Protocol of the Session on April 23, 2003

Wer Verantwortung für heute hat, muss auch Visionen für morgen haben. Diese Landesregierung kennt ihre Ziele.

Ich lade alle ein, uns auf diesem Weg für ein Hessen, auf das wir stolz sein können, zu begleiten.

Wir sind offen für den Dialog. Wir sind bereit zum Handeln.Wir sind für Hessen da. – Vielen herzlichen Dank.

(Lang anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, als nächster Redner spricht der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Jürgen Walter.

(Clemens Reif (CDU): Der arme Kerl hat es jetzt schwer! – Abg. Jürgen Walter (SPD) hat Schwierigkeiten mit der Technik des Rednerpultes.)

Das ist alles neu. Das sind die ersten Fortschritte hinsichtlich eines Umbaus des Hessischen Landtags.

(Clemens Reif (CDU):Immer rechts drücken,dann liegst du hier richtig!)

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 2. Februar 2003 haben die Menschen unseres Landes Hessen über die Zusammensetzung dieses Parlaments und der Regierung entschieden. Die Entscheidung fiel sicherlich deutlicher aus, als viele es erwartet und, je nach Standpunkt, befürchtet oder erhofft hatten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so schmerzhaft das Wahlergebnis für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten war und ist, zum Kern des Wesens des demokratischen Systems gehört es, die Entscheidungen des Souveräns vorbehaltlos zu akzeptieren. Herr Ministerpräsident Koch, ich will Ihnen deshalb herzlich zu Ihrer Wahl gratulieren. Dies geschieht auch namens der gesamten SPD-Fraktion. Ich wünsche Ihnen und Ihrem gesamten Kabinett alles Gute und stets das Treffen von guten Entscheidungen im Interesse der Menschen unseres Landes Hessen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und bei der CDU und der FDP)

Herr Ministerpräsident, damit verbunden ist unser ehrliches Angebot für eine konstruktive Zusammenarbeit hier im Hessischen Landtag. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verstehen unter Oppositionsarbeit nicht das Neinsagen um jeden Preis. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Menschen unseres Landes von einer Politik die Nase gestrichen voll haben, die die Vorschläge immer danach bewertet, wer die Vorschläge gemacht hat. Ein Vorschlag könnte demnach nur dann gut sein, wenn er aus den eigenen Reihen kommt. Er wäre dann immer abzulehnen, wenn er von jemandem gemacht wurde, der ein Parteibuch einer anderen Farbe besitzt. Herr Ministerpräsident, immer wenn wir den Eindruck haben, dass die von Ihnen getroffenen Entscheidungen in die richtige Richtung weisen, dass die von Ihnen getroffenen Entscheidungen den Menschen unseres Landes nützen und unser Land voranbringen, werden wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zur Zusammenarbeit bereit sein.

Herr Ministerpräsident, vor 18 Tagen haben Sie von dieser Stelle aus während Ihrer Dankesrede nach Ihrer Vereidigung die Fraktionsvorsitzenden aufgefordert, im Interesse einer konstruktiven Zusammenarbeit auf die ganz großen Trommeln zu verzichten. Herr Präsident Kartmann wollte anschließend die ganz großen Trommeln so

fort einsammeln. Herr Präsident Kartmann, bei allem Respekt, ich werde meine Trommel bei Ihnen nicht abgeben. Wenn ich Ihnen meine Trommel geben würde, würden Sie sie nehmen und in Nieder-Weisel vergraben.Wenn ich sie dann brauche, würde sie kein Mensch mehr finden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU: Das wäre nicht schlecht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,nein,die Trommel bleibt am Mann. Allerdings bin ich gerne bereit, zu differenzieren. Die Trommel, deren Trommeln nicht die Politik, sondern den Menschen zum Ziel hat, also das Trommeln unabhängig von den politischen Entscheidungen, wobei ich, Herr Ministerpräsident, Verfehlungen auch weiterhin ansprechen werde, will ich gerne in die Instrumentenkammer stellen.

(Nicola Beer (FDP): Das wäre einmal etwas Neues!)

Das Trommeln in der inhaltlichen Auseinandersetzung über die richtigen Entscheidungen oder, besser gesagt, in der Auseinandersetzung über die besseren Entscheidungen für die Menschen unseres Landes wollen wir kräftig machen. Das ist die Aufgabe der Opposition. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nehmen die Oppositionsrolle in diesem Hause an.

(Beifall bei der SPD)

Alle werden mir beipflichten, dass eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition im Hessischen Landtag eher ein Ausnahmetatbestand ist. Viele verfügen hierzu über einschlägige Erfahrungen.Zur Vorbereitung auf den heutigen Tag habe ich mir beispielsweise die Rede des damaligen Vorsitzenden der CDUFraktion auf die Regierungserklärung von Hans Eichel im Jahre 1995 angeschaut. Herr Ministerpräsident, ich darf Sie beruhigen. Ich habe mir Ihre Rede nicht zum Vorbild genommen. Hätte ich mir Ihre Rede zum Vorbild genommen, müsste ich die ganz große Trommel sofort zur Hand nehmen. Das will ich aber lassen.

Der Wahlkampf ist vorbei. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben einen engagierten Wahlkampf geführt. Wir wollten hessische Themen in den Vordergrund stellen. Die Menschen aber hat anderes bewegt. Ganz vorsichtig formuliert, möchte ich sagen: Wir hatten keinen Rückenwind. – Trotzdem hat unser Spitzenkandidat Gerhard Bökel für unsere Vorstellungen bis zum Wahlsonntag über alle Maße gekämpft und geworben. Lieber Gerhard, deshalb möchte ich dir an dieser Stelle auch im Namen der gesamten Fraktion herzlichen Dank für deinen Einsatz im Wahlkampf sagen.

(Beifall bei der SPD)

Es besteht kein Zweifel: Deutschland steckt in einer tiefen Krise. Dabei wirken strukturelle, demographische, konjunkturelle und auch internationale Ursachen zusammen. Davon ist natürlich auch Hessen betroffen. Das eingeübte Klein-Klein der Tagespolitik wird nicht mehr ausreichen, die Probleme zu lösen. Auch das dürfte jedem klar sein. Herr Ministerpräsident, es ist deshalb gut, dass Ihr Regierungsprogramm mit einem visionären Teil beginnt. Sie fragen, wie es in unserem Land Hessen im Jahre 2015 aussehen soll. Bei der Lektüre dieser Version wird es einem richtig warm ums Herz.

(Armin Klein (Wiesbaden) (CDU): Sehr gut!)

Auf der abstrakten Ebene gibt es da sicherlich viele Gemeinsamkeiten.Wir sollen die besten Schulen, die erfolg

reichsten Schüler und wenig Kriminalität haben. Hessen wird dann ein familienfreundliches Land sein. Es wird eine geringe Arbeitslosenquote und wenig Sozialhilfeempfänger geben. Es soll eine intakte Umwelt und gesunde Nahrung geben. Die ganze Vision gipfelt in dem Wunsch, dass die Straßen Hessens im Jahre 2015 nicht mehr in den Verkehrsmeldungen vorkommen sollen. Wenn man die Vision durchliest, stellt man fest, dass man eigentlich nur noch darauf wartet, dass im Jahre 2015 alle Menschen unseres Landes glücklich sind.Als Fan der Eintracht Frankfurt habe ich darauf gewartet, dass die dann auch die Champions League gewonnen haben wird.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heiterkeit des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Tarek, sie werden diese im Endspiel gegen den zweiten deutschen Teilnehmer, die Offenbacher Kickers, gewonnen haben.

Ich möchte das jetzt nicht ins Lächerliche ziehen. Vielmehr halte ich es für ausgesprochen richtig und wichtig –

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): KSV Hessen Kassel hast du vergessen!)

Die Vision reicht nur bis zum Jahr 2015. – Ich halte es tatsächlich für richtig und notwendig, dass die Politik über den Tag und auch über das Ende einer Legislaturperiode hinaus denkt. Die nächsten Wahlen sollen nicht das Ende des zeitlichen Rahmens sein, in dem sich die Planungen der Politik bewegen.

Ich gebe Ihnen in einem völlig Recht. Ich beziehe mich dabei auf das Regierungsprogramm. Dort steht sinngemäß: Es müssen jetzt konkrete politische Vorgaben gemacht werden, die nicht kurzfristige Erfolgsmeldungen zum Ziel haben, sondern die Benennung und Lösung der enormen demographischen, finanzwirtschaftlichen und umweltpolitischen Probleme, auch wenn es teilweise schmerzhaft und unpopulär ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union, warum machen Sie das denn nicht? Wo sind denn die Lösungsvorschläge? Wo sind denn die konkreten Vorschläge zur Lösung der enormen finanzwirtschaftlichen Probleme unseres Landes?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Programm findet sich dazu nichts. Stattdessen stehen dort viel Altbekanntes und Gefälligkeiten. Da gibt es die üblichen Grußadressen an die Interessengruppen in unserem Land.Dies geschieht ganz getreu nach dem alten Motto von Goethe: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, so bringen Sie aber unser Land Hessen nicht nach vorne. Herr Ministerpräsident, trotz allen Respektes muss ich sagen: Für Ihre Verhältnisse fand ich Ihre Regierungserklärung eine recht langweilige Rede.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man den Beifall aus den eigenen Reihen als Messlatte nimmt, kann man feststellen, dass es an drei Stellen den wirklichen ehrlichen großen Beifall gab. Zum einem geschah dies nach den üblichen Drohungen gegenüber den Sozialhilfeempfängern. Das kommt immer an. Dann erfolgte er nach der Kritik an der Bundesregierung und

deren rot-grüner Politik.Auch das ist eher selbstverständlich.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Da habt auch ihr mitgeklatscht!)

Zum Dritten geschah dies zum Thema Kellerwald. Das war auch eine ganz große rhetorische Leistung. Denn der Positionswechsel hinsichtlich des Nationalparks Kellerwald wurde damit erklärt, dass Herr Landwirtschaftsminister Dietzel – er ist jetzt gerade draußen – vier Jahre lang daran gearbeitet habe,dass der Wunsch entsteht,dass dort ein Nationalpark eingerichtet wird.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, tatsächlich ist etwas Wahres daran. Man muss sich die Situation der Menschen in der Region vorstellen. Vier Jahre lang steht Herr Dietzel mit der Kettensäge in der Hand vor der Tür, und die sagen: Wie können wir uns davor schützen? Da hilft nur ein Nationalpark. – Deshalb wollen sie es jetzt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, wir vermissen an Ihrer Rede wie an Ihrem Regierungsprogramm, wie Sie aus diesen Visionen, die wir auf der abstrakten Ebene im Wesentlichen teilen – wer wäre dagegen, dass wir eine geringere Arbeitslosenquote und weniger Sozialhilfeempfänger haben? –, zu diesen Zielen hinkommen wollen. Sie beschreiben Ziele, aber Sie geben keine Wegbeschreibung, wie wir zu diesen Zielen kommen. Wir sind aber im Hessischen Landtag nicht als Analysten gewählt, sondern als Entscheider. Die Menschen erwarten von uns konkrete Vorgaben, wie Ziele erreicht werden sollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe gesagt, die Rede sei relativ langweilig für Ihre Verhältnisse. Es ist rhetorisch eine ganz nette Idee, wenn man versucht, sich sozusagen mit den Visionen für morgen aus der Verantwortung für heute zu stehlen.Aber das werden wir Ihnen als Opposition nicht durchgehen lassen, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben allzu richtigerweise erkannt, dass Politik, und zwar bei allen Parteien, in der Bundesrepublik Deutschland viel zu lange nach dem Motto „Allen wohl und keinem weh“ gemacht worden ist. Aber mit Ihrem Regierungsprogramm und auch der eben gehörten Regierungserklärung verharren Sie doch nur wieder in Gefälligkeiten, Überschriften und Appellen.

Sie appellieren in Ihrer Rede beispielsweise an die Menschen, dass sie für das gleiche Geld länger arbeiten sollen. Sie beschreiben,dass dies etwas mit den Grundproblemen in unserem Lande zu tun hat, also Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich.

Man kann über diesen Appell sicherlich reden. Aber in der Politik gibt es einen Grundsatz,dass man das,was man von anderen verlangt, auch selbst einhalten soll. Es mag Ihnen jetzt relativ billig erscheinen, aber ich schaue mir einmal Ihr Kabinett an: Sie haben die gleiche Arbeit für mehr Geld auf mehr Personen verteilt.Wenn Sie es in Ihrem eigenen Kabinett schon nicht machen,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)