Protocol of the Session on September 6, 2012

Dort stand man, weil es in Bremen seit – ich glaube – 1986 eine Zivilklausel gibt, vor der Frage: Ist das, weil damit möglicherweise Daten von einem Kampfflugzeug an eine Bodenstation übermittelt werden, eine militärische Tech

nik, oder ist es das nicht? Man hat den Forschungsauftrag trotz der Zivilklausel angenommen. Erst als Radio Bremen die Sache öffentlich gemacht hat, hat man sich wieder davon distanziert. Sie sehen also, die Zivilklausel hat überhaupt nichts gebracht.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Wieso denn? Es ist doch verhindert worden!)

Nein, genau das auch von Ihnen angesprochene DualUse-Problem werden wir damit nicht in den Griff bekommen. Ich frage Sie – die Antwort sind Sie schuldig geblieben –: Dürfen hessische Forscher, wenn eine Zivilklausel eingeführt wird, z. B. an modernen Flüssigkristallen arbeiten, die möglicherweise einmal in dem Display eines Kampfhubschraubers landen? Dürfen Materialforscher an der Entwicklung von modernen Werkstoffen mitarbeiten, die später vielleicht einmal in der Panzerung eines Militärfahrzeugs eingesetzt werden? All diese Fragen haben Sie nicht beantwortet. Sie sind die Antworten schuldig geblieben. Auch die vielen schlauen Zitate – von Schmidt über Einstein bis Brecht – haben nichts dazu beigetragen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Möglicherweise liegt der Grund auch darin, dass Sie einfach davon ausgehen, dass auch diese Vorlage glücklicherweise keine Mehrheit in diesem Haus findet und man sich daher mit Einzelheiten nicht zu beschäftigen braucht.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Wir wollen eine Diskussion anstoßen!)

Aber, meine Damen und Herren, eine seriöse Politik sieht anders aus. So einfach können wir es uns als Regierende nicht machen. Wir können keine Entscheidungen treffen, die nicht praktikabel sind, und wir dürfen auch keine Entscheidungen treffen, die Wissenschaft und Forschung in diesem Land schaden.

(Beifall bei der CDU)

Wir möchten Hochschulen, die bei der Forschung auf dem neuesten Stand sind und das auch bleiben. Wir wollen Hochschulen, die im Rahmen ihrer Hochschulautonomie entscheiden können, welche Projekte sie angehen und welche sie ablehnen. Wir haben, anders als es offenbar bei der LINKEN der Fall ist, Vertrauen in die Urteilsfähigkeit und in die moralische Integrität der Forscherinnen und Forscher in diesem Land.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Dabei möchte ich keinesfalls verschweigen, dass natürlich kein Forscher und keine Forscherin davor gefeit sind, dass die Ergebnisse der eigenen wissenschaftlichen Arbeit pervertiert und missbraucht werden. Aber machen wir uns doch nichts vor: Eine Zivilklausel ändert daran überhaupt nichts.

Was machen die GRÜNEN? Herr May hat hier einen bemerkenswerten Beitrag geliefert. Sie haben sich mit Mühe und Not einen eigenen Antrag abgerungen und ihn am Montag gerade noch nachgeschoben, um dem Antrag der LINKEN entgehen zu können.

Was steht in diesem kraftvollen Antrag? Dort steht, dass man den Senatsbeschluss der Universität Kassel begrüßt, der – ich zitiere daraus – „die Lehrenden der Universität dazu ermuntert, ihre Forschung an einem friedlichen und zivilen Leitbild zu orientieren. Der dadurch angestoßene Prozess könnte in einer Zivilklausel münden.“ Potz Blitz, das ist eine starke Botschaft.

Lieber Herr May, das, was Sie hier gemacht haben, war ein bemerkenswerter Eiertanz. Irgendwie soll es in Richtung Zivilklausel gehen: mit einem Diskussionsprozess an den Hochschulen

(Daniel May und Kordula Schulz-Asche (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!)

und ein wenig Druck durch die Landesregierung.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ja!)

Aber die Traute, das ins Hochschulgesetz zu schreiben, haben Sie dann doch nicht.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das geht doch gar nicht!)

Ja, genau, und jetzt versuchen Sie es über den Rücken durch die Brust ins Auge. Ich kann gut nachvollziehen, dass Ihnen dieses Thema unangenehm ist.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Überhaupt nicht!)

Hören Sie doch kurz zu. – Schließlich haben sich Ihre grün-roten Freunde in Baden-Württemberg auch die Finger daran verbrannt. Was hat man gemacht? In der Opposition hat man noch lautstark eine Zivilklausel gefordert. Plötzlich war man an der Regierung, und was passierte? Nichts. Was haben denn Ihre Freunde dort gemacht?

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): So enge Freunde sind das auch nicht!)

Auf einmal eiert man, ähnlich wie Herr May, herum und sagt: Wir brauchen eine Selbstverpflichtung. – So haben es Ihre Freunde gemacht, als sie die Regierungsverantwortung übernommen haben. Auf den Wortbruch im Ländle folgen nun die Lippenbekenntnisse von Rot-Grün in Hessen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wir brauchen dieses Thema nicht wegzunuscheln. Ich habe gesagt, wie wir darüber denken. Wir haben eine klare Position. Wir sind der Meinung, dass die sicherheits- und wehrtechnische Forschung der Sicherheit unseres Landes und dem Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger dient. Wir werden jedenfalls nicht, wie es DIE LINKE will, die grundgesetzlich geschützte Wissenschafts- und Forschungsfreiheit an den Hochschulen willkürlich beschneiden.

Kommen Sie bitte zum Ende Ihrer Rede, Herr Kollege.

Das mache ich sehr gern, Frau Präsidentin. – Deshalb lehnen wir beide Vorlagen ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Als nächster Redner hat sich für die FDP-Fraktion Herr Dr. Büger zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Dr. Büger.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutschland, in der wir leben, ist ein friedliches Land. Sie dient dem Frieden. Wir haben das Zitat aus dem Grundgesetz gehört, und wir wissen auch, wie unsere Lebenswirklichkeit aussieht.

Frau Wissler, da Sie in Ihrer Rede damit begonnen haben, möchte ich das vorweg sagen: Ihre Angriffe auf die Bundeswehr – auf unsere Soldatinnen und Soldaten – weise ich hier in aller Deutlichkeit zurück.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Hermann Schaus (DIE LINKE): Da steht etwas in Ihrem Manuskript, was gar nicht passiert ist!)

Im Übrigen kann ich zu der Vereinnahmung von Helmut Schmidt durch DIE LINKE nur sagen – vielleicht wird Herr Grumbach nachher noch darauf eingehen –: Das hat Helmut Schmidt nicht verdient. Das hat der Vater des NATO-Doppelbeschlusses, der sich für den Frieden eingesetzt hat, wirklich nicht verdient.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Kommen wir zu dem Thema Hochschulen. Niemand bestreitet, dass unsere Hochschulen zuallererst um ziviler Zwecke willen lehren und forschen sollen und dass sie dies in unserem Land in ihrer Eigenverantwortung und Autonomie seit vielen Jahren auch ganz hervorragend machen. So weit, so gut. Also könnte man sich fragen – ich muss mich an Ihren Antrag mit all seinem ideologischen Ballast halten, wie ihn Kollege May beschrieben hat –, was eine Zivilklausel im Hochschulgesetz soll.

Sie schreiben unter Punkt 2 Ihres Antrags, dass – ich zitiere – „Forschung, Lehre und Studium dort ausschließlich zivilen und friedlichen Zwecken dienen soll“. „Ausschließlich“ heißt, es darf keine Möglichkeit geben, dies in irgendeiner Form militärisch zu nutzen.

Das bedeutet, dass wir jedes Forschungsvorhaben und auch jedes Lehrvorhaben durch irgendein Gremium analysieren und bewerten lassen müssen und dass wir, wenn wir es ernst meinen – wir diskutieren in diesem Rahmen hoffentlich ernsthaft darüber –, das Ganze nachher kontrollieren und gegebenenfalls Sanktionen gegen jemanden verhängen müssen. Ich habe herausgehört, dass wir dann vielleicht bei den Geldern ansetzen, die wir verteilen, also Eingriffe in den Hochschulpakt vornehmen, und dass wir aufgrund der Feststellung eines solchen Gremiums eventuell Verbote von Forschung und Lehre brauchen.

Sie sehen daran – das haben schon einige Vorredner gesagt; deswegen kann ich mich daran halten –, dass eine Zivilklausel mit einem solchen Absolutheitsanspruch, wie sie in Ihrem Antrag enthalten ist, abstruse Folgen hat. Man müsste z. B. die Atomphysik verbieten. Vorhin wurden schon die Atomwaffen erwähnt, die man mit dieser Kenntnis grundsätzlich bauen kann. Wir müssten die halbe Mechanik verbieten, die schließlich die Grundlagen für die Berechnung von Geschossbahnen liefert. Wir müssten sogar bestimmte Gebiete der Mathematik verbieten. Dazu gehört nämlich die Kryptografie – die Verschlüsselungstechnik –, die eine erhebliche militärische Relevanz hat. Sie ist früher zum Teil sogar mit Exportbeschränkungen belegt worden. Am besten verbieten Sie die ganze Informatik; denn jedes moderne Waffensystem muss programmiert werden.

Wir müssen eigentlich sagen, dass sämtliche MINT-Fächer verdächtig sind – wir haben hier einmal beschlossen, die MINT-Fächer zu fördern –, weil sie die Grundlagen für die Entwicklung moderner Waffensysteme bieten. Wir müssen feststellen, es gibt nahezu keine naturwissenschaftliche Erkenntnis, die nicht auch militärisch genutzt werden könnte. Wollen wir uns jetzt also in Hessen von den MINT-Fächern verabschieden? Ich hoffe, dass das hier – vielleicht bis auf DIE LINKE – niemand will.

Wenn wir das nicht wollen, müssen wir abgrenzen. Was das Abgrenzen betrifft, wissen wir aber auch: Alle Erkenntnisse über die Welt können zu friedlichen und zu militärischen Zwecken genutzt werden. Sie können genutzt werden, um moralisch gute oder moralisch schlechte Ziele zu erreichen.

Frau Wissler, im Übrigen hat das nichts mit Verschleierung zu tun. Das ist seit Anbeginn der Menschheit so: seit der Entdeckung des Feuers. Wir wissen, welche positiven und welche negativen Wirkungen das hat. Wenn wir in der Geschichte etwas zurückgehen: Galilei hat mit seinem Fernrohr unser Weltbild verändert. Gleichzeitig hatte das eine hohe militärische Relevanz. Seitens des Militärs wurde das nämlich gefördert, weil man so die Schiffe des Gegners früher sehen konnte. Moderne Erkenntnisse über gefährliche Bakterien z. B. können dazu dienen, Krankheiten zu heilen und biologische Kampfstoffe zu entwickeln.

Der Wissenschaftler sucht zunächst einmal die Wahrheit, und er hat meist, das ist ein Teil davon, keinen Einfluss darauf, was später mit dieser Wahrheit getan wird. Wenn wir das wissen, und wenn das so ist, könnten wir natürlich vor dem Wissen grundsätzlich die Augen verschließen. Das wollen wir hoffentlich nicht tun. Also müssen wir verantwortlich mit Wissen umgehen.

Aber die Verantwortung, wie wir damit umgehen, müssen wir alle tragen. Diese müssen wir als Gesellschaft tragen. Wir müssen am Ende wissen, wie wir moralisch vertretbar mit Wissen umgehen. Dann kann ich zunächst einmal feststellen, dass wir auch keinen Anlass haben, anzunehmen, dass die hessischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dieser moralischen Verantwortung, die wir zu Recht an sie stellen, bisher nicht gerecht geworden wären.

Herr May, Sie haben von einer persönlichen Gewissensentscheidung gesprochen. – Ja, da sind sicher auch Gewissensentscheidungen von allen Menschen, auch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, drin. Aber gerade wenn es Gewissensentscheidungen sind, kann ich die nicht in ein Gesetz oder in eine Grundordnung schreiben. Das ist dann etwas hoch Persönliches; das Gewissen lässt sich nicht in irgendeiner abstrakten Weise verordnen. Dann sehen wir auch schon, wie schwierig es ist, uns zu überlegen, was denn moralisch vertretbar ist.

Ist es die Grundlagenforschung? – Dazu werden wir hier hoffentlich noch sagen – auch wenn wir nicht wissen, wofür sie eingesetzt wird –: Ja. – Angewandte Forschung, Materialwissenschaften? – Na ja, da sagen wir eigentlich auch Ja, auch wenn es dieses berühmte Dual Use dort natürlich gibt. Dann kommen wir zu Projekten – Herr Schneider ist darauf auch eingegangen –, die durchaus gezielt auf eine militärische Verwendung hinauslaufen. Auch das ist nicht immer eindeutig. Warum sollen wir das nicht tun, wenn sie z. B. dazu dienen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten, die wir auf Friedensmissionen ins Ausland, z. B. nach Kunduz, schicken, besser geschützt werden können? Sollten wir sagen, es sei moralisch verwerflich, unsere Soldaten

dort besser zu schützen? – Dahinter würde ich aber ein ganz großes Fragezeichen machen. Das würde ich anders beantworten als Sie, Frau Wissler. Daran sieht man, wie schwer hier eine Abgrenzung ist.

Damit komme ich zu etwas Grundsätzlichem, und, ich glaube, das ist das Problematische. Ich befürchte, dass eine solche Diskussion, wenn wir sie dann fortführen und in ein Gesetz oder in eine Verordnung hineinschreiben, nur ein erster Schritt ist und eine ganz schlimme Tür öffnet, nämlich dass wir beginnen, bei Forschung und Lehre zwischen gut und schlecht zu sortieren.

Heute ist das Militär schlecht, morgen ist es vielleicht die Kernphysik oder die Agrar-Gentechnik – Herr May, Sie haben es angedeutet –, die Erforschung bestimmter Chemikalien, die traditionelle Landwirtschaft, vielleicht auch kapitalistische Fächer wie ein House of Finance. Wer definiert nachher, was wirklich schlecht ist?

(Zuruf von der Regierungsbank: Die Politik!)