Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Dr. Jürgens, die FDP-Fraktion begrüßt ausdrücklich den Gesetzentwurf zur Einführung von Sozialgerichtsgebühren, der auf eine Initiative der Kollegin Werwigk-Hertneck aus Baden-Württemberg zurückzuführen ist und auch im Vorfeld mit uns abgesprochen war.
Den Antrag der GRÜNEN kann ich,ehrlich gesagt,wenig verstehen, Herr Dr. Jürgens, weil ich alle Ihre Argumente für reichlich hochgespielt halte. Nicht nur, dass die sozialgerichtliche Praxis anders ist – der Kollege hat eben schon auf die Darmstädter Erklärung von 1997 hingewiesen –, nein, auch der Bundesrechnungshof hat schon im Oktober 2000 eine entsprechende Änderung des Kostenrechts ausdrücklich angemahnt. In der Praxis besteht weitgehend Übereinstimmung darüber – Herr Dr. Jürgens, beim Bezirksrichterrat in Hessen mag es etwas anders sein –, dass die im geltenden Prozessrecht vorgesehenen Instru
mente nicht genügen, auch nicht die Missbrauchskosten, die Mutwilligkeitskosten, auf die Sie hingewiesen haben.
Es besteht weiterhin eine nicht unerhebliche Belastung der Sozialgerichte durch die Bearbeitung offenkundig aussichtsloser Rechtsschutzbegehren. Diese Begehren werden häufig nur deshalb verfolgt, weil der Betreffende kein spürbares Kostenrisiko mit ihnen verbindet. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass wir eine gewisse Korrelation mit der Frage feststellen können, ob in diesen Klagefällen reguläre Rechtsanwälte als Rechtsbeistände eingeschaltet sind oder andere Verbände, die vor dem Sozialgericht auftreten dürfen und sich auch auf Empfängen in diesem Hause immer wieder damit rühmen, wie viele Klagen sie vor die Gerichte brächten, weil sie ja die Möglichkeit hätten, diese Fälle kostenfrei vorzutragen.
Von daher finde ich,dass die vorgeschlagene Lösung nicht nur das Interesse der Allgemeinheit an einem sinnvollen Einsatz der begrenzten öffentlichen Mittel berücksichtigt, sondern vor allem auch das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an einem wirkungsvollen Rechtsschutz, und zwar auch für Einkommensschwache.
Schauen wir uns einmal die Regelung an, zum einen die Höhe der Gebühr. Herr Dr. Jürgens, Sie tun gerade so, als würde eine solche Klage vor dem Sozialgericht zukünftig zu einem Existenzproblem werden. Über welche Pauschalen reden wir hier? Wir reden über 75 c für ein Verfahren vor dem Sozialgericht, über 150 c für das Landessozialgericht und 225 c für das Bundessozialgericht. Wenn man dann noch die Auslagenfreiheit berücksichtigt und bedenkt, dass Gutachten wirklich ins Geld gehen können, dann kann überhaupt nicht davon die Rede sein, dass dies sozial nicht zu bewerkstelligen wäre.
Es kommt hinzu, dass Prozesskostenhilfe möglich ist. Darauf wurde bereits hingewiesen. Bei der Diskussion im Ausschuss haben Sie auf Sozialhilfebezieher hingewiesen. Solche Einkommensschwache können natürlich Prozesskostenhilfe bekommen, sofern Aussicht auf Erfolg der Klage besteht. Genau das soll im Prozesskostenhilfeverfahren im Vorhinein abgeprüft werden. Ich weise ferner darauf hin, dass auch das Prozesskostenhilfeverfahren gebührenfrei ist. Da können sich vielleicht die Rechtsbeistände von VdK und DGB engagieren, um die Prozesskostenhilfe für die von ihr vertretene Klientel durchzubringen.
Meine Damen und Herren, dies alles zusammengenommen lässt die FDP-Fraktion zu dem Schluss kommen,dass die Einführung von Sozialgerichtsgebühren nicht nur rechtsstaatlich möglich ist; denn sonst wären die Gerichtsgebühren in den anderen vier Gerichtsbarkeiten, die wir haben, nicht rechtsstaatlich. Ich glaube, das wollen selbst Sie in diesem Hause nicht behaupten.
Nein, wir sind auch der Meinung, dass diese Gebühren sozial gerechtfertigt sind mit Blick auf die Höhe, mit Blick auf das PKH-Verfahren und auch mit Blick darauf, dass ich es nicht für kaltherzig halte. Denn der momentane Rechtszustand führt dazu, dass die Gerichte voll geladen sind auch mit aussichtslosen Klagen, was zu einer Verzögerung von sehr aussichtsreichen, wichtigen Klagen führen kann. Damit gewähren Sie dem Kläger aber keine
weil der Richter zugeschüttet ist mit Klagen, die nur deshalb eingereicht wurden, weil es kein Risiko für den jeweiligen Kläger bedeutet.
Von daher unterstützen wir im Gegensatz zu Ihrem Antrag diesen Gesetzentwurf des Bundesrats und hoffen sehr, dass die Bundesregierung bei der Prüfung, die sie in ihrer Stellungnahme zugesagt hat, dazu kommen wird, diese Gerichtsgebühren einzuführen. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit auf Betreiben dieser Landesregierung hat der Bundesrat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der das bis jetzt kostenfreie Verfahren vor den Sozialgerichten für die antragstellenden Bürgerinnen und Bürger mit einer allgemeinen Verfahrensgebühr belegen soll, die von 75 c bei den Sozialgerichten bis zu 225 c beim Bundessozialgericht reichen soll.
Der Bundesratsentwurf spricht davon, „die seit Jahren fortlaufend anwachsende Flut aussichtsloser Verfahren einzudämmen“. Dieses Bild der Flut taucht auch in der Presseerklärung des Herrn Justizministers auf. Ich zitiere aus einer Presseerklärung vom 14. Juli 2003:
Es geht darum, die Sozialgerichte im Hinblick auf die Flut aussichtsloser, angesichts der Kostenfreiheit aber gleichwohl angestrengter Klagen funktionsfähig zu halten.
Der Begriff „Flut“ suggeriert einen sprunghaften Anstieg von Verfahren, entsprechend dem Bild in der Meteorologie: Fluten werden durch Seebeben oder Wirbelstürme verursacht.
Wer flutet in die Sozialgerichte? – Das sind Menschen, die mit Entscheidungen der Versicherungsträger der Rentenversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Unfallversicherung und der Krankenversicherung nicht einverstanden sind und dann den Rechtsschutz vor den Sozialgerichten suchen. Wenn man die Statistik der Sozialgerichte sieht, dann stellt man fest, wir haben heute im erstinstanzlichen Verfahren das Niveau von 1960 oder 1962 erreicht.
Die Steigerung der Zahl der schwebenden Verfahren in der ersten Instanz in den Jahren 2002 bis 2003 von 3 % und die Abnahme im gleichen Zeitraum bei den zweitinstanzlichen Verfahren um 9 % sprechen eigentlich dafür, dass hier ein Trugbild gezeichnet wird, das leider mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.
Die Argumentation, die Kostenfreiheit im sozialgerichtlichen Verfahren verleite Klägerinnen und Kläger, mutwillig Klage zu erheben, um diese durch alle Instanzen zu treiben, ist so alt wie die Sozialgerichtsbarkeit selbst. Indes fehlen bis zum heutigen Tage jegliche Erkenntnisse, die die These, die Einführung von Gerichtskosten könnte zum Rückgang sozialgerichtlicher Verfahren führen, erhärten könnten. Dies bedeutet nichts anderes als den althergebrachten Abbau sozialer Rechte unter dem Deckmantel der Missbrauchsabwehr.
(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr.Andreas Jür- gens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Zuruf der Abg. Heike Hofmann (SPD))
Das stellt der Bezirksrichterrat – den Herr Dr.Jürgens bereit zitiert hat – bei den hessischen Sozialgerichten zutreffend fest. Die Flut im wagnerschen Sinne ist demnach ein kleines Rinnsal.Anstatt sich sachlich mit der Frage zu beschäftigen, die Regelung über eine Missbrauchsgebühr zu konkretisieren, wie es der Antragsteller vorschlägt, malt diese Landesregierung durch ihren Justizminister ein Zerrbild der Wirklichkeit.
Man könnte nun auch unterstellen – das hat auch bei Herrn Klein angeklungen –, dass diese Kostenpflicht deshalb installiert werden soll, um nach dem 1. Januar 2005, wenn auch die Sozialhilfestreitigkeiten vor dem Sozialgericht verhandelt werden sollen, dieses vor mutwillig angestrengten Verfahren zu bewahren.Aber für diese Streitigkeiten soll die Kostenpflicht nach diesem Entwurf im Bundesrat gerade nicht gelten.
Die Flut im wagnerschen Sinne ist eine Behauptung ohne jeglichen Bezug zur Wirklichkeit, also eine Fata Morgana.
Herr Justizminister, kommen Sie hierher, geben Sie offen zu, dass Sie einem Trugbild aufgesessen sind, und beenden Sie dieses Trauerspiel. Sagen Sie der wohl gemeinten Bundesratsinitiative Ade, und unterstützen Sie im Bundestag die Kräfte, die diese Verfahrensgebühr völlig zu Recht ablehnen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts der beeindruckenden Argumente der Opposition kann ich mich sehr kurz fassen. Ich will Ihnen nur ganz kurz vortragen, dass es darum geht, eine Verfahrensgebühr im Sozialgerichtsverfahren einzuführen, die es seit Menschengedenken in allen anderen Gerichtsbarkeiten bereits gibt – auch in der Arbeitsgerichtsbarkeit, der Sie sich vielleicht besonders verpflichtet fühlen. Sie haben ja lange Zeit gemeinsam mit dem Gewerkschaftsbund dafür gekämpft, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit weiterhin beim Sozialministerium ressortiert und nicht beim Justizminis
terium – übrigens mit dem damals sehr eindrucksvollen Argument des DGB, dass sich, wenn sich die Ressortierung verändere, der Einfluss des DGB auf die Rechtsprechung vermindere.
(Norbert Schmitt (SPD): Das ist doch Quatsch! – Zuruf des Abg. Dr. Andreas Jürgens (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))
Meine Damen und Herren, von ähnlicher Qualität sind die Argumente, die Sie hier heute vorgetragen haben.
Wir müssen sehen, dass wir heute, im Jahr 2004, eine völlig andere Situation haben als im Jahr 1954, als die Sozialgerichtsbarkeit bundesweit eingeführt wurde. Mich wundert, dass die Argumente der Kollegen Klein und Beer von Ihnen überhaupt nicht aufgegriffen worden sind. Es bleibt weiterhin die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe. Für diejenigen, für die Sie sich hier angeblich stark machen, ist weiterhin Gebührenfreiheit möglich. Dazu bleiben Sie schlichtweg sprachlos.
Für die Kenner der Materie möchte ich hinzufügen, dass die Auslagenfreiheit – auch nach dem Gesetzentwurf des Bundesrats, der eine Mehrheit bekommen hat – erhalten bleibt.
Herr Kollege Dr. Jürgens behauptet dann, dies werde von der Praxis alles nicht getragen. Verehrter Herr Dr. Jürgens, es gibt eine so genannte Darmstädter Erklärung, die Sie sicherlich kennen, die Sie aber, weil sie Ihnen nicht ins Konzept hineinpasst, nicht erwähnt erhaben. Sämtliche Präsidenten der Landessozialgerichte in Deutschland einschließlich des Präsidenten des Bundessozialgerichts haben in dieser Erklärung mit großem Nachdruck einstimmig gefordert, dass jetzt auch im Sozialgerichtsverfahren Prozessgebühren eingeführt werden müssten.
Das sagt die Praxis, das ignorieren Sie einfach. Sie dürfen nicht auf einem Auge blind bleiben. Meine Damen und Herren, in dieser Entschließung heißt es, damit wir wirklich wissen, wovon wir reden:
Zur Verbesserung eines effektiven Rechtsschutzes halten es die Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Landessozialgerichte und der Präsident des Bundessozialgerichts für dringend erforderlich, umgehend auch im sozialgerichtlichen Verfahren Gerichtsgebühren einzuführen.