Protocol of the Session on June 8, 2005

Ich komme zum Schluss und stelle fest: Der Sommer lässt noch auf sich warten, aber das schwarze Sommertheater ist schon in vollem Gang. Mal sehen, ob es nach dem letzten Akt nicht doch die Tragödie der Union mit der tragischen Heldin im Untergang geben wird. – Ich bedanke mich.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP)

Als nächstem Redner erteile ich Herrn Abg. von Hunnius für die Fraktion der FDP das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Überrascht konnte eigentlich niemand sein: Der Arbeitskreis Steuerschätzungen hatte – wie schon achtmal zuvor – eine zu optimistische Steuerprognose vorgelegt. Überrascht konnte eigentlich niemand sein: Das von der Bundesregierung angegebene Wachstumsziel für das laufende Jahr wird wieder einmal verfehlt, wie schon in so vielen Jahren zuvor.

Schuld an der Steuerschätzung ist nicht der Arbeitskreis, schuld an der Steuerschätzung ist die von der Bundesregierung bewusst überzogene Wachstumsvorgabe, die logischerweise zur Schätzung überhöhter Einnahmen führt.

(Norbert Schmitt (SPD):Schuld ist die Konjunktur! Das haben auch alle Institute gesagt!)

Herr Kollege Schmitt, schuld an der miserablen Wirtschaftspolitik – die Deutschland die rote Laterne im Reigen aller EU-Mitgliedstaaten eingebracht hat – ist nicht der französische Staatspräsident Chirac, auch nicht Guido Westerwelle, um das gleich zu sagen. Schuld sind nicht irgendwelche überirdischen Mächte, die sich gegen Deutschland verschworen haben. Schuld sind nicht ausländische Heuschrecken, die unser Land überfallen haben. Schuld ist einzig und allein die Politik der Bundesregierung und damit die Bundesregierung selbst.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wer diese Politik ändern will, erreicht dies sicherlich nicht, indem er Chirac beschimpft, sich über Westerwelle beschwert, düsteren Mächten nachspürt oder sich eine große Heuschreckenklatsche anschafft, sondern er erreicht es, indem er eine schlechte Bundesregierung gegen eine bessere austauscht.

(Beifall bei der FDP)

Die Chance dazu besteht voraussichtlich noch in diesem Herbst. So ganz genau weiß man nicht, wer noch vor- oder zurücktritt, wer noch reingehievt wird. Da gibt es noch lebhafte Diskussionen in der SPD. Warten wir es einmal ab.

Aber, Herr Ministerpräsident Koch und Herr Finanzminister Weimar, damit darf das Bemühen um eine gute Finanzpolitik im Lande Hessen nicht enden.

Bei der Aufstellung des Landeshaushaltes für das Jahr 2004 haben Sie die Wachstumsprognose der Bundesregierung richtigerweise halbiert.Sie haben nicht geglaubt,was Eichel gesagt hat. Das war voll und ganz zutreffend, denn wir haben gemerkt, dass trotzdem die Steuern nicht eingegangen sind, die damals geschätzt wurden. Das war also eine überaus weise Vorsichtsmaßnahme und wurde von uns gelobt.

Im Jahr 2005 haben Sie beschlossen, dass Eichel und Clement Ehrenmänner sind,und deren Zahlen übernommen. Meine Damen und Herren, das war vorsätzlich falsch.

(Beifall bei der FDP)

Bei der Aufstellung des Landeshaushalts 2004 haben Sie die schon häufig zitierte „Operation sichere Zukunft“ verkündet. Deren Auswirkungen waren zwar weit bescheidener als vorausgesagt, aber es lagen ihr zwei wichtige und richtige Erkenntnisse zugrunde. Die erste lautete: Um den Haushaltsausgleich zu schaffen, müssen die Ausgaben den Einnahmen – und nicht die Einnahmen den Ausgaben – angepasst werden.

(Beifall bei der FDP)

Die zweite Erkenntnis war: Die Personalausgaben lassen sich strukturell nur senken, wenn der Personalbestand sinkt.

Im Jahr 2005 haben wir zwar eine Folgewirkung der „Operation sichere Zukunft“, aber ein neues Einsparprogramm ist mitnichten verkündet worden. Im Gegenteil, eine Reihe von Positionen, die damals gekürzt wurden, sind erneut aufgestockt worden. Damit wurde der Spareffekt zunichte gemacht.

Das war kurzsichtig. Denn schon im Haushaltsplan 2005 hat das zu einer Neuverschuldung von 1,1 Milliarden c geführt – eine Neuverschuldung weit über der Verfassungsgrenze. Es war kurzsichtig, weil es sich jetzt angesichts zurückbleibender Steuereinnahmen bitter rächt.

Dies macht eines deutlich: Diese Landesregierung verfügt über kein konsistentes glaubhaftes und langfristig angelegtes Konzept zur strukturellen Haushaltskonsolidierung. Sie kuriert an Symptomen, zugegeben, hat aber nicht den Mut, an die Ursachen heranzugehen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Auch ein Vergleich mit den Leistungen anderer ist wenig tröstlich. Zunächst einmal der Vergleich mit der Bundesregierung,die nur noch überlegt,in welchen Worten sie ihren Insolvenzantrag am besten formuliert. Diesen Vergleich wird man wirklich nicht wählen dürfen, das wäre unfair für die Landesregierung.

(Beifall bei der FDP)

Widmen wir uns dem Vergleich mit anderen Bundesländern, wie der Kollege Boddenberg das in einer Presseinformation getan hat. Legen wir dabei als entscheidende Größe den Finanzierungssaldo zugrunde, dann liegt Hessen beim Saldo pro Kopf der Bevölkerung auf Platz 8 von 13 Flächenbundesländern. Das kann so richtig beruhigend nicht sein.

(Reinhard Kahl (SPD): Richtig!)

Es stimmt zwar, Mecklenburg-Vorpommern, NordrheinWestfalen und Thüringen liegen hinter Hessen, aber das kann uns sicherlich nicht zufrieden stellen.

Das Ziel, das langfristige Ausgabenniveau den langfristigen Einnahmen anzupassen, ist erreichbar. Davon sind wir voll und ganz überzeugt.

Sehen wir uns die Steuereinnahmen des Landes Hessen in den letzten Jahren doch einmal an. Da wird immer über Steuerlöcher diskutiert. Man weiß nie: Wie entsteht das Loch? Worauf ist das Loch bezogen? Wird es auf eine ältere Prognose bezogen, auf eine Wunschvorstellung oder auf das Ist?

Nehmen wir einfach einmal die Iststeuereinnahmen der Jahre 2004, 2005 und 2006 – für 2005 und 2006 jeweils die letzte Prognose. Im Jahr 2004 hatte Hessen Steuereinnahmen in Höhe von 11,2 Milliarden c. Nach der letzten Prognose werden es im Jahre 2005 11,5 Milliarden c sein, im Jahre 2006 11,7 Milliarden c.Auch wenn wir sicherheitshalber weitere Abschläge bei der letzten Steuerschätzung vornehmen – es ist sicherlich weise, das zu tun –, dann sehen wir: Die Steuereinnahmen sind im Wesentlichen konstant.

(Minister Karlheinz Weimar:Was? 1998er-Niveau!)

Ich habe es gerade vorgelesen. Herr Minister, ich habe Ihnen die Zahlen von 2004 bis 2006 vorgelesen.Diese sind konstant, unbestritten; sie steigen sogar geringfügig.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): In der Prognose!)

Ja, natürlich.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Aber wenn man die 300 Millionen c abzieht?)

Nein, das ist die Prognose nach Abzug der 300 Millionen c für 2005 und der 720 Millionen c für 2006. Leute, ich nehme die Schätzung des Arbeitskreises Steuerschätzung en, letzter Stand vom Mai 2005; diese Zahlen habe ich Ihnen eben vorgelesen. Diese Zahlen hat die Regierung selbst veröffentlicht, das ist unbestritten. Darüber müssen wir nicht streiten. Sie müssten, könnten und sollten steigen, keine Frage. Sie tun es nicht. Sie sind viel zu

gering. Herr Minister, das Niveau ist viel zu gering, aber seit 2004 sind sie konstant, sie steigen sogar geringfügig. Und das gilt nach der Abführung an den LFA – zur Klarstellung.

Eine strukturelle Sanierung des Landeshaushalts setzt zweierlei voraus: Klarheit in den Zielen und Klarheit in der Strategie.

Was heißt für uns Liberale Klarheit in den Zielen? Das heißt zunächst einmal: runter mit der Neuverschuldung, unter die Verfassungsgrenze; dann eine Nullneuverschuldung; dann Nettotilgung. Stattdessen sieht die Landesregierung bis zum Jahr 2008 lediglich eine Verminderung der Neuverschuldung auf 700 Millionen c vor. Nach den letzten Zahlen scheint mir auch das nicht mehr realistisch zu sein.

(Beifall bei der FDP)

Zweites klares Ziel, wie wir es sehen: konsequenter Abbau der Personalausgaben – als absoluter Betrag wie als Anteil an den bereinigten Gesamtausgaben. Stattdessen sieht die Landesregierung bis zum Jahr 2008 nach ihrer eigenen Finanzplanung eine Steigerung der Personalausgaben und eine unverändert hohe Personalausgabenquote vor.

Drittens.Für uns ist klar:Ein klares Ziel muss der Vorrang für die Prioritätsbereiche Bildung und Hochschulen sein. Stattdessen hat die Landesregierung den Hochschulpakt aufgekündigt und spricht über Senkungen oder Nichtsenkungen – jedenfalls hat sie den Prioritätscharakter dieser beiden Bereiche nicht weiter durchhalten können.

Strukturelle Sanierung setzt aber auch Klarheit in der Strategie voraus. Strategie heißt für uns zum einen: konsequente Aufgabenkritik in allen Bereichen und auf allen Ebenen der Landesverwaltung. Stattdessen werden Personalkürzungsvorgaben – deren Zustandekommen zumindest niemand von der Landesregierung erklären konnte, die vom Himmel fallen oder willkürlich sind – gemacht,und die betroffenen Bereiche müssen sich nach der Decke strecken. Das heißt, die Aufgaben definieren sich daraus, welches Personal aufgrund dieser Vorgaben zur Verfügung steht.

Zweite Strategie: Konzentration der Landesverwaltung auf den Kernbereich staatlicher Tätigkeit. Der müsste zunächst einmal definiert werden. Dazu aber sehen wir bei der Landesregierung keinen Ansatz.

Drittens. Klarheit in der Strategie verlangen wir in Bezug auf das Landesvermögen. Wir möchten gern das Landesvermögen durch gezielte Privatisierung, Verkauf von Beteiligungen sowie die Veräußerung von Grundvermögen aktivieren. Eine Beteiligungspolitik, die diesen Namen verdiente – wir haben dazu Berichtsanträge gestellt –, konnte leider nicht identifiziert werden.

Mit der Veräußerung wichtiger Landesbeteiligungen könnte – das hat Jörg-Uwe Hahn durch eigene Gespräche eruiert – innerhalb kürzester Zeit ein zehnstelliger Betrag aktiviert werden, der die Zinsausgaben bereits im kommenden Jahr sinken ließe und den Handlungsspielraum des Landes vergrößern würde. Es wäre nicht verkehrt, dem einmal nachzugehen.

Letztlich fordern wir Klarheit der Strategie in einer Reduzierung,Befristung und Neuausrichtung der Subventionen. Hier warten wir interessiert auf Vorschläge.

Statt langfristig ausgerichteter finanzpolitischer Aktion erfolgt kurzfristige, taktisch bestimmte und zudem noch verspätete Reaktion: Am 17. Mai gibt der Finanzminister

bekannt, dass für das Jahr 2005 mit Steuermindereinnahmen in Höhe von 330 Millionen c nach LFA zu rechnen ist, im Jahr 2006 mit 720 Millionen c nach LFA. Statt sofort eine totale Ausgabensperre zu verhängen,um die weiteren Maßnahmen in Ruhe planen zu können, wartet er bis zum 31. Mai, bis irgendetwas geschieht. Aber was geschieht dann? Die haushaltswirtschaftliche Sperre nach § 41 LHO ist in Wahrheit ein Haushaltssperrchen, denn bezogen auf ein Gesamtvolumen der bereinigten Ausgaben von ca. 18 Milliarden c werden – man höre und staune – die sächlichen Verwaltungsausgaben um 2 % reduziert.

Das sind 20 Millionen c. Es sind steigende Einnahmen durch Gebühren vorgesehen. Es werden weniger Zinseinnahmen vorgesehen. Bei vorfinanzierten Maßnahmen kommt es zu Kürzungen, die nach Angaben des Finanzministers zwischen 1 Million und 9 Millionen c liegen. Die Zuwendung aus Lottomitteln wird um 230.000 c reduziert.Dies alles macht nach Schätzung des Ministers zusammen 100 bis 120 Millionen c im Jahr 2005 aus. Von diesem Betrag bezieht sich ein großer Teil nicht auf Kürzungen, sondern er wäre im Haushaltsvollzug ohnehin entstanden. Insofern kann man nicht von einer Haushaltssperre sprechen,sondern hier sind ein paar Dinge zusammengekehrt worden, von denen man erwarten kann, dass man sie ohnehin erwirtschaftet. Das alles zusammengestellt und daraus eine Sperre gemacht, und das wars – Herr Minister Weimar, so sieht eine konsequente und entschlossene Einsparpolitik, wie wir meinen, nicht aus.

(Beifall bei der FDP)