Protocol of the Session on July 15, 2004

Junge Familien sind bereits weggezogen. Der Rückgang der Einwohnerzahl geht mit einer Überalterung einher. Die Kindergärten sind nicht mehr ausgelastet.Viele Häuser und Nutzgebäude stehen bereits heute leer. Weitere werden hinzukommen.

(Beifall des Abg. Bernhard Bender (SPD))

Im Jahre 2003 standen in dieser Gemeinde 26 Sterbefällen gerade einmal 3 Geburten gegenüber. Die Prognosen sagen der Gemeinde voraus, bis zum Jahr 2020 einen Bevölkerungsschwund von 20 bis 25 % hinnehmen zu müssen. Das bedeutet: Wenn nicht gegengesteuert wird, wird es dann 600 bis 700 Einwohner weniger als heute geben.

Diese Gemeinde im Vogelsberg ist sicherlich kein Einzelfall. Angesichts dieser Entwicklung mit gravierenden strukturellen und qualitativen Auswirkungen bedarf es bei der Strukturpolitik für den ländlichen Raum neuer Strategien und neuer programmatischer Ansätze, damit man auch künftig dort tragfähige Lebensbedingungen sichern und Disparitäten in der Entwicklung begegnen kann.

(Beifall des Abg. Bernhard Bender (SPD))

Diese Entwicklung stellt nicht nur uns, die Landespolitik, sondern auch alle anderen staatlichen Ebenen vor große Herausforderungen. Wir werden im Laufe eines langen und sorgfältig durchgeführten Prozesses überlegen müssen,welche politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geändert werden müssen, damit der ländliche Raum auch künftig Perspektiven für die Zukunft hat. Fertige Antworten und Patentrezepte hat sicherlich niemand.

Mit Sicherheit weist jedoch eine Politik mit ganzheitlichem Ansatz zur Entwicklung der ländlichen Regionen zumindest in die richtige Richtung. Das heißt, es muss eine integrative Strukturpolitik mit dem Ziel geben, eine eigenständige Regionalentwicklung zu ermöglichen.

(Beifall des Abg. Bernhard Bender (SPD))

Das war und ist der zentrale Ansatz der hessischen Sozialdemokraten. Während unserer Regierungszeit hatten wir dafür bereits die programmatischen und auch die administrativen Weichen gestellt.Wir haben die Handlungsfelder Wirtschaftsförderung, Tourismus, Dorferneuerung und Regionalentwicklung im Wirtschaftsministerium zusammengeführt. Die Handlungsfelder Land- und Forstwirtschaft, Regionalentwicklung, Landschaftspflege und Naturschutz wurden im Landwirtschaftsministerium zusammengeführt.Auf der untersten Ebene der Landesverwaltung,der operativen Ebene,hatten wir im Rahmen der Reform der Agrarverwaltung bereits im Jahre 1993 diese als Bündelungsbehörden eingerichtet.Das waren die Ämter, die die ressortübergreifenden Programme der Europäischen Union, des Bundes und des Landes für die vorhin genannten Handlungsfelder in einem integrativen Ansatz aus einer Hand umgesetzt haben.

(Beifall des Abg. Bernhard Bender (SPD))

Nach der Übernahme der Regierung im Jahre 1999 hatte die Regierung Koch allerdings nichts Eiligeres zu tun, als diese Bündelungsbehörden zu zerschlagen. Denn nach dem politischen Verständnis der Union steht die Förderung der Landwirtschaft im Zentrum der Politik für den ländlichen Raum. Alle anderen Handlungsfelder werden als nachrangig angesehen.

Heute ressortieren Dorferneuerung und Regionalentwicklung auf kommunaler Ebene völlig sachfremd und isoliert in der Katasterverwaltung,

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

während die Abteilungen für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz beim Landrat als staatlicher Aufsichtsbehörde künftig Teil kommunaler Behörden sein sollen.

(Reinhard Kahl (SPD):Was?)

Angesichts der Zerschlagung dieser Behördenstruktur kann heute natürlich von einer Vernetzung der Programme und von einer abgestimmten Strategie der Programme keine Rede mehr sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Entwicklungsplan der Europäischen Union für den ländlichen Raum sieht genau den Fördergrundsatz, den wir verfolgt haben, vor, nämlich eine integrierte ländliche Entwicklung.

In der Agenda 2000 wurden im Jahr 1999 genau diese Fördergrundsätze entwickelt.Wir alle wissen, dass die Union, und insbesondere die hessische Union, die Agenda 2000 bekämpft und verteufelt hat.

(Reinhard Kahl (SPD): Richtig!)

Niemand wundert sich, dass nun die vor wenigen Wochen vorgelegte, zur Halbzeit stattfindende Bewertung des hessischen Entwicklungsplans durch das Institut für Betriebswirtschaft der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft zu dem Ergebnis kommt, dass in dem gesamten Programmkontext in Hessen bisher die ländliche Regionalentwicklung gegenüber der Landwirtschaft zu wenig zum Tragen kommt, eine ausreichende Programmkoordination fehlt und eine gemeinsame Strategie für die Programme vonnöten wäre. Nicht zuletzt müssten administrative Verbesserungen zur Umsetzung geschaffen werden.

(Reinhard Kahl (SPD): Das ist ein vernichtendes Urteil!)

Meine Damen und Herren, nicht zuletzt haben Sie Folgendes gemacht: Sie haben in den letzten fünf Jahren die Mittel des von Rot-Grün aufgelegten hessischen Regionalentwicklungsprogramms und die Kofinanzierung der Gemeinschaftsinitiative der Europäischen Union LEADER+ so weit zusammengestrichen, dass das nur noch Feigenblattfunktion hat.

Beide dienen dazu, innovative Strategien zu eigenständigen Regionalentwicklungen zu fördern und insbesondere mit allen Akteuren vor Ort regionale Leitbilder zur Arbeitsplatzbeschaffung und zur Bruttowertschöpfung zu entwickeln. Das Ergebnis der Halbzeitbewertung hat die Landesregierung ganz unsanft, wie ich meine, aus einem tiefen Dornröschenschlaf geweckt. Anders kann der CDU-Antrag nicht verstanden werden, der heute, Mitte 2004, genau diese integrativen Ansätze in der Regionalpolitik befürwortet und begrüßt. Während wir Sozialdemokraten bereits Mitte der Neunzigerjahre, die EU und auch der Bund über die Gemeinschaftsaufgabe schon lange diese Strategien praktizieren, hat die Union fünf Jahre aktiver Strukturpolitik vertan.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Ansatz Ihres Antrages ist aus meiner Sicht trotzdem viel zu kurz gegriffen. Angesichts der grundlegenden Veränderungen, die ich vorhin geschildert habe, brauchen wir jetzt die Auflage eines neuen, eines modernen Hessenplans, der unter Einbeziehung der Demographie zur Zukunftssicherung unserer ländlichen Räume entwickelt werden muss. Ein wichtiges Beispiel dieses neuen, modernen Hessenplans muss auch künftig das Dorferneuerungsprogramm darstellen. Gerade angesichts der großen Herausforderungen wird die Dorferneuerung als investives Rückgrat einer integrierten Regionalpolitik in Zukunft noch viel stärker benötigt. Allerdings müssen die programmatischen Ansätze unter der neuen Prämisse weiterentwickelt werden.

Meine Damen und Herren, angesichts dieser Herausforderungen war es grundfalsch, dass die Union im Haushalt 2004 die Mittel für die Dorferneuerung im Kommunalen Finanzausgleich um 5 Millionen c und im Landesprogramm um knapp eine halbe Million c gekürzt hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Minister, es ist grundfalsch, wenn Sie nunmehr den Ausstieg aus der Förderung der öffentlichen Projekte planen. Die Dorferneuerung ohne die Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur bedeutet im Kern eine Demontage dieses Programms.Wir fordern Sie daher auf,im Landeshaushalt und im Kommunalen Finanzausgleich 2005 die alten Haushaltsansätze wieder herzustellen und zusätzliche Mittel für die neu geplante Darlehensförderung und -finanzierung vorzusehen. Weiterhin fordern wir Sie auf, von der Änderung der Richtlinie zur Absenkung der Höchstförderquote bei Privatmaßnahmen Abstand zu nehmen, auch wenn diese Fördersätze unterhalb der Fördersätze der Gemeinschaftsaufgabe liegen.

Mit der Ankündigung der Landesregierung, die Fördersätze zu reduzieren, haben Sie, Herr Minister, bei Antragstellern und bei verantwortlichen Kommunalpolitikern erhebliche Unruhe und Verunsicherung ausgelöst.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Ich komme gleich zum Schluss,Herr Präsident.– Herr Minister, wir erwarten, dass Sie heute hier am Rednerpult Klarheit schaffen, ob die Änderungsrichtlinie kommt oder ob die Informationen richtig sind, nach denen Sie den Richtlinienentwurf gestoppt haben. Ich kann nur sagen: Dann hätte unser Antrag doch die richtige Wirkung erzielt. Wenn nicht, werden wir sicherlich im Herbst weiter darüber reden müssen, Herr Minister.

Ein letzter Punkt. Wir erwarten auch, dass die Haushaltsausgabereste aus dem Jahr 2003 bei Dorferneuerung, Regionalentwicklung und LEADER+ in der Gesamthöhe von 4,9 Millionen c in den Haushalt 2004 übertragen werden und verausgabt werden können und nicht klammheimlich zur Stopfung der Haushaltslöcher verwendet werden. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Kollegin Lannert von der CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Kommen wir zuerst zu dem Antrag der SPD, in dem sie sich negativ, missbilligend und, wie könnte es anders sein, polemisch über die Zukunft der Dorferneuerung in Hessen auslässt.

(Gerhard Bökel (SPD): Frau Pfaff und polemisch? Das ist das Allerletzte!)

In Ihrer Rede haben Sie heute nur in Erinnerungen geschwelgt.Etwas Ordentliches hat man von Ihnen nicht gehört.

(Bernhard Bender (SPD): Sie haben nicht zugehört!)

Meine Damen und Herren, ich kann Sie beruhigen. Bei uns ist das Dorferneuerungsprogramm in den besten Händen. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass viele kommunale Projekte nur durch eine Landesförderung zustande kamen, weil sie ohne diese Förderung von den Kommunen alleine nicht hätten geschultert werden können.

(Gerhard Bökel (SPD): Okay!)

Kehren Sie einmal zu den Tatsachen zurück. Tatsache ist doch,dass Hessen im Jahre 2003 für die Durchführung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ noch Bundesmittel in Höhe von rund 35,8 Millionen c erhalten hat. Hierunter fällt auch die Dorferneuerung.Sie wissen aber genau,dass der Bund für 2004 gekürzt hat, sodass Hessen nur noch ca. 33,6 Millionen c erhält. Hier liegt das ganze Problem. Ich kann es Ihnen an dieser Stelle leider nicht ersparen: Die rot-grüne Bundesregierung kürzt die Mittel, und in Hessen beklagt die SPD drastische Absenkungen der Höchstbeiträge und der Fördersätze für Neubewilligungen.

(Beifall bei der CDU)

Schieben Sie bitte nicht immer die Schuld auf die Hessische Landesregierung, sondern fordern Sie endlich Ihre Freunde in Berlin dazu auf,die Mittel für die Länder nicht zu beschneiden.Dann müssten sich die Länder auch keine Gedanken über Veränderungen ihrer Zuweisungen machen. Allein das Versagen der rot-grünen Bundesregierung schlägt auf die Landesebene durch und wirkt sich unweigerlich auch auf die Höhe von Fördersätzen und Höchstbeiträgen im Dorferneuerungsprogramm aus.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist schon bemerkenswert, dass hier wieder einmal die größten Brandstifter nach der Feuerwehr rufen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Heinrich Heidel (FDP))

Die Dorferneuerung in Hessen trägt wie kein anderes Landesprogramm dazu bei, das unmittelbare Lebensumfeld der Bürger mitzugestalten. Dieser hohen Bedeutung ist sich das Land Hessen sehr wohl bewusst. Es hat daher im Jahre 2003 über 38 Millionen c an Zuschüssen gewährt.Diese wiederum führten zu Investitionen von mehr als 125 Millionen c, die dem ländlichen Raum natürlich voll zugute kamen. Neben der Verbesserung des Lebensund Wohnumfeldes profitiert davon auch die heimische Wirtschaft.

Aufgrund der sich verändernden Bevölkerungsstruktur – auch das ist schon angesprochen worden – stehen die Dörfer und ländlichen Regionen vor vielen neuen Herausforderungen. Das ist klar. Als wichtiges Instrument der Infrastrukturförderung gewinnt damit das hessische Dorferneuerungsprogramm zunehmend an Bedeutung. So müssen sich zwangsläufig auch die Förderrichtlinien an veränderte Rahmenbedingungen anpassen, um auch künftigen Ansprüchen und Entwicklungen gerecht zu werden.Aber eine Neufassung bedarf sorgfältiger Überlegungen, und das kann man nun einmal nicht übers Knie brechen.Vielmehr muss es ausgewogen und sachorientiert in das künftige Landesprogramm einfließen, Frau Pfaff.

Die Beratungen hierzu sind,wie Sie wissen,noch nicht abgeschlossen.Aus diesem Grunde entbehrt Ihr Antrag jeglicher Grundlage.Auch die zuvor über die Presse verbreiteten Annahmen und Spekulationen über die Zukunft der Dorferneuerung in Hessen müssen daher von meiner Fraktion mit aller Schärfe zurückgewiesen werden.

(Zurufe von der SPD)