Offenkundig ist es so, dass der von der Verfassungsgrenze ausgehende Druck dazu führt, dass bestimmte politische Entscheidungen so fallen,wie sie fallen,und sie nicht ohne irgendeine monetäre Begrenzung durchgesetzt werden können.
Meine Damen und Herren,bei der Ermittlung der Kredithöchstgrenze bestehen aus fachlicher Sicht erhebliche Bedenken. Bei wirtschaftskraftbezogenen Verschuldungsquoten wie der Schuldenstandsquote oder der Defizitquote wird implizit unterstellt, dass die aus der Verschuldung resultierenden Lasten letztendlich aus einem gesamtwirtschaftlichen Einkommen, also dem BIP, getragen werden können.
Zumindest für die Bundesländer ist diese Annahme eigentlich unzutreffend. Zum einen knüpft das System der Steuerverteilung in Deutschland, wie insbesondere die Einkommensteuer zeigt, in hohem Maße an die Einkommensverwendung, also dem Wohnort, an – und nicht, wie bei einer Orientierung am BIP unterstellt, an der Einkommensentstehung, also dem Produktionsstandort.
Dies hat zur Folge, dass die tatsächlichen Einnahmen, die maßgeblich für die Finanzierung der Verschuldung sind, von der Wirtschaftskraft erheblich abweichen. Deshalb würden in Ländern mit weit überdurchschnittlicher Wirt
schaftskraft, insbesondere in Hamburg und Hessen, die Verschuldungsspielräume, bezogen auf die tatsächlichen Einnahmen, viel zu hoch, in Ländern mit deutlich unterdurchschnittlicher Wirtschaftskraft, wie vor allem in den neuen Ländern, zum Teil deutlich zu niedrig ausgewiesen.
Angesichts dieses Effektes ist kaum zu erwarten, dass die neuen Länder einem Ersatz der bisherigen Kredithöchstgrenze durch die Maastricht-Kriterien zustimmen werden.
Zum anderen wird die relevante regionale Finanzkraft in erheblichem Umfang durch Transferleistungen beeinflusst, also z. B. durch den Länderfinanzausgleich, durch Bundesergänzungszuweisungen und Mischfinanzierungen.
Ein weiteres Problem ist die statistische Erfassungsmöglichkeit und Qualität der regionalisierten BIP-Zahlen. Zum einen ist bereits die genaue Aufteilung des BIP auf die einzelnen Länder mit einigen Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden. Die Zahlen für das regionalisierte BIP werden derzeit im Rahmen eines Top-down-Ansatzes ermittelt, bei dem die BIP-Zahlen der einzelnen Länder in einem oft korrekturbedürftigen Abstimmungsprozess festgelegt werden. Dies ist bislang nur deshalb unproblematisch, weil keine unmittelbaren finanziellen Konsequenzen mit dem BIP verbunden sind. Dies dürfte sich jedoch ändern, wenn die Höhe des BIP in Zukunft eine maßgebliche Rolle bei der Ermittlung der Kredithöchstgrenze spielen sollte.
Des Weiteren ergibt sich bei den länderspezifischen BIPWerten, wie schon dargestellt, oftmals ein erheblicher Korrekturbedarf im Zeitablauf, der die Aussagekraft aktueller Berechnungen erheblich einschränkt.
Zu den Fragen der FDP im Einzelnen. Da gibt es das Problem der zweifelsfreien Ermittlung der Verschuldungsobergrenze des Landes.Die von der FDP geforderte zweifelsfreie Ermittlung der zulässigen Obergrenze für Neuverschuldungen und Schuldenstand ist nur mit Einschränkungen möglich. Die Zahlen für das regionalisierte BIP, an denen die Ermittlung der Maastricht-Kriterien anknüpfen müssten, liegen zwar prinzipiell vor, aber ich habe auf die bestehenden Probleme hingewiesen.
Bei der Berechnung der Verschuldungsobergrenze eines Landes darf nicht dessen gesamtes BIP zugrunde gelegt werden. Da der Bund über kein eigenes BIP verfügt, sondern sich nur aus der Summe der individuellen LänderBIPs finanzieren kann,muss ihm ein Anteil am regionalen BIP zustehen. Dies erfordert eine Aufteilung des BIP zwischen Bund und Ländern. Andernfalls würden sämtliche Quoten deutlich zu niedrig ausfallen.
Tatsächlich wäre es so: die Länder 3 %, der Bund 3 %, dann wären wir bei 6 %.Das ist nicht so ganz im Sinne von Maastricht.
Als Maßstab für eine Aufteilung des BIP zwischen Bund und Ländern bietet sich – mangels anderer Anknüpfungspunkte – die bis zum Jahr 2006 geltende Vereinbarung aus dem Finanzplanungsrat zur Aufteilung des zulässigen gesamtstaatlichen Defizits vom März 2002 an. Danach entfallen auf den Bund einschließlich Sozialversicherung 45 %, auf die Länder einschließlich Kommunen 55 %. Da dieses Aufteilungsverhältnis nur bis 2006 vereinbart wurde, würde ab dem Jahr 2007 eine neue Aufteilung der Defizitanteile zwischen Bund und Ländern notwendig. Maßstäbe hierfür sind allerdings streitbehaftet.
Im Hinblick auf den Verschuldungsspielraum des Landeshaushalts muss zudem berücksichtigt werden, dass die sich nach den Maastricht-Kriterien ergebenden zulässigen Kreditaufnahmen bzw. der Schuldenstand zusätzlich zwischen Land und Kommunen – deren Schulden ebenfalls für Maastricht relevant sind – aufgeteilt werden muss. Hierfür liegt derzeit noch kein geeignetes Aufteilungskriterium vor. Zur groben Abschätzung des Verschuldungsspielraums des Landeshaushalts wird daher im Folgenden vereinfacht unterstellt,dass sich die Anteile von Land und Kommunen nach dem Verhältnis der Defizite bzw. der Schuldenstände im Ist der einzelnen Jahre richten.
Auf dieser Basis ergeben sich für die Jahre 2003 bis 2005 ausgewiesene Grenzen für den Landeshaushalt für die Nettokreditaufnahme bzw. den Schuldenstand. Diese Zahlen möchte ich Ihnen wenigstens einmal grob nennen.
Wir haben ein anteiliges BIP von 108 Milliarden c. Die maximal zulässige Neuverschuldung – einschließlich Kommunen – betrüge danach 3,262 Milliarden c, der maximal zulässige Schuldenstand Hessens betrüge 65,241 Milliarden c.
Das heißt, bei einer Abschätzung der maximal zulässigen Neuverschuldung des Landeshaushalts hätten wir im Jahr 2003 2,033 Milliarden c Schulden aufnehmen können, im Jahr 2004 2,038 Milliarden c und im Jahr 2005 1,4372 Milliarden c.
Denn für das Jahr 2005 wirkt die Veräußerung von Immobilien – anders als die Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen – bei der Ermittlung der zulässigen Nettoneuverschuldung absenkend: 1,437 Milliarden c im Jahr 2005.
Das heißt, wenn man die eigendefinierte Kreditgrenze in Hessen nimmt, dann hätten wir im Jahr 2003 1,05 Milliarden c mehr Schulden aufnehmen können, im Jahr 2004 1,199 Milliarden c und im Jahr 2005 643 Millionen c.
Der maximal zulässige Schuldenstand des Landeshaushalts wäre – jetzt nenne ich nur die letzte Zahl – im Jahr 2005 47,49 Milliarden c;tatsächlich liegen wir in der Größenordnung von 31 Milliarden c.
Herr Minister, nur als freundlicher Hinweis: Die für die Fraktionen vereinbarte Redezeit ist abgelaufen.
Ich weiß, aber wegen der Bedeutung der Sache möchte ich es trotzdem weiter vortragen. Es tut mir Leid, aber ich finde, das ist ein außerordentlich wichtiger Punkt und finanzpolitisch von großer Bedeutung.
Grob heißt das,wir hätten 16 Milliarden c mehr Schulden haben können, als wir tatsächlich haben – wenn man das unter dem Maastricht-Blickwinkel betrachtet.
Bei der Einhaltung der Maastricht-Kriterien ist die Lage natürlich vergleichbar. Sie können das aus den Zahlen unmittelbar ablesen. Wenn Sie 1,437 Milliarden c Schulden hätten aufnehmen können, aber nur 755 Millionen c Schulden gemacht haben, dann ist das angesichts der
Der Nachteil der mittelfristigen Ersetzung der bisherigen BIP-Höchstgrenze durch Maastricht-Kriterien ist, dass wir überhaupt keine Vorstellung darüber haben, wie wir hier finanzielle Sanktionen exekutieren sollten. Denn dabei wäre sowohl zu beachten, wie sich das Land verhält, als auch, wie sich die Kommunen verhalten. Wie kann man da eingreifen?
Herr von Hunnius, nach unserer Überzeugung haben Sie eine falsche Ableitung der zulässigen Verschuldungsgrenze des Landes vorgenommen. Sie haben einen Anteil des Landes am hessischen BIP in Höhe von 35 % unterstellt. Als Begründung hierfür wurde die im Rahmen der Föderalismusreform vermeintlich ins Auge gefasste Aufteilung der möglichen Neuverschuldung bzw. der Schulden im Verhältnis von 65 für den Bund – einschließlich Sozialversicherung – zu 35 für die Ländergesamtheit angeführt.
Offenbar beziehen Sie sich auf die im Rahmen der Föderalismusreform vorgesehene Einführung einer Regelung für die Aufteilung der Sanktionen im Falle möglicher Sanktionszahlungen Deutschlands an die EU gemäß Art. 109 Abs.5 neu des Grundgesetzes sowie auf das darauf basierende Sanktionszahlungsaufteilungsgesetz. Beides sieht für den Fall etwaiger Strafmaßnahmen eine Aufteilung im Verhältnis 65 zu 35 zwischen Bund und Ländergesamtheit vor.
Allerdings wird in dieser Rechtsvorschrift gerade nicht die Aufteilung der zulässigen Neuverschuldung sowie des Schuldenstandes zwischen Bund und Ländern geregelt, sondern vielmehr ausschließlich, welche Anteile möglicher Strafzahlungen auf Bund und Ländergesamtheit entfallen.
Als Maßstab für die Aufteilung des BIP bei der Ermittlung der Maastricht-Kriterien kommt das Aufteilungsverhältnis des Sanktionszahlungsaufteilungsgesetzes deshalb überhaupt nicht in Betracht.
Bei der Verteilung auf Bund und Länder ist vielmehr das jeweilige Haushaltsvolumen – im Jahr 2004 Bund 47 %, Länder und Gemeinden 53 % – maßgeblich zugrunde zu legen. Darüber hinaus müssen die unterschiedlichen haushaltspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten von Bund und Ländern berücksichtigt werden. Insoweit war die seinerzeit im Finanzplanungsrat getroffene Vereinbarung einer Defizitaufteilung zwischen Bund und Ländern im Verhältnis 45 % Bund zu 55 % Länder durchaus sachgerecht. Es ist daher nahe liegend, diese Quote auch bei der Berechnung der Schuldenobergrenze zu verwenden.
Sie haben den Schuldenstand der Kommunen mit 16,3 Milliarden c beziffert. Wir können diese Zahl überhaupt nicht nachvollziehen, denn wir haben einen vorläufigen Schuldenstand der Kommunen zum 31.12.2005 einschließlich der Streckverbände sowie der kommunalen Kassenkredite von 11,2 Milliarden c. Das sind also rund 5 Milliarden c weniger.Allerdings käme es bei der Höhe von 47 Milliarden c darauf auch nicht mehr an, denn das wäre immer noch zulässig und im Rahmen dessen, was Maastricht vorschreibt.
Zu der Frage der Nettoneuverschuldung von Land und Kommunen in Höhe von 3,7 Milliarden c muss ich sagen, dass das überhaupt nicht stimmen kann. Wir haben versucht, nachzurechnen, was an dieser Stelle passiert sein könnte. Ich nenne Ihnen einmal die Zahlen: Wir haben
750 Millionen c Neuverschuldung. Ich spreche jetzt von der Neuverschuldung, nicht vom Finanzierungsdefizit, das eigentlich Maastricht-relevant ist. Unser Finanzierungsdefizit betrug 550 oder 560 Millionen c. Wir kämen also noch weiter unter das Maastricht-Kriterium. Wir haben 770 oder 775 Millionen c und die Kommunen noch 2,9 Milliarden c.Tatsächlich sind die vorläufigen Zahlen zum Stand 31.12.2005 folgende: Finanzierungsdefizit 345 Millionen c und Nettokreditaufnahme der Kommunen rund 147 Millionen c – und nicht 2,9 Milliarden c. Da kann es nur sein,dass Sie die Kassenverstärkungskredite der kommunalen Ebene hinzugerechnet haben, denn diese betragen 2,57 Milliarden c. Nur gehören die Kassenkredite nicht zur Frage der zulässigen Nettoneuverschuldung, sondern sie gehören gedanklich zur Frage der Verschuldungsgrenze von 60 %, also der Schuldenhöhe. Selbst wenn Sie die Veränderungen des Kassenbestandes bei den Kassenkrediten Maastricht-relevant definieren würden – was sehr umstritten ist –, dann kämen Sie auf 420 Millionen c, die noch zu den 147 Millionen c Nettoneuverschuldung hinzukämen, sodass sich rund 570 Millionen c ergäben. Zusammen mit den 770 Millionen c des Landes wären Sie in der Größenordnung von 1,35 Milliarden c und lägen damit um Lichtjahre unter der möglichen Verschuldungsgrenze von 3,2 Milliarden c.
Wie gesagt, entscheidend für die Ermittlung des Maastricht-Defizit-Kriteriums ist nicht die Nettokreditaufnahme, sondern der Finanzierungssaldo, und dieser ist teilweise noch niedriger.
Wir können Ihnen die Zahlen sehr wohl liefern und machen das im Ausschuss sehr gerne. Wir haben uns, nachdem Sie, Herr Kollege von Hunnius, Ihre Pressekonferenz abgehalten hatten, drei Wochen lang sehr große Mühe gegeben, das nachzuvollziehen, um nicht bösartigerweise etwas zu unterstellen, sondern zu schauen: Wie sind denn jetzt die Zahlen und die Berechnungen? Unsere Leute kommen nach Kontaktaufnahme mit Gott und der Welt, wie man so schön sagt, und Einbeziehung aller Informationen zu dem Ergebnis, dass die in der Pressekonferenz dargestellten Zahlen nicht korrekt sind. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Einführung des Maastricht-Kriteriums neben allen Problemen, die hier gemeinsam beschrieben worden sind, für Hessen bedeuten würde: Die verfassungsmäßig zulässige Grenze ginge deutlich hoch, und die zulässige Verschuldung nach dem 60-%-Kriterium ginge auch noch einmal deutlich hoch.
Deshalb sage ich: Man muss weiter darüber diskutieren. Ich möchte als Finanzminister eine ordentlich definierte Grenze entsprechend unserer jetzigen verfassungsmäßigen Ordnung, aber ich habe kein Interesse daran, eine neue Grenze zu bekommen, die dramatisch höher ist als die, die wir bisher hatten. Das sind Steine statt Brot, und das ist nicht im Sinne der Abgeordneten und nicht im Sinne des Finanzministers.Wir müssen uns weiter mit den Grenzen herumquälen, die wir derzeit haben. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Vielen Dank, Herr Minister. – Jetzt hat sich Herr Kollege von Hunnius noch einmal zu Wort gemeldet. Fünf Minuten Redezeit.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die Debatte nicht übermäßig strapazieren, aber noch zu einigen Punkten Stellung nehmen, die vorgebracht worden sind.
Zunächst einmal dürfen wir nicht vergessen: Die Maastricht-Kriterien gelten bereits für Hessen. Wir haben eine unbefriedigende Situation, weil wir zwei Kriterien haben: Die Maastricht-Kriterien gelten in Hessen, ob wir das wollen oder nicht, und daneben haben wir die Grenze der Hessischen Verfassung. Beide Kriterien stimmen nicht überein. Das kann auf Dauer nicht sinnvoll sein. Das zumindest wird man, glaube ich, zugestehen müssen.
Die Hessische Verfassung, Herr Kollege Kaufmann, sieht keineswegs nur eine Beschränkung auf Investitionen vor. Es heißt in Art. 141:
Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden.
Diese beiden Bedingungen gelten nach dem Urteil des Staatsgerichtshofs alternativ, d. h., eines von beiden reicht aus: entweder außerordentlicher Bedarf oder werbende Zwecke. Was ist „außerordentlicher Bedarf“? Das können Sie auch nicht ganz sicher definieren, ganz abgesehen von dem Begriff Investitionen, der ebenfalls vergleichsweise unklar ist.
Dann ist gesagt worden,wir hätten keine Möglichkeit zum Nachsteuern mehr.Das ist ein Missverständnis des Maastricht-Vertrags. Der ist besser, als Sie vielleicht vermuten. Der Regelfall ist Null-Verschuldung. Die Differenz zwischen null und 3 % ist genau das, was man an Spielraum hat, um nachzusteuern im Falle von Konjunktureinbrüchen, die damit vielleicht ausgeglichen werden sollen.Abgesehen davon haben wir eine Regelung auf Bundesebene. Es war immer so, dass man einen Kredit zwar aufgenommen hat, aber die Rückführung der Kreditsumme anschließend nicht mehr erfolgt ist.Das hat sich eigentlich im Bund so nicht bewährt.
Herr Minister, ich bin Ihnen für die Zahlen sehr dankbar. Sie kennen sie besser als wir. Wir können immer nur schätzen; das ist gar keine Frage. Diese Zahlen sollten wir abgleichen.
Nur gehen Sie halt von einer Verteilung zwischen Bund und Ländern aus, die so sein kann, aber nicht so sein muss. Die Deutsche Bundesbank z. B. hat ausdrücklich festgestellt, dass sie dem Bund aufgrund seiner Aufgaben höhere Schulden zugesteht als den Ländern.