Wir begrüßen außerordentlich, dass es jetzt gelungen ist, dieses Gesetz mit einer so großen Mehrheit zu verabschieden. Liebe Kolleginnen und Kollegen gerade von SPD und GRÜNEN, man muss aber auch so ehrlich sein, zu sagen: Eines bringt dieses Gesetz nicht. Es ist auch mit Ihrer Zustimmung verabschiedet worden. Es bringt keine Altfallregelung. Das heißt, wir werden weiterhin das Problem haben – gerade nach dem Auslaufen der Härtefallregelungen aus den Jahren 1999 und 2000, die damals die Innenministerkonferenz getroffen hat und die jetzt in dem weiteren Verfahren dazu führen, dass viele Ausländerinnen und Ausländer, die bislang in diesem Land geduldet wurden, kein Aufenthaltsrecht mehr haben –, dass es irgendwann ein Ende des Rechtsweges inklusive Petitionsverfahren gibt.Und dann erfolgt eine Ausreise.Wenn diese nicht freiwillig erfolgt, steht eine entsprechende Abschiebung an.
Es muss klar sein: Wenn die Gerichte in diesem Lande festgestellt haben, dass kein Bleiberecht mehr nach den gültigen Regelungen, auch nach den neuen, bald gültigen Regelungen des Zuwanderungsgesetzes möglich ist, dann muss der Rechtsstaat auch darauf bestehen, dass die Ausreise erfolgt.
Herr Kollege Frömmrich, es ist jedem Ausländer anzuraten, die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise zu nutzen. Gerade als Rechtsanwältin kann ich es nicht verstehen, dass vielfach Kolleginnen und Kollegen ihren Mandanten nicht deutlich machen, wie wichtig es für sie ist, eine zwangsweise Abschiebung zu vermeiden, weil dann keine Wiederkehrmöglichkeit gerade nach den Kriterien des Zuwanderungsgesetzes nach Deutschland besteht,zumindest diese erschwert ist. Das heißt, ihnen ist anzuraten, die freiwillige Ausreise zu nutzen.
Notfalls muss der Rechtsstaat auch auf Abschiebung bestehen. Ansonsten würde ein rechtsstaatliches Verfahren, das für alle Ausländerinnen und Ausländern in diesem Lande besteht, ad absurdum geführt, wenn die einen mit entsprechenden Maßnahmen ihr Bleiberecht erzwingen könnten und andere den Voten und Urteilen der Gerichte folgen und in ihr Heimatland zurückkehren. – Ich danke.
Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Zunächst einmal will ich eines in aller Form klar zurückweisen. Die Abschiebungen in Hessen sind nicht inhuman. Sie erfolgen nach Recht und Gesetz, wie das seit vielen Jahren so ist. Das ist auch jetzt so.
Sie erfolgen durchaus mit großer Sorge, Sorgfalt, Sensibilität, und – Frau Kollegin Waschke – von der SPD erwarte ich nichts mehr.Wenn Sie einmal überlegen,wie viele Mitarbeiter in den Ausländerbehörden bis zu den zuständigen Landräten und den Mitarbeitern im Ministerium sich wirklich außerordentlich um die einzelnen Dinge mühen – die pauschal mit dem Vorwurf abzuwatschen, es sei alles inhuman und alles falsch, das wird der Sache nicht gerecht und richtet sich gegen Sie selbst, sehr geehrte Frau.
Hier werden unter dem Mantel der Humanität gewaltig Nebelkerzen geworfen. Zunächst einmal muss man darauf hinweisen, dass dieses Zuwanderungsgesetz für die allermeisten der hier betroffenen Fälle überhaupt keine Regelung bringt. Es ist nicht zutreffend. Das Einzige, worauf immer wieder hingewiesen wird, ist die Härtefallkommission. Die Härtefallkommission ist eine schwierige Angelegenheit. Ich hatte Gelegenheit, das zu vertiefen, auch was die Frage angeht, welche Rechtsqualität das alles hat. Aber eines muss doch bleiben.
Liebe Frau Waschke, reden wir in aller Ruhe. – Härtefälle können nicht Regelfälle sein. Darüber sind wir uns doch wohl einig. Die Wirklichkeit ist allerdings: Das Problem der Abschiebung – auch wie Sie es mit den Kindern gerade beschrieben haben – ist nicht der absolute Ausnahmefall. Das ist vielmehr sehr häufig der Fall. Deshalb passt es nicht zusammen, wenn Sie auf der einen Seite sagen, das Ganze soll nach Recht und Gesetz gehen, aber auf der anderen Seite soll man nach der Härtefallkommissionsentscheidung doch die Probleme alle lösen. Es ist unaufrichtig, und es ist billig, sich hierhin zu stellen und derartig zu reden, aber überall dort, wo es gilt, konkrete Antworten zu geben, diese zu verweigern.
Wie kommt es denn zu diesem Problem? – Ich bin ganz dankbar, dass ich das hier einmal vortragen kann. Zu dem eigentlichen Fall, den Sie als Aufhänger genommen haben, haben die Kollegen Beer und Beuth aus meiner Sicht alles gesagt.Aber wahr ist doch auch, dass es zur Abschiebung nur dann kommt, wenn jemand kein Aufenthaltsrecht hat und nicht freiwillig ausreist. Das ist im Übrigen ein Rechtszustand, der auf der ganzen Erde gilt, in jedem Land dieser Erde. Deshalb ist zunächst einmal die Beweislastumkehr zu fordern und zu fragen:Warum reist du eigentlich nicht aus, bevor es zu dieser außerordentlich belastenden und für niemanden erfreulichen Situation einer Abschiebung kommt?
Wir haben eine Vielzahl von Fällen, bei denen die Menschen seit über zehn Jahren, teilweise seit zwölf Jahren, rechtskräftig verpflichtet sind, das Land zu verlassen. Da gibt es alle möglichen Variationen, wie man das erreichen kann. In der Zwischenzeit sind Kinder geboren worden. Dann kommt der Teufelskreis. Dann wird vorgetragen, diese Kinder könnten doch nichts dafür – zu Recht. Die Kinder haben häufig eine sehr enge Bindung. Das ist wahr. Aber ich muss einfordern, dass Eltern ihre Erziehungspflicht auch insoweit wahrnehmen, dass sie überlegen, was gut für die Kinder ist, wenn sie hier kein Aufent
haltsrecht haben. Ist es für die Kinder gut, dass die Eltern Jahr für Jahr versuchen, den Aufenthalt irgendwie zu verlängern, damit die Eltern dann im Jahre 10 oder 12 sagen, man könne die Kinder doch bitte schön nicht abschieben? Man kann die Kinder nicht allein hier lassen. Nach Art. 6 haben wir dann wieder die ganze Familie hier. Wer das will, der muss das sagen. Da relativiert sich dieses sehr vornehme Verhalten in der ersten Linie, das sich an das Motto hält: Man muss doch kluge und humanitäre Entscheidung treffen.
Lieber Herr Frömmrich,was machen wir in einem Fall mit acht Kindern und zwei Erwachsenen,von denen kein Einziger heiratet und beide arbeitsunfähig sind? Sie sind seit zehn Jahren zur Ausreise verpflichtet. Sagen wir dann, sie sollen hier bleiben? Dann müssen wir das aber auch richtig sagen. Dann muss das mit allen Konsequenzen gelten. Denn man kann nicht mit dem humanitären Fähnchen winken und anschließend, wenn die Kosten eines lebenslangen Aufenthaltes kommen, der Gemeinde erklären, so hätte man das nicht gemeint.
Wir diskutieren seit vielen Jahren über die Regelung von Altfällen. Das tun wir auch jetzt wieder. Jedes Problem der Altfallregelung ist immer auch eine gewisse Einladung, zu sagen: Wenn ich es schaffe, über längere Zeit im Lande zu bleiben, dann werden die schon irgendwann eine Altfallregelung machen. – Damit mich jeder richtig versteht: Ich werfe das niemandem persönlich vor. Wenn ich in ein Land gekommen wäre, in das ich, aus welchen Gründen auch immer, schon immer wollte, und es gäbe irgendeine Chance, dort zu bleiben, dann würde ich das auch versuchen. Es ist wahr, dass unser juristisches Verfahren über viele Jahre hinweg ineffizient war. Es war zu lang. Es ist eine Frage an unser System, warum das zehn bis zwölf Jahre dauert. In diesem Bereich bringt das jetzige Gesetz Verbesserungen.
Ich darf aber auch einmal daran erinnern, dass die GRÜNEN nie dabei waren, wenn es um Verbesserungen in dieser Frage ging. Als der historische Asylkompromiss gemacht wurde, als die Turnhallen voll waren und als die Schulen geräumt wurden, waren die GRÜNEN immer außen vor, und es waren die etablierten Parteien, die diesen Kompromiss im Interesse aller herbeigeführt haben. Deshalb lasse ich nicht durchgehen,dass offensichtlich die einen die Guten und Humanen sind,während die anderen vernebelt sind und die Leute sozusagen mit Gewalt aus dem Land bringen. So geht das nicht.
Danke, Herr Präsident. – Das Thema hat viele bedrückende Facetten. Deshalb sage ich es so deutlich, wie ich es meine. Eltern dürfen ihre Kinder nicht zur Geisel machen.
Genau das ist hier geschehen. Sie werden von mir im Gegensatz zu vielen anderen nicht diese martialischen Worte hören, wie anderenorts geschehen. Wenn es um Humanität und die Frage geht, wie wir angemessen handeln können, dann werden Sie in mir immer einen Partner
haben. Aber dass die Sozialdemokratie einen Antrag tatsächlich unterstützen will, der die Behörden in Hessen – – Das von den GRÜNEN läuft jetzt überall. Überall vor Ort kommen Stichworte wie „Abschiebewettbewerb“. Der sozialdemokratische Landrat des Landkreises Gießen verwahrt sich mit aller Entschiedenheit.Aber das hat bei Ihnen alles keine Wirkung. Ich sage Ihnen:Als Sozialdemokrat wäre ich ganz vorsichtig. „Das Boot ist voll.“ – „Die beste Integration ist die Assimilation.“ – „Wer den Tod haben will, kann ihn kriegen.“ – Wenn irgendeiner von der Union auch nur einen dieser Sätze gesagt hätte, würden Sie Sondersitzungen verlangen.
Es geht nicht,dass auf der einen Seite oben einer den starken Mann zur Befriedigung des entsprechenden Teils des Publikums markiert und immer dann, wenn es ernst wird, die guten Menschen antreten, um den anderen Teil des Publikums zu befriedigen. Zurück bleiben diejenigen, die die Arbeit machen müssen. Deshalb bedanke ich mich für den Antrag der Union und bitte, den anderen zurückzuweisen.
Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen in der Gefahr, dass die einen aus dem Bereich der Politik die anderen kritisieren und beschimpfen. Wir stehen auch in der Gefahr, Eltern der Unverantwortlichkeit zu bezichtigen, weil sie – ich zitiere – Kinder möglicherweise als Geisel nehmen. Real ist, dass die Politik in den letzten Jahren und vielleicht sogar eineinhalb Jahrzehnten Entscheidungen nicht getroffen hat, die hätten getroffen werden müssen und auch heute noch aktuell sind.
Wir hatten doch über viele Jahre die Situation, dass Familien ganz legal unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten hier bleiben konnten – mit dem Ergebnis, dass Kinder hier geboren und groß geworden sind, die hier wirklich ihre Heimat haben und die teilweise die Sprache ihrer Großeltern gar nicht mehr sprechen.
Dann haben wir – das Hessische Innenministerium zur Regierungszeit Hans Eichel war federführend daran beteiligt – damals, als Kanther Innenminister auf Bonner Ebene war, eine Altfallregelung hinbekommen, und zwar auch mit großer Unterstützung der Kirchen, die bei Bundeskanzler Kohl vorgesprochen hatten, um zu sagen: Die Politik hat es erlaubt, dass die Kinder so lange hier sind, also müssen wir einen Schlussstrich ziehen.
Damals haben wir erwartet – das gehörte auch für uns zur intellektuellen Redlichkeit –, dass es uns gemeinsam gelingt, dass solche Fälle künftig nicht mehr eintreten. Das heißt, der Staat hat es nicht hinbekommen, den Menschen rechtzeitig zu sagen, ob sie hier bleiben dürfen oder nicht. Es ist die Verantwortung der Politik – und das geht quer durch alle Parteien –, dass wir eine Situation haben, dass ganz legal unter Ausschöpfung rechtsstaatlicher Möglichkeiten die Kinder hier sind.
Da kann man die Eltern beschimpfen. Lieber Herr Kollege Bouffier, ich habe nicht nur den Eltern, sondern auch Vertretern der Kirchen gesagt: Überlegt euch, ob es sinnvoll ist,ihnen immer nur in die Richtung zu helfen,dass sie hier bleiben können, wenn die Gefahr besteht, dass die Familien irgendwann das Land verlassen müssen. Damit versündigt man sich dann an den Kindern.
Wie auch immer es sein mag, die Kinder, die jungen Menschen sind da. Ich teile die Auffassung des Herrn Kollegen Bouffier,der sagte,durch das neue Gesetz würden bessere Möglichkeiten bestehen, die Entwicklung zu verhindern, dass sich die Kinder hier wieder so lange aufhalten, dass sie so integriert sind, dass wir aufgrund moralischer Gründe kaum sagen können: Sie müssen aus dem Land.
Aber aufgrund der jetzigen gesetzlichen Regelung ergibt sich wieder die Entwicklung, dass die Familien und die Kinder länger hier sind. Möglicherweise ist dies auch der Fall, weil die Eltern nicht verantwortungsvoll gehandelt haben.Aber ich meine, zum Wohle der Kinder sollten wir gemeinsam darüber nachdenken, wie man da zu einer Lösung kommen kann.
Ich will gar keine Schärfe in die Diskussion hineinbringen. Ich weiß auch, dass die vor Ort in den Ausländerbehörden Beschäftigten sehr darum bemüht sind, individuelle Regelungen zu treffen. Ich wünsche mir, dass sie angesichts der dort notwendigen Flexibilität auch die Unterstützung der politischen Führung des Hauses finden. – Vielen Dank.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.– Wir haben einen Antrag und einen Entschließungsantrag vorliegen. Sollen sowohl der Antrag als auch der Entschließungsantrag sofort abgestimmt werden? – Okay.
Ich rufe dann den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend inhumane Abschiebungspraxis in Hessen, Drucks. 16/2306, zur Abstimmung auf. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist der Antrag abgelehnt. Gegen ihn gestimmt haben die Mitglieder der Fraktionen der CDU und der FDP, zugestimmt haben die Mitglieder der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU betreffend Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien durch die Abschiebepraxis in Hessen,Drucks.16/2359,zur Abstimmung auf. Wer dem Entschließungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Abgeordneten der Fraktionen der CDU und der FDP bei Gegenstimmen der Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN angenommen worden.
Antrag der Fraktion der CDU betreffend integrierte Förderung des ländlichen Raumes – Drucks. 16/2481 –
Es ist eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion vereinbart. – Das Wort hat Frau Kollegin Pfaff für die Fraktion der SPD.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die größte Herausforderung für den ländlichen Raum wird in den kommenden Jahrzehnten der demographische Wandel darstellen. Denn er ist mit zunehmenden Abwanderungstendenzen insbesondere aus den ländlichen Regionen verbunden. Das Statistische Landesamt und die Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft Hessen haben die Bevölkerungsentwicklung untersucht und kommen zu dem Ergebnis, dass die Bevölkerung Hessens langfristig sinken wird. Bereits in den Jahren 2020 und 2030 wird eine nachhaltige Veränderung der Alterstruktur eingetreten sein. Insbesondere die ländlich geprägten und strukturschwächeren Gebiete werden davon stark betroffen sein.
Ich möchte das am Beispiel einer Gemeinde mit 3.000 Einwohnern im Vogelsberg verdeutlichen,die ich kürzlich besucht habe. Ein Ortsteil davon befindet sich im Dorferneuerungsprogramm. An dieser Gemeinde wird erkennbar, dass diese Entwicklung nicht in weiter Ferne liegt. Vielmehr befinden sich bereits heute viele Dörfer mitten in diesem Veränderungsprozess.
Junge Familien sind bereits weggezogen. Der Rückgang der Einwohnerzahl geht mit einer Überalterung einher. Die Kindergärten sind nicht mehr ausgelastet.Viele Häuser und Nutzgebäude stehen bereits heute leer. Weitere werden hinzukommen.