Herr Kollege Quanz, entschuldigen Sie mich bitte. – Es ist viel Unruhe im Saal. Ich möchte Sie bitte, Ihre Gespräche einzustellen oder draußen fortzusetzen.Vielen Dank.
Die Unruhe stört mich weniger. Mich stört eher, dass die Frau Ministerin – oder der Staatssekretär – bei dieser Debatte nicht anwesend ist. Ein Vertreter des Ministeriums wäre das Mindeste gewesen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ministerpräsident Roland Koch: Die Debatte war für 12 Uhr angekündigt! Die Ministe- rin kommt später!)
Herr Koch, wenn Sie jetzt zuhören, können Sie das weitergeben. Wenn Sie das übernehmen, was wir hier an Sinnvollem vortragen, kann das auch hilfreich sein.
Das Übergeordnete, von dem die VhU sprach, bedeutet für uns die Verbesserung von Unterrichtsstrukturen. Für uns heißt das die Förderung von Chancengerechtigkeit sowie die Verbesserung von Bildungschancen und die Entkoppelung von sozialen und regionalen Benachteiligungen.
Die Richtwerte führen genau zum Gegenteil. Wir wissen, dass Deutschland bei der Verknüpfung des Bildungserfolgs der nächsten Generation mit dem sozialen Status der Eltern Spitzenreiter ist.Nun sollen neben den sozialen Benachteiligungen auch noch Nachteile aufgrund der regionalen Herkunft entstehen. Das müssen wir ablehnen.
Jedes Kind hat die gleichen Bildungschancen verdient, egal in welchem Dorf, in welchem Stadtteil und in welchem Kreis es aufwächst. Dafür hat das Land die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen.
Der Rotstift des Finanzministers darf die Bildungspolitik nicht bestimmen, und die orwellsche Neusprache darf nicht benutzt werden, um neue Benachteiligungen zu positiven Entwicklungen zu verklären.
Die Ministerin will mit der Einrichtung von größeren Klassen Geld sparen. Sie verschlechtern damit die Arbeitsbedingungen von Tausenden von Schülerinnen und Schülern sowie von Tausenden von Lehrerinnen und Lehrern. Ich sage Ihnen: Das ist keine bildungspolitische Offerte, sondern eine finanzpolitische Offenbarung.
Ich wiederhole das gern: Selbstverständlich gibt es einen Grund dafür, dass die Klassen eine bestimmte Mindestgröße haben. Aber es darf nicht sein, dass Richtwerte an die Stelle von Mindestgrößen treten. Die Mindestgrößen sind notwendig. Eine pädagogisch sinnvolle Arbeit setzt die Mindestgröße einer Klasse voraus. Damit sind wir jahrzehntelang gut gefahren. Aber es ergibt keinen Sinn, über die Richtwerte die Klassengrößen insgesamt landesweit deutlich zu erhöhen.
Wir wissen, dass sich das Schülerverhalten verändert hat. Wir wissen, dass es heute viel mehr darauf ankommt, selbstständiges Lernen zu organisieren sowie das soziale Lernen und die Lernmotivation in den Mittelpunkt zu stellen.
Flexible Unterrichtsformen sind die notwendige Antwort darauf. Es ist richtig, wenn die Schulen selbst entscheiden können, mit flexiblen Gruppengrößen zu arbeiten. Aber es ist falsch, den Schulen vorzuschreiben, mit welchen Formen sie die Unterrichtsorganisation bestreiten.
Es ist garantiert falsch, zu meinen – das gehört zu den Zielbeschreibungen, die Sie vorgenommen haben –, mithilfe von größeren Klassen lasse sich die Abiturientenquote leichter erhöhen. Es ist schlicht falsch, zu sagen, mit größeren Klassen werde man die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss verringern. Genau das Gegenteil wird eintreten. Die größeren Klassen werden diese Entwicklung negativ beeinflussen.
Ein weiterer Skandal hängt mit dem Termin der Kommunalwahl zusammen. Sie greifen in die Rechte der Schulträger massiv ein. Sie greifen dort massiv ein, wo die Hessische Verfassung den Schulträgern Selbstverwaltung vorgibt.
In § 147 Hessisches Schulgesetz heißt es: „ Kommunale Schulträger üben ihre kommunalen Rechte und Pflichten als Selbstverwaltungsangelegenheiten aus.“
Mit einem Gesetz über die Richtwerte greifen Sie dort ein. Nicht aufgrund der kommunalen Verantwortung vor Ort wird dann entschieden, sondern Sie diktieren von Wiesbaden aus,an welcher Schule welcher Zweig erhalten bleibt oder nicht. Das ist schlicht ein Schlag in das Gesicht der kommunalen Schulträger.
Hinzu kommt, dass höhere Schülerbeförderungskosten entstehen.Auf denen bleiben die Schulträger sitzen.Aber auch die Eltern müssen tiefer in ihre Geldbeutel greifen, um die Schülerbeförderungskosten mit zu finanzieren.
In einigen Schulen werden Räume leer stehen. An anderen Schulen wird es zu einer räumlichen Enge kommen. All das geben Sie von Wiesbaden aus vor. Eine kommunalfreundliche und bürgernahe Politik sieht anders aus. Deshalb üben wir an dieser Stelle Kritik.
Frau Ministerin, es kommt zu völlig absurden Entwicklungen bei der Klassenbildung. Allein in meinem Wahlkreis gibt es an vier Schulstandorten Gymnasialklassen mit mehr als 35 Schülerinnen und Schülern. Das heißt, die Maximalgröße wird dort deutlich überschritten. Warum ist das so? Die Schulen sind gezwungen, in diesem Zweig statt zwei kleineren eine große Klasse zu bilden. Das führt dazu, dass eine große Klasse unter verschlechterten Bedingungen beschult wird, anstatt mit zwei kleineren Klassen flexibel arbeiten zu können. Dagegen steht das Angebot, mit flexiblen Klassengrößen zu arbeiten und mehr freiwillige Veranstaltungen zu organisieren. Das ist eine völlig unsinnige Entwicklung. Mit Qualitätsverbesserung – das ist doch Ihr Anspruch – hat das überhaupt nichts zu tun.
Die Antwort erhalten Sie im Moment. Wer in den letzten Wochen aufmerksam in den Pressespiegel geschaut hat, bekommt mit, dass die Eltern und die Schulen das landauf, landab nicht einfach hinnehmen.
Ich zitiere einige Schlagzeilen: „Schullandschaft: Zerschlagung durch die Hintertür“ – Kreis Offenbach –, „Drei Hauptschulen in der Wetterau droht das Aus: GRÜNE gegen Schließungspläne“, „ Kritik an Ministerin hält an: Schulzweigschließung – SPD, FDP und FWG im Kreistag rügen Entschließungen des Landes für drei Standorte im Kreis“ – Darmstadt-Dieburg –, „Rote Karte für die Kultusministerin“, „Schulprotest vor dem Kultusministerium“, „Sterben auf Raten“ – anschließender Kommentar von Herrn Schlieker im „Wiesbadener Tagblatt“ –, „Welle des Protests gegen Schulreform:Aktionsbündnis fordert Bestandsgarantie für Leuschner-Oberstufe“, „Appell an Wolff: FDP kämpft für Erhalt der Oberstufe in AKK“, „Scharfe Worte gegen die Ministerin“.
Hinzu kommt, dass Sie nicht nur den Schulen mit Schließungen drohen, wodurch die Angebote vor dem Aus stehen, sondern dass Sie auch die Änderungswünsche der Schulträger einfach ignorieren. Dort, wo eine neue Entwicklung einsetzen soll,sagen Sie:Dabei machen wir nicht mit.– Die Schulträger vor Ort können besser entscheiden, was Schulentwicklung für sie bedeutet, als das Ihnen von Wiesbaden aus möglich ist.
Dazu möchte ich Ihnen ein paar Zahlen nennen.Von dem Gesetz über die Richtwerte sind – wegen der Unterschreitung – nach Ihren eigenen Angaben 107 Bildungsangebote an 97 Schulen betroffen. Insgesamt sollen 32 Bildungsgänge an 28 Schulen auslaufen. Das heißt, dass zum Schuljahresbeginn 2006/2007 an diesen Schulen kein Unterricht in neuen Klassen oder Kursen aufgenommen wird.
Aber das zeigt nicht das ganze Ausmaß. Sie selbst teilen in der Presseerklärung mit, dass in weiteren 18 Schulen organisatorische Konsequenzen zu ziehen sind. Was heißt denn das?
Weiterhin teilen Sie mit, dass an anderen Schulen zusätzliche Auflagen und Bedingungen erfüllt sein müssen.Was heißt denn das? Das heißt, es besteht die Gefahr, dass zu Beginn des nächsten Schuljahres weitere Schulen in bestimmten Zweigen keine neuen Schüler aufnehmen können.Jetzt sind die Schulen aber gerade in der Phase,in der beraten wird: Die abgebenden Grundschulen setzen sich mit den Eltern in Verbindung, und die aufnehmenden Schulen tragen ihr Angebot vor.
Stellen Sie sich einmal vor, was dort passiert. Glauben Sie, dass eine gefährdete Schule die Chance hat, zusätzliche Schülerinnen und Schüler zu akquirieren? Genau das Gegenteil ist der Fall.Deswegen trägt Ihr Ansatz dazu bei, dass gerade in den Schulen, die schon gefährdet sind, aufgrund der öffentlichen Diskussion weitere Angebote kaputtgemacht werden. Das lehnen wir vehement ab.
Das ist schade, ich rede zum ersten Mal seit langer Zeit wieder. Die zehn Minuten Redezeit sind so schnell vergangen.
Drittens. Wer ein flexibles Unterrichts- und Schulsystem wohnortnah haben will,der muss konsequent den Weg gehen, alle Abschlüsse auch in dem integrierten System anzubieten. Das heißt, er muss überall im Land die gleichen Bildungschancen anbieten. Das ist unser Weg. Auf ihm werden wir weitergehen.
Vielen Dank, Herr Kollege Quanz. – Als nächster Redner hat sich Herr Kollege Beuth für die CDU-Fraktion zu Wort gemeldet.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Quanz – lieber Vizepräsident des Hessischen Landtags und Mannschaftsführer der Landtagself –, lassen Sie mich von dieser Stelle aus einen großen Bogen schlagen. Ich glaube, die Landesregierung und die Mehrheitsfraktion haben keine Nachhilfe in der Bildungspolitik verdient – schon gar nicht von der SPD.
Wenn ich daran denke, was seit 1999 in der Bildungspolitik geschehen ist, von der Unterrichtsversorgung bis zur Unterrichtsqualität
„Atemberaubend!“, ruft Herr Kollege Wintermeyer, ich kann ihn nur bestätigen –, stelle ich fest, dass dies sehr solide und wohl überlegt war. Deswegen weise ich Ihren Versuch, uns Nachhilfe zu geben, entschieden zurück.