Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist nicht der Müntefering von heute Morgen, sondern das ist aus der einleitenden Rede von Erich Köhler, dem Fraktionsvorsitzenden der CDU, in der konstituierenden Sitzung der Verfassungberatenden Landesversammlung. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten teilen diesen Ansatz.
Frau Wagner, wir sind an der Stelle unterschiedlicher Auffassung. Ich versuche, die Auffassung meiner Fraktion darzustellen. Sie haben nachher Gelegenheit, die Auffassung Ihrer Fraktion darzustellen.
In einem Zeitraum, in dem das CDU-Präsidium auf Bundesebene beschließt, Eingriffe in die Tarifautonomie vorzunehmen und den Flächentarifvertrag auszuhöhlen, sollen wir in Hessen Flächentarifvertrag und die betrieblichen Bündnisse auf eine Ebene stellen. – Kein Sozialdemokrat hat etwas gegen betriebliche Bündnisse. Wir alle waren über das betriebliche Bündnis bei Opel froh, das tatsächlich Standortsicherung gebracht hat.
Übrigens ist das nicht nur unsere Vorstellung. Bei dem Besuch bei Opel sagte uns der Arbeitsdirektor von Opel: Wenn es den Flächentarifvertrag nicht gäbe, dann müsste man ihn erfinden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union, da haben wir unterschiedliche Auffassungen.Wir sind der Auffassung, dass der Flächentarifvertrag und damit der Betriebsfrieden unserem Land nützen – übrigens auch den Unternehmen in unserem Lande.
Wenn Sie sagen, das ändert die Sozialdemokratie nicht, dann muss ich sagen: Ja, die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden das nicht ändern.
Der zweite Punkt: die verfassungsändernden Normen. Die Mütter und Väter der Verfassung waren 1946 moderner als das, was Sie heute vorlegen. Im Jahre 2005 vor die Bürger mit einer Verfassungsreform zu treten, die den Bürgerinnen und Bürgern weniger Rechte und nicht mehr gibt, das kann doch nicht Ihr Ernst sein, meine Damen und Herren von CDU,BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP.
Sie wollen die Verfassung aus den Händen der Bürger in die Hände der Politik geben. Natürlich wäre es für uns mit Zweidrittelmehrheit einfacher. Wir machen das dann wie im Vermittlungsausschuss im Bundestag. Hinter verschlossenen Türen machen wir türkischen Teppichmarkt.
Abschließend. Wir hätten jetzt einen Antrag vorlegen können – das hatten wir uns auch überlegt – mit Tierschutz, Ehrenamt, Kunst und Kultur und den Punkten, die die GRÜNEN angesprochen haben. Aber dies wäre – in Klammern: zu Recht – als taktisches Manöver verstanden worden.Wir verzichten darauf, weil wir uns ansonsten unglaubwürdig machen würden, wenn wir den besonderen Stellenwert der Hessischen Verfassung darstellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aber ich biete für die SPD-Fraktion an, dass wir uns über diese Punkte separat unterhalten. Damit diese taktischen Manöver in der Tat nicht als Vorwurf bestehen bleiben können, ziehen wir diesen Antrag,den wir eingebracht haben,der sowieso auf dem Stand des Februar dieses Jahres ist, zurück, sodass wir – wenn ich das richtig feststelle – in der Situation sind, dass die Verfassungsenquetekommission per Zeitablauf zu Ende ist. Der Einsetzungsbeschluss war auf den 31.12. letzten Jahres begrenzt, sodass der Ablauf des Prozesses der Verfassungsenquetekommission mit dem heutigen Tag beendet ist, was nicht heißt, dass die Ergebnisse und Diskussionen völlig umsonst gewesen sein müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn es denjenigen, die sagen: „Uns geht es um diese Punkte“, so wichtig ist, dann haben diejenigen die Möglichkeit, gemeinsam
mit Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten diesen Weg einzuschlagen. An den Punkten, die ich eben dargestellt habe – nicht weniger Bürgerrechte, sondern mehr Bürgerrechte, keine Einschnitte in die Tarifautonomie, sondern Festhalten an dem Flächentarifvertrag –, gibt es mit den Sozialdemokraten keine Kompromisse. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Punkte sind relativ klar. Nicht wir boykottieren an dieser Stelle, sondern wir verlassen unsere Grundsätze nicht.
Ihr könnt an der Stelle darüber lachen. Der Vorwurf ist an der Stelle richtig.An diesen Punkten gibt es keinen Kompromiss der SPD. An dieser Stelle gibt es keine Mitarbeit der SPD. Deshalb müsst ihr euch jetzt entscheiden. Die anderen Punkte, die euch angeblich so wichtig sind: Sind sie euch so wichtig, dass wir sie in einem angemessenen, ordnungsgemäßen Verfahren mit in einen verfassungsändernden Prozess aufnehmen? – Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dann würden wir uns verfassungsfreundlich verhalten. Das, was momentan mit der Verfassung gemacht wird, insbesondere in den Pressemeldungen der letzten Wochen, ist und war in der Tat verfassungswidrig.
Zunächst habe ich eine Kurzintervention. Zweitens will ich mitteilen: Ich habe die Redezeit um zwei Minuten verlängert; das gilt für alle Fraktionen. Ich sage vorher an, wann sie abgelaufen ist, aber die Zeit gilt für alle. – Herr Kollege Dr. Jürgens hat das Wort zu einer Kurzintervention.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Walter hat heute Morgen zu diesem Tagesordnungspunkt gesprochen. Frau Ypsilanti hat gestern dazu eine Presseerklärung gemacht. Dass beide versuchen, sich wechselseitig in der Ablehnung der Vorschläge der Enquetekommission zu übertreffen, ist – glaube ich – ein Teil des Problems, vor dem wir heute stehen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Norbert Schmitt (SPD): Das ist Quatsch mit Soße!)
Herr Walter, Sie haben gesagt, Sie wollten nicht alle Vorschläge der Enquetekommission ablehnen, und haben gesagt, wir hätten das in unserer Presseerklärung fälschlich dargestellt. Ich darf nur einen Satz aus Ihrem Sondervotum zitieren:
Die der SPD-Fraktion angehörigen Mitglieder der Enquetekommission können und wollen die von der Mehrheit beschlossenen Empfehlungen nicht mittragen.
Da steht nicht „manche“, da steht nicht „viele“, da steht nicht „einige“ oder „einzelne“, da steht „die“.
Ich weiß nicht, ob Sie uns sagen wollen, wir würden einen Fehler machen, das, was Sie in Ihr Sondervotum hineinschreiben, ernst zu nehmen.
Eine letzte Anmerkung. Sie haben auf die amerikanische Verfassung verwiesen, die in den letzten 200 Jahren nur selten oder gar nicht überarbeitet worden ist. Das ist aber einer der Gründe dafür,weshalb z.B.immer noch in Amerika Feuerwaffen und Faustwaffen frei veräußerlich sind. Das heißt,das,was sozusagen im Wilden Westen noch galt, gilt heute in den USA immer noch. Wir sollten sehr vorsichtig damit sein, welche Vergleiche wir wählen, wenn es um die Hessische Verfassung geht.
(Norbert Schmitt (SPD): Das war jetzt „super“, das „stärkste“ Argument, das ich bisher gehört habe!)
Lieber Herr Dr. Jürgens, das Argument, dass wir gegen den Kompromiss und damit gegen alles gestimmt haben, ist natürlich ein relativ schwaches Argument.Wen ich das richtig sehe, wurden unsere Mitglieder in der Enquetekommission vor die Frage gestellt:Nehmt ihr das alles mit, macht ihr alle Punkte mit, oder seid ihr dagegen?
Ich habe dargestellt, dass wir in zwei Punkten dagegen sind. Dass gerade Sie diese Intervention gemacht haben, überrascht mich doch.
Ich erlebe GRÜNE im Wahlkampf mit großen Publikationen: „Mehr Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger – wir müssen mehr Rechte für die Bürger schaffen“.
Ich erlebe GRÜNE im Wahlkampf, die sagen: Wichtig sind die Arbeitnehmerrechte. – Genau diejenigen, die diese Grundsätze im Wahlkampf für sich nutzen, stimmen einem Kompromiss zu, in dem die Bürgerinnen und Bürger unstrittig weniger Rechte bei der Veränderung der Verfassung haben sollen.Was für ein größeres Thema gibt es denn als die Veränderung der Verfassung?
Genau diejenigen, die mit dem Thema Arbeitnehmerrechte Wahlkampf machen,stimmen der völligen Aushöhlung der Tarifautonomie zu, wenn das denn in Hessen so Gesetz wäre. Man kann das machen. Die Grundsätze Ihrer Partei sind nicht mein Anliegen.Wenn Sie Ihre Grundsätze auf die Seite schieben, ist das Ihre Angelegenheit. Aber, sehr geehrter Herr Dr. Jürgens, die Sozialdemokraten – nicht nur in diesem Hause – lassen sich von Ihnen nicht vorwerfen, dass wir unsere Grundsätze nicht räumen, nur weil Sie Ihre Grundsätze räumen.