Demokratiepolitisch destruktiv ist diese Politik, weil sie demokratische Verfahren außer Kraft setzt und erkämpfte Errungenschaften der sozialen Demokratie, die Tarifautonomie und soziale Schutzsysteme attackiert.
Im Falle Griechenland bündeln sich die katastrophalen Folgen dieser Politik. Die Ökonomie wurde in eine Rezession getrieben. Große Teile der Gesellschaft verarmen. Immer mehr Menschen wenden sich mit Bitterkeit von Europa ab, und die Demokratie erstickt im Würgegriff der Troika.
Dagegen haben wir eine andere Politik gesetzt und haben mit der Bewegung Blockupy eine internationale Gegenbewegung entwickelt, die auch regionale Akzente einbezieht. Diese Bewegung wird weitergehen. Es geht darum, dass wir in der Kernfrage Europas die Bevölkerung einbeziehen müssen. Wir hoffen sehr, dass das in Irland heute der Fall sein wird, dass die Iren eine Entscheidung treffen, die tatsächlich im Interesse Europas ist – und nicht im Interesse der Finanzmärkte und des Kapitals.
(Holger Bellino (CDU): Reden Sie auch einmal zur Sache, heute noch? – Aloys Lenz (CDU): Was hat das mit dem Ausschuss der Regionen zu tun?)
Europa muss sich neu begründen. Das ist unser Herangehen. Der Einigungsprozess braucht eine neue, identitätsstiftende Idee. Immer mehr Menschen verbinden mit Europa Staatsschulden, Sozialabbau und Bürokratie. Soll Europa eine Zukunft haben, muss aktiv um die Zustimmung und Zuneigung der Menschen geworben werden. In der europäischen Öffentlichkeit müssen sich die Akteure über die Leitidee für ein soziales und demokratisches Europa verständigen. Der Weg Europas in den Ruin muss gestoppt werden – durch mehr wirtschaftliche Vernunft, soziale Gerechtigkeit und demokratischen Mut. Europa braucht eine öffentliche Debatte über eine neue, demokratische Zukunft.
Für eine solche Position steht Frau Breier nicht. Das hat meine Vorrednerin sehr deutlich gemacht. Wir haben es in Ungarn mit der Situation zu tun, dass die Fidesz-Partei – vor allen Dingen deren Jugendorganisation – gegen Roma aktiv ist, sozusagen rassistische Kampagnen fährt. Das kann nicht unsere Politik sein, die für Hessen von Frau Breier vertreten wird.
Wir brauchen keine neonationalistischen Politiken, weder in Ungarn noch bei uns. Wir sollten andere Signale für ein demokratisches, offenes Europa setzen. Diese Signale müssen von Hessen ausgehen.
Vielen Dank Herr van Ooyen. – Als nächster Redner hat sich Herr Dr. Reuter von der SPD-Fraktion gemeldet.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gehe auf die Frage von Herrn Lenz ein: „Was hat das mit dem AdR zu tun?“ Normalerweise besteht in diesem Hause in europapolitischen Fragen ein breiter Konsens. Das ist auch gut so. Dies gilt im Prinzip auch für Vorschläge des Hessischen Landtags für die Entsendung von Personen in Gremien der EU – wie z. B. dem Ausschuss der Regionen.
Eigentlich müsste dies auch für den Vorschlag gelten, Europa-Staatssekretärin Breier als Mitglied für den Ausschuss der Regionen zu benennen – wenn, ja wenn Frau Breier bei ihrem öffentlichen Auftritt hier in Hessen Viktor Orbán, den rechtskonservativen Regierungschef in Ungarn, nicht als „Demokraten, der aus einer liberalen und demokratischen Tradition“ komme, bezeichnet hätte.
Herr Bellino, diese Aussage steht in eklatantem Widerspruch zu der Tatsache, dass die EU-Kommission Ungarn mehrfach scharf gerügt hatte, weil unter der Regierung Orbán die Pressefreiheit und die Justiz massiv eingeschränkt worden sind.
So wurde Ungarn von der EU-Kommission wegen Mängeln bei der Unabhängigkeit der Justiz verklagt. Wenn Sie sich einmal die Presseberichte in der letzten Zeit daraufhin anschauen, wie die Regierung Orbán mit den Minderheiten umgeht, auch mit den Deutsch-Ungarn – ich kann Ihnen einen Artikel aus der „Süddeutschen Zeitung“ Anfang des Jahres empfehlen –, wissen Sie, was in Ungarn die Stunde geschlagen hat.
Deshalb erwarten wir von dem – sich gerade in einem Gespräch befindenden – Europaminister Hahn, dass er sich heute zu diesem Thema erklärt. Herr Hahn, wir werden es auch von Ihrer Aussage abhängig machen, wie wir uns verhalten. Sie stehen in der Pflicht, uns hier und heute Auskunft darüber zu geben, ob Sie die kritische Position gegenüber der Entwicklung in Ungarn, die auch von vielen Ihrer Parteifreunde vertreten wird, teilen und, wenn ja, ob die Staatssekretärin für Europaangelegenheiten Ihre Auffassung mitträgt.
Ich gebe zu, wir hätten Frau Breier einen anderen Start in das Amt einer Staatssekretärin für Europaangelegenheiten gewünscht. Aber die Dinge sind nun einmal so, wie sie sind, und wir müssen das hier aufklären. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Dr. Reuter. – Als Nächster hat sich Herr Staatsminister Hahn zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Staatsminister Hahn, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst bedankt sich die Landesregierung dafür, dass die sie tragenden Fraktionen der CDU und der FDP mit ihrem Dringlichen Antrag den Weg zu einer Neubesetzung der beiden Positionen für hessische Mitglieder im AdR frei gemacht haben. Wir wissen, es ist seit 1998 ein guter Brauch, dass die beiden Hessen zustehenden Positionen in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Parlament und Landesregierung besetzt werden.
Unser Landtagspräsident Norbert Kartmann ist gewähltes und damit verbleibendes Mitglied im AdR. Aufgrund des Amtswechsels ist Frau Beer nicht mehr in der Lage, diese Aufgabe wahrzunehmen, sodass die Landesregierung diese Position gern mit der neuen Staatssekretärin, Frau Dr. Breier, besetzen möchte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst möchte ich, losgelöst von der Person von Frau Dr. Breier, uns alle an Folgendes erinnern: Ungarn ist vor knapp einem Jahrzehnt im Zuge der sogenannten Osterweiterung Mitglied der Europäischen Union geworden. Viele von uns haben damals mit viel Verve dafür gekämpft, dass neben Polen und den baltischen Ländern auch Ungarn Mitglied der Europäischen Union wird. Wir alle waren der festen Überzeugung, dass nicht nur das geschichtliche Ansehen Ungarns dies verpflichtend notwendig macht, sondern dass die Europäische Union den Ungarn auch Dank
Es war eine ungarische Regierung – die man damals sicherlich so oder so bewerten konnte –, die mit dem Durchschneiden des Eisernen Vorhangs ganz praktisch den Fall der Mauer vorbereitet hat. Dazu sage ich als Mitglied der Hessischen Landesregierung noch einmal ausdrücklich: Bitte vergessen wir das nicht bei unseren Debatten. Wir sollten, auch wenn es nur 30 Jahre her ist, in geschichtlichen Dimensionen denken.
(Beifall bei der CDU und der FDP – Petra Fuhr- mann (SPD): Sie mischen ein bisschen viel durcheinander!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, darüber hinaus möchte ich Sie daran erinnern, dass Ungarn, unser Partnerland in der Europäischen Union, im ersten Halbjahr 2011 unter der Verantwortung des Herrn Ministerpräsidenten Orbán die Ratspräsidentschaft innehatte. Niemand, auch nicht in diesem Hause – Frau Staatssekretärin Beer und ich haben damals im Europaausschuss den Botschafter von Ungarn gebeten, etwas über die Perspektiven der Ratspräsi dentschaft zu sagen; der Ausschussvorsitzende Lenz kann sich sicher gut daran erinnern, Herr Kollege Reuter aber auch –, hat in dieser Debatte so argumentiert, wie es jetzt auf einmal in ist.
Ich weise darauf hin, dass Ministerpräsident Orbán – man kann zu ihm stehen, wie man will; ich komme noch darauf zu sprechen – im ersten Halbjahr 2011 der verantwortliche Ratspräsident in der Europäischen Union war. Ich unterstelle, dass in Europa ausschließlich Demokraten Ratspräsidenten sind. Es kann doch nicht richtig sein, dass wir eine politische Debatte – zu der ich gleich komme – so zu überhöhen versuchen, wie Sie es gerade machen.
Wir haben uns im Europaausschuss des Hessischen Landtags auch über die Situation in Ungarn unterhalten. Ich darf Ihnen mitteilen, was Ministerpräsident Volker Bouffier Herrn Orbán in einem persönlichen Gespräch gesagt hat, das ungefähr im Februar dieses Jahres in Hessen stattgefunden hat: Wir, die Hessische Landesregierung, sind mit einer Reihe von inhaltlichen Entwicklungen in Ungarn nicht zufrieden. Wir finden, es gibt in Ungarn politische Entwicklungen, die umgekehrt werden müssen.
Das ist auch die Auffassung der Europäischen Kommission. Das hatte – um das zu sehen, brauchen wir nur die Zeitungen von heute zu lesen – auch in Ungarn schon Folgen. Es sind bereits entsprechende Änderungen vorgenommen worden. Wir sollten mit einem Partnerland der Europäischen Union immer fair umgehen.
Vielen Dank. – Das heißt, wir müssen die Vergangenheit sehen, und wir müssen eine kameradschaftliche Bewertung der Leistungen von heute vornehmen. Dann können
Damit das auf immer und ewig im Protokoll der Plenarsitzung des Hessischen Landtags nachzulesen ist, erkläre ich – das wird der letzte Teil meiner Rede sein –: Die von mir sehr bewusst benannte Frau Dr. Zsuzsa Breier hat in der Pfingstausgabe des „Darmstädter Echos“ Folgendes gesagt – ich zitiere –:
Ungarn ist ein demokratisches Land, Orbán ist ein gewählter Ministerpräsident. Es ist in allen postkommunistischen Ländern ein unglaublich schwieriges politisches Gefüge entstanden.
Aber die EU-Kommission hat mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet. Liegt die Kommission falsch?
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie veranstalten diese Diskussion aus einem völlig anderen Grund. Sie finden es ärgerlich, dass es gerade die Hessische Landesregierung – gerade ein liberaler Europaminister – geschafft hat, dass erstmals in Deutschland eine Europäerin Europa-Staatssekretärin geworden ist. Das hat es in der Geschichte unseres Landes noch nicht gegeben.
Es ärgert Sie, dass keiner Ihrer Kollegen in anderen Bundesländern auf die Idee gekommen ist, zu schauen, ob es Europäer gibt, die Hessen in Europa repräsentieren können. Wir sind stolz darauf, mit Frau Dr. Breier eine anerkannte Europäerin, die in Europa und in der politischen und kulturellen Szene Europas sehr gut vernetzt ist, als Staatssekretärin und als unsere Vertreterin in Brüssel benennen zu dürfen.
Dieses Ärgernis treibt Sie dazu, die Debatte so zu führen, wie Sie sie jetzt führen. Wir jedenfalls sind stolz darauf, als erste Landesregierung eine richtige Europäerin als Staatssekretärin zu haben. Herzlich willkommen im Kabinett.