Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich zu einer Kurzintervention auf die Rede des Herrn Wintermeyer zu Wort gemeldet.
Herr Wintermeyer, ich fange an dem Punkt an, an dem Herr Walter aufgehört hat. Welches die Punkte sind, mit denen sich die Sozialdemokratische Partei Hessens identifiziert, müssen Sie der Sozialdemokratischen Partei überlassen. Sie betreffen die Themen Arbeitnehmerrechte und Demokratie.Wir finden es sehr gut, dass es im Hessischen Landtag noch eine Fraktion gibt, die gerade diese beiden Punkte in der Debatte um die Hessische Verfassung hochhält.
(Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wider- spruch bei Abgeordneten der CDU)
Herr Wintermeyer hat von einem Stichtag gesprochen. Er hat dabei den 10. Dezember 2004 genannt. Er hat vorgetragen, Frau Ypsilanti sei an diesem Tag auf der Bühne erschienen und habe den Hessen bekannt gegeben, wie das Profil der Sozialdemokraten dazu aussehe.
Ich darf Ihnen mitteilen – vielleicht ist das nicht allen Mitgliedern der anderen Fraktionen mitgeteilt worden, vielleicht auch nicht den Mitgliedern der CDU-Fraktion –, dass wir in der Enquetekommission von Anfang an die Auffassung vertreten haben, dass gerade Überlegungen zur Änderung der Verfassung in höchster demokratischer Transparenz verhandelt werden müssen, dass wir den größten Wert darauf gelegt haben, dass wir ein wie auch immer geartetes Kompromisspapier zur Abstimmung vorlegen, das auch von unserer Partei getragen werden kann, und dass wir unter Vorbehalt verhandeln.
Drittens. Das, was Herr Wintermeyer vorgetragen hat, ist unzutreffend. Die Mehrheitsgruppierung sieht eine Änderung des Art. 29 Hessische Verfassung – das Stichwort dazu lautet: Flächentarifvertrag – in einer Art und Weise vor, dass er dann nicht mehr dem geltenden Bundesrecht entspräche. Herr Wintermeyer, diese Aussage befindet sich im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.
Sie sollten sich einmal § 77 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz anschauen. Wir haben in die Enquetekommission diese Formulierung mitgebracht. Entgegen einer Zusage wurde uns die Aufnahme einer solchen Formulierung abgelehnt. Sie können sich vermutlich vorstellen, dass wir darüber missvergnügt sind.
Zum Schluss möchte ich noch einen Punkt zum Thema Demokratie nennen. Selbstverständlich sind die Sozialdemokraten nicht dagegen, den Hessen mehr Rechte zu geben, etwa aus eigener Kraft die Hessische Verfassung zu ändern. Die hessischen Sozialdemokraten sind aber dagegen, dass dem Bürger bei Verfassungsänderungen das letzte Wort genommen werden soll.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss meiner Kurzintervention. Ich möchte nur noch ein paar letzte Worte sagen.
Art. 123 Hessische Verfassung sieht vor, dass der Bürger bei Verfassungsänderungen das letzte Wort behält. Wir Sozialdemokraten wollen keine Verfassung der Politiker. Wir wollen die Volksverfassung behalten.
Frau Präsidentin, Frau Kollegin Pauly-Bender! Hier in diesem Raum wurde „scheinheilig“ gerufen. Das kann ich an und für sich nur bestätigen. Sie haben gesagt, Sie wollten keine Verfassung der Politiker,sondern eine Volksverfassung haben. Anscheinend haben Sie nur gerade eben nicht zugehört. Wahrscheinlich haben Sie sich auch nicht durchgelesen, was wir in der Enquetekommission beschlossen haben. Wir haben mit diesem Reformvorhaben beschlossen, dass dem hessischen Volk sogar die Möglichkeit eingeräumt werden soll, von sich aus die Hessische Verfassung zu ändern.
Sie verstecken sich hinter irgendwelchen Gerüsten, die Sie aufbauen, und Aussagen, die nicht stimmen.
Lassen Sie mich noch etwas anderes sagen. Es sind nun wirklich einige Zeugen dabei gewesen. Das reicht bis zum Vorsitzenden der Enquetekommission. Sie haben sich bis zum 10. Dezember 2004 in den Diskussionen konstruktiv verhalten, die wir auch in den Obleutegesprächen geführt haben. Erst nach dieser ominösen Pressekonferenz, die
möglicherweise einer Sitzung des Landesvorstands folgte, sind Sie abgewichen. Möglicherweise haben Sie gehofft, dass Sie sich mit der Diskussion in der Art, wie Sie sie heute wieder führen, profilieren können. Ich kann Ihnen sagen: Mit der Art und Weise, mit der Sie die Diskussion heute in diesem Hause geführt haben,haben Sie sich nicht profiliert, sondern – ich sage das sehr deutlich – desavouiert. – Danke.
(Clemens Reif (CDU): Jetzt gibt es für die Roten wieder eines auf die Mütze! – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Bei den Sozialdemokraten heißt es jetzt, sich anzuschnallen!)
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Hessische Verfassung war 1946 das Signal zum Aufbruch in eine neue Zeit.
Sie dokumentiert auch heute noch ewige Wahrheiten einer freiheitlichen Grundordnung. Sie gab damals zweifelsfrei Orientierung für die Zukunft. Sie war eine Volksverfassung im besten Sinne.
Aber heute, nach 60 Jahren, müssen wir doch feststellen, dass davon nicht mehr viel übrig geblieben ist. Welcher Gesetzentwurf oder welcher Antrag, die im Hessischen Landtag behandelt werden, nehmen in ihrer Begründung noch auf die Hessische Verfassung Bezug? Das gibt es bei keinem Gesetzentwurf oder Antrag, auch bei keinem der SPD-Fraktion. In der Ausbildung der Juristen wird sie praktisch nicht behandelt. Zwar befassen sich die Schulkinder im Unterricht mit der Hessischen Verfassung, aber eher wie mit einem Märchen unter dem Motto: Es war einmal...
Die Verfassung gibt eben keine Orientierung mehr. Sie ist zum Organisationsstatut und zur Zitatensammlung für wohlfeile Sonntagsreden verkommen. Damit entwertet sie auch das Gute,das sie enthält.Ich meine damit die ewigen Wahrheiten, die sie zweifelsfrei zu bieten hat.
Zwischen allen Fachleuten und Beteiligten ist es im Prinzip völlig unstreitig, dass ein Reformstau besteht. Deshalb hat meine Fraktion zu Beginn der Wahlperiode die Einrichtung der Enquetekommission initiiert. Bei den Beratungen wurde ziemlich schnell klar, dass die Ansprüche doch sehr unterschiedlich waren. Einige wollten den Versuch unternehmen, das schlafende Dornröschen Verfassung wachzuküssen und zu neuem Leben zu erwecken. Andere wären schon damit zufrieden gewesen, der Verfassung einen gläsernen Sarg zu errichten. Wir meinen: Gemessen an diesen Ausgangspositionen kann sich das Ergebnis der Arbeit der Enquetekommission zur Reform der Hessischen Verfassung durchaus sehen lassen.
Wir hatten z. B. vorgeschlagen, im Grundrechtsteil die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, weiter ge
hende Benachteiligungsverbote z. B. für behinderte Menschen, die Rechte von Kindern und Alleinerziehenden sowie eine Erweiterung des Schutzes der Ehe auf andere Lebensgemeinschaften aufzunehmen. Nach dem Vorschlag der Enquetekommission sollte immerhin die Gleichberechtigung der Geschlechter zumindest in die Präambel der Hessischen Verfassung aufgenommen werden. In Art. 4 Hessische Verfassung sollten die Rechte der Kinder und auch die der Alleinerziehenden gestärkt werden. Das wäre eine Anpassung an die Lebensrealität des Jahres 2005. Das war uns besonders wichtig.
Wir würden damit einem Vorschlag der wenigen folgen, die sich überhaupt noch für die Hessische Verfassung interessieren. Ich meine damit den Deutschen Kinderschutzbund, Landesverband Hessen, der uns ausdrücklich gebeten hat, die Aufnahme einer solchen Regelung vorzuschlagen. Zuletzt geschah dies in einem Schreiben, das in dieser Woche an die Kinderbeauftragten der Fraktionen gegangen ist.
Wir haben auch andere Vorschläge aufgenommen, die von außen an uns herangetragen wurden. Der Hessische Sängerbund hatte Tausende von Unterschriften für die Aufnahme von Kunst und Kultur in die Hessische Verfassung gesammelt. Wir sind dem gefolgt und haben gesagt, dass Kunst und Kultur gleichberechtigt förderungswürdig wie der Sport sind.Auch hier haben wir die von außen an uns herangetragene Formulierung aufgenommen. Das wurde von uns sehr unterstützt.
Erst in der vorletzten Woche, so glaube ich, haben wir erlebt, dass die hessische Landestierschutzbeauftragte gefordert hat, den Tierschutz in die Hessische Verfassung aufzunehmen. Wir haben vorgeschlagen, das zu tun. Die Kommission ist diesem Vorschlag gefolgt.
Die Empfehlung, die Todesstrafe aus der Verfassung zu streichen, brauche ich hier nicht zu erwähnen. Ich möchte das nur zur Erinnerung sagen: Sie war 1946 nur in die Verfassung aufgenommen worden, weil gerade die Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg und anderswo liefen. Das ist historisch überholt. Deswegen sollten diese Bestimmungen gestrichen werden.
Wir haben auch noch eine ganze Reihe anderer Änderungsvorschläge gemacht, die sich nach dem Vorschlag der Enquetekommission zumindest in der Präambel als Prinzipien wieder finden sollen. Ich möchte dazu zitieren:
... die natürlichen Lebensgrundlagen nachhaltig zu schützen, den Frieden zu sichern, den Rechtsstaat zu erhalten und als lebendiges Glied der Bundesrepublik Deutschland einem vereinten Europa zu dienen,...
Herr Wintermeyer hat schon gesagt, dass es sich um einen Kompromiss handelt. Ich verhehle nicht, dass es in diesen Vorschlägen natürlich auch Punkte gibt, die uns Bauchschmerzen bereiten. Das betrifft z. B. die vorgeschlagene Aufnahme des Gottesbezugs in die Präambel, die viele in meiner Fraktion – ich sage das jetzt einmal vorsichtig – für überflüssig halten. Nach längerer Diskussion konnten wir
uns damit aber einverstanden erklären, dass vorgeschlagen werden soll, folgende Formulierung in die Präambel der Hessischen Verfassung aufzunehmen: