Eine zweite Sache muss vorab erwähnt werden. Frau Kollegin Schulz-Asche, Sie haben gesagt, die CDU wolle eine Entsolidarisierung der Gesellschaft herbeiführen. Ich bitte Sie, aufzupassen, an wen Sie Ihre Vorwürfe richten.
Die „Entsolidarisierung der Gesellschaft“ war bisher immer unsere Sache.Das haben Sie immer uns vorgeworfen. Jetzt ist auch die CDU in diesen Vorwurf hineingerutscht. Das macht es für die Bürger nicht einfacher. Lassen Sie die Fronten dort, wo sie waren. Ich erkläre Ihnen gleich, warum ich das sage.
Der Antrag der Kollegen der GRÜNEN macht am Anfang einen verfassungsrechtlichen Exkurs zum Thema soziale Marktwirtschaft. Sie sprechen in Ihrem Antrag von der „Grundentscheidung unserer Verfassungsmütter und -väter, eine soziale Marktwirtschaft zu schaffen“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Korrektur: Die soziale Marktwirtschaft ist im Grundgesetz nicht verankert worden.
Die soziale Marktwirtschaft ist eine Ausformung der Politik, aber sie ist nicht in der Verfassung verankert worden. Ich denke, wenn man einen solchen Antrag formuliert, dann wäre ein gewisses Grundverständnis von Staatsrecht an dieser Stelle nicht ganz schlecht.
Die soziale Marktwirtschaft in ihrer Ausformung mit den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung, wie wir sie heute haben, war in der Vergangenheit sicherlich ein Erfolgsmodell. Gerade in der Nachkriegszeit war es ein Sicherungssystem, das den Menschen weitergeholfen hat. Ich glaube, wir sind uns einig, dass diese Zeiten längst vorbei sind. Wir haben in diesem Land gänzlich andere Probleme, als wir sie nach dem Zweiten Weltkrieg hatten. Das verlangt eine Anpassung unserer Sozialsysteme,sonst fahren wir sie gegen die Wand. Davon sind wir wirklich
nicht mehr weit entfernt. Das sollte sich jeder Politiker in diesem Hause klarmachen,denn die Politik trägt dafür die Verantwortung. Es hilft überhaupt nichts, die Systeme schönzureden, wie wir es heute wieder getan haben, und den Menschen in unserem Land zu suggerieren, mit mehr Solidarität sei alles gut und schön. Das ist der absolut falsche Weg.
Sie tragen vor, das Thema Kopfpauschalen in der Krankenversicherung sei mit einer Entsolidarisierung gleichzusetzen.
Das ist eine völlig unzulässige Verkürzung dieses Themas. Ich sage das, obwohl die FDP das Kopfpauschalensystem nicht für gänzlich richtig hält. Es trifft aber völlig zu, dass das System der Kopfpauschalen einen Solidargedanken hat, nämlich den des steuerlichen Ausgleichs. Das haben Sie bei Ihrer Argumentation völlig unterschlagen, Frau Kollegin.
Frau Präsidentin, ich werde erst einmal ein bisschen etwas erklären, vielleicht erübrigen sich dann diese Zwischenfragen.
Das Thema Kopfpauschale muss man hier auch deshalb einmal erwähnen, weil die Union damit ein – aus ihrer Entwicklung heraus – sehr progressives Model vorgelegt hat.
(Lachen der Abg.Andrea Ypsilanti (SPD) und Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)). Das will ich hier auch erwähnen.Wir schätzen diese Fortentwicklung der Union als sehr positiv ein.Vielleicht können wir sie noch von einem richtigen System überzeugen, aber darauf komme ich später noch. Meine Damen und Herren, Fakt ist, dass die Bürger in diesem Land das Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme verloren haben. (Beifall des Abg. Michael Denzin (FDP))
Das, was Sie gerade geschildert haben: dass von vier Fünfteln der Bevölkerung – – Ich weiß nicht, wo Sie diese Erhebung gemacht haben, ob das die Friedrich-Ebert-Stiftung bei der hessischen SPD gemacht hat.
Die Tatsache in unserem Land ist doch eine andere. Die Tatsache in diesem Land ist, dass die Menschen von der Solidarität, die Sie überall predigen, die Nase voll haben.
Die Menschen haben davon die Nase voll. Denn wenn sie am Ende des Monats auf ihren Lohnzettel schauen, dann sehen sie, wie solidarisch sie jeden Monat waren.
Das ist nicht gerecht, was Sie dort betreiben. Das ist nicht solidarisch. Wenn ich ein Krankenversicherungssystem habe, bei dem ich einzahle und bei dem ich alle Leute unterstütze, die sich um Gesundheitsvorsorge einen Dreck scheren – –
Es ist nicht solidarisch, wenn Sie ein Rentenversicherungssystem haben, bei dem junge Menschen einzahlen, die nie etwas aus dieser Rentenversicherung herausbekommen werden.
Meine Damen und Herren, es ist nicht solidarisch, wenn Sie einen Sozialversicherungsbeitrag zahlen und dann sehen, was mit diesen Beträgen in diesem Land geschieht. Da muss man nicht nur Florida-Rolf nennen. Ich habe ein Praktikum beim Wiesbadener Sozialamt gemacht – vielleicht können Sie sich die Zustände einmal anschauen. Das ist für jeden Politiker eine ganz interessante Erfahrung.
Natürlich gibt es die Vorbehalte der Menschen in diesem Land gegenüber der Verwendung dieser Gelder. Das ist doch keine Frage. Die können Sie doch nicht wegwischen. Und dann erklären Sie hier voller Stolz, vier Fünftel der Menschen in diesem Land wollen diese Solidarität weiter betreiben?
Diese Solidarität muss effektiver eingesetzt werden und nicht so verschwenderisch, wie Sie sie predigen.
Regen Sie sich ruhig auf, das bestätigt mich in meiner Rede an dieser Stelle nur.– Die Menschen in diesem Land sind nicht die finanziellen Melkkühe der SPD und der GRÜNEN.
All das, was Sie mit Ihrem Sozialsystem versuchen, ist doch wieder, den Menschen an den Geldbeutel zu gehen und über den Geldbeutel Solidarität herzustellen.
Wenn Sie sich die demographische Entwicklung in diesem Land anschauen – ich lasse momentan keine Zwischenfragen zu –:
Seit 1960 hat sich die Lebenserwartung um drei Jahre erhöht. Bis 2030 werden noch einmal drei Jahre hinzukommen. – Das ist schön, aber es hat fatale Folgen. Das bedeutet schlichtweg eine Verdoppelung der Rentenbezugszeiten gegenüber 1960.
Hinzu kommt: Das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern kehrt sich um. Heute kommt auf fünf Erwerbstätige ein Rentner, im Jahr 2030 – und diese Zahlen sollten Sie kennen – kommen zwei Erwerbstätige auf einen Rentner.
Was wollen Sie den jungen Leuten in diesem Land dann sagen, die in ein Rentenversicherungssystem einzahlen, bei dem die Gefahr besteht, dass sie niemals etwas herausbekommen werden? Welche Antworten haben Sie denn auf diese Frage? Meine Damen und Herren, hier haben Sie keine Antworten.