Protocol of the Session on August 27, 2008

Einen wunderschönen guten Morgen, meine Damen und Herren! Es ist schönes Wetter draußen. Schätzen Sie sich glücklich, dass Sie hier arbeiten dürfen. Wären Sie in einem Krankenhaus beschäftigt, wäre die Hälfte der Frühschicht schon rum. Die hätte um 6 Uhr angefangen. Vielleicht ist das ein wesentlicher Hinweis auf das, worüber wir heute reden.

In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage Drucks. 17/376 schreibt die Hessische Landesregierung:

Daher müssen die Krankenhäuser sicherstellen, dass die Regeln der Hygiene eingehalten werden... Dafür müssen die Krankenhäuser die notwendigen innerorganisatorischen Festlegungen vornehmen... und

jetzt kommt es –

die Aufgabenerfüllung auch personell sicherstellen.

Genau deshalb soll es heute darum gehen, uns, vor allem aber die Bürgerinnen und Bürger des Landes Hessen zu vergewissern, dass die Krankenhäuser ihre Aufgabenerfüllung auch personell sicherstellen können.

Sie halten das für selbstverständlich? In einem Leserbrief in einer hessischen Zeitung berichtet eine junge Mutter, dass nach der Entbindung stundenlang niemand Zeit hatte, ihr zu helfen, das Neugeborene anzulegen. In einer Fernsehsendung berichten Augenzeugen von einem Todesfall auf einer Intensivstation; die zuständige Kraft be

kam wegen Überlastung die Alarmsignale der Überwachungsanlage nicht mit. Es gibt inzwischen laut Aussagen der Fachverbände Intensiveinheiten, die nachts von einer Fachkraft und einer Hilfskraft betrieben werden, was bedeutet, dass im Notfall erst Hilfe von anderen Stationen geholt werden muss. In einem Brief an die Krankhausleitung beschreiben Mitarbeiter, namentlich genannt, desolate hygienische Zustände, und die Krankenhausleitung bestätigt diese Zustände öffentlich.

Meine Damen und Herren, damit wir uns nicht falsch verstehen: Es besteht kein Grund zur Panik. Solche Berichte sind Einzelfälle, aber sie sind beileibe keine Rarität mehr. Unsere Krankenhäuser sind gut. Vor sechs Tagen hat die Bundesgeschäftsstelle ihren Bericht über die Qualitätssicherung im Jahre 2007 veröffentlicht und bescheinigt den Krankenhäusern – zumindest bei den Parametern, die in dem Bericht untersucht werden – eine gute Qualität, aber zugleich weiteren Handlungsbedarf. Darum ist das kein Grund, sich in falscher Sicherheit zu wiegen.

Die Fakten: In den Jahren 1994 bis 2006 ist die Zahl der Vollzeitkräfte in deutschen Krankenhäusern um 11 % zurückgegangen, von 880.000 auf 790.000 Stellen. Gleichzeitig nahm die Zahl der Krankenfälle um 17 % zu – mit dem Ergebnis, dass die Belastung, also die Fallzahl pro Fachkraft, um 21 % stieg. Diese Fälle sind zudem arbeitsintensiver,weil die wenig arbeitsintensiven Tage am Ende eines Krankenhausaufenthalts durch die Verkürzung der Liegezeiten weggefallen sind, sodass man realistischerweise annehmen muss, die Arbeitsbelastung der in unseren Krankenhäusern Beschäftigten ist in den letzten 14 Jahren um bis zu 30 % gestiegen. Der Personalabbau erfolgte zudem ungleichgewichtig.Während die Zahl der Pflegekräfte um 14 % abnahm, nahm die Zahl der Ärztinnen und Ärzte um 27 %, die der Verwaltungsmitarbeiter immerhin noch um 10 % zu.

Die Krankenhäuser müssen die Aufgabenerfüllung personell sicherstellen, sagt die Landesregierung. Meine Damen und Herren, die genannten Veränderungen bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Versorgung. Englische Untersuchungen zeigen, dass eine Halbierung des Pflegepersonals pro Patient eine bis zu 30 % höhere Sterblichkeit in den ersten 30 Tagen nach einer Operation zur Folge haben kann. Auch in anderen Untersuchungen wurde bestätigt: Die Zahl der Pflegekräfte ist ein wichtiger Parameter für die Qualität eines Krankenhauses und die Sicherheit der Patienten. Amerikanische Untersuchungen zeigten, dass allein der Faktor, ob ein Krankenhaus ein Interesse hat, Gewinne zu machen oder nicht, eine geringe, aber signifikant höhere Mortalität zur Folge haben kann – wegen des reduzierten Personalspiegels, weil man Gewinne natürlich nur über den Personalbestand erwirtschaften kann.

Nebenbei bemerkt: Die zuletzt genannte Tatsache, auch der Landesregierung bekannt, hat sie nicht dazu bewegen können, beim Verkauf von zwei ihrer drei Krankenhäuser, immerhin die größten in Hessen, eine entsprechende Sicherung in den Vertrag aufzunehmen. Das Ergebnis kann man vor Ort betrachten,wenn man Augen hat,zu sehen, wenn man Ohren hat, zu hören, was die Mitarbeiter sagen, und wenn man den Willen hat, seine Aufgaben als Aufsichtsorgan zu erfüllen. Da ist die Landesregierung noch nicht ganz erfolgreich. Lassen Sie mich an der Stelle eine Bemerkung zu Äußerungen aus letzter Zeit eines der politischen Mitbewerber machen, was den Rückkauf der Uniklinika Gießen und Marburg angeht. Meine Damen und Herren, hier reden wir über einen Betrag von

600 Millionen c. Ich sehe mit Interesse der Darstellung im Haushalt entgegen, wie das finanziert werden soll.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, laut dem Aktionsbündnis Patientensicherheit versterben in deutschen Krankenhäusern jedes Jahr 17.000 Menschen an vermeidbaren unerwünschten Ereignissen. Dabei spielen insbesondere menschliches Versagen, z. B. Hygieneunfälle und Medikamentenverwechslung, eine zentrale Rolle. Gerade solche Fehler entstehen umso leichter,je höher der Zeit- und Arbeitsdruck im Krankenhaus ist. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass eine höhere Dichte insbesondere des Pflegepersonals zu geringeren Komplikationsraten beiträgt und mehr Patientensicherheit schafft. Es ist schon ein Skandal,wenn in einem der reichsten Länder der Erde Menschen, die kritisch krank sind, Menschen, die einer finalen Diagnose entgegensehen,Menschen,denen es wirklich schlecht geht, regelmäßig beklagen müssen, das im Krankenhaus niemand Zeit hat, ihnen ein paar Minuten lang zuzuhören. Auch das ist eine Frage der Qualität der Versorgung.Sie sollte uns allerdings etwas wert sein.Es ist dringend an der Zeit, hier etwas zu tun.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

Jetzt reden wir auch einmal darüber, wie das aus Sicht der Beschäftigten aussieht. Ich zitiere Ausführungen eines Krankenpflegers in einer hessischen Zeitung:

Wer nach ethischen Aspekten arbeitet, für den Menschlichkeit, Hygieneleitlinien und ganzheitliche Pflege noch wichtig sind, geht kaputt. Und schon schließt sich der Teufelskreis:wenig Personal, schlechte und zu kurze Einarbeitungszeiten, schlechte Qualität, mehr Belastung, Frustration, Motivationsverlust. Manchmal glaubt man, belohnt wird nicht, wer gute Arbeit leistet, sondern wer wenig tut, denn dieser bleibt wenigstens körperlich und seelisch gesund.

Natürlich ist auch das ein Einzelfall.

Meine Damen und Herren, die Beschäftigten im Gesundheitswesen wollen eine gute Arbeit machen. Gute Arbeitsbedingungen sind, das zeigen Untersuchungen, viel wichtiger als das Einkommen. Wenn es um Menschen geht, werden Personalmangel und teilweise abstruse Zustände hingenommen und von den Beschäftigten ausgeglichen, weil der Patient kein Werkstück ist, sondern ein Mensch, den man nicht liegen lässt. Viele arbeiten bis an die Grenze des Erträglichen – und darüber hinaus. Wer Mitgefühl mit seinen Patienten hat, tut sich eben sehr, sehr schwer damit, Instrumente der Arbeitskämpfe zu nutzen. Daher war es schon ein bisschen zynisch, dass vor ein paar Jahren die Kontrolle der Krankenhausarbeitszeiten – immerhin ein Mal in Hessen – nur auf freiwilliger Basis erfolgte. Meine Damen und Herren, die im Gesundheitswesen Beschäftigten brauchen auch die Unterstützung der staatlichen Aufsicht.

(Beifall bei der SPD)

Es war und ist gleichermaßen üblich wie unanständig, diese Selbstausbeutung zu akzeptieren, zu nutzen, zum Teil sogar einzufordern. Gute Pflege ist harte Arbeit, körperlich und oft auch seelisch. Sie verdient unseren Respekt. Eine so anständige Motivation darf nicht missbraucht werden.

Ohne Zweifel war der Abbau von Überkapazitäten im Krankenhausbereich unverzichtbar, und ohne Zweifel war er nur über ökonomischen Druck, über Pauschalen, Budgets usw., zu bewerkstelligen. Der Wettbewerb hat die Anreizstrukturen für die Krankenhäuser so verändert, dass die Effizienz der Arbeit und Kostenreduktionen auch in ihrem eigenen Interesse sind. Das war richtig, weil es nicht zu rechtfertigen ist, dass die Pflichtbeiträge der Versicherten zum Fenster hinausgeschmissen werden.

Aber weil die Steuerung nur auf ökonomischen Instrumenten beruht, wird im Blindflug Personal abgebaut. Wettbewerb sichert keine gute Versorgung,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Wettbewerb steht ihr entgegen. Deshalb braucht man klare Regeln, die den Wettbewerb steuern.

Das wissen wir alle, das ist für uns ganz selbstverständlich. Weil die Sicherheit vorgeht, ändern wir zahlreiche und umfangreiche Standards im Krankenhausbetrieb. Allein die Vorgaben zur Hygiene in Operationssälen füllen Bände, und das zu Recht. Deshalb gibt es die Medizingeräteverordnung und das Röntgenrecht. Wir haben in diesem Hause schon viele Gesetze genau zu dieser Frage behandelt. Außerdem gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung, die in dieser Frage völlig eindeutig ist: Die Sicherheit der Patienten geht vor. Deshalb gibt es im Bereich der Technik, der Hygiene usw. gar keine Einsparpotenziale, ohne genau diese Standards zu unterlaufen.

Das Gleiche gilt für die Qualifikation des Personals. Auf keinem anderen Feld sind die fachlichen Qualifikationen so detailliert geregelt wie in den Heilberufen. Man darf in diesen Berufen nichts tun, wenn man keine ausgewiesene, präzise festgelegte Qualifikation besitzt. Aber weil 80 % der Ausgaben eines Krankenhauses Personalkosten sind und weil zwar die technischen Standards und die Qualifikation des Personals, nicht aber seine Zahl vorgegeben sind, kann am Ende der Kostendruck nur über den Personalbestand ausagiert werden – mit den genannten, nicht unerheblichen Folgen. Es ist geradezu grotesk, meine Damen und Herren, dass wir den Kindergärten einen Personalschlüssel vorgeben,es aber in das Belieben eines Krankenhausbetreibers stellen, mit wie vielen Personen die vielleicht doch nicht so viel leichtere und ganz sicher nicht ungefährliche Aufgabe „Betrieb eines Krankenhauses“ gelöst wird.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

Deshalb brauchen wir klare Standards, die sicherstellen, dass an unseren guten Krankenhäusern gut qualifiziertes Personal aller Berufsgruppen in ausreichender Zahl vorhanden ist, um die anfallenden Aufgaben zu meistern.

Mit solchen Standards wird nicht Qualität durch Quantität ersetzt, sondern sie garantieren die quantitativen Voraussetzungen für eine qualitativ hochwertige Arbeit. Wenn man sie berechnen will,stellt man fest,dass die Pflegepersonalverordnung aus den Neunzigerjahren ein vager Hinweis ist, mehr aber auch nicht. Aber das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen und die Fachverbände verfügen bereits jetzt über hilfreiche Daten.

Am Anfang wäre mit einem Orientierungswert, der Garantien schafft, schon eine Menge gewonnen. Am Ende müssen wir uns am Case-Mix, also am Schweregrad, ausrichten. Wir müssen uns an der Sicherheit der Patienten

orientieren und insbesondere solche Standards auf die tatsächlich am Patienten verbrachte Zeit beziehen. Darauf kommt es nämlich an.

Natürlich ist auch das technische Personal zu berücksichtigen.Am Ende spielt nicht die bloße Zahl der Köpfe eine Rolle, sondern es geht um qualifizierte Köpfe. Das heißt, die Fachpflegequoten könnten eine Rolle spielen. Aber ich will der Arbeitsgruppe – so sie denn eingesetzt wird, wie wir es in unserem Antrag fordern – in keiner Weise etwas vorschlagen. Ich glaube, dass diese Aufgabe nicht ganz leicht zu meistern ist. Deshalb ist es richtig, sinnvoll und dringend angezeigt, damit zu beginnen, sie zu meistern.

Vor den möglichen Kosten solcher Standards darf und muss man keine Angst haben.Wie die Landesregierung in der zitierten Antwort auf die Anfrage richtig ausführte – noch einmal das Zitat –, „müssen die Krankenhäuser... die Aufgabenerfüllung auch personell sicherstellen“.

Das, worüber wir im Zusammenhang mit solchen Standards reden, ist nichts Neues, sondern es ist die Formulierung dessen, was ohnehin Pflicht und Recht der Beschäftigten sowie der Patienten ist.Erst kommt die Versorgung, und danach soll sie auch noch preiswert sein.Wettbewerb braucht Grenzen; sonst geht es schief.Wenn es mehr kostet, müssen die Budgets dem angepasst werden. Die Bundesgesundheitsministerin hat eine erhebliche Anhebung der Mittel für die Krankenhäuser durchgesetzt, weil sie um das Problem weiß. Frau Ministerin, sie hat das erfreulicherweise mit Unterstützung der Bundesländer getan.

So wird das Sonderopfer abgeschafft. So werden die Budgetgrenzen angehoben, die Tarifsteigerungen ausgeglichen, und es wird ein Sonderprogramm Pflege aufgelegt. Das Geld ist vorhanden. Die Frage ist nur, wer es bekommt.Auch dafür sollten wir in Hessen sorgen. Die Genehmigungsfähigkeit des Landesbasisfallwertes, also der Grundlage für die Berechnung der Fallpauschalen in Hessen, muss allerdings hessischen Qualitätsvorgaben genügen.

Mithilfe der hessischen Standards werden nebenbei auch die Orientierungswerte des Statistischen Bundesamts für die Krankenhausfinanzierung verbessert. Damit leisten wir einen Beitrag, dass die Krankenhausfinanzierung nicht beliebig, sondern realistisch gestaltet wird.

Eine solchermaßen gesicherte Qualität ist auch klar im Interesse des Gesundheitsstandorts Hessen. Wir verkennen immer, dass wir über einen der größten Wirtschaftszweige reden, der inzwischen sogar deutlich größer ist als die Autoindustrie. Wer auf diesem wichtigen Zukunftsmarkt vorne sein will,muss zeigen,dass er qualitativ hochwertige Arbeit leistet.

Ein Weg besteht in der nachfolgenden Qualitätskontrolle. Ein anderer Weg ist die garantierte Qualität. Hier ist es der richtige Weg, ein klares Signal für Qualität made in Hessen zu setzen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn es am Ende teurer wird, wird man möglicherweise nicht umhinkommen, zur Sicherung einer guten Versorgung auch die Einnahmen der Krankenkassen anzupassen. Ich kann es Ihnen bei solchen Debatten nicht ersparen, dass die hessische SPD ein gutes Konzept vorgelegt hat. Dieses Konzept heißt Bürgerversicherung. Damit wird die Höhe der Beiträge von der Lohnsumme gelöst,

und es wird eine stabile und gerechte Grundlage geschaffen, an der sich alle beteiligen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Diese Fragen muss die Gesellschaft beantworten: Was ist uns eine gute medizinische Versorgung wert? Wer soll sich wie daran beteiligen? Wenn wir diese Fragen vernünftig klären, sind viele Probleme lösbar.

Meine Damen und Herren, wir begrüßen ausdrücklich den Vorschlag der Landesregierung, das Krankenhausgesetz zwei Jahre länger gelten zu lassen; denn damit ist sichergestellt, dass die Ergebnisse der Arbeitsgruppe die Grundlage für eine verbindliche Regelung in der in zwei Jahren zu verabschiedenden Novelle sein können.

Wer nicht zur Vollkostenerstattung der Siebziger- und Achtzigerjahre zurück will und dennoch eine gute medizinische Versorgung für alle garantieren möchte, muss einer Effizienz fördernden Steuerung auf ökonomischer Grundlage klare Steuerungs- und Sicherheitsstandards entgegensetzen.

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Dr. Spies, Ihre Redezeit ist um. Bitte kommen Sie zum Schluss.

Ich komme zum Schluss. – Wer eine gute Versorgung garantieren will, der darf die Qualität nicht nur überprüfen, sondern muss auch die Voraussetzungen dafür sicherstellen. Das muss sowohl auf der technischen als auch auf der personellen Ebene erfolgen. Er muss mit denen, die die Arbeit machen, anständig umgehen. Das bedeutet, er muss besser mit ihnen umgehen, als es heute bei uns der Fall ist. Gute Arbeit muss es auch an den Krankenhäusern geben.

Mit dem Vorschlag zur Entwicklung von Mindeststandards geht Hessen krankenhauspolitisch in die Offensive. Nutzen wir die Gelegenheit. Machen Sie alle mit. – Vielen Dank.