Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen uns Kollegen! Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass es bei diesem Antrag nicht allein um die Sache gemäß dem Antragstenor geht, dann haben die Rede von Herrn Irmer und der Beifall der CDU-Fraktion uns dieses gezeigt.
Lassen Sie mich deshalb zur Sache zurückkommen,zu der Herr Irmer erschreckend wenig beigetragen hat. Die Beschäftigung mit allen Perioden der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert und damit auch der Entwicklung in beiden deutschen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg und dem totalitären Regime in der DDR ist für junge Menschen immens wichtig. Ich denke, darüber sind wir uns alle in diesem Hause einig. Sie muss anhand der historischen Entwicklung den jungen Menschen Maßstäbe für die Beurteilung von Demokratie und Diktatur an die Hand geben, sie für die Bedeutung von Menschen- und Bürgerrechten sensibilisieren. Schülerinnen und Schüler sollen die Auswirkungen staatlicher Unterdrückung er
kennen lernen und erfahren, wie sie sich auf Menschen, ihr Verhalten und ihre Lebensführung auswirkt.
Junge Menschen sollen ein Engagement entwickeln, sich für Menschenrechte, gleiche Chancen und Freiheit einzusetzen. Es ist auch Aufgabe von Schule und Unterricht, hierzu Informationen zu liefern und zu Diskussionen anzuregen, denn nur die Auseinandersetzung und die kritische Würdigung von Informationen können unsere Demokratie stärken und demokratisch bewusste Bürger hervorbringen. Das ist der einzige Punkt, wo ich mit den Ausführungen in der Rede des Kollegen Greilich übereinstimme.
Es ist erschreckend, dass Studien immer wieder zu dem Ergebnis kommen, dass das Wissen von Schülerinnen und Schülern über die Diktatur in der DDR, über die sie tragende SED und die Blockparteien völlig unzureichend ist.
Das ist übrigens genauso erschreckend wie die Ergebnisse der zahlreichen Untersuchungen, die die Kenntnisse von Schülerinnen und Schülern über die deutsche Geschichte bis 1945 zum Gegenstand haben.
Es ist auch richtig, dass sich die Politiker damit auseinandersetzen und nach Lösungsansätzen suchen müssen. Dass es dabei allerdings ausreichend und erfolgreich ist, die Landesregierung mit der Ausarbeitung einer Handreichung zu beauftragen, ist zu bezweifeln. Es gibt eine Fülle von Materialien, Filmen, Projekten und Handreichungen, die das Leben in der DDR und die massiven Eingriffe des Regimes in die Freiheit und die körperliche Unversehrtheit der Menschen dokumentieren und pädagogisch aufarbeiten.
Ich kann der Landesregierung nur empfehlen, einen Blick auf das brandenburgische Bildungsportal zu werfen, wo ein neues Projekt angeboten wird. Das ist ein Bildungsportal zur DDR-Geschichte, in dem die Schülerinnen und Schüler eigenständig weiterforschen, Geschichte medial aufarbeiten und sich beteiligen können. Ich könnte mir vorstellen, dass wäre eine gute Ergänzung zu dem Material, das bereits vorliegt.
Natürlich gibt es in jeder Schule Lehrkräfte, die diese Materialien im Geschichtsunterricht einsetzen, um ihren Schülerinnen und Schülern die Grundlagen für eine Einordnung der DDR und ihres Staatssystems zu vermitteln. Wir schließen uns deshalb ausdrücklich dem Dank an die Lehrkräfte an, der im Änderungsantrag der GRÜNEN zum Ausdruck gebracht wird.
Ihr Antrag dagegen suggeriert – auch der Beitrag von Herrn Greilich hat das vorhin wieder deutlich gemacht –, eine der Ursachen für das fehlende Geschichtsbewusstsein liege in Versäumnissen der Lehrkräfte. Herr Greilich hat in seiner Rede das wiederholt, was er in seiner Presseerklärung vom 28.07 geschrieben hat. Er hat in dieser Presseerklärung ausgeführt:
Ich habe leider die Kenntnis, dass der eine oder andere Lehrer, insbesondere aus der sogenannten 68er-Generation, die Aufarbeitung dieses Teils der deutschen Geschichte aus ideologischen Gründen schlicht verweigert.
Herr Greilich, dies ist eine üble Unterstellung, eine Verunglimpfung der hessischen Lehrer, und es ist der Problematik völlig unangemessen.
Auch Herr Wagner hat in den Protokollen gestöbert und festgestellt, dass wir am 23.08.07 einen fast gleichlautenden Antrag der CDU im Kulturpolitischen Ausschuss in abschließender Beratung verabschiedet haben, in dem die Landesregierung aufgefordert wird, ein Konzept zur Aufarbeitung der DDR/SED-Diktatur zu erstellen.
Passiert ist bis heute nichts. Obwohl die antragstellende Fraktion, einschließlich der damals noch amtierenden Kultusministerin, die Bedeutung genauso hervorhob wie jetzt, hat die Landesregierung bis heute kein Konzept entwickelt. Sie hat bis heute nichts vorgelegt.Welche Bedeutung haben Sie damals Ihrem Antrag zugemessen, wenn Ihre eigene Landesregierung offensichtlich nichts getan hat, um ihren Arbeitsauftrag zu erfüllen?
Ich will noch einen Antrag erwähnen, der in derselben Ausschusssitzung, nämlich am 23.August 2007, behandelt wurde. Der Ausschuss hat einstimmig dem Antrag zugestimmt, ein Konzept dafür vorzulegen, wie es den Kindern an hessischen Grundschulen ermöglicht werden kann, ein Instrument zu erlernen. Das sollte in Zusammenarbeit mit den Grundschulen erfolgen.
Dieser Beschluss wurde inzwischen umgesetzt. Hier ist etwas passiert. Zum Schuljahresanfang wurde das Projekt JeKi – jedem Kind ein Instrument – an 70 Grundschulen mit 1,5 Millionen c gestartet. Dem Beschluss für ein Konzept zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat die Landesregierung dagegen bis heute nicht Rechnung getragen.
Die SPD-Fraktion lehnte in der damaligen Ausschusssitzung den Antrag der CDU ab. Sie lehnte ihn gemeinsam mit der FDP, vertreten durch die Kollegin Henzler, ab. Ich halte es nicht für notwendig, das Zitat noch einmal zu bringen. Aber, Frau Henzler, ich muss Ihnen sagen, Ihre Argumentation war schlüssig. Sie haben darauf hingewiesen, die Lehrpläne hätten dafür zu sorgen, dass dieses Thema angeboten wird. Sie haben darauf hingewiesen, dass Schulen eigenverantwortlich über Schwerpunkte entscheiden sollen. Dabei darf die Wichtigkeit dieses Themas allerdings nicht aus dem Auge verloren werden. Wir konnten dieser Argumentation folgen und haben im Ausschuss teilweise in ähnlicher Weise argumentiert.
Wenn Sie heute sagen, die Situation war damals eine andere, weil wir G 8 hatten, frage ich Sie:Was ist denn heute anders? Wir haben immer noch G 8. Sind Sie der Auffassung, dass die Probleme damit gelöst sind?
Wenn Sie auf die Studie hinweisen, kann ich Ihnen nur sagen, es gab bereits im Jahr 2004 solche Studien. Es gibt an vielen Stellen Schülerbefragungen, die immer die gleichen Ergebnisse haben. Die Notwendigkeit, hier über Konsequenzen nachzudenken, ist nicht neu und hat sich nicht erst in diesem Jahr entwickelt. Deswegen halte ich diese Begründung nicht für schlüssig.
Also muss man fragen, was eigentlich in der Zwischenzeit passiert ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, was ist passiert, dass Sie damals einen Antrag abgelehnt haben und heute als Antragsteller auftauchen und einen
solchen Antrag sogar zum Setzpunkt erklären? Was ist passiert, dass der Antrag zur Erstellung eines Konzepts damals an den Ausschuss überwiesen und im Plenum noch nicht einmal behandelt worden ist,während er heute mit einer Redezeit von 15 Minuten bedacht wird?
(Florian Rentsch (FDP): Das hat doch Herr Wagner schon gesagt! Das steht doch auf diesem Zettel! Aber er hat es auch schon gesagt!)
Ja, Herr Rentsch, aber es ist ganz gut, das zu wiederholen; denn offensichtlich haben Sie keine Antwort darauf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP und von der CDU, ich habe auch noch einige Fragen zu dem Antragstext. Warum sollen die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED im Jahr 1946 und die sich anschließende unmenschliche Verfolgung von Sozialdemokraten im Fokus stehen, während die Alibifunktion insbesondere von CDU und LDPD für eine sogenannte pluralistische Demokratie in der DDR nicht aufgearbeitet werden soll?
Warum soll in dieser Handreichung ausschließlich die Kontinuität zwischen der SED und ihren Nachfolgeorganisationen thematisiert werden, während die Frage des Übergangs politischer Parteien im vereinigten Deutschland und die Vereinigung der ehemaligen Blockparteien LDPD, NDPD sowie der DPD und der Ost-CDU mit FDP und CDU nicht behandelt werden?
„Kein Problem“, sagen Sie. Aber wer in einem Auftrag an die Landesregierung so in die Details geht, muss sich die Frage gefallen lassen, warum hier bestimmte Aspekte ausgelassen werden.
Ich will Ihnen auch eine Antwort auf diese Frage liefern. Das wichtige Anliegen dieses Antrags, einen bewussten Umgang mit der deutsch-deutschen Geschichte zu fördern, soll dazu herhalten, eine ganz andere Botschaft zu transportieren. Sie wollen einmal mehr mit dem Finger auf die Abgeordneten ganz links im Plenarsaal zeigen, die Sie zu Schmuddelkindern abgestempelt haben.Das ist das Problem der LINKEN,und ich denke,diese können damit umgehen.
Aber Sie wollen diejenigen, die über eine Kooperation mit den LINKEN in diesem Land diskutieren,ebenfalls in diese Ecke drängen, wenn sie Ihre teilweise kruden Formulierungen nicht unwidersprochen teilen.
Zu groß ist die Diskrepanz zwischen den Anforderungen an den Geschichtsunterricht und den eigenen Versäumnissen während Ihrer Regierungsverantwortung.
Auf das Konzept haben wir schon mehrere Male hingewiesen.Wenn man sich aber die Mühe macht, in die Lehrpläne zu schauen, stellt man fest, dass ausgerechnet die Verkürzung der Mittelstufe des Gymnasiums dazu ge
führt hat, dass von den vorher zwölf Unterrichtseinheiten zur deutsch-deutschen Geschichte jetzt noch elf übrig sind.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das sind noch mehr, als es während der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung dazu gab!)
Die Schülerinnen und Schüler der Hauptschule erfahren gemäß dem Plan überhaupt nichts über das DDR-Regime, es sei denn, sie besuchen das fakultative 10. Schuljahr. Denn in diesem Schuljahr wird das im Lehrplan der Hauptschule als Thema aufgeführt. In der Abschlussklasse 9 kommt es nicht vor.
Aber nicht nur der Lehrplan für Geschichte zeigt, wo die Überlegungen der Politik eigentlich einsetzen müssten. Meine Damen und Herren, auch der Stellenwert der politischen Bildung in der Schule wurde während Ihrer Regierungszeit eindeutig geschwächt und bedarf einer Aufwertung. Denn es geht nicht nur darum, die Fakten zu wissen und die Beurteilungsmaßstäbe dafür zu liefern. Es geht auch darum, die Schülerinnen und Schüler anzuregen, sich kritisch mit diesen Fakten auseinanderzusetzen. Dafür bietet der Politikunterricht eine gute Basis.