Protocol of the Session on December 14, 2004

Abgeordneter zu sein bedeutet,Mut für eigene Initiativen zu haben. Das heißt aber nicht, irgendwelchen kommunalen Würdenträgern hinterherzulaufen.

(Beifall bei der FDP)

Verehrter Herr Jung, warum gibt es denn trotz absoluter Mehrheit die so genannte Regierungsrunde? Das ist eine verkappte Koalitionsrunde.

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Das ist sehr gut!)

Die gibt es doch nur deshalb, weil Sie die divergierenden kleinen Stammesfürsten in der Fraktion und im Land unter einen Hut bringen müssen. Das war während der Zeit der Koalition mit uns nicht nötig.

(Beifall bei der FDP)

Damals gab es klare Verabredungen und klare Kompromisse.

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Na ja!)

Es gab aber nicht den Fall, dass man Partikularinteressen ausgeliefert war. Dieses Den-Partikularinteressen-ausgeliefert-Sein ist es,was in Wahrheit die Arroganz der Macht ausmacht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Al-Wazir, es ist aber anders, als es die Mitglieder der GRÜNEN und der SPD darstellen. Das ist keine Arroganz, die sich durch sicheres Handeln der Regierung er

gibt.Vielmehr ist dies die Arroganz der Unsicherheit und der Abhängigkeit von Einzelinteressen.

(Beifall bei der FDP)

Das verheerendste Beispiel gegenüber dem Parlament ist die Beratung der Schulgesetznovellierung. Der Gesetzentwurf wurde ein Jahr später eingebracht, als es in Pressemitteilungen verkündet wurde. Er wurde von Beamten im Ministerium im Schweinsgalopp mit vielen Fehlern erstellt.Als man nach der Anhörung merkte,dass vieles korrigiert werden musste, wurde dem Kulturpolitischen Ausschuss ein 25 Seiten umfassender Änderungsantrag vorgelegt. Der Änderungsantrag lag in keiner ausreichenden Stückzahl für die Beratungen der Abgeordneten vor. Das muss man sich alles einmal auf der Zunge zergehen lassen. Dann wurde dieser Änderungsantrag von zwei Abgeordneten vertreten, die intellektuell nicht in der Lage waren, eine Begründung dafür zu geben.

(Beifall bei der FDP, bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Tarek Al-Wazir und Jürgen Frömm- rich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist eine Blamage ersten Ranges. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Es ist die große Schwäche einer so großen Fraktion, dass sie sich zur Abfassung ihrer inhaltlichen Änderungsanträge auf die Vorschläge der Beamten eines Ministeriums einlässt. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich war in beiden Verfassungsorganen Mitglied.

Ich sage das jetzt sehr bewusst: Wenn sich bei Ihnen am Ende nicht der gesunde Menschenverstand des gewählten Abgeordneten gegen den Fachverstand der Beamten durchsetzen kann, haben Sie trotz Ihrer absoluten Mehrheit ein großes Problem. Das sage ich Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Tarek Al-Wazir und Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Es hat eine ganze Reihe handwerklicher Fehler gegeben. Zum Beispiel war in einem Entwurf für ein Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz die Vorschrift vorgesehen, dass die Förderung des Landes über die Erziehungsberatungsstellen erfolgen sollte. Die Erziehungsberatungsstellen hatten Sie aber gerade zuvor mit der großen „Aktion düstere Zukunft“ – oder wie immer sie sonst auch heißen mag – abgeschafft.Weil es diese Stellen nicht mehr gibt, mussten Sie jetzt also nachbessern und sich eine andere Institution suchen, über die Sie fördern können.

Sie haben erklärt, natürlich müssten die Einnahmen aus den Gebühren für die Langzeitstudierenden in der allgemeinen Finanzverwaltung etatisiert werden. Das geschah, weil der Finanzminister diese Gebühren kassieren wollte, um weniger Schulden machen zu müssen. Aber offensichtlich war Ihr schlechtes Gewissen immer noch zugange.Plötzlich wurde das im Einzelplan 15 etatisiert,also dort, wo es auch hingehört. Denn mit diesem Geld sollte eigentlich die Situation der Hochschulen verbessert werden.

(Beifall des Abg. Michael Denzin (FDP))

Es gibt Gesetzentwürfe, zu denen es keine politische Begründung gibt, wie das bei einem Gesetzentwurf nötig ist. Gestern wurde wieder ein solcher Gesetzentwurf behandelt. Dieser betrifft die Kommunalisierung des Landrats sowie des Oberbürgermeisters als Behörden der Landesverwaltung. Da steht dann einfach nur der schlichte Satz:

Die derzeitige Konstruktion... ist nicht mehr zeitgemäß.

So leicht darf es sich eine Regierung nicht machen. Es muss schon eine inhaltliche Begründung her.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Jürgen Frömm- rich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kommt dann auch noch aus dem Ministerium!)

Ich möchte jetzt auf ein paar inhaltliche Politikfelder zu sprechen kommen. Ich will klarmachen, wie Hessen im Jahre 2004 ausgesehen hätte,wenn es eine Beteiligung der FDP an der Regierung gegeben hätte.

Der Haushalt und die finanzielle Situation des Landes,die sich in dem ausdrückt, was der Finanzminister am Ende dieses Jahres nunmehr zum zweiten Mal hat vorlegen müssen, wären nicht so.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wir hätten alles darangesetzt, dass die nach der Verfassung vorgesehene zulässige Grenze der Verschuldung nicht zum zweiten Mal überschritten wird.

Verehrte Damen und Herren von der CDU,das haben wir schon im Wahlkampf 2002/03 gesagt. Wir haben deutlich gemacht, dass der Nachtrag 2002 eine Einmaligkeit bleiben muss und dass wir alles daransetzen müssen, um generell eine Veränderung der Finanzsituation zu erreichen. Dazu hat unser Kollege Roland von Hunnius einen hervorragenden Alternativvorschlag zusammen mit uns vorgelegt. Dazu gehören eine Veränderung der Aufgabensituation des hessischen Staates, eine Aufgabenkritik, eine Strukturveränderung in der Verwaltung, die Privatisierung von Landesvermögen, um neue Investitionen über dieses Landesvermögen tatsächlich schaffen zu können, der Verzicht des Landes auf Beteiligungen, die Reduzierung der Personalkosten, die Überprüfung der indirekten und direkten Finanzhilfen.

Meine Damen und Herren, wir vermissen intelligentes Sparen mit Kreativität und mit Fantasie,

(Beifall bei der FDP)

wobei man trotzdem noch Schwerpunkte setzt. Das wäre dringend notwendig gewesen. Damit setzen wir uns aber auch, um es klar zu sagen, von SPD und GRÜNEN ab. Die lassen sich immer nur neue Belastungen der Bürger einfallen, von Vermögensteuer über Bildungsteuer.

(Beifall bei der FDP)

Auf der anderen Seite sehen wir im Antrag der GRÜNEN wieder das platte Wegstreichen von Eigenheimzulage und Pendlerzulage, das nur die kleinen Bürger in unserem Land trifft.

(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die FDP spielt sich als Pendlerschützer auf!)

Lassen Sie mich zum Thema Wirtschaft und Verkehr sagen: Es gibt einen Zickzackkurs z. B. in der Verkehrsförderung, die das Land selbst beeinflussen konnte. Der Landesstraßenausbau war dramatisch schlecht, als wir 1999 gemeinsam die Verantwortung übernahmen. Sie haben das im letzten Jahr ohne Sinn und Verstand das zusammengekürzt und jetzt gemerkt, dass das falsch war, also wieder erhöht.

Das werfen wir Ihnen vor: dass es keine Stetigkeit gibt, keine Nachhaltigkeit im Kürzen oder im Erhöhen. Das ist ganz deutlich in vielen Bereichen der Wirtschaftspolitik.

Wo ist endlich das Sparkassengesetz?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wo ist die nachhaltige Stärkung des Finanzplatzes Frankfurt, die Zentralisierung der Börsenaufsicht? Wann kommt endlich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht nach Frankfurt? Das sind die großen Fragen, die nicht angegangen werden.

Lassen Sie mich auch sagen: Der Flughafenausbau ist zwischen uns niemals strittig gewesen.Aber zwischen Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens und zügigem Verhalten der Verwaltung gibt es keinen Unterschied. Beides muss mit gleicher Intensität betrieben werden, und das fehlt manchmal.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur Bildungspolitik Folgendes sagen. Wir haben durch Frau Henzler die Alternativen aufgezeigt. Sie versuchen zum ersten Mal, mit Ihren schulpolitischen Vorstellungen einen gewissen Vielfaltskonsens aufzugeben. Sie wollen die kooperativen Gesamtschulen, die angesichts des demographischen Wandels in der Fläche die einzige wirkliche Alternative sind, nicht als Angebot zu lassen. Sie werden auf Dauer keine Haupt- und Realschulen mehr erhalten können. Sie brauchen kooperative Gesamtschulen. Die Vielfalt der Schullandschaft, das hatten Sie einmal versprochen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben viele Ganztagsangebote eingeführt, sehr löblich, aber sie reichen noch nicht aus. Ich meine, sie müssten auch besser auf die kommunale Situation abgestimmt sein.

Sie haben auf unseren Druck hin die Lehrerbildung geändert. Aber ich möchte Sie fragen, ob Sie eines ernsthaft meinen. Zum Thema PISA und den Reaktionen darauf, die wir gleich besprechen werden, habe ich eine merkwürdige Antragsituation der CDU vorgefunden. CDU und FDP sind sich völlig einig, dass es nicht sein kann angesichts der Tests der Grundqualifikation insbesondere der 15-jährigen Jungen im Lesen, in Naturwissenschaften und Mathematik, dass wir in diesem Bereich nichts tun und keine Förderung ansprechen. Anders als SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben Sie wie wir erklärt, dass wir nicht glauben, dass eine Einheitsschule irgendeine Abhilfe schaffen kann. Im Gegenteil, der Befund ist, dass in Bayern 15-jährige Migrantenkinder, insbesondere Jungen, besser waren als die deutschen Jungen in Hessen bei ihrem Leseverhalten.

Meine Damen und Herren, das heißt, wir beide sind der Meinung, dass PISA leider gezeigt hat, dass die Schulform völlig unabhängig ist von der Frage der Förderung. Wir hatten genauso schlechte Schüler im gegliederten Schulsystem wie im Gesamtschulsystem. Ich füge hinzu, dass ich annehme,dass Sie mit mir zudem übereinstimmen,wie Heike Schmoll dieser Tage in der „FAZ“ geschrieben hat, dass die drei Bewertungen noch lange nicht die Bildung unserer Schule ausmachen und noch lange kein Werturteil über Erziehung, Bildung und Kenntnisse deutscher Schüler aussprechen. – Wenn das alles so ist, dann muss es um

ein Förderprogramm gehen. Darin sind wir uns wieder einig.

Lieber Herr Jung, in ihrem Dringlichen Antrag Drucks. 16/3371 zieht die CDU aber folgende Konsequenzen aus PISA:

Der in Arbeit befindliche Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von Geburt an bis zu zehn Jahren wird ein Meilenstein in der qualitativen Verbesserung der kindlichen Bildung, über die Institutionen Kindergarten und Grundschule hinaus.