprüngliche Spanne von 12 Monaten verringert werden. 48 Monate, vier Jahre, kann man nicht mehr als einen „vorübergehenden Zeitraum“ bezeichnen. Die Betroffenen sehnen sich größtenteils danach, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Deshalb muss der Übergang in die sozialen Regelsysteme möglichst schnell erfolgen.

Wir können uns mit der Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes sehr wohl anfreunden. Wir halten es aber zum jetzigen Zeitpunkt für dringend geboten, das bestehende Asylbewerberleistungsgesetz so zu reformieren, dass die Menschen, die davon betroffen sind, menschenwürdig leben können.

Zum guten Schluss: Während wir hier heute debattieren, setzt der Bundespräsident in dieser Frage Gott sei Dank ein deutliches Signal. Er besucht zeitgleich zu unserer Debatte eine Asylbewerberunterkunft in Brandenburg, um deutlich zu machen, dass die politische Auseinandersetzung um das Thema das eine, die konkrete, den Menschen zugewandte Ausführung das andere ist. Von daher gesehen kann man Bundespräsident Gauck zu diesem Schritt nur beglückwünschen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Roth. – Für die Landesregierung hat Herr Staatsminister Grüttner das Wort. Bitte schön, Herr Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke Herrn Kollegen Roth ausdrücklich dafür, dass er Ansatzpunkte für eine sachliche Auseinandersetzung mit diesem Thema genannt hat. Darauf will ich gern eingehen, auch um Unterschiede zwischen den Auffassungen zu verdeutlichen.

Aber ich finde, an dieser Stelle darf auch das, was in der Debatte gesagt worden ist, nicht unerwähnt bleiben. Ich halte es, gelinde gesagt, für unerträglich, wenn Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE im Hessischen Landtag erklären, die Asylgesetzgebung in Deutschland sei rassistisch, Deutschland trage eine Mitschuld an den Flüchtlingsströmen,

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Ja! – Janine Wissler (DIE LINKE): Natürlich!)

und man solle einmal eine Abgeordnete der CDU-Fraktion im Kosovo aussetzen, damit sie etwas erlebt. Ich finde, das ist eine Unerträglichkeit sondergleichen. Das gehört sich an dieser Stelle einfach nicht.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Frau Kollegin Wissler, was das Aussetzen im Kosovo betrifft, das von Ihrer Seite vorgeschlagen wird: Sie sagen, Sie stellen die rechtsstaatlichen Verfahren nicht infrage. Ich habe gerade einmal nachgefragt, wie viele Menschen aus dem Kosovo in diesem Jahr bislang Asylanträge gestellt haben.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Mit denen will die SPD zusammengehen!)

In diesem Jahr gab es bislang 2.000 Asylanträge von Menschen aus dem Kosovo. Wie viele wurden anerkannt? – Kein einziger ist anerkannt worden.

Ich finde, wir müssen bei all den Diskussionen, die wir hier führen, immer auch mit berücksichtigen, dass wir Deutsche aufgrund unserer Geschichte sowie aufgrund unserer humanistischen und unserer christlichen Einstellungen die Verpflichtung haben, Flüchtlingen, die in Not sind, Unterkunft zu gewähren und ihnen gleichzeitig ein rechtsstaatliches Verfahren angedeihen zu lassen.

Das Ergebnis eines solchen rechtsstaatlichen Verfahrens müssen wir aber auch akzeptieren. Wenn, wie wir feststellen, fast null Anträge von Asylbewerbern aus dem Kosovo, aus Serbien, aus Mazedonien und aus Bosnien-Herzegowina anerkannt werden, müssen wir uns fragen, ob die Asylgründe, die angegeben werden, wirklich rechtmäßig sind, oder ob es nicht andere Gründe sind – Frau Kollegin Wallmann hat das zu Recht angesprochen –, die die Menschen dazu bringen, nach Deutschland zu kommen.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Dann liegt es wahrscheinlich am Anerkennungsverfahren!)

Ich finde, es lohnt sich an dieser Stelle, über den Asylmissbrauch, die Leistungsgesetze und die Rechtsstaatlichkeit intensiv zu diskutieren. Wir müssen auch darüber diskutieren, dass wir diejenigen nicht diskriminieren dürfen, die aus berechtigten Gründen Asyl suchen und denen es auch gewährt wird. Die dürfen wir nicht diskriminieren, weil es Menschen gibt, die unser System ausnutzen.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen kann ich an dieser Stelle sagen, die Landesregierung teilt nicht die Auffassung, dass eine Gleichbehandlung von Flüchtlingen mit anderen im Bundesgebiet lebenden Bevölkerungsgruppen erfolgen sollte, auch dann nicht, wenn das Asylverfahren noch anhängig ist. Das wird nämlich letzten Endes nicht dem Ziel einer gesteuerten Zuwanderung oder einer weiteren Aufnahme von schutzbedürftigen Asylsuchenden gerecht werden, sondern es wird dazu führen, dass immer mehr Menschen zu uns kommen, die unser System ausnutzen, und dass diejenigen diskriminiert werden, die tatsächlich Schutz brauchen.

(Beifall bei der CDU – Willi van Ooyen (DIE LIN- KE): Quatsch!)

Deswegen finde ich, dass wir an der Stelle immer die Realitäten mit betrachten müssen. Die Realität ist, dass wir durch diverse Regelungen eine Verbesserung der aufent

haltsrechtlichen Situation von Flüchtlingen erreicht haben. Das gilt z. B., was die Verfahrensdauer anbelangt.

Unabhängig davon, dass die Landesregierung keinen Einfluss auf diese Entscheidungspraxis hat und dies eher ein bundespolitisches Thema ist, müssen wir sagen, dass wir seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 18. Juli 2012 einen sprunghaften Anstieg der Zahl der Asylbewerber zu verzeichnen haben. Daher ist es klar, warum seit Juli mehr Asylbewerber nach Deutschland kommen und warum – eben weil mehr kommen – an dieser Stelle auch längere Verfahrensdauern zu verzeichnen sind.

Also haben wir als Regierung des Landes Hessen unserer Verpflichtung Rechnung getragen und sogar bei der hessischen Regionalstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bei der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung eigene Personalkapazitäten eingesetzt, um dafür zu sorgen, dass die Verfahrensdauer abgekürzt wird und die Verfahren schneller beschieden werden können.

(Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Aber selbstverständlich, Frau Öztürk. Sie waren doch selbst da. Auch ich bin dort gewesen.

(Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, eben!)

Ich mache das nicht ganz so öffentlichkeitswirksam wie Sie. Ich mache daraus auch keine parlamentarischen Anfragen oder Auskunftsersuchen.

(Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Aber wir haben Ärzte, Hilfspersonal und anderes zur Verfügung gestellt. Ich will hier sagen, dass wir alles machen, was in unseren Kräften steht, um die Verfahren zu beschleunigen und möglichst schnell Sicherheit zu bekommen. Insofern finde ich, dass wir den Beitrag, den wir als Landesregierung leisten können, an dieser Stelle schon geleistet haben.

Ich will noch eines sagen, weil es eben vom Kollegen Roth im Hinblick auf die Veränderungen beim Asylbewerberleistungsgesetz angesprochen worden ist: Ich sage aus Sicht der Landesregierung eindeutig Nein zu der Forderung, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen. Das Asylbewerberleistungsgesetz als Spezialgesetz hat sich bewährt. Es muss unter dem Gesichtspunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts versucht werden, Veränderungen herbeizuführen.

Sie haben gesagt, seitdem sei Schwarz-Gelb an der Regierung. Ja, wir sind schon länger an der Regierung, sowohl im Bund als auch im Land. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts datiert vom 18. Juli 2012. Seit dem 18. Juli 2012 sind die Kommunen angewiesen, erhöhte Regelsätze auszuzahlen, auch auf der Grundlage einer Mitfinanzierungszusage des Landes.

Gleichzeitig ist auf der Bundesebene eine Arbeitsgemeinschaft zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes – zur Anpassung der Regelsätze – eingerichtet worden. Sie können davon ausgehen, dass es im Jahr 2013 eine gesetzliche Regelung geben wird, die dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rechnung trägt.

Ich sage Ihnen, das ist ganz schön schnell im Verhältnis zu der Zeit – das hat Ihnen Frau Kollegin Wallmann vorgehal