Protocol of the Session on August 27, 2008

Aus den negativen Ergebnissen dieser Studie leiten die Forscher ein unzureichendes Geschichtsunterrichtsangebot in der Schule ab.

(Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Herr van Ooyen, gerade Sie sollten zuhören, weil Sie das ganz besonders betrifft.

Obwohl die Lehrpläne in allen der vier untersuchten Bundesländer die Behandlung der deutschen Teilung und der DDR vorsehen, muss es Bildungspolitiker hellhörig machen, dass beispielsweise mehr als 80 % der Schüler in NRW aussagten, sie erführen im Schulunterricht wenig oder gar nichts über die DDR. Augenscheinlich ist die Vermittlung des Wissens im Unterricht ein echtes Problem.

Hessen wurde in diese Studie nicht einbezogen. Aber auch hier sollten Konsequenzen gezogen werden. In Hessen stehen die Teilung und die Wiedervereinigung Deutschlands zwar in den Lehrplänen für die Jahrgangsstufe neun in allen drei weiterführenden Bildungsgängen, aber offenkundig reicht das nicht aus.

Eine objektive Aufarbeitung des DDR-Regimes wurde vor allem von linken Politikern aller Couleur zu verhindern versucht.

(Zurufe von der SPD:Was?)

Herr Kollege Schmitt, ich sage Ihnen das gern gleich genauer. – Nach der Wiedervereinigung konnte sich die Kultusministerkonferenz nicht auf die Verabschiedung einer Empfehlung mit dem Titel „Darstellung Deutschlands im Unterricht“ verständigen. Und warum?

(Marjana Schott (DIE LINKE): Ich denke, das ist Länderhoheit?)

Der Entwurf wurde insbesondere von dem damaligen Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts, Herrn Reinhard Höppner, Mitglied der SPD, Herr Schmitt, kritisiert. Höppner vertrat die Auffassung, die DDR komme in dieser Empfehlung zu schlecht weg.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Hört, hört!)

Ich kann nur sagen: Das war vielleicht ein bisschen vorauseilender Gehorsam, wie wir ihn hier heute auch schon das eine oder andere Mal festgestellt haben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Reinhard Kahl (SPD): Zitieren Sie bitte einmal richtig!)

Herr Schmitt, da sollten Sie auch zuhören: Die PDS – heute nennt sie sich DIE LINKE – trat dafür ein, sich künftig im Geschichtsunterricht nicht mehr schwerpunkt

mäßig mit Diktaturen zu befassen. – Warum nur, kann ich da nur fragen.

(Norbert Schmitt (SPD): Unglaublich!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Ergebnis dieser Politik der letzten Jahre ist ein Bildungsdesaster, das nach meiner festen Überzeugung die Zukunft unseres Rechtsstaats gefährden kann.

(Beifall bei der FDP und der SPD – Lebhafter Bei- fall bei der LINKEN)

Ich bin erstaunt,dass diejenigen,die die Information der Bevölkerung am meisten treffen wird, hier noch applaudieren, aber das freut mich natürlich.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren,die gesellschaftliche Situation, die wir hier haben, und die Verantwortung derer, die dieses Regime zu verantworten hatten, müssen bundesweit breit diskutiert werden. Alle demokratischen Parteien in den Landtagen – ich sage: auch die demokratischen Parteien im Hessischen Landtag – müssen hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Dem Mangel an Geschichtskenntnis der Schüler muss entgegengewirkt werden. Denn er birgt die Gefahr, dass linke Propaganda fruchten und Freiheit eingeschränkt werden kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer keine Geschichte hat, hat auch keine Zukunft.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Das gilt auch und gerade für die Freiheit als unser allerhöchstes Gut. Nur die Auseinandersetzung mit der Geschichte kann unseren Schülern die Erkenntnis vermitteln, dass diese Freiheit auch schleichend verloren gehen kann und jeden Tag aufs Neue erkämpft werden muss.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wenn Schüler den eklatanten Unterschied zwischen dem Leben in einer Diktatur und dem Leben in einer Demokratie nicht zweifelsfrei benennen können,die DDR nicht als Diktatur einordnen, dann ist der Geist der Demokratie und damit unser Gesellschaftsmodell gefährdet.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Mauerbau am 13.August 1961, heute vor 47 Jahren und 14 Tagen, erinnert nicht nur an Willkür, Diktatur und menschenverachtende Unterdrückung unter der SED-Herrschaft, sondern mahnt noch heute zu einer Bildungsoffensive für ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein und umfassende Geschichtskenntnisse über die DDR.

Meine Damen und Herren, die DDR war kein Kuschelstaat, wie heute viele glauben machen wollen. Deshalb darf in der Schule heute keinerlei Romantisierung das Wort geredet werden. Eine verklärende Ostalgie hat in der Schule keinen Platz. Sozialistische Alltagsromantik – wie wir sie auch hier immer wieder einmal geboten bekommen – für eine menschenverachtende Diktatur hat keinen Platz in unserer Demokratie.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Es kann nicht sein, dass – obwohl die DDR ohne jeden Zweifel ein Unrechtsstaat war,der seine Bevölkerung sys

tematisch überwachte und unterdrückte, Dissidenten verfolgte und tötete und keine freie Meinungsäußerung zuließ – trotzdem das Urteil der Jugendlichen in keinem Verhältnis hierzu steht.

Dadurch erklärt sich, dass nur knapp die Hälfte der befragten Schüler das politische System der Bundesrepublik dem der DDR vorziehen würde. Meine Damen und Herren, lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen – das ist ein Alarmsignal allererster Klasse.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, deshalb fordern wir die Landesregierung auf, die Lehrpläne in diesem Teil zu überprüfen und im Zuge der aktuellen Lehrplanänderung bzw. der Erarbeitung von Bildungsstandards den Lernstoff entsprechend zu überarbeiten.

Ziel muss es sein, dass Schüler die politischen Systeme Diktatur und Demokratie klar auseinanderhalten, verstehen und beurteilen können.

Sie müssen wissen, dass die DDR als Musterbeispiel für Unrecht, Unfreiheit, ausgefeilte Bespitzelung und direkte wie subtile Verfolgung steht. Nur so lernen sie, den als selbstverständlich verstandenen Wert von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch wirklich zu erfassen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit etwas zu dem Änderungsantrag sagen, den die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN uns hier vorgelegt hat.Zunächst nur etwas zu den Ziffern 1 bis 6, denn da ist manches enthalten, worüber man gegebenenfalls in einem anderen Zusammenhang reden könnte. In dem Zusammenhang, um den es hier geht, würde es zu einer Relativierung unseres Antrags führen, deswegen können Sie nicht damit rechnen, dass wir diesem zustimmen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das Kultusministerium ist aufgefordert, Handreichungen zu erarbeiten, nachdem das in der Vergangenheit offenkundig – trotz entsprechender Parlamentsbeschlüsse – nicht ausreichend geschehen ist. Wir haben nun einen neuen Landtag und können einen neuen Anlauf starten, damit dieses Thema im Unterricht effektiver behandelt, durch Lehrkräfte pädagogisch besser aufbereitet sowie dargestellt werden kann.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Da ist es gut, dass es uns gibt!)

Frau Kollegin, es ist in der Tat gut, dass es uns gibt, doch nicht, dass es Sie gibt.

(Beifall bei der FDP)

Damit meine ich selbstverständlich nicht Sie persönlich, sondern Ihren Verein.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Das nenne ich Demokratieverständnis!)

Das stimmt in der Tat; wir kämpfen hier um Demokratie, und deswegen setzen wir uns auch mit Ihnen auseinander, und zwar sehr direkt.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, ich wiederhole, dass die SEDDiktatur schonungslos in ihrer faktischen Brutalität dargestellt werden muss. Deshalb muss die Aufklärung hier

über in der Schule fachübergreifend ein Schwerpunkt werden. In den Lehrplänen muss verankert sein, dass der Unterricht über die Zeit der SED-Diktatur mit den Bewertungskriterien unseres Grundgesetzes und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, und nicht etwa in irgendeiner Form wertneutral, vorgenommen wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Fachübergreifender Unterricht von Deutsch, Geschichte, Politik, Religion und Ethik bietet eine hervorragende Chance zur umfassenden Darstellung der Realität der SED-Diktatur. Es ist ein weiteres Mal zwingend geboten, dass unsere Schüler auch einen direkten Eindruck von dem bekommen, was dort bis zum Jahre 1989 geschehen ist. Deswegen sagen wir auch, dass sich Schulklassen während ihrer Berlinfahrten aktiv mit der Vergangenheit der DDR auseinandersetzen sollten.