Protocol of the Session on January 29, 2004

Ich weiß es in der Tat noch nicht. Ich habe heute mit Genugtuung das Interview mit dem Ministerpräsidenten in der „Frankfurter Neuen Presse“ gelesen. In dem Interview stehen differenzierende Aussagen. Dort wurde gegen eine Festlegung Zurückhaltung geübt.

Die Gutachten, über die noch etwas zu sagen sein wird, haben gezeigt, dass der Aspekt des Sicherheitsrisikos bisher – zumindest in der Diskussion – nicht zentral genug beleuchtet wurde.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

Ja, das ist so. Das haben wir alle festgestellt.

Jetzt kommt es darauf an, wie die einzelnen Anforderungen in der Planung berücksichtigt werden können und ob die einzelnen genannten Risiken in der Planung ausgeräumt werden können.Wie das geschehen soll,müssen wir den Fachleuten überlassen. Das wird auch im Prüf- und Genehmigungsverfahren behandelt. Dort wird natürlich jeder einzelne Punkt aufgearbeitet werden. Herr Kaufmann, da sind Sie wieder in alte Untugenden zurückgefallen. Ich halte es schon für starken Tobak und auch für unverschämt,dass Sie gesagt haben,die Befürworter würden ein Gefeilsche um die Risikoeinschätzung machen, um damit im Grunde genommen von dem eigentlichen Problem abzulenken. Das ist nun wirklich ein ganz dicker Hund.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, das haben wir doch erlebt! Sie waren doch während der Ausschusssitzung dabei!)

Ich weise das ausdrücklich zurück.

(Beifall der Abg. Roland von Hunnius (FDP) und Michael Boddenberg (CDU))

Es kann nicht darum gehen, ein Risiko zu verniedlichen oder zuzudecken. Man kann auch nicht die Augen verschließen. Es kann dabei nur darum gehen, dort, wo Risiken gesehen und genannt werden, abzuwägen. Deshalb war die Anhörung sehr gut, die wir letzte Woche hatten. Wir werden uns die Antworten ansehen,die die Planer liefern werden. Möglicherweise werden wir aber zu anderen Konsequenzen kommen. Das kann bis zum dem gehen, was in dem Interview in der „Frankfurter Neuen Presse“ angesprochen wurde. Dort steht, dass man letztendlich auch über den Standort der Firma Ticona nachdenken muss. Man muss dann allerdings auch noch einmal darüber nachdenken – und das vor allen Dingen auch noch einmal nachvollziehen –, unter welchen Aspekten überhaupt die Genehmigungen zum Bau, zum Ausbau und zur weiteren Kapazitätserhöhung bei Ticona erfolgt sind.

(Beifall der Abg. Dieter Posch (FDP) und Lothar Klemm (SPD))

In der Anhörung des Ausschusses haben wir etwas von einem Gutachter gehört, der im Übrigen ein methodisch nicht haltbares Gutachten geliefert hat. Ich könnte Ihnen gleich ein paar Zitate aus der Evaluation im Gutachten vortragen. Der Gutachter kam zu einem sehr kritischen Ergebnis. Danach hätten wir die Akten in der Tat schon zumachen müssen. Dieser Gutachter hat vor zehn Jahren für Ticona festgestellt, dass es kein Problem sei, das Werk dort zu vergrößern, obwohl nach seiner heutigen Feststellung, wenn sie denn zuträfe, schon heute kein Flugbetrieb über dem Werk sein dürfte, also auch nicht in dem Umfang, in dem dies heute der Fall ist.Von einem Ausbau will ich dann gar nicht mehr reden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor zehn Jahren ging das nicht über Ticona! Die Routen wurden nämlich geändert!)

Mein lieber Herr Kaufmann, Sie haben uns hier mit allem Bemühen etwas vorgespielt. Ich glaube Ihnen das auch nicht. Sie haben von Gefeilsche und Vergleichbarem gesprochen. Sie haben wieder deutlich gemacht, dass Sie an uns appellieren, auch an die Sicherheit zu denken. Das können wir uns gerade schenken.Denn wir denken daran.

(Beifall bei der FDP)

Es ist doch unvorstellbar, dass sich ein Mensch und seine Mitbürger im Umkreis des Flughafens wissentlich durch Risiken gefährden würde, die nicht vertretbar sind. Das kann doch gar nicht sein.

Ich möchte Ihnen eines sagen. Herr Ministerpräsident, da appelliere ich an Sie. Der Wirtschaftsminister hat seine Position noch aus der Anhörung heraus sehr schnell mitgeteilt. Da hat sich das Gesagte noch gar nicht setzen können.Vielleicht hatte er das Gutachten aber schon intensiv studiert, obwohl man sagen muss, sehr viel früher hatte er es auch nicht. Der Minister hatte schon ein Fazit gezogen, obwohl die Anhörung noch nicht einmal abgeschlossen

war. Er hat davon gesprochen, dass Flugbetrieb und Ticona vereinbar seien.

Dieter Posch wurde von diesem Pult aus von Abgeordneten der SPD ausgeschimpft, weil er als Minister angeblich zu bürokratisch gewesen sei, er sei zu wenig politisch gewesen und habe den Ausbau nicht mit Verve betrieben. Nein, so war das nicht. Dieter Posch hat als der für die Genehmigung zuständige Minister die notwendige Zurückhaltung geübt.

(Beifall bei der FDP)

Herr Rhiel,das haben Sie nicht gemacht.Damit haben Sie einen schweren Fehler begangen. Meine Fraktion und ich halten den Ausbau in der Form, in der er genehmigungsfähig sein wird, für richtig. Dabei werden wir die Risiken so stark minimieren, wie es nur irgend geht.

Wir müssen abwarten, ob das dann möglicherweise zu ganz anderen, neuen Überlegungen führen wird. Das kann kein Mensch sagen. Herr Ministerpräsident, Sie haben sich in dem bereits genannten Interview diesbezüglich durchaus zurückgehalten. Das müssen auch wir tun. Das geht auch gar nicht anders.

Eines möchte ich Ihnen aber noch sagen. Herr Ministerpräsident, da stimme ich Ihnen zu. Wenn dieser Ausbau scheitert, wird unser Land in einem Maß zurückgeworfen werden, über das wir uns alle wundern würden.

(Beifall bei der FDP – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ein Blödsinn!)

Mein lieber Herr Kaufmann,deshalb müssen alle,die wollen, dass es weiterhin Prosperität in diesem Land gibt, die weiterhin die Bildungsangebote verbessern wollen, die weiterhin die Hochschulen verbessern und die all die notwendigen Dinge hier in Hessen machen wollen, dafür kämpfen, dass es zu einem Genehmigungsverfahren kommt, das unangreifbar,

(Beifall bei der FDP)

transparent und in jeder Hinsicht nachvollziehbar bleibt angesichts der Überprüfung durch Gerichte, die kommen wird. Das darf aber nicht nur der Form wegen geschehen. Vielmehr muss dieses Vorhaben tatsächlich abgesichert werden. Das muss aber auch im Sinne der Sicherheit erfolgen. Herr Kaufmann, das haben Sie richtig dargelegt. Wir haben seit Beginn dieser Diskussion die Minderung der Belastung für die umliegende Bevölkerung und die Minimierung der Eingriffe in die Natur im Auge gehabt. Letzteres geschah vornehmlich unter dem Gesichtspunkt, wie viel Wald an verschiedenen Stellen geopfert werden muss. Das waren die Ausgangspunkte unserer Überlegung. Natürlich hat dabei niemand die Sicherheit ausgeklammert. Denn die Frage nach der Sicherheit stellt sich ohnehin in der Begutachtung, dem Genehmigungsverfahren usw. Nur: Jetzt überragt eine Frage alle anderen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Na ja!)

Das werden wir dann auch anhand der weiteren Beurteilungen sehen. Herr Ministerpräsident, ich möchte Sie nochmals bitten – aber das ist dann das letzte Mal, denn ich glaube, ich habe Sie jetzt schon dreimal gebeten –: Herr Ministerpräsident, achten Sie bitte darauf, dass alles seinen ordentlichen Gang geht. Das Land Hessen kann es sich nicht leisten, dass die Genehmigung nicht erfolgt. Die

Genehmigung muss aber sauber erfolgen. Sie muss in Ordnung sein. – Danke.

(Anhaltender Beifall bei der FDP)

Als nächster Antragsteller hat Herr Abg. Schäfer-Gümbel das Wort für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen mit der heutigen Debatte über die vorliegenden Gutachten und ihre Konsequenzen an einer wichtigen Weggabelung. Es geht dabei um die Weiterentwicklung des Frankfurter Flughafens, sicherlich um eine der zentralen Investitions- und Strukturentscheidungen für die Region, und gleichzeitig um die Lebensbedingungen derer, die im Umfeld des Flughafens leben und arbeiten.

Lassen Sie mich deshalb gleich zu Anfang festhalten, dass die einzige Fraktion im Hessischen Landtag – im Übrigen bin ich sehr verwundert, wie stark Sie von der Union bei der Wichtigkeit dieses Themas heute hier vertreten sind –, die eine rationale Position zum Frankfurter Flughafen hat, die SPD-Fraktion ist.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden deshalb auch keinem anderen Antrag als dem unsrigen zustimmen. Weil wir heute Morgen etwas mehr Zeit haben, werde ich das auch ausführlich begründen. Wir haben uns im Jahr 2000 als Oppositionspartei nach Abschluss des Mediationsverfahrens klar zu einem Ausbau unter den Bedingungen des Verfahrens bekannt. Dazu zählen der Lärmschutz, insbesondere das verbindlich geregelte Nachtflugverbot, ebenso wie das Siedlungskonzept, der Waldeinschlag, aber insbesondere auch die Risikominimierung für die Menschen und ihre Lebensbedingungen. Das Mediationsverfahren hilft uns heute bei der Diskussion in der Region, weil es eine Plattform für einen weiter gehenden regionalen Konsens in dieser Frage geschaffen hat. Dafür muss man noch heute der letzten rot-grünen Regierung unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Hans Eichel dankbar sein.

(Beifall bei der SPD)

Anders gesagt: Stellen Sie sich einmal vor, Roland Koch hätte in seiner bekannten Manier auf einer Internet-Plattform seine Entscheidung verkündet, und das wäre es dann gewesen. Wir hätten heute sicherlich einen SuperGAU.

(Zurufe von der SPD: So ist es!)

Ich betone: Alle Bedingungen des Mediationsverfahrens müssen aus unserer Sicht erfüllt werden.Wenn nicht,dann eben nicht. Dies hat Gerhard Bökel in aller Klarheit im vergangenen Landtagswahlkampf öffentlich erklärt. Daran sehen Sie,dass gerade die Sicherheitsfragen für uns von zentraler Bedeutung sind.Wir lassen es nicht zu, dass einzelne Positionen gegeneinander ausgespielt werden. Dabei haben wir deutlich gesagt, dass, wenn die Nordwest-Variante die Bedingungen erfüllt, Herr Koch, – dies zu belegen ist die Aufgabe des Investors und der Landesregierung, insbesondere des Wirtschaftsministers als Genehmigungsbehörde –, das dann auch unsere Variante ist.

Das Genehmigungsverfahren muss dabei transparent und nachvollziehbar sein. Herr Denzin hat darauf eben eindringlich hingewiesen. Sonst kann es keinen breiten Konsens in der Region geben. Jede Abweichung von diesem Grundsatz führt das Verfahren in Schwierigkeiten. An diesem Punkt sind wir jetzt.

(Beifall bei der SPD)

Die vergangenen vierzehn Tage waren für den weiteren Verlauf des Verfahrens sehr bedeutungsvoll. Die Anhörung im Wirtschaftsausschuss hat deutlichen Handlungsbedarf offenbart. Die Gutachter haben durchweg ihre Thesen, Methoden und Ergebnisse nachvollziehbar erläutert. Insbesondere die Gutachten des RWTÜV und des TÜV Pfalz waren wegen unterschiedlicher Risikoprognosen von besonderem Interesse. In der Tat haben sich die Risikoprognosen beider Gutachten durch die Nacharbeit des RWTÜV angeglichen. Beide sprechen zwischenzeitlich von einem Risikowert von 10–4 oder, um es landläufig zu sagen, von 1:10.000 Jahren. Das ist eine statistische Größe, eine Wahrscheinlichkeit. Sie ist nicht wirklich fassbar. Ein Flugzeug kann zu jedem Zeitpunkt, heute, morgen oder in 10.000 Jahren, abstürzen.

Entscheidend ist daher die Risikominimierung.Alle Gutachten kommen deshalb zu dem Schluss, dass in jedem Fall – unabhängig davon, ob man der Auffassung ist, dass das Risiko zu groß ist, wie es Herr Kaufmann dezidiert erläutert hat, oder dass es zu klein ist – mindestens erhebliche bauliche Veränderungen bei Ticona vorgenommen werden müssen. Das gilt für die Nordwest-Variante. Dies gilt für den Schornstein, das Verwaltungsgebäude, aber insbesondere auch für die Methanoltanks und die Bortrifluoridtanks, die zwingend eingebunkert werden müssen. Alle Veränderungen werden als erforderlich angesehen.

Nachdenklich muss auch stimmen, dass alle Gutachter eindringlich darauf hingewiesen haben, dass eine Genehmigung des Chemiewerks heute nicht mehr möglich wäre. Deshalb ist die Landesregierung – und zwar insbesondere Sie, Herr Rhiel – aufgefordert, Vorschläge zur Realisierung dieses zentralen Infrastrukturprojektes im Lichte der Gutachterergebnisse zu machen. Das ist genau Ihr Job, Herr Rhiel. Wir stellen allerdings bei Ihnen eine gewisse Überforderung fest.

(Beifall bei der SPD)

Damit sind wir beim eigentlichen Problem. Die Entscheidung für eine Variante hätte erst nach Prüfung aller Faktoren stattfinden dürfen. Das haben Sie, Herr Rhiel, nicht persönlich zu verantworten. Das geht abermals auf das ohnehin schon volle Punktekonto von Herrn Koch. Sie haben aber noch einen draufgesetzt. Noch während der Anhörung treten Sie vor die Presse und verkünden freimütig, dass die Vereinbarkeit von Nordwest-Variante und Ticona gegeben ist. Erstens ist das ein unmöglicher Stil den Gutachtern gegenüber. Aber Stilfragen werden das Verfahren sicherlich nicht behindern.

(Michael Boddenberg (CDU): Was ist mit Herrn Kaufmann?)

Ich komme dazu. Er wird nicht ungeschoren davonkommen.

Zweitens sind Sie als Genehmigungsbehörde zu einer gewissen Zurückhaltung aufgefordert. Da hätten Sie von Ihren Vorgängern Posch und Klemm einiges lernen können.

(Beifall bei der SPD)

Die Form Ihrer Präsentation an diesem Nachmittag ist Wasser auf die Mühlen derer, die kein Vertrauen in ein transparentes und nachvollziehbares Verfahren haben. Das kann in juristischen Auseinandersetzungen sehr wohl eine Rolle spielen. Von einer Abwägung Ihrerseits kann man daher sicherlich nicht mehr sprechen.