Frau Kollegin Wagner, diese Punkte, die angesprochen und öffentlich dargestellt wurden, sind nicht Gegenstand unseres Sondervotums. Es ist doch nicht so, dass die SPD gegen die Verankerung dieser Punkte stimmen würde.
Die SPD boykottiert doch diese Punkte nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Bündnisgrünen, es ist doch gerade umgekehrt so, dass die SPD mit der Forderung konfrontiert wird: Diese Punkte erhaltet ihr nur dann,
wenn ihr als Sozialdemokraten dazu bereit seid, gravierende Änderungen bei der Wirtschaftsordnung und gleichzeitig erhebliche Einschränkungen der Rechte der Bürgerinnen und Bürger bei den Möglichkeiten der Verfassungsänderungen mitzutragen.
(Lebhafter Beifall bei der SPD – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jörg- Uwe Hahn (FDP))
Diese Verbindung haben doch nicht wir geschaffen. Ich stelle das nochmals dar: Tierschutz, Kultur, Kunst, Ehrenamt – all diese Punkte sind völlig unstrittig.
Wenn es Ihnen auf diese Punkte ankäme – wie wir es mehrfach gehört haben –, dann würden Sie sagen: Wir bringen diese Punkte ein. – Das wäre mit der SPD überhaupt kein Problem.
Offensichtlich geht es Ihnen doch um etwas völlig anderes. Ihnen geht es um die gravierenden Einschnitte in die Tarifautonomie – Stichwort: Flächentarifvertrag – und in die Rechte an der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube aber, wer so argumentiert – die SPD ist gegen die Abschaffung der Todesstrafe –, der missachtet den besonderen Stellenwert unserer Verfassung.
Die Hessische Verfassung ist eben kein einfaches Gesetz. Es ist auch keinesfalls ein einfacher Parlamentsantrag, den wir in der üblichen Weise auf dem politischen türkischen Teppichmarkt nach dem Motto verhackstücken: Gibst du mir einen Artikel, gebe ich dir den anderen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren der drei anderen Fraktionen, es ist doch so, wie die „FAZ“ vom 25. Februar dieses Jahres zu Recht schreibt:
Diese Argumentationen, dieses Zusammenbinden von Dingen, die nichts miteinander zu tun haben, dieses Herabstufen der Verfassung auf den türkischen Teppichmarkt der Tagespolitik ist, „wenn auch nicht im juristischen Sinne – verfassungswidrig“.
(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU: Das ist eine Diskriminierung der Türken!)
Die Hessische Verfassung,die am 01.12.1946 von den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes in einer Volksabstimmung angenommen worden ist,
ist ein historisches Dokument von herausragender Bedeutung. Aber sie stellt nach wie vor auch einen lebendigen Ordnungsrahmen für unsere Gesellschaft dar.
Wir in Hessen – mit „wir“ meine ich alle – waren die Ersten, die sich mit der Verfassung vom Dezember 1946 eine demokratische Verfassung gegeben haben, eine soziale und liberale Verfassung, die erste dieser Verfassungen nach der Nazityrannei. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in gewisser Weise war sie eine Blaupause für die Verfassungen aller anderen Bundesländer, die sich erst nach uns Verfassungen gegeben haben. In gewisser Weise war sie auch Blaupause für das Grundgesetz, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stelle hier sehr deutlich fest: Jedenfalls wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind stolz auf dieses historische Dokument.
Ich habe gesagt, diese Verfassung ist nicht nur ein historisches Dokument, sie ist auch ein lebendiger Ordnungsrahmen. Damit möchte ich ein wenig mit der Vorstellung aufräumen, man müsse eine Verfassung wie ein tagespoli
tisches Gesetz permanent verändern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine gute Verfassung ist eine, die im Lichte der Verfassungswirklichkeit ausgelegt werden muss.
Sehen Sie, die amerikanische Verfassung stammt aus dem Jahr 1787. Die amerikanische Verfassung wurde nicht ein einziges Mal verändert, sondern immer nur ergänzt. Eine gute Verfassung muss nicht auf dem tagespolitischen Höhepunkt sein.
Eine gute Verfassung wird im Lichte der Verfassungswirklichkeit ausgelegt und angewandt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Verfassung in Hessen ist eine Verfassung, mit der wir auf diese Weise arbeiten können.
(Beifall bei der SPD – Zurufe der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Frank Gotthardt (CDU))
Herr Kollege, es geht nicht um die Verfassung von Stimmbändern, sondern um die Verfassung des Landes Hessen. Ich bitte, dem Thema angemessen zu reagieren. Das gilt für jeden. – Bitte.
Deswegen sind wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für einen behutsamen Umgang mit der Hessischen Verfassung. Wir sind nicht für eine Totalreform der Hessischen Verfassung, weil wir dann – wenn man die Frage ehrlich beantwortet – letztlich das Grundgesetz abschreiben. Wir wollen, dass die besondere Identität der Hessischen Verfassung erhalten bleibt. Zu Fragen wie Kindern, Ehrenamt, Kunst und Kultur, Tierschutz, Abschaffung der Todesstrafe – ich nenne die Punkte, die in den grünen Pressemeldungen waren – habe ich angeboten, das machen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit. Aber Sie können einwenden, dies wäre keine Verfassungsreform, sondern nur eine Verfassungsergänzung. – Ja, das wäre nur eine Verfassungsergänzung.
Was ist denn der Katalog,den die Mehrheit vorgelegt hat? Verstehen Sie unter diesem Katalog tatsächlich eine Reform der Hessischen Verfassung? – Wir alle sind uns darüber im Klaren, dass die Verfassung der Ordnungsrahmen einer Gesellschaft ist. Was ist denn das Leitbild dessen, was die drei Fraktionen vorgelegt haben? – Es gibt Verschiedenes, was man als Leitbild für eine Verfassung im Jahre 2005 machen könnte, beispielsweise Antworten auf den demographischen Wandel, Einführung von subjektiven Rechten, die Frage, wie das mit Kindergartenbezahlen ist, wie das mit Verschuldung in einem Lande ist – alles, was man in einem solchen Bereich als Bild stellen könnte.
Herr Dr. Jürgens, ein Thema der GRÜNEN, wir könnten die Verfassung mit dem Leitbild ändern: mehr Bürgerbeteiligung.All dies wäre möglich. Ich frage Sie.
Herr Wintermeyer, Sie haben auf diese Frage keine Antwort gegeben.Wir haben es mit einem Sammelsurium von verschiedenen Positionen zu tun. Ich mache denen, die in der Enquetekommission sitzen, überhaupt keinen Vorwurf, weil es die unterschiedlichen Parteigeschichten gibt. Aber ein Leitbild ist dieser Antrag, den die drei Fraktionen vorgelegt haben, nicht.
Ein Grundgedanke von diesem Verfassungskompromiss ist nicht erkennbar. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gibt es zwei zentrale Punkte für unser Sondervotum. Übrigens ist es nicht der Gottesbezug, was gelegentlich dargestellt wurde. Wir haben uns entschieden, das ist eine Gewissensfrage. Das muss jeder selbst entscheiden, und das würde auch für jedes einzelne Mitglied meiner Fraktion gelten. Diese Frage muss in einem Gesetzgebungsverfahren und in der nachfolgenden Volksbefragung jeder für sich selbst beantworten. Das ist nicht der Gottesbezug. Es ist zum einen die Frage der wirtschaftlichen Ordnung. In der Tat, der Vorwurf, dass die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hier verfassungskonservativ argumentieren, ist zutreffend. Sehen Sie:
Es gibt nun einmal Erscheinungsformen der Wirtschaft, die einen gefährlichen Anreiz von Monopolkapitalismus in sich tragen. Und diese Anreize müssen der Herrschaft der Allgemeinheit unterworfen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist nicht der Müntefering von heute Morgen, sondern das ist aus der einleitenden Rede von Erich Köhler, dem Fraktionsvorsitzenden der CDU, in der konstituierenden Sitzung der Verfassungberatenden Landesversammlung. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten teilen diesen Ansatz.