Protocol of the Session on January 26, 2005

Überflüssige staatliche Aktivitäten schaden beiden Seiten.Auf der einen Seite werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst mit unsinnigen Tätigkeiten befasst. Auf der anderen Seite können sie ihre eigenen Aufgaben, für die sie bezahlt werden, nicht erledigen. Die Bürgerinnen und Bürger wiederum müssen sich mit sinnlosen Formularen und ellenlangen Anträgen in zigfacher Ausfertigung beschäftigen und warten unnötig lange auf Bescheide.

(Florian Rentsch (FDP): Sie sind doch Gängeler!)

Ich weiß gar nicht, was daran strittig ist. Das waren sehr allgemein gehaltene Sätze. Denen müssten sogar Sie zustimmen. Aber vielleicht sind Sie heute in diesem Haus auf Krawall gebürstet. Dann können wir das auch noch ein bisschen strittig machen.

So weit dürfte in diesem Haus Einigkeit bestehen. Niemand mag es, Gesetze zu lesen, Anträge zu stellen und Formulare auszufüllen. Der politische Streit beginnt genau dort, wo wir darüber entscheiden müssen, welche staatlichen Aktivitäten tatsächlich überflüssig sind und im Zuge des Bürokratieabbaus wegfallen können bzw. müssen.

Das ist doch die Frage: Geht es wirklich um den Abbau von überflüssigen Gesetzen und Verordnungen, oder geht es im Kern um den Abbau von Schutzrechten von Arbeitnehmern und Verbrauchern oder um die Reduzierung von Umweltstandards?

Meine Damen und Herren, ich habe immer das Gefühl, wenn das Thema vonseiten der FDP diskutiert wird, dass es eher um das Letztere geht, nämlich um den Abbau von Schutzrechten und um die Reduzierung von Umweltstandards in unserem Land.

(Dieter Posch (FDP): Davon steht nichts drin! – Heinrich Heidel (FDP): Unglaubliche Unterstellung! – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP) – Dieter Posch (FDP): Sie sollten den Antrag einmal lesen!)

Florian Rentsch fühlt sich im Wiesbadener Stadtparlament sehr zu Hause. Ich bin dankbar für den Hinweis, aber an diesem Punkt könnten wir diese Debatte hier friedlich weiterführen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das, was wir in den letzten Wochen von Ihnen zu den Umweltstandards und zum Planungsrecht gehört haben – ich erinnere hier nur an die Debatte um die Kammmolche und die A 49 –,drängt doch ein bisschen den Verdacht auf, dass es nicht um Entbürokratisierung geht, sondern darum, Schutzmechanismen und Umweltstandards abzubauen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Meine Damen und Herren von der FDP, Sie loben im ersten Teil Ihres Antrags das, was Sie mitgestaltet haben, als Sie noch in der Regierung waren. Die 3.500 überflüssigen Vorschriften, die außer Kraft gesetzt wurden, wird keiner wirklich vermissen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele dieser Vorschriften längst überflüssig waren und viele von ihnen gar nicht mehr angewandt wurden.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Wenn Sie hier immer wieder auf Ihre ehemalige Regierungsbeteiligung zurückkommen, erinnert das schon ein bisschen an die alte Oma, die zu Hause vor dem Kamin sitzt und immer darüber nachdenkt, wie schön es früher gewesen ist.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Wir sollten aufhören, immer über früher und damals zu sinnieren, sondern den Blick nach vorne wenden und uns dem Bürokratieabbau und der Verwaltungsreform widmen. Dann kommen wir vielleicht auch weiter.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Wenn Herr Kollege Rentsch auf Krawall gebürstet ist, sage ich Ihnen:

(Heinrich Heidel (FDP): Na, na, na!)

Im Hessischen Landtag führen Sie immer die Argumente an, z. B. was den Subventionsabbau betrifft, und die schwingen großen Reden. Aber wenn es darum geht, im Bundestag die Gesetze zu verabschieden,bei denen es um die Eigenheimzulage oder die Kilometerpauschale geht, dann stellen Sie sich auf einmal hin und sind dagegen. Sie halten hier die wohlfeilen Reden, und wenn es darum geht, das auch umzusetzen, dann verabschieden Sie sich aus der Verantwortung. Das ist die Tatsache.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein zweiter Punkt, der im Antrag angesprochen wird, ist die zeitliche Befristung von Gesetzen.Auch das ist hier im Haus eingeführt worden.Wir müssen uns in der Tat überlegen, ob es wirklich zu einer Erleichterung des Verwaltungshandelns führt oder ob wir, die wir die Gesetze machen, unter Umständen damit eher einen Mehraufwand produzieren.

Herr Kollege Posch, wir erleben es immer wieder, das haben Sie z. B. auch beim Verwaltungsstrukturreformgesetz und bei den anderen Gesetzen gesehen – man weiß überhaupt nicht mehr, wie sie alle heißen, weil es ein erstes,

zweites und drittes Gesetz gibt und sie dann wieder umbenannt wurden –: Wir hatten den Fall, dass in den Artikelgesetzen die Gesetze, die abgelaufen waren, einfach wieder verlängert wurden. Es ist dabei nicht darüber nachgedacht worden, wie sinnvoll diese Gesetze gewesen sind. Diese Gesetze sind nicht evaluiert worden und es ist nicht geprüft worden, was an diesen Gesetzen verändert werden kann.Sie sind einfach wieder in Kraft gesetzt worden. Es war wirklich nicht Sinn und Zweck der Initiative, dass diese Gesetze zeitlich befristet waren.

Ich könnte mir z. B. vorstellen, dass wir anstatt der zeitlichen Befristung während der Laufzeit das Gesetz evaluieren und in einer zweiten Anhörung überprüfen, ob das, was wir als Gesetzgeber gewollt haben, sich im Verwaltungshandeln auch wirklich durchgesetzt hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der FDP,Sie zollen weiter der Landesregierung Applaus, weil sie die elektronische Kommunikation und das Internet nutzt. Heute Morgen haben wir hier in ellenlanger Breite vom Ministerpräsidenten dieses Landes eine Regierungserklärung zum E-Government gehört. Ich glaube, dass es heute kein mittelständisches Unternehmen in unserem Bundesland mehr gibt, das nicht auf moderne Kommunikationsmittel und das Internet zurückgreift. Wenn es aber unbedingt der Wahrheit dient, dass Sie dies hier herausstellen müssen, dann kann ich nur erwidern, dass man solche Selbstverständlichkeiten nicht in Anträge gießen muss.

Auch das von Ihnen gelobte Projekt ELSTER zur Abgabe elektronischer Steuererklärungen läuft im Übrigen bundesweit und nicht nur in Hessen. Trotzdem muss dieses Projekt des elektronischen Datenaustauschs zwischen den Finanzbehörden der Länder noch umfassend ausgebaut werden, nicht zuletzt, um auch den florierenden Umsatzsteuerbetrug einzudämmen. Hier ist noch viel zu verbessern. Es ist noch nicht an der Zeit, sich zufrieden zurückzulehnen.

Zur Wahrheit beim Bürokratieabbau gehört auch – das vermisse ich in Ihren Äußerungen –,dass von der Bundesregierung zu diesem Themenbereich viel unternommen wird. Der Kabinettsbeschluss, der seit Februar 2003 vorliegt, ist sehr ambitioniert. Der erste Zwischenbericht ist im Februar 2004 gegeben worden und zeigt, dass einige der 45 Projekte zum Bürokratieabbau bereits erfolgreich erledigt wurden. Der zweite Zwischenbericht ist für März 2005 angekündigt. Meine Damen und Herren von der FDP, zur Wahrheit gehört also auch, dass auf Bundesebene zu diesem Thema intensiv gearbeitet wird.

Zum Thema gehört ferner, dass es immer dann, wenn es um die Klientel der FDP geht,

(Michael Denzin (FDP): Es gibt bei uns keine Klientel!)

ich erinnere an die Debatte um die Handwerksordnung, mit dem Bürokratieabbau schnell zu Ende geht.

(Florian Rentsch (FDP): Das überlassen Sie mal uns!)

Wenn es aber um den Abbau von Schutzrechten und Umweltstandards geht, werden radikale Änderungen gefordert.

Nun zu den weiteren Vorschlägen,die in Ihrem Antrag angesprochen worden sind. Ich bin auch mit Ihnen einer Meinung, wenn man Bürokratiekosten ermitteln will, muss dies mit dem System SAP R/3 möglich sein – wenn es denn einmal läuft und durchgängig angewandt wird.

Sie fordern, Bürokratiekosten neuer Gesetze vorab zu schätzen und diese Kosten den Unternehmen in bestimmten Fällen zu erstatten. Es wird zunächst zu prüfen sein, wie Bürokratiekosten sinnvoll abzugrenzen sind. Bürokratiekosten entstehen schließlich nicht nur bei Unternehmen, sondern auch bei privaten Haushalten und beim Staat selbst. Auch die Unternehmen sind Teil des Gemeinwesens und profitieren von staatlichen Einrichtungen und der staatlichen Infrastruktur.Wird z. B. statistisch erfasst, welcher Bedarf an Infrastruktureinrichtungen besteht, wäre es doch absurd, ausgerechnet den Unternehmen die Kosten für die Teilnahme an der Befragung zu erstatten, wenn sie nachher z. B. von der verbesserten Infrastruktur profitieren.

Der zweite Punkt ist, dass Genehmigungsverfahren durch Anzeigeverfahren ersetzt werden können. Dies ist auch stets im Einzelfall zu prüfen. Sie werden doch mit Sicherheit nicht den Bau einer Müllverbrennungsanlage, eines Stahlwerks oder einer Startbahn am Frankfurter Flughafen lediglich von einer Postkarte, die beim Bürgermeister eingereicht wird, abhängig machen.Von daher muss differenzierter diskutiert werden. Das können wir im Ausschuss tun.

Der Kampf gegen die Statistik ist so alt wie die Einrichtung der Statistik zu Beginn des 19. Jahrhundert. Selbstverständlich sind 99 % der Statistiken vollkommen überflüssig. Nur die Statistiken, die wir gerade brauchen, um an Rednerpulten zu argumentieren, sind natürlich nicht überflüssig. Hier sollte auch mit Augenmaß an die Debatte herangegangen werden.Nicht jede Statistik ist überflüssig.

(Minister Volker Bouffier: Statistiken sind das Mär- chen der Vernunft!)

Statistiken können auch durchaus dazu beitragen, dass wir als Politikerinnen und Politiker unter Umständen vernünftige Entscheidungen treffen. In Ihrem Kampf gegen die Bürokratie sollten Sie schließlich auch schauen, was andere vorschlagen und was andere umsetzen. Ich habe schon den Kabinettsbeschluss der Bundesregierung erwähnt. Es gibt in diesem Beschluss umfassende Vorschläge zur Deregulierung, zur Entbürokratisierung. Einiges davon wurde auch schon umgesetzt.

In der Nachbetrachtung der Debatte um die Handwerksordnung zeigt sich, wer Bürokratieabbau schönredet und wer tatsächlich Bürokratieabbau betreibt. Der Bundeswirtschaftsminister hat sich vehement für die Reform des Handwerksrechts eingesetzt. Er wollte ursprünglich von 94 Handwerken 65 aus dem Meisterzwang befreien. Nun sind es nur 53 geworden, dabei tendenziell eher die kleineren Handwerke mit weniger Beschäftigten.

(Horst Klee (CDU):Was ein Hammer!)

Die Novelle kann mit Fug und Recht als einer der umfassenden Liberalisierungsschritte im Handwerksrecht seit 1953 bezeichnet werden. Erstaunlich war schon, dass die FDP an der Seite der Konservativen und der hergebrachten Handwerksrechtler kämpfte und schließlich gemeinsam mit den Handwerkskammern nach dem Motto handelte:Deregulierung überall,aber bitte nicht da,wo es uns betrifft und wo es an unsere Vorteile geht.

Wenn man über Entbürokratisierung und Bürokratieabbau spricht – das ist mit Sicherheit ein wichtiges Thema, nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger,die gewisse Ansprüche an eine effiziente und vernünftige Verwaltung haben; es ist auch der Anspruch von Unternehmen, die bei

uns tätig sind, damit sie schnell zu Genehmigungsverfahren kommen –, sollte man nicht nur im virtuellen Raum argumentieren, sondern auf dem Boden der Tatsachen argumentieren. Nicht jede Bürokratie oder jeder bürokratische Ablauf ist unbedingt schlecht. Zu guten Genehmigungsverfahren gehört auch, dass sie Rechtssicherheit haben. Von daher profitieren Unternehmen auch davon, dass unsere Verwaltungen gut arbeiten und rechtssichere Bescheide herausgeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Meine Damen und Herren,lassen Sie uns darüber im Ausschuss weiter diskutieren.Ich bin sehr gespannt und hoffe, dass wir nicht nach dem Motto diskutieren: Bürokratieabbau immer nur da, wo es mich nicht betrifft und wo ich es von anderen fordern kann. – Wir sollten eine offene Debatte führen, ich freue mich darauf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Für die Landesregierung spricht jetzt Minister Grüttner.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich auf ein paar Aspekte eingehen, die von den Vorrednern dargelegt worden sind. Herr Bender, wenn Sie sagen, dass die Überprüfung nicht mehr angewandter Vorschriften für Sie zur regelmäßigen Arbeit einer Landesregierung gehört,kann ich Ihnen nur erwidern: Als wir 1999 zusammen mit der FDP die Landesregierung übernommen haben, mussten wir feststellen, dass die Vorgängerregierung regelmäßig die Arbeit verweigert hat.

Denn eine ganze Reihe dieser Vorschriften,von denen Sie gesagt haben, dass sie regelmäßig überprüft werden sollen, haben schlicht und einfach noch im Gültigkeitsverzeichnis gestanden. In der Zwischenzeit sind Aufgabenüberprüfungen selbstverständlich geworden. Das hat in der Tat dazu geführt, die Regelungsdichte, die lähmend wirkt, in Hessen drastisch zu verringern.

(Norbert Schmitt (SPD): Mit einer Politik der kurzen Wege überwinden wir die! Endlich kurze Wege zum Staatssekretär im Justizministerium!)