Protocol of the Session on December 12, 2012

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das Glas steht gerade erst da, es ist aber noch leer!)

Unsere Landesregierung, ganz voran unser Sozialminister, haben einen wirklich tollen Job gemacht. Das ist ein Job, der in der Bundesrepublik als vorbildlich gilt. Andere schauen sich unseren Aktionsplan an und schreiben ihn ab. Das finde ich auch gut, sie dürfen alle abschreiben. Dieser Plan ist wirklich sehr gut. Ich freue mich, wenn wir uns darüber noch öfter unterhalten und die Fortschreibung mit erleben würden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Zum Schluss noch meine Anregung, ob wir nicht nur den Antrag der SPD, sondern auch die beiden Entschließungsanträge mit in den Ausschuss nehmen, damit wir diese drei Initiativen als Bündel noch verhandeln können. Wenn es gewünscht wird, würden wir so verfahren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Utter. – Frau Schott, ich darf Sie ans Mikrofon bitten für DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! 590.000 Menschen mit Behinderung leben in Hessen. Der weitaus größte Teil dieser Menschen, etwa 80 %, sind nicht mit ihrer Behinderung geboren worden, sie haben sie im Laufe ihres Lebens erworben.

Wir hören in diesem Zusammenhang immer den Satz: Es gibt keine behinderten Menschen, Menschen werden behindert. – Eigentlich beinhaltet dieser Satz viel mehr, als sinnbildlich gemeint ist, wenn man davon redet, dass Menschen Barrieren vorfinden, die sie mit ihren Rollstühlen nicht überwinden können, die sie als Nichtsehende nicht lesen können. Sie werden tatsächlich im engeren Sinne des Wortes im Laufe ihres Arbeitslebens zu Behinderten gemacht. Sie erwerben diese Behinderung durch Bedingungen am Arbeitsplatz, die ihren Rücken kaputt machen, ihre Haut beschädigen usw. usf.

Es gibt noch einen Anteil von Menschen, die aufgrund von Unfällen, häuslichen Unfällen, Verkehrsunfällen, behindert werden oder durch eine Krankheit, die sie ohnehin mitgebracht haben. Ein großer Teil der Menschen mit Behinderungen, mit denen wir in diesem Land leben, erwerben diese Behinderung im Arbeitsleben.

Bei all den Kindern, den restlichen 20 %, die mit einem Handicap geboren werden, muss von Anfang an Sorge dafür getragen werden, dass sie inklusiv aufwachsen können. Die Behindertenrechtskonvention zielt auf Inklusion, also auf die Teilhabe in Arbeit, in politische Gestaltung, in Kultur und nicht zuletzt die Teilhabe am Konsum, der in dieser

Gesellschaft erzeugten schönen Dinge und Dienstleistungen.

Um Inklusion zu erreichen, müssen die Gründe der Exklusion analysiert werden. Erst im Licht dieser Erkenntnisse lassen sich inklusive Strategien wirklich entwickeln. Ohne diese Analyse können wir gefahrlos über alles schwadronieren und alles fordern, ohne dass wir konkret festhalten können, wo die Punkte sind, an denen wir vorher Exklusion geschaffen haben.

Was steht also dem Einbezug der Behinderten entgegen? Behinderung bedeutet, dass die Fähigkeit zur Teilnahme an der Produktion von Waren und Dienstleistungen nur eingeschränkt möglich ist, oder zumindest einer Unterstützung bedarf. Wir leben aber in einer Wirtschaft, in der selbst Nichtbehinderte von der Produktion ausgeschlossen werden. Und wir leben in einer Wirtschaft, in der ein Teil der Nichtbehinderten nur Armutslöhne erhält. Diese Menschen sind damit nur eingeschränkt konsumfähig. Selbst viele Nichtbehinderte sind also von Produktion und Konsum weitgehend ausgeschlossen. Wer in unserer Gesellschaft wenig zu Produktion und Konsum beiträgt, der gilt eben als unwichtig.

Ein weiteres Problem ist, dass Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Unternehmen Geld kostet. Deshalb wird dort nach Möglichkeit gespart. Die Folge sind Einsatz- und Leistungseinschränkungen. Die meisten Fälle von Behinderung entstehen aufgrund von arbeitsbedingten Erkrankungen im Laufe der Erwerbsbiografie. Arbeitskräfte mit eingeschränkter Einsatz- und Leistungsfähigkeit bringen nicht mehr die Leistung wie gesunde Menschen. Deshalb werden sie, wenn dem keine Hindernisse entgegenstehen, ausgegliedert, also entlassen.

Auch dieser Exklusionsmechanismus ist systembedingt. Er ist rechtlich abgesichert. Es gibt zwar einen besonderen Kündigungsschutz für Schwerbeschädigte, der steht aber unter ständigem Beschuss. Der Arbeitgeber muss, wenn er kündigen will, die Zustimmung des Integrationsamts einholen. Widerspricht der betroffene Arbeitnehmer, folgt eine Kündigungsschutzverhandlung beim Integrationsamt. Diese Verfahren enden aber zu 75 % mit dem Verlust des Arbeitsplatzes. Eventuell gibt es für den Arbeitnehmer eine Abfindung. Aber der Arbeitsplatz ist weg, und zwar vor dem Erreichen des Rentenalters.

Werden Schwerbeschädigte nicht aus dem Arbeitsleben gedrängt, gehen sie in die Quote der beschäftigten Behinderten ein. Die meisten behinderten Beschäftigten werden also nicht von außen eingegliedert, sondern aus der Belegschaft des eigenen Unternehmens rekrutiert. Eine relativ hohe Beschäftigungsquote, wie sie in Punkt 1 des CDU/ FDP-Antrags für die Landesverwaltung gelobt wird, ist deshalb im Allgemeinen – nicht im speziellen Fall – ein Indikator für gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen. Das heißt, der Betrieb produziert mit seiner Art der Arbeit die Menschen mit der Behinderung und behält sie im Betrieb. Damit erfüllt er die Quote und wird am Ende noch dafür gelobt.

Eigentlich müssten wir diesen Arbeitgeber auffordern, seine Arbeitsbedingungen zu überprüfen. Der Betrieb müsste prüfen, warum so viele Menschen in seinem Unternehmen krank sind, und zwar so schwer krank, dass sie anschließend behindert sind. So herum müsste man fragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Erwerbsbeteiligung der Behinderten liegt seit Jahrzehnten relativ stabil bei 30 %. Das bedeutet, dass etwa 30 % der schwerbehinderten Personen im erwerbsfähigen Alter aktuell einer Erwerbsarbeit nachgehen. Die bestimmende Tendenz der Personalpolitik in Betrieben ist die Ausgliederung. Etwa 70 % der Schwerbehinderten im erwerbsfähigen Alter haben ihre Arbeit behinderungsbedingt vorzeitig verloren und befinden sich im Wartestand auf die Altersrente.

Was den Aktionsplan der Landesregierung anbelangt, so weist er – ich sagte es schon – tiefgreifende Mängel auf, die nicht zu heilen sind. Dementsprechend wird er von allen Seiten kritisiert. Wir haben vorhin von Frau SchulzAsche eine lange Auflistung gehört. Sie hat sehr detailliert dargestellt, an welchen Stellen Schwächen und Lücken sind und wie er anders aufgebaut sein müsste. Das will ich hier nicht wiederholen, das führt uns auch nicht weiter.

Zu den größten Problemen der Behindertenpolitik gehören aber nicht nur die arbeitsbedingten Krankheiten und die Ausgliederung Behinderter durch die Unternehmen. Zu den Problemen der Behindertenpolitik gehört auch die Finanzkrise der Kommunen. Aber auch dazu sagt der Aktionsplan nichts, ebenso wenig wie zu seinen Ursachen.

Meine Damen und Herren, darüber sollten Sie alle sehr froh sein. Denn die Steuersenkungspolitik, die die öffentlichen Haushalte systematisch in die Verschuldung getrieben hat, ist der Grund dafür, dass die Kommunen auch auf dem Gebiet der Behindertenpolitik über kurz oder lang die freiwilligen Leistungen werden einschränken müssen. Es bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig, Sie kommen in diesen Konflikt zwischen Aktionsplan und dem, was Sie wollen und der Haushaltssituation und den Schutzschirmchen.

Die in Punkt 5 des CDU/FDP-Antrags genannte Stabsstelle hat es nicht vermocht, die wichtigsten Akteure in den Prozess einzubeziehen. So waren die Gewerkschaften ebenso ausgeschlossen wie die Anbieter der Behindertenhilfe. Folgerichtig müssen an dieser Stelle auch viele blinde Flecken entstanden sein. Viele Probleme der Teilhabe sind dort gar nicht richtig angekommen.

Deshalb denken wir, dass das zum Scheitern verurteilt ist, wenn man nicht alle Akteure einbezieht, wenn man hier selektiv aussucht und bestimmte Gruppen ausgrenzt.

Den behinderten Bürgerinnen und Bürgern ist zu empfehlen: Lassen Sie sich nicht mit Symbolpolitik abspeisen. Schließen Sie sich unabhängig von Ihrer jeweiligen Behinderung zusammen. Kämpfen Sie gemeinsam mit den Gewerkschaften, den betrieblichen Schwerbehindertenvertretungen und dem VdK für Ihre grundlegenden Lebensinteressen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Schlüssel zur Verbesserung der sozialen Teilhabe ist die berufliche Teilhabe. Nur in jenem Maß, wie die Teilhabe an der Arbeitswelt und die Erwerbsbeteiligung wachsen, wird sich auch das vorgelagerte pädagogische System auf die Teilhabe Behinderter einstellen. Das gilt analog für Bedarfe in Bereichen der Infrastruktur und des Privatlebens. Die Landesregierung sollte sich auf die Förderung der beruflichen Teilhabe konzentrieren, ohne das andere zu vernachlässigen. Stattdessen versucht sie, sich mit Propagandamaßnahmen ein behindertenfreundliches Mäntelchen umzuhängen. Das funktioniert nicht. Das merken die Be

troffenen, und das merken alle, die mit Betroffenen zu tun haben.

(Beifall bei der LINKEN – Präsident Norbert Kart- mann übernimmt den Vorsitz.)

Wirklich erforderlich wären hier Initiativen zum vorbeugenden Gesundheitsschutz in den Betrieben, um schädliche Arbeitsbelastungen abzubauen. Damit könnte die hohe Rate der erworbenen – und damit vermeidbaren – Behinderungen gesenkt werden. Das wäre der erste und wichtigste Schritt, denn damit vermeidet man das Elend, dass Menschen Behinderungen ausbilden, mit Schmerzen leben müssen und aus den gesellschaftlichen Prozessen ausgegliedert werden.

Zweitens werden Initiativen gebraucht, um schwerbehinderten Menschen, vor allem im Alter über 50 Jahre, eine Beschäftigung zu ermöglichen. Das sind genau die Menschen, die viele Jahre ihres Lebens erwerbstätig waren, dann ausgegrenzt wurden und jetzt aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht mehr am Erwerbsleben beteiligt sind. Für diese Menschen muss man wieder Arbeitsplätze finden, Arbeitsplätze schaffen oder es so organisieren, dass es dafür Möglichkeiten gibt.

Vorhin ist hier gelobt worden, dass es einen sogenannten dritten Baustein gibt und dass Dr. Jürgens da etwas unterschrieben hat. Natürlich hat er unterschrieben, weil Menschen, die mit Behinderten zu tun haben, jeden Schritt in die richtige Richtung unterschreiben werden, auch wenn der Schritt viel zu klein ist. Dieser Schritt ist, gemessen am Bedarf, viel zu klein. Es geht um 340 Arbeitsplätze, aber wir haben es mit rund 7.500 Betroffenen zu tun. Das heißt, etwa 5 % der Betroffenen wird damit geholfen. Was ist mit den restlichen 95 %? Wo bleiben die? Natürlich stimmt man einem solchen Schritt zu, weil man eine Verbesserung erreichen will. Das ist aber doch beileibe nicht ausreichend.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen statt dieser Symbolpolitik flächendeckende, öffentlich finanzierte und organisierte Angebote zur beruflichen Teilhabe älterer behinderter Personen, die ihre Arbeit vorzeitig verloren haben. Erforderlich wäre eine Initiative für eine Regelung, nach der öffentliche Aufträge nur an solche Unternehmen vergeben werden, die mit behinderten Personen nachweislich integrativ umgehen. Erforderlich wäre darüber hinaus eine Initiative der Landesregierung für den uneingeschränkten Erhalt der Eingliederungshilfe im Rahmen der Sozialhilfe. Dazu müsste sich die Landesregierung für eine auskömmliche Finanzierung der Kommunen einsetzen.

Schließlich wäre es sinnvoll, wenn die Landesregierung darauf hinwirkte, dass die Revision der Eingliederungshilfe an den konkreten Interessen und Bedürfnissen behinderter Personen orientiert wird. Dazu gehört insbesondere der ungeschmälerte Erhalt von sozialen Einrichtungen und auch der Werkstätten. Bei aller Kritik, die es an den Werkstätten gibt: Solange wir keine Arbeitsplätze für die Menschen haben, die in den Werkstätten beschäftigt sind, so lange müssen wir die Werkstätten aufrechterhalten. Wenn wir die Menschen, die in den Werkstätten beschäftigt sind, auf dem ersten, auf dem freien Arbeitsmarkt unterbringen können, bin ich gerne dafür, die Werkstätten zu schließen, sofort, am selben Tag. Aber bis dahin müssen wir Sorge dafür tragen, dass alle Menschen, die in den Werkstätten ihre Teilhabe finden, ihr Alltagsleben gestalten, diesen Schutz

raum erhalten bekommen, auch wenn es uns Geld kostet. Das ist unsere Verpflichtung.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Herr Staatsminister Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist das Ziel der Landesregierung, die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention mithilfe des hessischen Aktionsplanes voranzubringen. Deswegen freue ich mich insbesondere über den Entschließungsantrag der die Regierung tragenden Fraktionen von CDU und FDP.

Ich möchte an dieser Stelle verdeutlichen, wie es dazu gekommen ist. Der hessische Aktionsplan geht auf einen Beschluss im damaligen Ausschuss für Arbeit, Familie und Gesundheit vom 8. Dezember 2009 zurück. Vielleicht solle man an dieser Stelle auch daran erinnern, dass es damals die Fraktionen von CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN waren, die einen Antrag gestellt und diesem zugestimmt haben. Von der SPD-Fraktion war nichts zu hören. Sie hat weder einen Antrag gestellt noch dem genannten Antrag zugestimmt. Die SPD-Fraktion hat sich zu dieser Thematik überhaupt nicht geäußert.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Das ist Quatsch!)

Das muss man sich vergegenwärtigen, damit man sieht, dass das, was heute geschieht, nichts anderes ist als der Versuch, Versäumtes nachzuholen. Es ist aber ein untauglicher Versuch, Punkte zu kritisieren, die nicht zu kritisieren sind.

(Beifall bei der CDU – Dr. Thomas Spies (SPD): Das ist lächerlich!)

Das finde ich an den Reden der Kollegen aus dieser Oppositionsfraktion bedenklich. Sie verkennen die Resonanz, die dieser Aktionsplan gefunden hat.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Im Unterschied zu Ihnen haben wir zuerst mit den Betroffenen geredet, Herr Staatsminister!)

Sie haben vollkommen aus den Augen verloren, welche Resonanz der Aktionsplan in Hessen und weit darüber hinaus entfaltet.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Dann haben Sie die Stellungnahmen nicht gelesen! Die Resonanz war eindeutig!)

Herr Kollege Utter hat das aus einigen Gesprächen berichtet. Seit dem 17. August 2012, als wir den Aktionsplan im Rahmen des „Tages der Menschen mit Behinderungen“ im Hessischen Landtag vorgestellt haben, sind 2.500 dieser Pläne versandt worden. Der Aktionsplan und der dazu bereits eingeleitete Umsetzungsprozess sind von den Verbänden und Beteiligten bisher fast ausnahmslos positiv beurteilt und bestätigt worden.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Welche Stellungnahmen haben Sie denn gelesen, Herr Staatsminister? Das ist ja abenteuerlich, was Sie hier erzählen!)

Insofern stehen Sie, Herr Dr. Spies, und auch Sie, Frau Schulz-Asche, mit Ihrer Kritik vollkommen alleine da. Sie

treffen an keiner Stelle diejenigen, die mit der Umsetzung oder der Erarbeitung des Aktionsplans befasst waren und sind.