Protocol of the Session on April 28, 2005

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

und ich habe deutlich gemacht, dass wir in Hessen dafür stehen, dass es eine Bekenntnis-Religionsunterricht gibt, dass der Verfassungsartikel gilt und dass wir daneben für die Kinder, die keiner Glaubensgemeinschaft angehören, Ethikunterricht als obligatorische Alternative haben wollen, weil es wichtig ist, dass sich auch diese Kinder mit Wertmaßstäben, mit Orientierungen, mit Normen auseinander setzen und dafür einen spezifischen Unterricht erhalten.

Das ist die Debatte, die wir in Hessen zu führen haben. Wir haben hier nicht die Berliner Debatte zu führen, die eine andere Verfassungsgrundlage hat. Die Politiker in Berlin müssen überlegen, wie sie eine Klammer zwischen einem Unterricht für die Kinder, die bekenntnislos sind, und den Kindern bilden können, die einer Religionsgemeinschaft angehören. Dass dies jetzt auch im Hinblick darauf debattiert wird, wie sie die Kirchen einbeziehen können, halte ich für die Berliner Situation für richtig. Aber wir müssen unsere eigenen Probleme klären. Davon haben wir genug, auch wenn der obligatorische Religionsunterricht bei uns nach der Verfassung so bleiben sollte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner hat Herr Abg. Pighetti, SPD-Fraktion, das Wort.

Frau Präsidentin,meine Damen und Herren! Wer sich den vorliegenden Antrag der CDU-Fraktion mit dem Titel „Religionsfreiheit und Religionsunterricht – gegen einen staatlichen Zwangs-Werteunterricht“ einmal anschaut – die Rede von Frau Kölsch hat das vorhin bestätigt –, für den ist ganz offensichtlich, dass Sie wieder einmal einen Popanz gesucht und in den Landtag geschleppt haben. Sie haben ihn hier mit aller Macht aufgeblasen und aufsteigen lassen, um ihn schließlich mit gewaltiger Inbrunst abschießen zu können.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren von der Union, das ist keine seriöse Politik. Das ist Klamauk.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Hoff (CDU): Du bist doch normalerweise besser!)

Keine Sorge, ich komme schon zum Thema.

Lassen Sie uns Ihren Antrag doch einmal etwas genauer beleuchten. Er beginnt damit, dass die Religionsfreiheit als eines der grundlegenden Menschenrechte in Deutschland geschützt werden muss, endet damit, dass die Landesregierung darauf hinwirken soll, die Freiheit der Religion gegenüber dem Staat zu erhalten, und in der Mitte wenden Sie sich gegen – so wörtlich – jeden Versuch,einen staatlichen Werteunterricht einzuführen, von dem sich auch religiös gebundene Schüler nicht abmelden können. Meine Damen und Herren von der Union, Frau Hinz hat schon darauf hingewiesen: Ist Ihnen eigentlich irgendjemand hier in Hessen bekannt, der Derartiges einführen will?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und wer bedroht denn hier die Religionsfreiheit? Aus den Reihen der Opposition ist mir niemand bekannt, und Sie selbst scheinen es ja auch nicht vorzuhaben. Da stellt sich also höchstens die Frage, ob in den Reihen der Landesregierung irgendetwas geplant ist, von dem hier keiner etwas weiß.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Das ist vielleicht der Hintergrund!)

Ein erstes Hinsehen zeigt also schon, dass der Antrag mit Hessen nichts, aber auch rein gar nichts zu tun hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie immer, wenn das der Fall ist, richten Sie Ihren Blick sofort nach Berlin. Ihr Lieblingsthema, die rot-grüne Bundesregierung, gibt diesmal nichts her; aber siehe da, in Berlin gibt es zum Glück auch noch eine Landesregierung.

(Heiterkeit bei der SPD – Jürgen Walter (SPD): Wie ist das eigentlich in Düsseldorf?)

Genau das ist die Stoßrichtung, auch wenn es in dem Antrag nirgendwo so steht.

Reden wir also einmal einen Moment darüber, worum es geht. Reden wir über Berlin, über die dortige Situation und die gesetzlichen Grundlagen. Ansonsten, meine Damen und Herren von der Union, macht Ihr Antrag überhaupt keinen Sinn.

In Berlin gibt es seit mehr als 50 Jahren einen freiwilligen Religionsunterricht in Verantwortung der Kirchen, von der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Im Gegensatz zu den anderen Bundesländern ist Berlin nämlich – auch darauf ist schon hingewiesen worden – nach Art. 141 des Grundgesetzes, der so genannten Bremer Klausel, nicht dazu verpflichtet, einen Religionsunterricht verpflichtend anzubieten.

(Mark Weinmeister (CDU): Das hat Frau Hinz auch schon gesagt!)

Ihnen kann man es ja nicht oft genug sagen, damit Sie es wenigstens einmal verstehen.

(Beifall bei der SPD)

Mit anderen Worten noch einmal: Während sich bei uns Schülerinnen und Schüler vom verpflichtenden Religionsunterricht abmelden müssen, können sie sich in Berlin zum freiwilligen Religionsunterricht anmelden. Wer über dieses Thema redet, sollte dies wissen.

Zweiter Punkt.Gerade einmal 21 % der Oberschüler nehmen in Berlin am katholischen bzw. evangelischen Religionsunterricht teil, weitere 5 % an einem anderen Weltanschauungsunterricht. Mit anderen Worten: Drei von vier Berliner Schülerinnen bzw. Schülern nehmen derzeit an keinerlei Religionsunterricht oder Weltanschauungsunterricht teil. Wie man vor diesem Hintergrund zu der Einschätzung kommen kann, der Religionsunterricht werde durch die Einführung eines gemeinsamen Werteunterrichts aus der Schule herausgedrängt, ist mir schleierhaft. Es scheint doch haargenau das Gegenteil der Fall zu sein.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Quatsch, was Sie da erzählen!)

Über den Werteunterricht können die Kirchen die Religion und ihre Werte allen Schülern darstellen. Das heißt, die Auseinandersetzung mit Kirche, Glauben und Werten kehrt für 75 % der Schülerinnen bzw. Schüler eines Jahrgangs überhaupt erst wieder in die Schule zurück.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört! – Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein dritter Punkt. Der bisherige freiwillige Religionsunterricht wird zu 90 % vom Land Berlin finanziert. Dieser Unterricht wird auch nach Einführung des Werteunterrichts wie bisher angeboten und vom Land finanziert. Mit anderen Worten: Es gibt im Moment in Berlin einen freiwilligen Religionsunterricht an den Schulen, der staatlich finanziert ist.Wie wird die Situation nach Einführung des neuen Fachs sein? Ganz einfach: Es wird dort weiterhin den gleichen freiwilligen Religionsunterricht an der Schule geben, der staatlich finanziert ist. Die Einschnitte, von denen hier gesprochen wird,gibt es also offensichtlich gar nicht, meine Damen und Herren. Religionsunterricht war zusätzlich, und er bleibt zusätzlich. Mehr noch: Wenn wieder alle Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs mit Religion in Kontakt kommen, wird es gewiss auch einige unter ihnen geben, die wieder Lust auf konfessionellen

Unterricht bekommen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was hier an die Wand gemalt wird.

Ein vierter Punkt. In der Bundeshauptstadt leben Menschen aus 190 verschiedenen Ländern. Dort fühlen sich 130 verschiedene Religionsgemeinschaften zu Hause. Mit anderen Worten:Berlin ist eine Einwanderungsstadt – das mag Ihnen nicht gefallen –, die für kulturelle und religiöse Vielfalt steht. Man kommt dort überhaupt nicht umhin, zumindest wenn man an den Lebensrealitäten nicht völlig vorbeigehen will, diese Tatsache auch in den Bildungseinrichtungen zu berücksichtigen.

(Beifall bei der SPD)

Wir können also noch einmal festhalten: Die Situation ist in Berlin eine gänzlich andere als bei uns in Hessen oder etwa in Rheinland-Pfalz. Das ist deswegen überhaupt kein Problem, meine Damen und Herren von der Union. Zur Abbildung verschiedener Traditionen und Lebensrealitäten haben wir in Deutschland ein ganz hervorragendes Instrumentarium.Das ist der Länderföderalismus.Betonen nicht gerade Sie immer wieder, dass gerade die Bildungspolitik ein Kernelement der Länderkompetenz ist? Warum mischen Sie sich dann von Wiesbaden aus in die Berliner Schulpolitik ein, die doch ganz offensichtlich eine Sache des Landes Berlin ist?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von der Union, Ihr Ministerpräsident hat nicht nur dazu beigetragen, dass für Deutschland die so wichtige Föderalismuskommission zu Fall gekommen ist, nein, er blockiert auch noch jede noch so sinnvolle Initiative des Bundes in Sachen Schule und Hochschule, und zwar immer mit dem gleichen Argument, die Bildung sei Ländersache, hier habe sich der Bund herauszuhalten. Sie selbst haben gestern hier im Landtag einen Antrag verabschiedet, aus dem ich zitieren darf:

Der Landtag fordert die Landesregierung dazu auf, sich weiterhin für die Leistungsfähigkeit und Eigenständigkeit der Länder in den Bereichen Bildung und Wissenschaft einzusetzen. Bildung und Wissenschaft sind elementare Bestandteile des Verantwortungsbereichs der Länder und können von diesen am erfolgreichsten gefördert werden.

(Einige Abgeordnete unterhalten sich im hinteren Teil des Sitzungssaals.)

Meine Damen und Herren da hinten,es ist doch wirklich Ihr Geheimnis, wie man an einem Tag solche Beschlüsse fassen kann und am nächsten Tag den Religionsunterricht von Wiesbaden aus für Deutschland zentral regeln will. Das passt nicht zusammen.Das ist unglaubwürdig und unangemessen.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt komme ich noch einmal zum Werteunterricht und zu den Befürchtungen ihm gegenüber zurück. Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Weder ich noch sonst irgendwer von uns käme auf die Idee, einen solchen Unterricht nach Berliner Modell in Hessen einzuführen. Ihn für diejenigen zur Verpflichtung zu machen, die sich vom Religionsunterricht abmelden, kann aber sehr wohl seinen Sinn haben. Mancher Schüler, manche Schülerin denkt vielleicht doch noch einmal darüber nach, wenn die Alternative zum Religionsunterricht nicht in einer Freistunde besteht.

Auch denjenigen,die den konfessionellen Religionsunterricht bewusst ablehnen und abwählen, würde es sicher nicht schaden, eine hinreichende Allgemeinbildung zu Fragen der Ethik, der Religionen und Weltanschauungen zu erhalten, die sie zum Dialog mit anders Glaubenden und anders Denkenden befähigt. Genau hierzu ist ein solcher Werteunterricht geeignet, in dem, wie es im Schulgesetz von Berlin heißt, „die Antike, das Christentum und die für die Entwicklung zum Humanismus, zur Freiheit und zur Demokratie wesentlichen gesellschaftlichen Bewegungen ihren Platz finden“.

Wenn es in dem CDU-Antrag wörtlich heißt: „Ein vom Staat verordnetes Fach Wertevermittlung bedeutet, dass der Staat nicht nur über das Recht, sondern auch über Ethik und Moral bestimmen will“,

(Norbert Kartmann (CDU): Das ist doch das Problem, das ist doch richtig!)

so ist das schlicht Quatsch. Zwischen der Vermittlung einer Sache und der Bestimmung über sie ist nun wahrlich ein himmelweiter Unterschied. Der Staat verordnet den Schülern auch das Fach Mathematik, aber doch nicht, um die seit Jahrtausenden geltenden grundlegenden Regeln der Logik und Beweisführung selbst bestimmen zu wollen,sondern um sie den Kindern beizubringen.Zumindest diesen Unterschied sollte man doch begreifen, wenn man sich hier zu dem Thema äußert.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Geschweige denn der Politikunterricht in der Schule: Herr Irmer, nach ihrer Logik dürfte doch der Unterricht der Schülerinnen und Schüler, getrennt nach Parteipräferenz, nur noch von eingetragenen Parteimitgliedern durchgeführt werden. Es ist offensichtlich, wie widersinnig solche Gedankengänge sind.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Herr Kollege Pighetti, kommen Sie bitte zum Schluss Ihrer Rede.

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Herren von der CDU, ich möchte zu diesem Thema passend mit einem Zitat aus dem Markus-Evangelium schließen. In Kapitel 7, der Bergpredigt, heißt es: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen,nicht an ihren Worten.“

(Beifall bei der SPD)