Wir glauben, dass die Tarifautonomie ein bewährtes Instrument ist, das in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland durch das Zusammenspiel von Gewerkschaften und Arbeitgebern wesentlich zum sozialen Frieden beigetragen hat. Wir haben in der Vergangenheit branchenbezogene Mindestlöhne eingeführt.
Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass dies ausschließlich unter unionsgeführten Bundesregierungen gemacht wurde. In Branchen mit rund vier Millionen Beschäftigten wurden die allgemein verbindlichen Mindestlöhne auf Basis der jeweiligen Tarifverträge eingeführt. Geschehen ist dies bei den Pflegehilfskräften, bei den Gebäudereinigern, in der Baubranche, in der Zeitarbeitsbranche und im Wach- und Sicherheitsgewerbe.
Es war die Große Koalition, die beschlossen hat, dass diese Mindestlöhne von den Tarifparteien ausgehandelt und dann als verbindlich im Entsendegesetz festgeschrieben werden sollen. Weitere Möglichkeiten für Mindestlöhne sind das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und das
Mindestarbeitsbedingungsgesetz. Beide ermöglichen im Hinblick auf das Entsendegesetzes, Mindestlöhne festzulegen. Ausschlaggebend dafür ist immer, dass die Löhne von den Tarifparteien einvernehmlich festgelegt und als Lohnuntergrenze definiert werden.
Wir halten das für ein praktikables und bewährtes Verfahren, weil die Tarifparteien besser wissen als die Politik, was angemessen ist.
Dann müssen wir uns über die Branchen unterhalten, in denen tarifvertraglich festgelegte Löhne nicht existieren. Die CDU hat auf ihrem Parteitag – Herr Kollege Decker, insofern ist das nicht ganz korrekt, was Sie gesagt haben – in Leipzig im November 2011, und nicht erst vor Kurzem,
beschlossen, dass das Modell der Lohnuntergrenze ein Modell ist. Das haben wir als CDU beschlossen. Ich sage ausdrücklich: auf dem Bundesparteitag der CDU. Das ist keine Position, die die regierende Koalition in Berlin einnimmt. Das ist eine reine CDU-Position.
Herr Kollege Rudolph, wenn es um die Frage der Durchsetzungsfähigkeit geht, dann hat die CDU in den letzten 60 Jahren, seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland, sehr deutlich gezeigt, wer sich durchsetzen kann und wer die bestimmende Kraft in der Politik in diesem Lande ist.
(Beifall bei der CDU – Günter Rudolph (SPD): Sie verlieren eine Wahl nach der anderen! Da hat noch nicht einmal die FDP geklatscht!)
Ich erwarte auch nicht, dass der Koalitionspartner bei jeder Aussage, die ich als CDU-Politiker mache, Beifall klatscht. Das ist doch völlig normal.
Die Lohnuntergrenzen sollen durch eine Kommission der Tarifpartner festgelegt werden. Das halten wir auch für richtig.
Es muss auch möglich sein, dass es individuelle Regelungen gibt, die auch regional unterschiedlich sind. Ich weiß aus meinem Berufsleben, dass Unternehmen gemeinsam mit Gewerkschaften in Krisenzeiten befristete Regelungen erarbeitet haben, um das Überleben und die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen zu sichern. Es muss auch in Zukunft möglich sein, dass individuelle, regionale und auch innerbetriebliche Regelungen von den Tarifpartnern gemeinsam ausgearbeitet werden,
weil – damit komme ich zum Schluss – die Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland, ich wiederhole es, in den letzten 60 Jahren funktioniert hat und wesentlich zum sozialen Frieden in dieser Republik beigetragen hat. – Vielen Dank.
Ich danke Ihnen, Herr Kollege Schork. – Als nächster Redner hat sich Herr Kollege Klose von der Fraktion DIE GRÜNEN gemeldet. Bitte schön.
Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! DIE LINKE hat dem Landtag ein Landesmindestlohngesetz vorgelegt, das – Frau Wissler, Sie wissen es selbst, Sie haben es in Ihrer Presseerklärung gesagt – in der Tat nur sehr begrenzt wirksam sein kann, weil wir in diesem Land endlich einen echten, allgemein verbindlichen und bundesweiten Mindestlohn brauchen.
Deshalb ist dieser Gesetzentwurf vor allem Anlass, wieder über die ausbleibende Bundesregelung zu sprechen.
Herr Schork, Sie haben kritisiert, dass DIE LINKE diesen Weg gegangen ist, hier ein Landesmindestlohngesetz vorzulegen. Ich will Ihnen sagen: Solange Sie in Ihrer etwas auf den Hund gekommenen Bundesregierung überhaupt nichts in dieser Richtung hinbringen, ist es grundsätzlich legitim, das für unser Bundesland regeln zu wollen.
Dass in Deutschland über eine Million Menschen für weniger als 5 € Stundenlohn arbeiten, muss ein Ende haben. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit.
Dieses Zitat stammt von Hermann Gröhe, dem CDU-Generalsekretär. Er hat es vor einer Woche gesagt. Er hat recht, aber er zieht nicht die richtigen Konsequenzen. Herr Schork, was die Union tut, ist leider nur eine Scheinbewegung.
Es mag ja sein, dass das, was Sie Ende April als Mindestlohnmodell vorgelegt haben, Ihnen als großer Schritt erscheint. Für die Beschäftigten ist er allerdings zu klein. Ihr windelweicher Kompromiss lässt Millionen Niedriglohnbeschäftigte im Regen stehen. Ihr Mindestlohn light ist nämlich keine wirksame Lohnuntergrenze.
Er soll nämlich nur in Branchen ohne Tarifvertrag gelten. Da können wir wieder über die bereits viel zitierte sächsische Friseurin reden, die zum tarifvertraglich vereinbarten Stundenlohn von 3,06 € schuften muss. Wir können uns genauso gut den vielen Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengewerbe, im Gartenbau und in der Landwirtschaft widmen.
Im Gegenteil: Sobald es einen Tarifvertrag gibt, wollen Sie in Ihrer Regelung die Betriebe von der allgemeinen Lohnuntergrenze ausnehmen. Damit öffnen Sie Tür und Tor – das wissen Sie – für Dumpingtarifverträge mit Scheingewerkschaften. Meine Damen und Herren, das hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun.
Herr Schork, die eine Bemerkung muss ich jetzt schon noch machen: Sie haben gesagt, dass diejenigen, die in Teilzeit oder in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen sind, es so wollen. Ich weiß nicht, ob Ihnen klar ist, dass diese Menschen häufig gar nicht anders handeln können, z. B. weil sie die Kinderbetreuung mit einer Arbeitstätigkeit zusammenbringen müssen und weil es an Kinderbetreuungsplätzen fehlt. Es sind meist die Frauen, die das trifft. Auch dafür tragen Sie die Verantwortung. Da kann von „wollen“ überhaupt keine Rede sein.
Wenn Sie in Ihrem Vorschlag vorsehen, dass in dieser Lohnuntergrenzenkommission der Tarifpartner im Streitfall per Losverfahren ein Schlichter eingesetzt werden soll, dann überlassen Sie die Frage fairer Löhne dem Zufallsprinzip. Die Niedriglöhner brauchen aber keine Mindestlohnlotterie, sondern sie brauchen endlich einen flächendeckenden Schutz vor Lohndumping.
1,3 Millionen Menschen in unserem Land sind trotz Erwerbslosigkeit auf ALG II angewiesen. Ein Viertel von ihnen arbeitet sogar in Vollzeit und braucht diese Aufstockung trotzdem. Armut trotz Arbeit – in einem der reichsten Länder der Welt. Das ist schlicht und einfach beschämend. Dennoch tun CDU und FDP in Berlin nichts dagegen.
Meine Damen und Herren, ein allgemeiner Mindestlohn ist eine elementare Grundlage sozialer Gerechtigkeit. Schwarz-Gelb ist dazu nicht in der Lage. Ihr jahrelang vorgetragenes Mantra, Leistung müsse sich wieder lohnen, galt offensichtlich ohnehin immer nur für Spitzenverdiener. Der kleine Mann hat Sie da nie interessiert.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): So ein Blödsinn!)
Gleichzeitig ist der Niedriglohnsektor in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren so dramatisch angewachsen, dass wir in Europa unrühmlich an der Spitze stehen. Schauen Sie sich einfach einmal an, wie das in Europa aussieht. Das ist an einem Bild häufig leichter klarzumachen.
In allen hier grün eingefärbten Staaten gibt es gesetzlich festgeschriebene Mindestlöhne oder wenigstens vergleichbare Regelungen, die die Beschäftigten vor Lohndumping schützen und für fairen Wettbewerb sorgen.
Sonst sind Sie immer ganz schwer dafür, in Europa zu harmonisieren und gemeinsam zu handeln. Hier könnten Sie das in der Praxis beweisen. Aber auch das passt Ihnen wieder nicht in den Kram.
Auch für die Wirtschaft ist diese Situation ein Problem. Immer mehr Unternehmen beklagen unlautere Wettbewerbsbedingungen durch Dumpinglöhne. Darauf kann man nicht bloß mit einem Schulterzucken reagieren. Das dürfen wir alle nicht hinnehmen. Sie wissen, wir GRÜNE wollen einen generellen Mindestlohn von mindestens 8,50 € pro Stunde. Wir wollen einen Mindestlohn, der jährlich angepasst wird, und zwar – wie in Großbritannien
von einer Kommission von Vertreterinnen und Vertretern der Sozialpartner und der Wissenschaft. Wer es mit der sozialen Marktwirtschaft ernst meint, der sagt Ja zu einem Ordnungsrahmen, der eben auch für faire Arbeitsbedingungen sorgt und der sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze erhält, und der sagt dann eben auch Ja zu einem echten Mindestlohn und nimmt endlich den Bleifuß von der Gerechtigkeitsbremse.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zurufe von der CDU)
Frau Lannert, solange Sie aber auf der Bremse stehen und die FDP zusätzlich noch die Handbremse fest umklammert hat,