Protocol of the Session on June 8, 2005

Meine sehr verehrten Damen und Herren, schließlich erwarten wir, von Ihnen zu hören – damit schließt sich der Bogen zur Debatte von heute Morgen –, welche finanzpolitischen Konzepte Ihre Landesregierung vertritt, insbesondere wie die Landesregierung in Zukunft im Bundesrat zu diesen das Land Hessen, die Finanzsituation des Landes Hessen betreffenden Fragen Stellung zu nehmen gedenkt.

Allein die Ankündigung von Neuwahlen – das muss man sagen – hat alle Parteien ein bisschen in Unruhe versetzt. Ich gebe zu, auch in meiner Partei ist im Moment große Unruhe, was die Neuwahlen angeht, insbesondere wer dem Kanzler am meisten vertraut. Aber der Wettstreit verdeckt in der medialen Öffentlichkeit leider ein wenig die Diskussion, die momentan innerhalb der Union, ein Stück weit auch innerhalb der FDP, läuft.

Mein Eindruck ist, dass die Union im Vorfeld der zu erwartenden Bundestagswahl etwas Abstand nimmt von ihrer bisherigen Strategie des Blockierens und Beschimpfens der rot-grünen Bundesregierung. Mittlerweile steht all das, was in den vergangenen Jahren des Teufels war, all das, womit die Hessische Landesregierung, auch Sie, Herr Ministerpräsident, in Person, Wahlkampf in Hessen betrieben haben, sehr wohl zur Diskussion. Da wären: Eigenheimzulage abschaffen, Pendlerpauschale runter,AfA beschweren, Steuerreform ohne Nettoentlastung, Steuerfreibeträge für Schicht- und Wochenendarbeit weg, Mehrwertsteuer auf 17, 18, 19, 20 % rauf.Wer bietet mehr? Das sind doch die Debatten, die momentan in der Union laufen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus dem Off ruft der arme Herr Böhr aus RheinlandPfalz: Das ist doch Wahnsinn, was ihr hier diskutiert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren der Union, ich glaube, diese Ankündigung der Neuwahlen hat bei Ihnen einen Prozess in Gang gesetzt, der relativ interessant ist. Aber wir als Parlament erwarten, dass Sie nicht nur in den verschiedenen Medien verschiedene Dinge erklären, sondern – Herr Ministerpräsident, das richtet sich jetzt an Sie – dass Sie dem Hessischen Landtag Rede und Antwort darüber stehen,

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

was wir denn zukünftig von einer steuer- und finanzpolitischen Konzeption dieser Landesregierung zu erwarten haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt höre ich von rechts, das sei alles ganz klar.

(Reinhard Kahl (SPD):Was?)

Manchmal ist es hilfreich, dass wir gewisse Überhänge in diesem Landtag haben. Einer der Anträge, die heute mit

aufgerufen sind, stammt von der CDU und ist vom Stand Ende März. Er betrifft das famose „Steuerkonzept 21“. Die Zahl 21 steht wahrscheinlich für das 21. Jahrhundert, in das uns dieses Steuerkonzept hinbewegen soll oder wo wir angekommen sind, also ein Konzept für unsere Zeit.

Aber es ist unbestritten: Herr Koch, Sie selbst und Ihre Partei gehen davon aus, dass dieses „Steuerkonzept 21“ etwas über 20 Milliarden c kosten wird, mit einer Gegenfinanzierung durch Streichung von Steuersubventionstatbeständen in Höhe von knapp 10 Milliarden c, ungerade gerechnet.

Nach Ihrem eigenen Antrag, den Sie in den Bundestag eingebracht haben und der am 02.06. diskutiert wurde, gehen Sie also davon aus, dass das „Steuerkonzept 21“ zu Steuermindereinnahmen von 10,6 Milliarden c führt.Gestern habe ich relativ erstaunt die Aussage des Hessischen Ministerpräsidenten gelesen – die Meldung war aus Spiegel-online, es war aber wohl ursprünglich eine Zeitung –, dass der Herr Ministerpräsident ausgesprochen skeptisch sei, was die Nettoentlastung angehe.

(Ministerpräsident Roland Koch:Wenn ich die Sub- ventionen dagegen streiche!)

„Roland Koch stimmt die Bevölkerung schon einmal auf härtere Zeiten ein. Zwar werde es eine Steuerreform geben, aber keine Steuerentlastung.“ Herr Ministerpräsident, beides geht nicht. Entweder 10,6 Milliarden c Steuermindereinnahmen oder keine Steuerentlastung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ministerpräsident Roland Koch: Die Subventionen dagegen streichen!)

Die Subventionen sind in Ihrem Konzept bereits gestrichen. Das „Steuerkonzept 21“ sieht die Streichung aller Steuersubventionstatbestände vor. Ohne die Streichung beträgt die Nettoentlastung 21 Milliarden c. Es lohnt sich, gelegentlich die eigenen Papiere zu lesen und nicht nur darüber zu reden. Sie sehen vor, dass die Steuereinnahmen um 10,6 Milliarden c geringer ausfallen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb werden wir, etwas ungewöhnlich in dieser Debatte, heute diesen Punkt des CDU-Antrages, dass dieses schlüssige „Steuerkonzept 21“ das Richtige sei, zur Abstimmung stellen. Dann haben Sie, Herr Ministerpräsident, zwei Möglichkeiten. Entweder nehmen Sie das, was Sie gestern gesagt haben, zurück und sagen: „Wir versprechen den Leuten,dass wir auch zu einer Nettoentlastung kommen“. Oder Sie müssen im Hessischen Landtag gegen diese Steuerkonzeption 21 stimmen. Aber beides nicht geht – entweder Nettoentlastung Ja oder Nettoentlastung Nein. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist keine politische, das ist eine logische Frage.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, dann interessiert uns auch, wie Sie mit den Fragen der Steuersubventionen umgehen. Ich habe die Reden herausgesucht, die Sie insbesondere zur Eigenheimzulage gehalten haben: dass die Abschaffung der Eigenheimzulage den sofortigen Bankrott aller hessischen Baufirmen bedeuten würde. Es wären am Anfang doch relativ geringe Minderausgaben des Staates, die sich erst nach sieben, acht Jahren kumulieren – was richtig ist.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

All das, was Sie jetzt erklären, korrespondiert aber nicht mit dem, was Sie uns hier erklärt haben, womit Sie uns im Wahlkampf auch getrieben haben, Herr Ministerpräsident, beispielsweise mit der Pendlerpauschale. Deswegen denke ich: Jetzt ist es an der Zeit, dass Sie einmal nicht in die Luft reden, sondern dass Sie uns vor dem Hessischen Landtag Rede und Antwort stehen.– Man kann es so oder so machen. Aber so, wie Sie es bislang machen, geht es nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Finanzminister, ich komme zu Hessen. Ich habe vorhin gesagt: „katastrophale Situation“. Ich glaube, das ist unbestritten. Das gilt auch für andere Länder, das gilt auch für den Bund.

Ich möchte noch einmal die Eckwerte nennen, wo wir in unserem Land momentan stehen. Die Schulden betragen Pi mal Daumen – das wird immer mehr; jede Stunde steigen die Schulden um ungefähr 200.000 c – 31 Milliarden c. Herr Finanzminister, im Jahre 2005 haben Sie den vierten verfassungswidrigen Haushalt in Folge vorgelegt. Allein für das Jahr 2005 betragen die neuen Schulden 1,2 Milliarden c. Rechnet man die 850 Millionen c aus Ihrem Sale-and-rent-back hinzu – das muss mit hineingerechnet werden –, dann sind wir bei dem uns schon seit Jahren begleitenden strukturellen Haushaltsdefizit in unserem Land von Pi mal Daumen 2 Milliarden c. Das hat sich die letzten drei, vier Jahre nicht wesentlich verändert. Wenn ich jetzt noch die 330 Millionen c, die in diesem Jahr an Steuermindereinnahmen prognostiziert sind, hinzurechne, komme ich auf 2,4 Milliarden c. Für das nächste Jahr sind sogar 720 Millionen c geringere Einnahmen vorgesehen, sodass wir im nächsten Jahr mit einem strukturellen Defizit – wenn wir nicht gegensteuern – von knapp 3 Milliarden c rechnen.

Das sind alles keine politischen Aussagen. Das ergibt ein Blick in den Haushalt. Herr Finanzminister, an dieser Stelle sage ich eines sehr deutlich: 31 Milliarden c Schulden, an die 3 Milliarden c strukturelles Defizit – in einer solchen Situation hat das Land keine 13,3 Millionen c für den Kauf des Odenwälder Schlosses.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Roland von Hunnius (FDP))

Ich hätte das jetzt auch anders machen können und hätte über verarmte Grafen und über Zusagen des Herrn Ministerpräsidenten reden können. Das will ich gar nicht tun. Ich will an der Stelle gar nicht polemisch sein. Es gibt Dinge, über die man in finanzpolitisch normalen Zeiten nachdenken kann. Ich und die gesamte SPD-Landtagsfraktion haben Verständnis für die Position unseres Landrates im Odenwaldkreis. Wenn ich Landrat wäre, würde ich mir das auch wünschen.

(Gerhard Bökel (SPD): Ja, wenn ich 13 Millionen c kriegen kann, nehme ich die doch!)

Nur, Herr Finanzminister, Herr Ministerpräsident, wir leben eben nicht in normalen Zeiten. Wir leben in einer Zeit, in der das Land abzusaufen droht.

(Beifall bei der SPD)

In einer Zeit, in der Sie anfangen, bei den Hochschulen und bei der Bildung zu sparen, ist das schlicht das falsche Zeichen. In solchen Zeiten ist nicht alles, was man sich irgendwie wünscht, möglich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesen schwierigen Zeiten ist es schwer genug, in die Köpfe unserer Kinder zu investieren. Wir können dann aber nicht in Hirschgeweihe statt in die Köpfe der Kinder investieren. Herr Finanzminister, das geht nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme noch einmal zu der Forderung nach einem Nachtragshaushalt. Nach den aktuellen Steuerschätzungen werden die Haushalte der meisten Bundesländer verfassungswidrig sein. Dieses Problem haben wir in Hessen nicht, weil der Haushalt im Jahre 2005 in Hessen bereits im Entwurf verfassungswidrig war. Die CDU-Mehrheitsfraktion hat diesen verfassungswidrigen Haushalt bereits beschlossen. Das heißt, der Finanzminister hat offensichtlich die Einstellung: Na ja, in den anderen Ländern diskutieren sie jetzt darüber, ob sie es noch schaffen, die Verfassung einzuhalten. Ich muss das nicht. Ich habe bereits gegen die Verfassung verstoßen, und ob noch 330 Millionen c mehr an Schulden draufkommen oder nicht, mein Gott, Verfassungsverstoß ist Verfassungsverstoß. – Herr Finanzminister, das geht so nicht. So kann man in einem Land keine seriöse und ordentliche Finanzpolitik machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich gestehe Ihnen zu, es kostet Anstrengung, Fleiß und Mehrarbeit – all diese Dinge,die wir als Politiker fordern –, einen solchen Nachtragshaushalt aufzustellen.Aber es ist notwendig. Es ist richtig im Sinne der Haushaltsklarheit und der Haushaltswahrheit.

Ich glaube, die FDP fordert den Nachtragshaushalt zum gleichen Zeitpunkt. Wir sagen: vor der Sommerpause. Es muss in Ihrem Hause doch möglich sein, diesem Landtag vor der Sommerpause die Wahrheit über den finanziellen Zustand in unserem Land zu sagen, weil wir nur so unsere Aufgabe,unsere Pflicht als Parlament wahrnehmen und in diesem Land die Kontrolle der Regierung ausüben können,Herr Finanzminister.Nicht nur die SPD-Fraktion,die FDP-Fraktion und die GRÜNEN in diesem Hause fordern einen Nachtrag. Sie würden in Ihrer schnodderigen Art sagen: Das ist ein Spiel, das momentan alle Oppositionsfraktionen machen. Das macht sogar die CDU-Oppositionsfraktion im Bundestag. In Berlin – das Spiel können wir auch – wird wieder ein Nachtrag gefordert, in Hessen nicht. In Berlin ist es übrigens ein Hesse, der den Nachtrag fordert: Herr Meister, der neue finanzpolitische Sprecher.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Roland Koch)

Ich habe die Rede hier. Der Herr Ministerpräsident lacht an dieser Stelle ein bisschen zynisch.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Roland Koch)

Aber eigentlich stimmt es. Er fängt mit den Schulden an und sagt: „Nach 2002, 2003, 2004 und 2005 werden wir auch im kommenden Jahr wieder keinen verfassungsgemäßen Haushalt haben“. Er beschimpft die Bundesregierung und sagt, sie stehe nicht mehr auf dem Boden des Rechts.All dies trifft auf Ihre Landesregierung zu.

(Zuruf von der CDU: Lesen Sie vor! – Weitere Zu- rufe von der CDU)

Das ist immer das Problem bei Ihnen.Was ich hier mache, ist doch eher ungewöhnlich. Ich will an der Stelle deutlich machen, dass die in Berlin die finanzpolitischen Probleme haben und dass wir sie hier haben und dass die Forderung nach einem Nachtragshaushalt, den Ihr Kollege Dr. Meister stellt, möglicherweise aus Sicht eines Parlamentariers vertretbar ist, der sich um seinen Job kümmert und der nicht nur sagt: Was von der SPD kommt, ist schlecht, und was von der CDU kommt, ist gut.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg.Michael Bod- denberg (CDU))

Das Ganze münzt darin – ich könnte das hier durchgehen –:

Wir fordern Sie auf, unverzüglich einen Nachtragshaushalt 2005 in den Deutschen Bundestag einzubringen, der die voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben für das laufende Jahr und auch die Neuverschuldung wahrheitsgemäß und realistisch abbildet. Denn nur auf dieser Grundlage können wir Maßnahmen ergreifen, um dagegen anzugehen.