Protocol of the Session on November 24, 2004

Unter sozialdemokratischer Führung stand Hessen immer an der Spitze der deutschen Bundesländer.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU)

Das mag bei Ihnen zu einem gewissen Lacheffekt führen, aber Sie sollten die Realitäten zur Kenntnis nehmen.

(Zurufe von der CDU)

Die Menschen in unserem Lande merken, dass es bergab geht, und ich glaube, auch die hessische Union merkt, dass es mit ihr in unserem Lande bergab geht.

(Beifall bei der SPD – Lachen und Zurufe von der CDU)

Herr Ministerpräsident, natürlich werden Sie diese Bilanzzahlen bestreiten. Wenn Sie nachher antworten, bedenken Sie aber bitte, dass die Zahlen, die ich Ihnen eben genannt habe, verbürgt sind. Sie stammen, wie gesagt, zu einem nicht ganz unwesentlichen Teil aus Veröffentlichungen Ihrer eigenen Häuser. Ich fordere Sie deshalb auf, Herr Ministerpräsident: Hudeln Sie nicht einfach mit ein wenig verbaler Kosmetik über die harten Fakten hinweg. Erklären Sie dem Hause, was in Ihrer Regierung los ist.Was sind die Gründe dafür, dass es mit Hessen bergab geht? Vor allen Dingen und ganz konkret:Wie sehen Ihre Konzepte aus,um diesen Abwärtstrend umzukehren? Wie sieht Ihre Strategie aus, das Land Hessen wieder nach vorne zu bringen? Ich denke, dieses Haus, aber auch die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, was geschehen soll, damit es wieder besser wird.

(Beifall bei der SPD – Clemens Reif (CDU): Hudel-Walter! – Weiter Zurufe von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie:Was ist das Mindeste, was man von einer Landesregierung bei der Vorlage eines Haushaltsplanentwurfs erwarten darf? Sind das vielleicht Haushaltstitel, die erkennbare politische Strategien in sich bergen, um das Land wieder nach vorne zu bringen? Sind es politische Schwerpunktsetzungen, an denen man über das Für und Wider diskutieren kann? Oder ist es vielleicht nur die Bereitstellung von Mitteln, um eine halbwegs ordentliche Verwaltung in einem Lande aufrechterhalten zu können? Nein, ich glaube, es ist noch viel einfacher. Das Mindeste, was man von einer Landesregierung erwarten darf, ist, dass sie den Ordnungsrahmen einhält, der ihr von der Verfassung vorgegeben ist.

Kurz gesagt: Man kann von ihr erwarten, dass sie nicht gegen die Verfassung verstößt.

(Beifall bei der SPD)

Die Hessische Landesregierung behandelt die Hessische Verfassung allerdings so, als wäre sie ein unverbindliches beschriebenes Stück Papier. Der Finanzminister hat aus der Verfassungsgrenze der Verschuldung bereits eine „Regelgrenze“ gemacht. Mit dem Haushaltsentwurf 2005 legt Herr Finanzminister Weimar nunmehr zum vierten Mal in Folge einen verfassungswidrigen Haushalt vor. Offiziell wird die Verfassungsgrenze um 280 Millionen c überschritten. Hinzu kommen allerdings die verschleierten Schulden aus den Sale-and-rent-back-Geschäften in Höhe von 850 Millionen c. Darauf werde ich noch eingehen.

Sie legen den vierten verfassungswidrigen Haushalt in Folge vor. Waren die Haushalte 2002 und 2003 wenigsten noch bei ihrer Vorlage verfassungskonform, so verstoßen die Haushalte 2004 und 2005 bereits bei ihrer Vorlage gegen die Verfassung. Kurzum, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung hat noch nicht einmal versucht, ihre Pflicht zu erfüllen.

(Beifall bei der SPD)

Es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn der Herr Finanzminister, nachdem er nun vier verfassungswidrige Haushalte zu verantworten hat, demnächst eine Art Gewohnheitsrecht zum Bruch der Verfassung für sich reklamieren würde.

(Heiterkeit bei der SPD)

Aus dem Justizvollzug wissen wir: Wiederholungstäter sind am schwersten resozialisierbar.

(Heiterkeit bei der SPD)

Aus dem Justizvollzug wissen wir, dass auch das soziale Umfeld bei der Resozialisierung eine nicht ganz untergeordnete Rolle spielt.Wenn ich mir die Damen und Herren der Landesregierung anschaue, mit denen der Herr Finanzminister einen Großteil seiner Zeit verbringt, dann muss ich deutlich sagen, dass der Resozialisierungserfolg ausgesprochen gefährdet ist.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Clemens Reif (CDU):Sprechen Sie aus der Erfahrung bei der Resozialisierung von Herrn Eichel?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die hier in Rede stehende Verfassungsnorm, das Verbot, mehr Schulden aufzunehmen, als Investitionen getätigt werden, ist kein unverbindlicher Programmsatz. Diese Norm ist nichts anderes als eine Schutzvorschrift – eine Schutzvorschrift für die zukünftigen Generationen. Die zukünftigen Generationen sollen davor geschützt werden,dass wir,die heutige Generation, unsere Probleme zu ihren Lasten in die Zukunft abwälzen. Herr Ministerpräsident, auch Sie argumentieren gelegentlich so und sagen, wir dürften den zukünftigen Generationen nicht noch mehr zumuten. Auch Sie sagen, dass wir versuchen müssen, die Probleme der heutigen Generation mit den Mitteln der heutigen Generation zu lösen, und dass wir die Lösung der Probleme nicht in die Zukunft verschieben dürfen. Ich stelle fest: Mit Ihrer Verschuldungspolitik betreiben Sie eine Politik nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“, und die künftigen Generationen müssen Ihr Versagen ausbaden.

(Beifall bei der SPD)

In Ihrem Regierungsprogramm 2003 hatten Sie noch Visionen für Hessen.Mittlerweile haben Sie nur noch Heimsuchungen. Sie stolpern durch die Tagespolitik. Sie retten sich von Tag zu Tag. Ihnen fehlt es an Konzepten, an einer Strategie und vor allen Dingen an dem Mut, das Notwendige zu tun und das Überflüssige zu lassen. Ich sage es nochmals: Ihnen fehlt es an Konzepten, an Strategien und vor allen Dingen an dem Mut, das zu tun, was jetzt notwendig ist.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, Sie tun Ihre Pflicht für dieses Land nicht. Sie haben im April letzten Jahres an dieser Stelle den Eid geleistet, die Hessische Verfassung zu schützen und zu wahren. Seit dieser Eidesleistung haben Sie zwei verfassungswidrige Haushalte eingebracht. Herr Ministerpräsident, Pflichterfüllung ist doch ein Thema, das Sie in öffentlichen Reden sehr gerne ansprechen. Sie ermahnen und erinnern die Menschen in unserem Lande sehr gern an ihre Pflichten – an ihre Pflichten gegenüber der Familie, gegenüber dem Nächsten und gegenüber der Gesellschaft. Ich frage Sie: Wie sieht es mit Ihrer eigenen Pflichterfüllung aus? Handeln Sie nach der alten christdemokratischen Überzeugung, dass Pflichten nur für die anderen gelten und Christdemokraten diese Pflichten nicht wahrnehmen müssen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, das erinnert mich doch sehr an die Ausführungen von Manfred Kanther in dem Prozess vor der Wiesbadener Strafkammer. Eine Kurzzusammenfassung seiner Erläuterungen würde heißen: Alle müssen die Gesetze einhalten, aber wir Christdemokraten dürfen sie gelegentlich zum Schutze der Gesellschaft überschreiten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielleicht wird sich auch der eine oder andere Liberale mittlerweile fragen, ob es wirklich eine gute Idee war, diesem Ministerpräsidenten das Amt zu retten.

Bevor ich das Thema Neuverschuldung verlasse, möchte ich auf die verdeckte Neuverschuldung durch die Saleand-rent-back-Geschäfte eingehen. Herr Finanzminister, es wurde hier mehrfach gesagt, dass dem, der seine Immobilie veräußert,um sie nachher wieder anzumieten,das Wasser bis zum Halse stehen muss.

(Zurufe von der CDU)

Ich gebe Ihnen Recht: Dem Finanzminister steht das Wasser nicht bis zum Hals,bei ihm ist es mittlerweile deutlich höher gestiegen, Herr Kollege Reif.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Denn nur so lässt sich erklären, warum ein Finanzminister bereit ist, höhere Mietzinsen zu zahlen, als er an Schuldzinsen aufzubringen hätte.

(Beifall bei der SPD)

Wir geben also mehr Geld für Miete aus, als wir bezahlen müssten,wenn wir entsprechend mehr Geld über die Neuverschuldung aufnehmen würden. Das kostet das Land Hessen im Ergebnis mehr Geld.

(Zurufe von der CDU)

Das ist ein verwunderlicher Vorgang – aber nicht bei diesem Finanzminister.

(Clemens Reif (CDU): Jetzt wissen wir, warum der Eichel so schlecht rechnen kann!)

Herr Reif, das war der Versuch einer Hilfeleistung für den Finanzminister.Wir wollen wir einmal prüfen, ob das klappt. – Die etwas erstaunliche Geschichte, dass ein Finanzminister bereit ist, höhere Miet- als Schuldzinsen zu zahlen, ist überraschend. Bei diesem Finanzminister ist das gar nicht so überraschend.

(Zurufe von der CDU)

Wir haben doch gewisse Erfahrungen mit diesem Finanzminister.

(Zurufe von der CDU)

Herr Weimar, ich glaube, Sie sind – wahrscheinlich weltweit – der einzige Finanzminister, der beim Verkauf einer Immobilie so lange und so hart weiterverhandelt hat, bis der Käufer endlich eingeknickt ist und bereit war, einen niedrigeren Kaufpreis zu zahlen. Ich denke an die Burg Staufenberg.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das war schon eine Leistung. Das dauert eine Weile. So ähnlich sieht es wohl auch bei dem Verkauf des Behördenzentrums in der Gutleutstraße aus.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Der Finanzminister braucht 270 Millionen c. Er wendet sich an einen Fonds.

(Clemens Reif (CDU): Er braucht eigentlich mehr!)

Herr Kollege Reif, für die Gutleutstraße hat der Finanzminister 270 Millionen c erhalten. – Er wendet sich also an einen Fonds. Dieser sagt ihm, wir geben dir 270 Millionen c als Darlehen für einen Zinssatz – – Herr Finanzminister, verbessern Sie mich; ich nehme an, dass das Land Hessen momentan einen Zinssatz zwischen 3 und 3,5 %, möglicherweise sogar weniger, an Schuldzinsen zu bezahlen hat.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Ein privater Häuslebauer bezahlt momentan 3,5 bis 3,8 % an Schuldzinsen.

(Zurufe des Ministerpräsidenten Roland Koch und des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))