Protocol of the Session on April 28, 2005

Das Wort hat Herr Staatsminister Dr. Rhiel.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben eine Debatte unter dem Stichwort Mittelstand. Dabei können wir wahrnehmen, dass in den Redebeiträgen so gut wie kein Feld der Steuerpolitik, der Wirtschaftspolitik und der Technologiepolitik ausgespart worden ist, sodass diese Debatte, wenn man die Themen zusammenfasst, zu einer generellen Aussprache über die Frage wird: Was macht unseren Wirtschaftsstandort aus, und wie gelingt es, mithilfe der Wirtschaft den Wohlstand der Menschen so dauerhaft zu sichern,wie wir es uns wünschen und erarbeitet haben?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit wird aber auch deutlich, dass der Mittelstand der Kern des Wirtschaftens ist. Die Fakten sind schon genannt worden, z. B. der Anteil der Beschäftigten, der Auszubildenden, der Investitionen oder schlicht und einfach der Anzahl der Betriebe, die zum Mittelstand gehören. Das sind etwa 90 % aller Betriebe.Wenn dies so ist, dann ist Wirtschaftspolitik immer auch Mittelstandspolitik. Deshalb braucht die Mittelstandspolitik auch keine Ausnahmeregelungen, weil die Wirtschaftspolitik immer auf den Kern zielen muss und damit automatisch der Mittelstand bzw. die mittleren und kleinen Unternehmen – wie auch immer Sie den Begriff Mittelstand definieren wollen – im Mittelpunkt des Interesses stehen.

Wir diskutieren heute vor dem Hintergrund, dass die Wirtschaft in Hessen im Vergleich mit der aller anderen Bundesländer mit am erfolgreichsten ist. Die hessische Wirtschaft ist auf dem Vormarsch. Die Wachstumsraten lagen im letzten Jahr weit über dem Bundesdurchschnitt.

(Beifall bei der CDU)

Die Produktivität liegt mit 19 % weit über dem Bundesdurchschnitt. Dennoch müssen wir Obacht geben, ob wir diese Entwicklung halten können – nicht deshalb, weil die Potenziale in Hessen fehlen würden, sondern weil sich die Rahmenbedingungen in Deutschland zunehmend verschlechtern und weil diese Bundesregierung nicht die Kraft zu grundlegenden Reformen findet.

Während die Bundesregierung immer noch von einem Wachstum von 1,7 % und mehr ausgeht, mussten wir gestern die traurige und deprimierende Nachricht zur Kenntnis nehmen, dass die Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Prognosen bezüglich der Wachstumserwartung für dieses Jahr auf 0,7 % reduziert haben. Damit herrscht de facto wieder einmal Stillstand. Der Ifo-Konjunkturindex muss zum dritten Mal hintereinander nach unten korrigiert werden – mit allen Konsequenzen nicht nur für die Unternehmen, für die Menschen, für die Arbeitsplätze, sondern auch für die öffentlichen Haushalte, die naturgemäß dann weniger Steuern einnehmen können, wenn die Wirtschaftskraft der Unternehmen nachlässt.

Vor diesem Hintergrund reden wir dann über die Frage: Was ist Aufgabe des Staates? Was soll der Staat tun und was nicht?

Meine Damen und Herren, Herr Denzin, damit kommen wir zwangsläufig zu der Frage:Was ist Wirtschaftspolitik? Worauf gründet sie, auf welchem Verständnis von Freiheit, Ordnung und Verantwortung?

Sicherlich eher spaßhaft haben Sie eben gesagt, ich sei ein Manchester-Liberalist.Wenn Sie mir das sagen,müsste ich Ihnen ebenso abstrus entgegenhalten: Sie sind ein Staatsmonopolkapitalist.

(Michael Denzin (FDP): Ich bin ein Freiburger!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das eine ist so unsinnig wie das andere. – Herr Denzin ruft mir gerade entgegen, er ist ein Freiburger.

(Michael Denzin (FDP): Genau!)

Ich antworte Ihnen: Ich bin auch ein Freiburger. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das will nichts anderes sagen,als dass es dieser Freiburger Schule – der Schule der Ordoliberalen – darum geht, dass der Staat in erster Linie Regeln für die Wirtschaft aufstellt, innerhalb deren sich die wirtschaftlich selbstständigen Subjekte bewegen und trotz oder vielleicht sogar wegen ihres Eigeninteres

ses durch die Ordnungsregeln des Staates die Interessen der Allgemeinheit nicht Schaden nehmen, sondern sogar bevorteilt werden. Meine Damen und Herren, das ist eine Ordnung, die aus eigenen Vorteilen, aus eigenem Handlungsstreben zu Vorteilen für die Allgemeinheit führt.

Die große Leistung dieser Ordoliberalen: Sie waren die Gründer der sozialen Marktwirtschaft und haben diese Ordnung in der Bundesrepublik mit großem Erfolg umgesetzt. Sie haben es verstanden, Moral und Eigeninteresse in Übereinstimmung zu bringen, fußend auf den Grundsätzen der christlichen Soziallehre, die hier in praktische Politik, in Gestaltung umgesetzt worden ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist die Grundlage, für die wir eintreten. Aber es reicht nicht aus, diese Grundlagen nur zu beschwören. Meine Damen und Herren, Politik muss sich konkret an diesen Grundlagen orientieren.

In Deutschland haben wir derzeit eine völlig abwegige Diskussion, die Herr Müntefering angestoßen hat. Herr Müntefering meint, er könne mit seinem Finger auf andere zeigen und sie haftbar machen. Aber das kehrt sich um, indem viele Finger auf die Bundesregierung, auf diese Koalition zeigen. Sie hat es offenbar nicht verstanden, ganz im Sinne dieser Ordnungspolitik die Regeln so zu setzen, dass sich die Wirtschaft zugunsten der Allgemeinheit entwickeln kann. Meine Damen und Herren, darin liegt der große Fehler. Nichts anderes hat dies deutlich gemacht, auch im Verhältnis der Großunternehmen zum Mittelstand – den wir heute hier ansprechen –, als die Titulierung dieses Bundeskanzlers als „Genosse der Bosse“. Meine Damen und Herren, das Wort der „Genosse der Bosse“ ist entlarvend. Denn dieses Wort – übrigens unwidersprochen von diesem Bundeskanzler – macht deutlich, dass er seinen Maßstab von den Interessen der Großunternehmen nimmt, nicht von den Erfordernissen der kleinen und mittelständischen Unternehmen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, darin liegt unser Problem begründet. Kleine und mittelständische Unternehmen in ihrer großen Zahl erfahren als Motor der Wirtschaft nicht die Aufmerksamkeit dieser Regierung, die sie verdienen.

Sehr geehrte Frau Tesch, Sie haben eben auf einen positiven Punkt hingewiesen, der – für sich genommen – richtig ist. Sie haben nämlich gesagt – und das gilt übrigens gerade für Hessen –, wir sind in der Bundesrepublik Deutschland Spitze mit der höchsten Produktivität.

(Reinhard Kahl (SPD): Ja!)

Sie meinen: die höchste Arbeitsproduktivität, d. h. die Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen, gemessen in Euro, pro Arbeitseinsatz.

(Reinhard Kahl (SPD): Dazu brauchen wir Arbeit, das ist klar!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist richtig. Das ist in bestimmten Bereichen des internationalen Wettbewerbs, beispielsweise bei den Spitzenprodukten, auch gut.Aber das beschreibt auch die Ursache für unsere Arbeitslosigkeit. Denn durch die immer höheren Arbeitskosten haben wir schleichend – und manchmal in Sprüngen – eine Substitution von Arbeit durch Kapital. Wir müssen also Menschen freisetzen, weil immer mehr Kapitaleinsatz nötig wird,um mit unseren Kosten international überhaupt überleben zu können. Die negative Konse

quenz ist die hohe Arbeitslosigkeit. Hier müssen wir ansetzen.

Das ist aber sicherlich Aufgabe der Bundespolitik, nicht der Landespolitik. Es ist Aufgabe der Bundespolitik, Bürokratie abzubauen, Steuern zu senken und insbesondere am Arbeitsmarkt mehr Flexibilität zu erreichen. Damit wäre ein Großteil für das getan, was wir uns an günstigen Voraussetzungen für die mittelständische Wirtschaft nicht nur erhoffen, sondern was wir immer wieder fordern müssen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zurück zur Ordnungspolitik.Ordnungspolitik heißt aber auch,darauf zu achten,dass überall dort,wo es Marktversagen gibt,der Staat unterstützend tätig ist.

Dieses Marktversagen haben wir in der Tat in vielen Bereichen der Mittelstandspolitik. Ich will zwei Schwerpunkte nennen. Damit will ich den Anschluss an die konkrete Politik dieser Landesregierung in diesem Feld herstellen.

Zum einen meine ich – das ist schon angesprochen worden – die Finanzierung der Unternehmen, insbesondere die Finanzierungshilfen durch und mit Fremdkapital.

Zum Zweiten meine ich den Punkt,auf den wir das größte Augenmerk legen müssen – nämlich die Frage: Wie können auch kleine und mittelständische Unternehmen mithilfe der technologischen Entwicklung, des technologischen Fortschritts, die insbesondere auch in den Forschungsinstituten geboren werden, Anschluss halten, um auf den nationalen und den internationalen Märkten zukunftsfähig zu sein? Damit meine ich den Wissenstransfer,die Transferpolitik als eine der wichtigsten,wenn nicht die wichtigste Aufgabe konkreter Wirtschaftspolitik des Landes.

Herr Denzin, hier bedaure ich, dass Ihnen die notwendigen Informationen noch nicht zugegangen sind.

(Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP))

Deshalb möchte ich Ihnen hier ganz konkret einiges erläutern und Daten vortragen, die belegen, dass die Landespolitik in diesem Bereich hervorragend und sehr erfolgreich ist.

(Unruhe)

Denn wir in Hessen haben deutschlandweit – wenn Sie zuhören würden, könnten Sie das noch besser aufnehmen – –

(Lachen bei der SPD)

Ich gebe Ihnen Gelegenheit zuzuhören. Dann haben wir auch eine bessere Basis, nachher im Ausschuss darüber zu diskutieren. Ich will Ihnen ein wichtiges Datum nennen – wenn Sie so gütig sind zuzuhören.

(Nicola Beer (FDP): Nein!)

Die hessische Wirtschaft hat die höchste Gründungsintensität in ganz Deutschland.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Im Vergleich mit allen anderen Bundesländern haben wir, wie auch das Bundesland Bayern, eine Rate von 12 %. Dies dokumentiert in beachtlicher Weise die Tatsache, dass Hessen ein guter Boden für Gründungsunternehmen ist. Dafür steht all das, was wir an Mitteln zur Verfügung stellen.

Meine Damen und Herren, ich will das an der Nanotechnologie als einem ganz wichtigem Bereich des technologischen Fortschritts deutlich machen.Wenn Sie wollen,können Sie auch an den konkreten Veranstaltungen teilnehmen, die Schlag auf Schlag in diesem Jahr stattfinden – sei es die Nanotechnologiekonferenz mit Kapitalgebern im Juli dieses Jahres,

(Norbert Schmitt (SPD): Jetzt redet der Nanominister!)

seien es die Themenbereiche Nano-Med-Tech, Nanoelectronics, Nanosurface. Zu all diesen Themen gibt es Veranstaltungen in diesem Sommer, in denen wir die Technologietransfermittel allein in diesen Bereich verdichten und zu dem Thema beitragen, das ich eben als zentral dargestellt habe, nämlich den Wissenstransfer von Know-how in die Anwendungen und wieder zurück lebendig zu gestalten, insbesondere für die kleinen und mittleren Unternehmen,die nicht – wie die großen Unternehmen – aus eigener Kraft einen direkten Zugang zu den Forschungsinstituten haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der zweite Punkt, der von Ihnen angesprochen worden ist, ist die Finanzierung. Kleine und mittlere Unternehmen, zumal aus bestimmten Branchen, haben es in Anbetracht einer äußerst dünnen Eigenkapitaldecke relativ schwer, genügend Fremdkapital für ihre Wachstumsinvestitionen zu erhalten.

(Unruhe)

Herr Staatsminister, die Fraktionsredezeit ist erreicht. – Das Plenum darf ich um mehr Aufmerksamkeit bitten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Hinblick auf die Finanzierung möchte ich Ihnen deutlich machen, dass wir gerade hier einen neuen Spitzenwert bei den Formen der Finanzierung erreichen: Risikokapital abdecken, Bürgschaften herreichen, aber auch Unterstützung in Einzelfällen. Sie haben dies kritisiert. Zum Beleg dafür will ich nur wenige Zahlen nennen: 444 Gründungsund Wachstumsdarlehen im Jahr 2004 in Hessen, damit haben wir 174 Millionen c an Investitionen angeschoben; 47 Landesbürgschaften; 241 Bürgschaften der gemeinschaftlichen Bürgschaftsbank. Insgesamt sind hier über 300 Millionen c an Investitionen angestoßen worden, 334 Einzelfälle der Gründungsberatung mit der Konsequenz der Gründung von 156 neuen Unternehmen, die für sich allein genommen 508 neue Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt haben.

(Norbert Schmitt (SPD): Und die Landesregierung baut zugleich 10.000 Stellen ab!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich sehr und bin sehr gespannt auf die Aussprache im Ausschuss. Dort können wir nochmals die jeweiligen Positionen deutlich machen. Ich bin davon überzeugt, dass Sie dann auch dieser Landesregierung zugestehen, dass wir eine sehr erfolgreiche Mittelstandpolitik machen, die sich letztlich in den Zahlen niederschlägt, die für die Gesamtwirtschaft in Hessen gelten.