Am vorgestrigen Abend, beim parlamentarischen Abend der Arbeitsgemeinschaft der selbstständigen Unternehmer, wurde allen, die dabei waren, sehr deutlich vor Augen geführt, dass der Mittelstand diese Problematik so sieht, dass es sich um eine nationale Krise handelt. Ich möchte die an diesem Abend vonseiten der Unternehmer unterbreiteten Lösungsvorschläge nicht weiter thematisieren, weil ich sie nicht alle für so zielführend halte, wie es diejenigen tun, die sie entwickelt und vorgetragen haben.
Ich will – zugegebenermaßen selektiv – auf einige Ursachen hinweisen, die in der aktuellen Diskussion keine große Rolle spielen und dies deshalb auch in der Wahrnehmung der Menschen nicht tun. Ich will noch einmal in Erinnerung rufen, dass, wenn die größte Industrienation Europas, nämlich Deutschland, für sich isoliert die Entscheidung trifft, auf die friedliche Nutzung von Kernenergie dauerhaft zu verzichten, das natürlich Konsequenzen für den Standort Deutschland und für die Konkurrenzsituation gegenüber anderen Industrienationen hat.
Dann werden die Energiepreise höher. Wenn General Motors eine Europakarte auflegt und Vergleiche anstellt, dann wird klar, dass Rüsselsheim und Bochum im Vergleich zu anderen verlieren.
Wenn wir – und das haben wir heute Morgen diskutiert – in Deutschland durch völlig überzogene Haftungsregelungen auf Gentechnologie verzichten, dann rauben wir Mittelständlern Existenzgrundlagen, und dann berauben wir uns einer Technologie, die in den kommenden Jahrzehnten eine entscheidende Rolle auf diesem Globus spielen wird.
Wenn die fatale Politik der rot-grünen Bundesregierung dazu führt, dass der Transrapid in China und nicht zwischen Hamburg und Berlin verkehrt, dann ist das so, als wenn ein Metzger seine Wurst nicht isst, sie aber den Kunden verkaufen will. Das hat eine fatale Konsequenz für den Standort Deutschland.
Wer also Technologiefeindlichkeit zum Programm erhebt und wer dazu noch parallel die Rahmenbedingungen völlig ohne Not zuungunsten des Mittelstandes verschlechtert bzw. die Rahmenbedingungen nicht optimiert, der trägt die Verantwortung dafür.
Auch das will ich Ihnen an einigen ausgewählten Beispielen deutlich machen. Sie sind nicht bereit, für neu eingestellte Arbeitskräfte den Kündigungsschutz so zu verändern, dass er nicht weiterhin ein Einstellungshindernis ist.
Sie haben in Ihrer Amtszeit in Berlin die Betriebsverfassung dahin gehend geändert, dass Betriebsräte ab einer Mitarbeiterzahl von 200 freigestellt werden und nicht wie früher ab 300 Mitarbeitern. Das nützt überhaupt niemandem, außer vielleicht den einzelnen freigestellten Betriebsräten.Aber es belastet den Betrieb mit zusätzlichen Kosten, die vermeidbar wären.
Lassen Sie uns das Antidiskriminierungsgesetz aufführen. Hier betreiben Sie – das hoffen Sie zumindest – eine knallharte Klientelpolitik, die aber ruinöse Folgen hat und die eine Politik ist, vor der die Mittelständler Angst haben. Mittelständler wollen bei ihren Personalentscheidungen und anderen Entscheidungen nach Kriterien gehen, die sie selbst bestimmen. Sie wollen sich nicht fremdbestimmt von Ihnen vorschreiben lassen, wen sie in ihren Betrieb aufnehmen und wen nicht.
Lassen Sie uns über die verkorkste Handwerksreform sprechen. Sie hat dazu geführt, dass wir plötzlich 16 polnische Fliesenleger mit der gleichen Adresse haben.Das hat mit neuer Selbstständigkeit und Existenzgründung nichts zu tun. All das führt im Ergebnis dazu, dass wir seit dem Jahr 2000 jedes Jahr neue, sich selbst übertreffende Insolvenzrekorde haben. Sie bewegen sich auf einem Niveau von ca. 40.000 Insolvenzen bundesweit pro Jahr.
Das ist eine Mittelstandspolitik, die, Herr Denzin, von dem Leitbild „Hilfe durch Selbsthilfe“ getragen wird.
Das ist eine Wirtschaftspolitik aus einem Guss, die aber zugegebenermaßen solide Arbeit erfordert und die Arbeitsschritt für Arbeitsschritt so, wie Sie das genannt haben, Punkt für Punkt abarbeitet. Es genügt nicht, in höheren Sphären zu schweben und theoretische Überlegungen anzustellen, sondern Wirtschaftspolitik muss auch praktisch vor Ort abgearbeitet werden.
Das machen wir. Deshalb fördern wir die tatsächliche Selbstständigkeit und nicht die eben bereits angesprochene Scheinselbstständigkeit von Menschen aus osteuropäischen Ländern oder das, was Sie Ich-AGs nennen. Das, was Sie mit den Ich-AGs angerichtet haben,hat fatale Folgen für den Mittelstand. Ich weiß, dass Sie heute noch glauben, die Ich-AGs seien die beste Idee seit der Erfindung des Tubensenfs. Sie sind es aber nachweislich nicht. Sie sind sogar für diejenigen, die Sie in diese Form der Unternehmensgründung treiben, zum Teil existenzbedrohend bis existenzvernichtend.
Ich komme zu den Punkten hessischer Mittelstandspolitik, die greifbar, nachvollziehbar und wirkungsvoll sind. Der Kollege Denzin hat das angesprochen.Wir haben die Wirtschaftsförderung neu organisiert. Die IBH ist für den monetären Bereich zuständig und die Hessen-Agentur für die Beratung.
Wir haben am Dienstag mit dem IBH-Gesetz die IBH in die Lage versetzt, sich künftig auch dauerhaft solide zu finanzieren. Wir sind da auf einem richtigen Weg. Es gibt die Bürgschaftsbank, und es gibt die mittelständische Beteiligungsgesellschaft als richtige und wichtige Instrumente für Wirtschaftspolitik.
Es gibt das Programm „Gründung und Wachstum“ mit einem Zinssatz von 2,9 % für die Darlehen. Seit April 2002 wurden 1.250 Darlehen vergeben. Wir haben Hessen-Invest-Start für die technologieorientierten Gründer auf den Weg gebracht. Und wir haben mit dem Programm BoB – Bürgschaft ohne Bank der Entwicklung Rechnung getragen, die ich einmal schlagwortartig mit „Basel II“ überschreiben will.
Es ist für Existenzgründerinnen und Existenzgründer insbesondere ein Problem, ihre Existenzgründung zu finanzieren, wenn keine Sicherheiten vorhanden sind. Deshalb war es klug und richtig, den Weg umzukehren und dann, wenn ein Businessplan für eine gute Geschäftsidee vorliegt,der zugegebenermaßen solide sein muss – wir wollen keine Hasardeure fördern und können das auch nicht gegenüber denjenigen verantworten, die das absichern müssen –, und wenn eine Bürgschaft in Höhe von bis zu 80 % der Investitionssumme gewährt wird, dann das anschließende Gespräch bei der Hausbank so zu gestalten, dass Sicherheiten kein Thema mehr sind und dass nicht nur diejenigen zum Zuge kommen, die das Häuschen der Oma oder der Eltern mit ins Spiel bringen können.
Wir haben dafür gesorgt,dass die Handwerksleistungen in der VuB bis zu einer Grenze von 25.000 c freihändig vergeben werden können.
Dass die SPD auf den Zug mit aufgesprungen ist, gibt mir Hoffnung, dass auch in den sozialdemokratisch geführten Kommunen dieser Erlass künftig angewandt wird.
Dann wird es so sein, dass das Fahrzeug des Malers, der den Auftrag erhält, das Rathaus anzustreichen, vielleicht ein Kennzeichen hat,das die Bewohnerinnen des Ortes,in dem das Rathaus steht, auch kennen.
Wir haben mit der PPP-Beratung einer Entwicklung Rechnung getragen, die nicht nur bei der Finanzierung öffentlicher Investitionen, sondern auch schon in vielen Bereichen privatwirtschaftlicher Investitionen Standard ist.
Wir haben einer Entwicklung Rechnung getragen, und wir werden hier die Mittelständler durch gezielte Beratung und flankierende Maßnahmen in die Lage versetzen, sich auch an diesen PPP-Projekten zu beteiligen, sodass die Wertschöpfung in unserem Land und in unseren Regionen bleibt.
Wir wollen die Kooperation mit dem Mittelstand und der Mittelständler untereinander. Wir wollen keine Konfrontation. Wir haben den Hochschulzugang für Meister ermöglicht und damit insbesondere auch zur Imagepflege des Handwerks beigetragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal sagen, weil Herr Denzin das auch angesprochen hat: Mittelstandspolitik ist eine Querschnittsaufgabe, und sie ist nicht nur an einem Ressort festzumachen. Ich will das an wenigen Beispielen deutlich machen. Dazu gehören natürlich Infrastrukturprojekte wie der notwendige Ausbau des Flughafens Kassel-Calden, über den wir heute gesprochen haben, oder des Flughafens Frankfurt. Dazu gehören die Bundesverkehrswege. Dazu gehören all die Maßnahmen, die wir mit viel Herzblut und großen Erfolgen in diesem Land vorantreiben. Dazu gehört aber auch eine Schulpolitik, weil die Forderung nach qualifizierten Abschlüssen auch eine Forderung derjenigen ist, die, wie ich eingangs anführte, die Ausbildung in diesem Land zu 74 % sicherstellen. Die berechtigte Forderung derjenigen, die Ausbildung bereitstellen wollen, ist, dass die Bewerberinnen und Bewerber eine Qualifikation haben, die sie auch ausbildungsfähig macht.
Lassen Sie uns zum Bürokratieabbau kommen, weil auch diese Forderung berechtigterweise von Herrn Denzin erhoben wurde. Sie wird erfüllt. Neben vielen anderen Rechtsverordnungen und Vorschriften, deren Aufzählung den zeitlichen Rahmen sprengen würde,erwähne ich stellvertretend die Hessische Bauordnung. Auch da ist nicht das eingetreten,was von denjenigen prognostiziert wurde, die glaubten, dass die Bauten in Hessen künftig alle zusammenbrechen.
(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Quatsch! Apfelsinenkisten sind zusammengebrochen! – Reinhard Kahl (SPD): Wer hat denn so etwas behauptet?)
Meine Damen und Herren, wir wollen Bürokratie auch dadurch abbauen, dass wir in unseren Antrag aufgenommen haben, die Landesregierung möge bitte prüfen, ob wir nicht auf das Hessische Mittelstandsgesetz von 1974 verzichten können, indem wir wirtschaftsfördernde Maßnahmen in Erlassen und Vorschriften regeln und indem wir – da komme ich noch einmal auf Sie zurück, Herr Denzin – die Subsidiaritätsklausel in § 121 der HGO eingeführt und damit den Weg dafür geebnet haben, dass der
privatwirtschaftlichen Erledigung von Aufträgen gegenüber der Kommunalwirtschaft der Vorzug gegeben wird.
All diese Erfolge, die ich hier aufgezeigt habe, sind messbar und werden auch von denjenigen honoriert, für die diese Politik gemacht wurde.
Lassen Sie mich abschließend nur noch auf einen Punkt eingehen, der mich ärgert. Im Kielwasser einer Kapitalismusdebatte, von der ich fest überzeugt bin, dass die neuen Wahlverlierer in Nordrhein-Westfalen sie im Mai schnell wieder einkassieren werden, weil sie erkennen, dass sie nicht zielführend ist und in einer globalisierten Wirtschaft nicht durchzuhalten ist, kommt es auch aus Hessen zu Boykottaufrufen. Die Menschen, die Sie zu Boykotten aufrufen, werden nicht selektieren zwischen den Großunternehmen, die Sie vielleicht meinen, und den mittelständischen Unternehmen, die durch die Not, die Sie mit herbeigeführt haben, gezwungen sind, Arbeitsplätze abzubauen. Diese Boykottaufrufe treffen den Mittelstand in einer Phase,in der er durch die Konsumzurückhaltung besonders stark gebeutelt ist.
(Hildegard Pfaff (SPD): Hören Sie doch mit den platten Thesen auf! – Silke Tesch (SPD): Der Mittelstand ist schlau genug!)