Protocol of the Session on July 15, 2004

Als nächster Redner hat der Abg. Rentsch für die FDPFraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Dörr, ich habe mir überlegt, ob man es noch steigern kann,Herrn Dr.Jürgens als „kleines Schlitzohr“ zu bezeichnen. Mir ist nichts eingefallen. Es ist schwierig, an der Stelle noch etwas draufzusetzen.

Ihre Aussage, in dem Antrag werde die Landesregierung dafür kritisiert, nichts getan zu haben, kann ich nicht teilen. Im letzten Absatz des Antrags heißt es: „Die Landesregierung wird aufgefordert, die Umsetzung aktiv zu begleiten und zu unterstützen.“ Das ist ein Anliegen. Die Frau Ministerin hat eben ausgeführt, dass sie das tut. Insofern steht nichts entgegen, dem Antrag zuzustimmen.

An dieser Stelle sollten wir auf den Konsens in der Frage der persönlichen Budgets vom Dezember 2002 zurückkommen, den Sie erwähnt haben und den die Frau Ministerin am Anfang ihrer Rede angesprochen hat. Die FDP unterstützt mit Nachdruck die Idee des persönlichen Budgets, behinderten Menschen durch die Gewährung eines Budgets mehr Selbstbestimmung zu verschaffen. Das ist nichts Neues, daher werde ich vielleicht den einen oder anderen von Ihnen langweilen.

Die Umsetzung muss sorgfältig erarbeitet werden. Gerade im Interesse behinderter Menschen müssen wir sorgfältig abwägen, welche Leistungen sich im Einzelnen für das Budget eignen.

Die Einführung eines persönlichen Budgets wird zu erheblichen Veränderungen in der Behindertenhilfe führen. Gerade die Träger von stationären Einrichtungen werden sich in der Zukunft mit dem Gedanken vertraut machen müssen, dass ihre Plätze möglicherweise weniger nachgefragt sein werden, weil Behinderte verstärkt auf die ambulanten Hilfen zurückgreifen, die sich auf ihre Bedürfnisse speziell zuschneiden lassen. Ich halte das für einen richtigen Schritt. Wir werden aber auch den Dialog mit den freien Trägern aufnehmen müssen, denn sie haben sich in großem Umfang auf stationäre Formen der Behandlungen eingestellt. Ich sage auch, dass diese Veränderung von uns politisch gewollt ist.Nichtsdestotrotz wird es eine Frage sein, wie man mit dieser für die freien Träger doch sehr schwierigen Situation umgeht.

Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir mit der Einführung eines persönlichen Budgets in der Behindertenhilfe einen großen Sprung nach vorne machen werden. Das spiegelt der vorliegende Antrag wider.An dieser Stelle muss man sagen: Es fällt natürlich schwer, die Bundesregierung zu loben. An diesem Punkt hat sie aber einen richtigen Schritt getan.Das muss man würdigen.Das,was richtig ist, muss auch so genannt werden. Deshalb werden wir dem Antrag der Fraktion der GRÜNEN zustimmen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen, meine Herren! Mir liegen zu diesem Antrag keine weiteren Wortmeldungen vor. Der Antrag ist besprochen.

Es ist vorgesehen, den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend persönliches Budget umsetzen – Selbstbestimmung fördern, Drucks. 16/2290, an den Sozialpolitischen Ausschuss zu überweisen. – Dem wird nicht widersprochen. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend inhumane Abschiebungspraxis in Hessen – Drucks. 16/2306 mit Berichtigung –

Außerdem rufe ich Tagesordnungspunkt 19 auf:

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU betreffend Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien durch die Abschiebepraxis in Hessen – Drucks. 16/2359 –

Als erster Redner hat der Abg. Frömmrich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, das Wort. Redezeit: fünf Minuten.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute über die inhumane Abschiebepraxis in Hessen. Dazu gibt es einen Antrag der GRÜNEN.

Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass ein CDUPolitiker, nämlich der ehemalige Bundesminister Schwarz-Schilling, in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Rundschau“ betont hat, dass die Abschiebungspraxis in Deutschland kritikwürdig sei. Er sagt, langjährig und gut integrierte Familien werden auseinander gerissen. Herr Schwarz-Schilling beschreibt die Abschiebepraxis als „zum Himmel schreiend“ und spricht sogar von der „Behördenmühle unserer Länder“.

(Zuruf des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Welche Blüten dies treiben konnte, haben wir erlebt, als zwei Familien rücksichtslos auseinander gerissen wurden – wir meinen, ohne Not.

(Frank Gotthardt (CDU): Hat Schwarz-Schilling über Deutschland oder über Hessen gesprochen?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Kollege Gotthardt, diese Praxis ist menschenverachtend.Da können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun gibt es ein neues Zuwanderungsgesetz. Wir haben die Möglichkeit, eine Härtefallkommission einzurichten. Damit können humanitäre Gründe Berücksichtigung finden.

(Zuruf des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Es kann also zu Abweichungen von den Bestimmungen des Ausländergesetzes kommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bezeichnenderweise begegnet die CDU unserem Antrag mit einem Entschließungsantrag, in dem sie darauf pocht, dass Abschiebungen nach dem geltenden Recht zulässig sind. Darum ging es aber in unserem Antrag überhaupt nicht.Wir wollen vielmehr auf die inhumane Praxis aufmerksam machen, wie Abschiebungen in Hessen durchgeführt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch Herr Schwarz-Schilling wünscht sich hier „mehr Verständnis für die Betroffenen“ und „mehr Respekt vor der Würde des Menschen“. Er fragt, wo denn eigentlich der Landtag, der Innenausschuss und der Petitionsausschuss des Landtags geblieben sind. Dieser müsste „bei so genannten ,Härtefällen‘ den Ursachen und Zusammenhängen auf den Grund“ gehen,

(Frank Gotthardt (CDU): Das tut er doch! – Nicola Beer (FDP): Das macht er doch!)

„individuelle Konsequenzen von Entscheidungen bedenken“ und es bewusst vermeiden, „durch die Gefahr fraktionsfrommer Kollektivabstimmungen menschliche Schicksale ins Abseits zu transportieren“.

(Nicola Beer (FDP): Das ist doch Quatsch! Das geht doch alles einstimmig!)

Dass Sie sich hier schon wieder aufregen, zeigt, dass wir den Kern der Sache ganz genau getroffen haben.

(Horst Klee (CDU):Aber wirklich nicht!)

Kollege Frömmrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abg. Gotthardt?

Bei einer Redezeit von fünf Minuten wirklich nicht, Herr Kollege Gotthardt.

(Frank Gotthardt (CDU): Ist es zutreffend, dass die Petition, über die wir uns damals unterhalten haben, einstimmig von allen vier Fraktionen verabschiedet wurde?)

Es gibt hier nicht nur das Beispiel jener minderjährigen Kinder, die auf dem Weg zur Schule sind und plötzlich ohne Eltern dastehen. Es geht nicht nur um den Vater, der mit seinem Sohn nach Hause kommt und nur noch seine kranke Frau zu Hause antrifft – die drei Kindern befinden sich schon in der Abschiebung. Es geht uns also auch um den Umgang mit schwer traumatisierten Menschen und mit suizidgefährdeten Personen.

So, und jetzt frage ich Sie: Diese Abschiebepraxis mag nach Ihrer Rechtsauffassung rechtmäßig sein – aber bitte versuchen Sie nicht, uns zu erzählen, Sie seien der Meinung, diese Praxis ist human. Diese Praxis ist inhuman.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kollege Schwarz-Schilling hat da vollkommen Recht: So geht man nicht mit Menschen um. – In Frankfurt wurde vor einigen Monaten eine Frau direkt aus der Psychiatrie abgeholt und abgeschoben.

(Nicola Beer (FDP):Ach ja!)

Finden Sie das menschlich? Finden Sie das etwa human?

Hören Sie also bitte auf Ihren Parteikollegen und ehemaligen Bundesminister. Er hat eine humanitäre Verbesserung des Ausländerrechts gefordert und befürwortet die Berücksichtigung von Härtefällen. Meine Damen und Herren von der CDU, es liegt nun in Ihrer Hand, hier für Abhilfe zu sorgen.

(Nicola Beer (FDP):Wie denn?)

Frau Kollegin Beer, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Schaffung einer Härtefallkommission sind geschaffen. Herr Ministerpräsident Koch hat dem im Bundesrat auch bereits die Zustimmung gegeben. Fast alle Länder in der Bundesrepublik Deutschland haben entweder schon beschlossen oder signalisiert, eine Härtefallkommission einzurichten. Nur Hessen und Bayern haben sich bisher zu diesem Punkt noch nicht erklärt.

(Nicola Beer (FDP): Das ist Spiegelfechterei!)

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ja, ich komme sofort zum Schluss.

Es ist jedoch dringend geboten, bei humanitären und persönlichen Gründen zu einer Einzelfallregelung zu kommen. Meine Damen und Herren, wie wir das schon beim letzten Mal beredet haben, bitte ich Sie darum, dass wir

endlich dazu kommen,gemeinsam eine Entschließung auf den Weg zu bringen, damit auch hier in Hessen eine Härtefallkommission eingerichtet werden kann und wir endlich von dieser inhumanen Abschiebepraxis, die in Hessen existiert, wegkommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Horst Klee (CDU): Wider besseres Wissen! Das ist doch unfassbar, was Sie hier erzählt haben! – Frank Gotthardt (CDU): Kein Vertrauen zu den eigenen Abgeordneten im Petitionsausschuss!)