Protocol of the Session on May 15, 2008

Werte Kolleginnen, werte Kollegen, unabhängig von den brutalen Vorfällen, an denen Jugendliche in den vergangenen Monaten beteiligt waren, hat sich der Rechtsausschuss des Hessischen Landtags bereits im vergangenen Jahr intensiv mit dem Problem der Jugenddelinquenz beschäftigt. Ich erinnere an dieser Stelle noch einmal an unseren Antrag, den wir mit dem Ziel, Jugenddelinquenz noch effektiver zu bekämpfen, im Dezember 2007 im Rechtsausschuss behandelt haben.

Bereits zu diesem Zeitpunkt bestand Einigkeit unter den Fraktionen, dass dem Phänomen der Jugenddelinquenz auf verschiedenen Ebenen begegnet werden muss.Wir haben daher im Dezember 2007 die Hessische Landesregierung gebeten, sowohl das auf ehrenamtlichem Engagement basierende Konzept der Beratung und Unterstützung, das für Hessen zunächst in Marburg begonnen wurde, als auch den Versuch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, die hauptamtlichen Strukturen unter einem Dach zu vereinen, weiterzuverfolgen und ein Konzept zur Umsetzung in Hessen vorzulegen.

Die CDU-Fraktion bedankt sich beim hessischen Justizminister für die schnelle Umsetzung des Beschlusses und begrüßt die Vorlage eines Konzeptes für ein hessisches Haus des Jugendrechts und die Ankündigung, eine solche Einrichtung modellhaft in Hessen zu schaffen.

Allerdings darf das erstrebenswerte Ziel, schnell wirkende Maßnahmen gegen Jugendkriminalität zu ergreifen bzw. für delinquente oder gefährdete Jugendliche Hilfsangebote zu schaffen, nicht zu übereilten Schritten führen. Letztlich müssen sich die eingesetzten Mittel vor allem an dem Maßstab der Wirksamkeit und der Erreichung des angestrebten Ziels orientieren.

Dazu bedarf es allerdings einer klaren Definition, werte Frau Kollegin Faeser, welches Ziel mit welcher Einrichtung verfolgt wird. Die Begriffe „Haus des Jugendrechts“ und „Jugendrechtshaus“ werden häufig synonym verwendet, obwohl es sich um zwei grundsätzlich unterschiedliche Konzeptionen handelt. Während beim Haus des Jugendrechts in Stuttgart und in Ludwigshafen das Ziel einer verbesserten behördenübergreifenden Kooperation durch eine räumliche Zusammenführung der verschiedenen mit der Jugenddelinquenz befassten Behörden verfolgt wird, stellt das Jugendrechtshaus in Marburg eine rechtspädagogische Präventionseinrichtung dar, die im Wesentlichen auf ehrenamtlicher Basis Beratungs- und Schulungsleistungen anbietet.

Bei dem vom Justizminister angekündigten Modell sollen, orientiert an dem Projekt in Stuttgart-Bad Cannstatt, Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und allgemeiner sozialer Dienst des Jugendamts unter Einbindung des Gerichts und einer speziellen Jugendbewährungshilfe unter einem Dach vereint werden.

Während also beim Haus des Jugendrechts konzeptionell der repressive Ansatz und beim Jugendrechtshaus der präventive Ansatz im Vordergrund stehen, sind wir der Auffassung, dass es durchaus sinnvoll erscheint, Strukturen der präventiven und der repressiven Bekämpfung von Jugendkriminalität unter einem Dach zusammenzufassen. Dazu dient die Erprobung einer solchen Einrichtung als erster Schritt in die richtige Richtung.

Wir haben daher gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion einen sechs Punkte umfassenden Antrag eingebracht, der das Ziel verfolgt, der Jugenddelinquenz noch entschiedener entgegenzuwirken, als das bisher schon der Fall gewesen ist. Dabei wollen wir neue Strukturen ausprobieren, wir wollen uns aber auch die Zeit geben, deren Wirksamkeit zu überprüfen.

Der Antrag der SPD-Fraktion geht in eine ähnliche Richtung. Es tauchen zwei neue Begriffe auf: Erziehungs- und Präventionszentren. Ich gehe davon aus, es handelt sich nur um Begrifflichkeiten, nicht um konzeptionelle Änderungen. Über die Tatsache, dass zwei Standorte gefordert werden, einer in Nordhessen und einer in Südhessen, muss man diskutieren.

Ich gehe davon aus, dass wir beide Anträge im Rechtsausschuss ausführlich beraten werden, und habe die Hoffnung, dass wir die konsequente Bekämpfung der Jugendkriminalität fern von parteipolitischen Scharmützeln voranbringen werden.

(Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Auf einmal!)

Vielleicht gelingt es uns ja, im Ausschuss erneut einen gemeinsamen Beschluss zur effektiven Bekämpfung von Jugenddelinquenz zu fassen und Einrichtungen zu schaffen, in denen Jugendliche die erforderliche Hilfe finden – zum Schutz der Jugendlichen, aber auch zum Schutz der Opfer von Jugendkriminalität.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist Frau Faeser von der SPD-Fraktion.

Sehr verehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir freuen uns sehr, dass die CDU und die FDP ein SPD-Anliegen umsetzen wollen und auf den Weg bringen,

(Florian Rentsch (FDP): Neuer Landtag!)

denn die Zusammenführung von Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und freien Trägern unter einem Dach, um der Jugendkriminalität entgegenzuwirken, war Inhalt eines SPD-Antrags aus dem Jahr 2006. Daran möchte ich Sie heute erinnern.

Ich möchte Sie gerne auch daran erinnern, Herr Kollege Klein – Sie wissen das aus den Beratungen in der letzten Legislaturperiode sehr genau –, dass wir einen gemeinsamen Antrag aller vier Fraktionen auf den Weg gebracht haben. Als es aber im letzten Jahr um die konkrete Umsetzung ging, nämlich Haushaltsmittel dafür zu Verfügung zu stellen, haben Sie das abgelehnt, meine Damen und Herren von der FDP und der CDU. Heute stellen Sie sich hierhin und tun so, als ob es Ihre Idee und Ihr Konzept gewesen wäre, das Sie jetzt plötzlich umsetzen wollen. Es ist nicht der Stil der neuen Zusammenarbeit, den Roland Koch angekündigt hat, eine Vorlage des Ministeriums zu präsentieren und fast zeitgleich einen Antrag der CDU und der FDP mit zu verschicken. Das stelle ich mir nicht unter dem neuen parlamentarischen Stil vor.

(Beifall bei der SPD – Hugo Klein (Freigericht) (CDU): Uns geht es nur um die Sache!)

Herr Klein, wenn es Ihnen nur um die Sache ginge, dann hätten Sie uns und die GRÜNEN angerufen und hätten den Antrag mit dem gemeinsamen Antrag aus dem Jahr 2007 zusammengeführt.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Warum ist es notwendig, ein Haus des Jugendrechts in Hessen zu schaffen? Der Landtagswahlkampf hat mit der Schwerpunktsetzung Jugendkriminalität durch die CDU sehr eindrucksvoll die von ihr verursachten Defizite im Bereich der inneren Sicherheit und Justiz aufgezeigt.

Ein wesentlicher Nachteil bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität in Hessen ist, dass die Jugendlichen, die straffällig werden, lieber Kollege Rentsch, erst sehr spät nach der Tatbegehung die Konsequenzen ihres Fehlverhaltens spüren. Die derzeitige Situation ist leider häufig so, dass die eine Hand nicht weiß, was die andere tut.Weder die Polizei noch die Jugendämter erfahren derzeit wechselseitig etwas von den jeweils zu bearbeitenden Fällen von Jugenddelinquenz, sie werden nicht in ausreichendem Maße an der Arbeit des anderen beteiligt. Dadurch wird sehr viel wertvolle Zeit vergeudet. Das wollen wir ändern. Deshalb ist das Herzstück der Bekämpfung von Jugendkriminalität die Zusammenarbeit aller an den Jugendverfahren Beteiligten.

(Beifall bei der SPD)

Wir möchten deshalb dieses Projekt zur Schaffung eines „Hauses des Jugendrechts“ immer noch – seit dem Jahr 2006 in Kontinuität – verwirklichen.

Wir möchten es aber „Erziehungs- und Präventionszentrum“ nennen – darüber können wir noch einmal diskutieren –, weil wir meinen, dass diese Bezeichnung das, was dort passiert, besser beschreibt. Unter „Haus des Jugendrechts“ können sich viele gar nichts vorstellen. Sie glauben, das hat nur etwas mit Justiz zu tun. Das ist nicht so.

Die Jugendämter sollten in ausreichendem Maße daran beteiligt sein. Der Schwerpunkt muss auf der Erziehung liegen. Deshalb meinen wir, dass dieser Name besser ist.

Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich der Justizminister in seinem Bericht an Rheinland-Pfalz orientiert und nicht an Baden-Württemberg. Wir haben uns nämlich 2006 angeschaut, wie das Konzept in Ludwigshafen, RheinlandPfalz, umgesetzt wird. Dort wird in großen und kleinen Teilkonferenzen über den einzelnen Jugendlichen beraten und ein individuelles Konzept dafür entwickelt, welches System von Sanktionen zeitnah und am wirkungsvollsten anzuwenden ist und wie am besten vermieden werden kann, dass er erneut straffällig wird. Daran haben Sie sich orientiert. Das begrüßen wir ausdrücklich.

Zu begrüßen ist auch, dass der Täter-Opfer-Ausgleich in diesem Konzept eine größere Berücksichtigung findet. Das dient dem Opferschutz. Die SPD-Landtagsfraktion begrüßt das ausdrücklich.

(Beifall bei der SPD)

Die Evaluierung der beiden bereits seit 1999 in Bad Cannstatt, Baden-Württemberg, existierenden Einrichtungen hat eindrucksvoll bewiesen, dass die Verfahrensdauer auf diesem Weg erheblich zu verkürzen ist. Sie hat aber auch ergeben,dass es nicht allein um eine Beschleunigung geht. Es geht auch darum, bei der staatlichen und kommunalen Reaktion auf Straftaten die gesamte Lebenssituation der Jugendlichen einzubeziehen. Das ist gerade der Vorteil der Zusammenführung der einzelnen Ämter und Behörden.

Da sich das Konzept bewährt hat – Herr Kollege Klein hat es gesagt –, würden wir es gerne an zwei Standorten erproben: in Nord- und Südhessen. Wir glauben nämlich, dass die Bekämpfung der Jugendkriminalität sehr schnell in Angriff genommen werden sollte.

Darüber hinaus wollen wir eine feste Beteiligung und Einbeziehung der freien Träger.Auch das haben wir in unserem Antrag noch einmal klargestellt. Ich glaube aber, dass wir uns da einigen.

Aber das Ganze geht nicht ohne Personal. Das hat der Herr Minister in seinen Bericht auch ausgeführt. Bei den Staatsanwaltschaften gibt es ein Problem.Dort steht nämlich, dass die Mitarbeiter „hälftig“ aus dem vorhandenen Personal rekrutiert werden können. Das sehen wir nicht so. Die Staatsanwälte in Hessen haben eine Arbeitsbelastung von 160 %. Das geht also nicht, ohne weiteres Personal bei den Staatsanwaltschaften einzustellen. Darauf werden wir dringen.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Ich komme zum Schluss.– Ich erlaube mir,dem Herrn Minister noch einen guten Rat mit auf den Weg zu geben. Herr Minister, den meine ich sehr ernst. In das gewählte Verfahren haben Sie die Beteiligten, insbesondere das Jugendamt der Stadt Frankfurt, leider erst sehr spät einbezogen. Sie haben sie erst einbezogen, nachdem es in der Zeitung gestanden hat. Man konnte gestern in der „FAZ“ lesen,dass es dadurch große Probleme mit Verzögerungen gibt.

Herr Minister, ich kann Ihnen nur den Rat geben, die Beteiligten einzubeziehen, sie bei der Verwirklichung des Konzepts mitzunehmen. Deswegen werden wir im Ausschuss beantragen, eine Anhörung mit den Beteiligten durchzuführen. Herr Justizminister, vielleicht sollten Sie sich dann wieder häufiger im Justizministerium als im Kultusministerium blicken lassen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das war jetzt aber nicht nötig!)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abg. Dr. Jürgens das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben gegen Ende der letzten Wahlperiode mit den Stimmen aller Fraktionen im Hause einen Beschluss gefasst, mit dem die Konzepte für ein Haus des Jugendrechts als interessante Ansätze zur Bekämpfung der Jugendkriminalität begrüßt wurden. Zugleich wurde die Landesregierung aufgefordert, diese Ansätze weiterzuverfolgen und ein Konzept für deren Umsetzung in Hessen vorzulegen.

Herr Kollege Klein hat sicherlich vergessen, zu erwähnen, dass die CDU-Fraktion – oder überhaupt die CDU – zwischenzeitlich, vor allem im Wahlkampf, versucht hat, die Jugendkriminalität mit eher untauglichen Mitteln zu bekämpfen. Sie haben im Wahlkampf versucht, Ressentiments zu schüren. Darauf wollten Sie Ihren Wahlerfolg gründen. Das ist zum Glück richtig schiefgegangen. Es reicht allerdings sicherlich nicht aus, jetzt zu dem Modellprojekt Jugendrechtshäuser zurückzufinden, um in diesem Punkt wieder Glaubwürdigkeit zu erlangen.

Das stellt man erst recht fest, wenn man sich das Verfahren anschaut, mit dem es hier weitergegangen ist. Mit Datum vom 7. April brachte die Landesregierung auf der Grundlage des damaligen Beschlusses einen Bericht auf den Weg. Praktisch zeitgleich mit diesem Bericht, nämlich mit dem Datum vom 15. April, erreichte die anderen Fraktionen der Antrag von CDU und FDP.

Daran ist zweierlei bemerkenswert. Erstens ist die Tatsache bemerkenswert, dass CDU und FDP trotz des einstimmigen Beschlusses, den wir schon in der letzten Wahlperiode hatten, überhaupt nicht den Versuch gemacht haben, möglicherweise zu einem fraktionsübergreifenden Antrag zu kommen. Eigenprofilierung vor Einmütigkeit ist – wie man sagen möchte – nicht nur ein Rückfall in den alten, sondern sogar ein Rückfall in den uralten Landtag.

Zweitens hat der Herr Justizminister entgegen seinen Ankündigungen zwei Fraktionen dieses Hauses mit Informationen versorgt, die er anderen Fraktionen vorenthalten hat. In Ihrem Antrag wird nämlich – ich zitiere – „die Ankündigung der Landesregierung, schon im Jahr 2008 in Frankfurt-Höchst das Modell des ,Hauses des Jugendrechts‘ zu erproben“, begrüßt.

Ich weiß nicht,welche Ankündigung der Landesregierung Sie damit meinen. In dem Bericht steht von FrankfurtHöchst nichts. Ich habe extra noch einmal nachgeschaut: Auch in den Presseerklärungen des Ministeriums steht nichts über den Standort Frankfurt-Höchst. Das heißt, Sie haben offenbar in geheimen Gesprächen mit dem Herrn Minister Informationen erhalten,die wir nicht hatten.Das

sollen wir jetzt plötzlich begrüßen. Das ist eine ziemliche Zumutung.

In Ihrem Antrag geht es noch weiter. Ich zitiere noch einmal: „Dort“ – in dem Haus des Jugendrechts – „sollen Jugendgerichtshilfe, Polizei und Staatsanwaltschaft“ – jetzt kommt es – „unter Einbindung des Gerichts und einer speziellen Jugendbewährungshilfe unter einem Dach vereint werden.“

Aus dem Bericht des Herrn Justizministers ergibt sich keinerlei Einbindung eines Gerichts. Weder im Zusammenhang mit den bestehenden Einrichtungen in Baden-Württemberg, über die berichtet wurde, noch im Zusammenhang mit dem eigenen Konzept in Frankfurt-Höchst war davon die Rede. Es bleibt in Ihrem Antrag auch unklar, welches Gericht eigentlich gemeint ist: der Jugendstrafrichter, das Jugendschöffengericht, die Jugendstrafkammern oder alle gemeinsam?

Auch hier gilt: Entweder wissen Sie mehr als alle anderen Fraktionen in diesem Haus, weil Ihnen der Herr Justizminister die Einbindung der Gerichte angekündigt hat – uns aber nicht –, oder Sie haben eine kreative Weiterentwicklung versucht, mit der Sie allerdings, wie ich finde, völlig falschliegen.

Die Einbindung von Gerichten bei der Ermittlung von Straftaten, um die es im Jugendrechtshaus geht, wäre aus unserer Sicht eher kontraproduktiv, weil sich jeder Strafrichter, der sich über die Verfahrensordnung hinaus in ein Ermittlungsverfahren einbinden lässt, für jedes nachfolgende Strafverfahren befangen machen würde. Darüber sollte man noch einmal gründlich nachdenken.