Dann gratuliere ich Ihnen ganz herzlich zur Wiederwahl in dieses Amt,das hier in Hessen in einer großen Tradition steht.
Nach § 21 Abs.2 des Hessischen Datenschutzgesetzes verpflichte ich Sie vor dem Landtag, Ihr Amt gerecht zu verwalten und die Verfassung des Landes Hessen und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland getreulich zu wahren. Ich verpflichte Sie mit Handschlag und gratuliere Ihnen ganz herzlich.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben ein enges Zeitkorsett. Ich gehe davon aus, dass Sie wissen, auf wen und was Sie sich eingelassen haben. Ich hoffe, Sie haben mich nicht nur deswegen gewählt, weil Sie von mir gelegentlich eine launige Rede erwarten.
Dafür ist heute wenig Zeit. Sondern ich hoffe, dass Sie mit der Arbeit der Behörde des Hessischen Datenschutzbeauftragten der vergangenen fünf Jahre zufrieden waren. Das Vertrauen, das Sie mir durch meine Wiederwahl entgegengebracht haben, reiche ich an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter.
Mir hat die Arbeit derart Spaß gemacht, dass ich mich bereiterklärt habe, für das Amt des Hessischen Datenschutzbeauftragten erneut zu kandidieren. Sie werden sich mit Recht fragen:Wie kann jemand Spaß an der spröden Materie des Datenschutzes finden? – Die Antwort: Als Hochschullehrer möchte ich das Verfassungs- und Verwaltungsrecht nicht nur theoretisch beackern, vielmehr ist mir daran gelegen – das klingt jetzt sehr bombastisch, aber es ist ernst gemeint –, im Dienst am Recht etwas zu bewirken,und das ist in Hessen möglich.Das klingt pathetisch, und ich setze noch einen drauf. Ich bilde mir nämlich ein, ein wenig dazu beigetragen zu haben, die Datenschutzkultur in Hessen auf einem anerkannt hohen Niveau zu halten.
Datenschutzkultur bedeutet Folgendes: Es bedeutet, dass Sie auf folgende Parolen nicht leichtfertig reinfallen, sondern dass Sie sie differenziert betrachten. Die gängigen Parolen, die es hier so gibt, sind: Ich habe nichts zu verbergen. – Oder noch so eine intellektuelle Delikatesse: Ohne Sicherheit keine Freiheit. – Oder: Keine Intimsphäre für Bombenbastler, Terroristen, Kinderschänder, Tierquäler, Steuerflüchtlinge und was sonst noch für Unholde und Unholdinnen infrage kommen. – Noch so ein Schmankerl: Der genetische Fingerabdruck ist auch nur ein Fingerabdruck. – Oder: Die Kraftfahrzeugkennzeichenerfassung ist kein datenschutzrechtlich relevanter Eingriff, wenn die Daten ohnehin gleich gelöscht werden.
Oder: Die Speicherung von Telefonverbindungsdaten ist harmlos, weil der Gesprächsinhalt geheim bleibt.
Oder schließlich:Fluggastdaten erleichtern die Betreuung an Bord, sind also für Vegetarier sehr hilfreich.
An all diesen Aussagen ist natürlich etwas dran. Datenschutzkultur besagt lediglich, dass alle Organe der Staatsgewalt und alle im Landtag vertretenen Parteien und Personen in der Lage sind, solche Gemeinplätze zu relativieren. Das ist in Hessen der Fall, wenngleich die Relativierung abhängig davon, ob die Regierung oder die Opposition zu Wort kommt, unterschiedlich stark ausfällt.
Ganz kurz zu den einzelnen Sprüchen: Wir haben alle etwas zu verbergen, und seien es gerade in der Nachurlaubszeit nur die Problemzonen.
Wir sind keine Datenexhibitionisten.Absolute Sicherheit gibt es nicht einmal in Russland oder China.
Wir sind nicht alle potenzielle Terroristen oder Gewaltverbrecher. Der normale Fingerabdruck ist bereits problematisch,weil er manipulierbare Spuren hinterlässt.Die Verwendung von biometrischen Daten macht alles noch schlimmer. Auch kurzfristige Kennzeichenerfassungen schaffen die Infrastruktur für Bewegungsprofile. Telefonverbindungsdaten ermöglichen z. B.Auskunft darüber, ob jemand die Telefonseelsorge oder die Drogenberatung angerufen hat. Sie lassen also Rückschlüsse auf den Gesprächsinhalt zu.
Ich hätte außerdem etwas dagegen, im Flugzeug als mutmaßlicher sogenannter „unruly passenger“ zu gelten. Das sind Leute, die in Flugangst hin- und herhüpfen oder besoffen im Flugzeug hocken und die Stewardessen angrapschen. Ich möchte nicht als mutmaßlicher „unruly passenger“ eingeordnet, auf einen Platz mit verminderter Bewegungsfreiheit gesetzt und mit Handschellen fixiert werden.
Der Begriff Datenschutzkultur meint ferner den Umgang mit der informationellen Selbstbestimmung. Wenn Sie
Revue passieren lassen, welche Dimensionen die Datenzugriffe erlangt haben: Hessen hat sich im Land, in den Kommunen, im Bund und in Europa wacker geschlagen. Mit „Hessen“ meine ich alle Verantwortlichen in ihrer jeweiligen Rolle. Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass ich bei der Landesregierung zumeist auf offene Ohren für die Belange des Datenschutzes stieß.Vielleicht hätte man öfter entsprechend handeln sollen.
Innenminister haben aber nun einmal die Rolle eines Lausbuben – bzw. eines Lauschbuben – und wollen ihre Grenzen austesten.
Der Hessische Datenschutzbeauftragte hat demgegenüber bisweilen die unsympathische Rolle des petzenden Strebers.
Mir ist diese Rolle von Haus aus zuwider. Deswegen bin ich lieber der gutmütige Streber, der alle abschreiben lässt. Entsprechend habe ich mich verhalten und bedanke mich ganz besonders für das Feedback aus den Reihen der Oppositionsparteien, deren Unterstützung dem Datenschutz erst Biss verliehen hat.
Das klingt nach einer datenschutzrechtlich heilen Welt.So ist es aber leider nicht.Wir sind dem gläsernen Menschen ein großes Stück näher gekommen. Damit meine ich nicht einmal Videoüberwachungen und Rasterfahndungen, Lauschangriffe und Online-Durchsuchungen. Sorgen bereiten mir Wirtschaftsunternehmen, Arbeitgeber und vor allen Dingen die lieben Nachbarn und Mitmenschen, also der private Bereich.Die lieben Mitmenschen sind vielfach Handy-Exhibitionisten – Sie alle kennen die Leute, die im Zug ihr Innenleben offenbaren –
oder Amateurspitzel.Die echten „Datenschutzsauereien“ – um Herrn Hahn diesen Ausdruck wieder zukommen zu lassen – spielen sich im privaten Bereich ab. Privater und öffentlicher Bereich lassen sich vielfach nicht trennen. Das legt es nahe, beide Bereiche zusammenzuführen.
Damit komme ich zu einem heiklen Thema, das ich nur anreißen möchte. Noch einmal zum Grundsätzlichen: Der moderne Datenschutz entstand bekanntlich in Hessen. Die hessischen Regelungen entfalteten bis ins Ausland Vorbildwirkung. Das ist aber lange her. Mittlerweile haben der Bund,die Länder und die EG – die EU noch nicht – gleichgezogen. Damit die EU das kapiert, halten wir am 9. Dezember eine Veranstaltung über die Lücken im Vertragswerk von Lissabon ab. Wenn wir schon reparieren, dann sollten wir richtig reparieren. – Das war nur als Werbung gedacht.
Mittlerweile haben die anderen nachgezogen. Ich weise z. B. auf den Datenzugangsschutz hin. Da hat man Hessen leider überholt.
Der Datenschutz steht gegenwärtig auf dem gemeinschaftsrechtlichen Prüfstand. Ich hoffe, Ihnen allen ist bewusst, dass ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die
Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Unabhängigkeit des Datenschutzes läuft. Hessen ist in dieses Verfahren eingebunden. Man könnte sagen: Das bügeln wir weg,wie es uns passt.– Sie wissen aber nie,wie der Europäische Gerichtshof entscheidet.
Das Problem liegt in einer Kollision der gemeinschaftsrechtlich gebotenen, institutionellen Unabhängigkeit des gesamten Datenschutzes und dem nach nationalem Verfassungsrecht bestehenden Verbot der ministerialfreien Verwaltung. Dieses Verbot dient aber lediglich der dem Demokratieprinzip geschuldeten parlamentarischen Verantwortlichkeit der Exekutive. Diese wäre auch gewährleistet, wenn dem Hessischen Datenschutzbeauftragten unter Beibehaltung seiner Unabhängigkeit auch der private Bereich übertragen und zugleich die parlamentarische Kontrolle des Hessischen Datenschutzbeauftragten verstärkt würde.
Ich denke an eine parlamentarische Kontrollkommission, z. B. nach dem Vorbild der G-10-Kommission. Eine derartige Kommission bietet sich auch mit Rücksicht auf den Rechtsschutz der Betroffenen an. Dieses Modell hätte den Vorteil, dass die Rechte des Parlaments auf dem Gebiet des Datenschutzes gravierend gestärkt würden. Das klingt schon relativ gut. Auch könnte Hessen wieder bundesweit seine Vorreiterrolle einnehmen, denn wir reparieren das, was die anderen Bundesländer allesamt falsch gemacht haben. Das klingt nicht schlecht. Das müssen Sie offen zugeben.
Die Einzelheiten bedürfen freilich einer sorgfältigen Prüfung, der sich niemand verschließen sollte. Das mag Zeit kosten. Für ein Hauruckverfahren ist die Sache aber viel zu schade, viel zu gravierend und viel zu wichtig.
Jetzt werde ich wieder musikalisch. Wer von Ihnen kann sich noch an Siw Inger erinnern, eine blonde Sängerin aus Skandinavien, die 1980 die deutsche Fassung des BlondieTitels „The tide is high“, „Die Zeit ist reif“, sang?