Protocol of the Session on May 8, 2003

Die müssten folgendermaßen lauten: Die neue Landesregierung hat nach der Regierungsübernahme in finanzieller Hinsicht einen Haushalt vorgefunden, der jede Negativvermutung gesprengt hat,die wir bisher hegten.Wir haben einen finanzpolitischen Trümmerhaufen vorgefunden. Dieser ist das Ergebnis einer verfehlten Haushaltspolitik.

Nur, meine Damen und Herren, es wurde schon dazwischengerufen, diese Vision sei eine Illusion, denn in der Realität wird der Finanzminister das wohl kaum sagen. Er hat es allerdings schon einmal getan, nämlich im Jahr 1999. Seitdem hat er Hessen in eine Rekordverschuldung geführt, sodass die Erklärung des Ministerpräsidenten, die erfolgreiche Finanzpolitik solle fortgesetzt werden – nämlich die Finanzpolitik, die in der vergangenen Legislaturperiode hier stattgefunden hat –, nur als eine massive Drohung verstanden werden kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ein kurzer Blick auf die Finanzpolitik zeigt dies überdeutlich. Aus Zeitgründen kann ich nur einige Aspekte herausgreifen.Am 22.August 2001 wurde in diesem Haus der Antrag der Opposition verhandelt, einen Nachtragshaushalt vorzulegen. Originalton aus den Reihen der damaligen Koalition: „Wir haben eine solide Haushaltspolitik“ und „Wir brauchen keinen Nachtragshaushalt.“ Konsequenterweise wurde der Antrag der Opposition abgelehnt.

Am 13. November, also drei Monate später – inzwischen war wertvolle Zeit verloren gegangen –, legte der Finanzminister dem Haus einen Nachtragshaushalt vor. Dort führte er aus – damit das an dieser Stelle ganz klar ist –:

Die jetzige Erhöhung der ursprünglich geplanten Nettoneuverschuldung um 510 Millionen DM entsteht ausschließlich auf der Einnahmenseite. Diese Einnahmenseite ist die Seite, die wir... nicht beeinflussen können.

Der Kollege von Hunnius, der damalige und auch heutige finanzpolitische Sprecher der FDP – damals noch in der Koalition –, sagte dazu: Der von der Landesregierung eingebrachte Nachtragshaushalt ist notwendig, und er ist durchdacht.

Ein Jahr später, am 24. September 2002 – nachdem die Opposition bereits im Juni vergangenen Jahres das sich abzeichnende Finanzdesaster hier zum Thema gemacht und mit Nachdruck darauf hingewiesen hatte –, kam wiederum ein Antrag auf Vorlage eines Nachtragshaushalts. Ich darf noch einmal den Kollegen von Hunnius zitieren. Das ist leichter, als die Kollegen von der CDU zu zitieren,weil diese sich immer sehr unpräzise geäußert haben. Herr Kollege von Hunnius, das spricht für Sie. Sie haben es klar gesagt, und deswegen haben Sie auch klar Unrecht gehabt:

Nein, um das Einsparen führt in Wahrheit kein Weg herum, und auch Sie müssten in dieser Situation einsparen. Die Vorlage des Nachtragshaushalts hingegen... ist eine Festlegung, die angesichts des sich täglich verändernden Szenarios viel zu starr wäre. Sie selbst wissen, wie schnell sich die Zahlen überholen. Hier kann nur ein Maßnahmenbündel greifen, das die Landesregierung in die Lage versetzt, flexibel zu reagieren und sich der jeweiligen Situation anzupassen.Deshalb ist der Antrag auf Vorlage eines Nachtragshaushalts abzulehnen.

Meine Damen und Herren, das taten Sie dann auch mit Ihrer Koalitionsmehrheit.

Dann wartete man wiederum zwei Monate, bis Ende November, um in dieser Zeit nichts einsparen zu müssen.Als das Geld bereits ausgegeben war, wurde ein Nachtragshaushalt vorgelegt. Damals erklärte der Finanzminister:

Die unter Einschluss der Verbesserungen und sonstigen Mehrbelastungen des Haushalts verbleibende Finanzierungslücke beläuft sich danach auf 1,170 Milliarden c. Zur Deckung dieser Lücke bleibt dem Land keine andere Möglichkeit, als über den ursprünglich geplanten Umfang hinaus zusätzliche Kreditmittel in Anspruch zu nehmen und die Nettokreditaufnahme auf insgesamt 1.987,8 Millionen c anzuheben.

Herr Finanzminister, Hessen verträgt es nicht, und wir wollen nicht, dass diese katastrophale Finanzpolitik fortgesetzt wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben jetzt eine neue Regierung, und es hätte ihr gut angestanden, wenn sie im Sinne meiner eingangs dargestellten Vision auch in der Finanzpolitik einen neuen Anlauf genommen hätte. Aber leider haben wir immer noch denselben Finanzminister. Nur, Sie sollten Ihre Pflichten erkennen und sich nicht,

(Zuruf des Abg.Volker Hoff (CDU))

Herr Kollege Hoff, immer wieder mit dem Hinweis auf andere vermeintlich Schuldige herausreden. Es ist nämlich ganz egal, wer schuld ist, selbst wenn es sich um den Heiligen Geist oder um den von Ihnen bislang für Schuldfragen immer gerne bemühten ehemaligen Kollegen von Plottnitz handelt. Das ist völlig Wurscht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Sie, Herr Finanzminister, und Sie, meine Damen und Herren von der Regierungsfraktion, tragen die Verantwortung für die hessische Finanzpolitik, und Sie müssen Einnahmen und Ausgaben ins Gleichgewicht bringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie müssen handeln. Sie dürfen nicht wieder warten und Sprüche klopfen nach dem Motto „Die Ausgaben haben wir im Griff, nur die Einnahmen fehlen“. Das haben wir hier schon öfter gehört.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Kein Privatmann könnte sich damit dem Gerichtsvollzieher entziehen. Auch Sie können sich damit nicht der Verantwortung entziehen.

Wir haben den Antrag so früh wie möglich in der neuen Legislaturperiode gestellt, weil keine Zeit mehr bleibt. Denn das kostet den hessischen Steuerzahler jeden Tag Geld für Zins und Zinseszins, und zwar jeden einzelnen Tag, an dem Sie in Hessen Ihre Finanzpolitik der bisherigen Art fortsetzen.

Hessen hat bereits jetzt von allen Bundesländern – nach Nordrhein-Westfalen –, die noch keinen Nachtragshaushalt vorgelegt haben, planmäßig die zweithöchste Nettoneuverschuldung. Nachträge könnten – das sehen wir an dem abschreckenden Beispiel aus Baden-Württemberg – zu einer weiteren deutlichen Erhöhung der Nettoneuverschuldung führen. Sie müssen es allerdings nicht. Denn wenn wir das Beispiel aus Rheinland-Pfalz betrachten – das liegt uns nicht so fern –, stellen wir fest, dass dort die Finanzproblematik mit einem Nachtrag geregelt wurde, der keine höhere Nettoneuverschuldung vorsieht, sondern in dem die Ausgaben gekürzt wurden.

Meine Damen und Herren, damit sind wir an dem entscheidenden Punkt. Der beschlossene Haushalt 2003 ist Makulatur. An vielen Stellen ist er unsolide gerechnet. Schließlich wurde er ja auch kurz vor der Wahl vorgelegt und verabschiedet. Nur einige Beispiele: Die Pensionslasten und die Beihilfen werden höher werden als veranschlagt. Es werden keine Einnahmen aus Immobilienverkäufen erzielt werden. Sie sollen zwanzigmal so hoch sein wie im abgelaufenen Jahr, und das hält, denke ich, niemand für realistisch.

(Zuruf von der CDU:Abwarten!)

Dann kommen die Steuereinnahmen. Der Silberstreif am Horizont bei der Körperschaftsteuer kann die massiven Rückgänge bei der Umsatzsteuer und bei der Lohnsteuer nicht ausgleichen. Es kommt noch hinzu – das wissen Sie aus den Kommunen –, dass die Gewerbesteuer, und damit auch die Umlage, ebenfalls stark rückläufig ist. Es sind also auch hier Ausfälle festzustellen.Weitere Beispiele zu nennen erspare ich mir jetzt aus Zeitgründen. Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass der verabschiedete Haushalt 2003 so nicht vollzogen werden kann, sondern korrigiert werden muss. Je früher man das angeht, desto mehr Handlungsmöglichkeiten hat man.

Meine Damen und Herren, es reicht nämlich nicht, was in der Regierungserklärung steht:

Wir werden im dritten Quartal des Jahres 2003 zu entscheiden haben, wie wir die aktuelle staatliche Finanzkrise meistern.

Im dritten Quartal anzufangen, Entscheidungen zu treffen, heißt, dass Sie wieder erst kurz vor Jahresschluss einen Nachtragshaushalt vorlegen wollen. Dieser Nachtragshaushalt wird dann – oh Jammer – nichts anderes bewirken, als die Ausgaben, die Sie bereits getätigt haben, durch Kreditermächtigungen zu decken. Genau diesen Weg wollen wir nicht mitgehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen fordern wir Sie, Herr Finanzminister und die Mitglieder der Regierungsfraktion der CDU, nachdrücklich und mit großem Ernst auf:Verweigern Sie sich in diesem Jahre nicht wieder wie in den vergangenen Jahren Ihrer Pflicht, rechtzeitig tätig zu werden; denn ich sagte bereits – man kann das nicht oft genug wiederholen –, dass Sie die Verantwortung haben. Sie müssen sich den finanzpolitischen Realitäten stellen.

Glauben Sie mir – damit kenne ich mich als GRÜNER aus –: Fundamentalismus und Fundigehabe nützen nichts. Nicht die Schuldzuweisung an andere hilft, sondern nur die Anerkennung der finanzpolitischen Wirklichkeit und konsequentes Handeln helfen Hessen.

Hören Sie auf das, was der Wirtschaftsminister heute Morgen in der Debatte gesagt hat. Das war sehr deutlich, insbesondere zu dem Aspekt der intertemporären Verteilung – wir würden vielleicht Generationengerechtigkeit sagen –: Ein weiteres Schuldenmachen verbietet sich.

Meine Damen und Herren, noch einmal eine kurze Vision,eine schreckliche Vision:Wenn Roland Koch morgen Bundeskanzler wäre,

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh nein!)

und die CDU in Berlin regieren würde, das würde für das Land Hessen im Jahre 2003 überhaupt keine Veränderung in positiver Richtung für den Haushalt bringen.

Herr Kollege Kaufmann, kommen Sie bitte zum Schluss Ihrer Rede.

Ich komme zum Schluss mit dem Hinweis: Das möge – wenn Sie es sich einbilden – vielleicht in den Folgejahren etwas helfen, da kann man verschiedener Meinung sein,

aber in diesem Jahr 2003, über das wir hier reden, wird es überhaupt nichts bringen. Deswegen müssen Sie jetzt tätig werden.

Sie haften dafür, was mit Hessen passiert, Sie haften dafür politisch – ich sage: leider nur politisch. Mir wäre es recht, wenn es für die Politiker auch eine Vermögenshaftung gäbe. Dann könnte man erwarten, dass Sie schneller tätig werden und tatsächlich das tun, was für das Land notwendig ist.

Stimmen Sie unserem Antrag zu, legen Sie zur nächsten Sitzung einen Nachtragshaushalt vor, dass der Haushaltsgesetzgeber damit umgehen kann, wie mit den Finanzproblemen in Hessen zu verfahren ist, und laufen Sie nicht weiter in die Schuldenfalle. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Als nächster Redner hat der Kollege Roland von Hunnius für die FDP-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben zwei Anträge vorliegen, einen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und einen von der SPD. Lassen Sie mich zunächst auf den von der SPD eingehen.

Der Antrag der SPD-Fraktion zeigt ein erhebliches Maß an Dreistigkeit, muss ich schon sagen. Er ist wohl nach dem Motto entstanden: Frechheit siegt. Sie unterstellen uns allen, dass wir in Wiesbaden überhaupt nicht Zeitung lesen,nicht Radio hören und nicht fernsehen,dass wir eingemauert sind wie bei der Papstwahl.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Wir rauchen für die Mütter!)

Sie gehen davon aus, dass wir nicht erfahren, was sich in Berlin tut.Die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung ist völlig desolat, sie ist in weiten Teilen kontraproduktiv und im Übrigen ohne jede erkennbare Richtung.

Ich nenne jetzt einmal einige Namen im Plural, wie es Bundeskanzler Schröder zu tun pflegt: Die Schröders, die Schreiners, die Walters und die Ypsilantis, sie alle rudern mit wilden Bewegungen, um ein leckgeschlagenes Boot am Sinken zu hindern, zumindest bis zur nächsten Wahl.

(Beifall bei der FDP)