Protocol of the Session on October 15, 2003

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Petra Fuhrmann (SPD): Das ist ein Skandal!)

So etwas geschieht nur, wenn man eine schwache Sozialministerin hat oder wenn man es will.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Mit unserem „Sozialbudget neu“ knüpfen wir an das 1997 unter der rot-grünen Landesregierung auf den Weg gebrachte Sozialbudget an. Auch damals war die finanzielle Situation schon schwierig, und es gab Sparzwänge. Aber im Gegensatz zur Regierung Koch haben wir nicht bei den Schwächsten der Gesellschaft und bei den unverschuldet in Not Geratenen begonnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben dort nicht den Rotstift angesetzt.Vielmehr haben wir Maßnahmen für diese aus dem Sparpaket herausgenommen. Das ist umso wichtiger, da gerade bei den Projekten, über die wir heute reden, bereits die Streichung geringer Zuschüsse zu Dominoeffekten führt. Das führt nämlich dazu, dass andere Projekte mit in den Ruin geraten, dass dann ganze Netzwerke ineinander greifender Hilfsangebote zerstört werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die drohende Unterversorgung hinsichtlich der Beratungs- und Hilfsangebote betrifft doch nicht nur Menschen aus gesellschaftlichen Randgruppen. Davon sind auch Bürgerinnen und Bürger betroffen, die kurzfristig in materielle oder psychosoziale Not geraten sind.Dies kann z. B. durch eine Scheidung oder eine Trennung, durch die Geburt eines Kindes, durch Überschuldung beim Hauskauf oder längere Arbeitslosigkeit geschehen sein. Das kann auch durch eine Kombination von zwei oder mehreren solcher Krisen und Situationen geschehen. Das kommt nicht gerade selten vor.

Es ist heute schon absehbar, dass die für 2004 vorgesehenen Kürzungen in wenigen Jahren zu einem massiven Anstieg bei den Pflichtleistungen, vor allem auch der Kommunen bei der Sozialhilfe, führen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wenn wir andererseits bedenken, dass sich die Kosten für eine Sozialarbeiterstelle für ein Jahr bereits dann rechnen, wenn die Heimunterbringung eines einzigen Kindes verhindert werden kann, wird doch das Ausmaß dessen, was Sie hier vorhaben, deutlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Niemand kann heute die sicherheits- und ordnungspolitischen Folgekosten berechnen, die beispielsweise durch weniger Prävention im Drogen- und Gesundheitsbereich, bei der Vermeidung von Gewalt und Krisen entstehen.

Ziel unserer Sozialpolitik ist es hingegen,die Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt zu stellen und mit bedarfsgerechten, wohnortnahen Hilfen und präventiven Angeboten zu versorgen. Unser „Sozialbudget neu“ sieht deshalb zwei Punkte vor. Zunächst schlagen wir vor, von der CDU-Landesregierung gestrichene Gelder in das „Sozialbudget neu“ zu übernehmen. Dazu gehören die Frauenprojekte, die Familienförderung, die Drogenhilfepolitik, die Behinderten-, Sozial-Benachteiligten-, die Kinder- und Jugendpolitik und die Gesundheitspolitik. Zudem haben wir einige neue Aufgaben in das Sozialbudget aufgenommen. Dazu gehören die niedrigschwelligen Angebote für Demenzkranke, die Schuldnerberatungsstellen, Innovationen in der Gesundheitspolitik und Integrationsmaßnahmen für Ausländer, Aussiedler und Vertriebene.

Zur Finanzierung dieses Budgets, für die dafür notwendigen 30 Millionen c, haben wir verschiedene Vorschläge gemacht, mit denen wir diese Summe fünffach abdecken könnten. Man muss eben nur wollen, meine Damen und Herren von der CDU, und die Landesregierung will das nicht.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Den Sprechzettel für CDU-Abgeordnete – ich hatte es schon angekündigt –, mit dem die CDU-Abgeordneten wie Tanzbären am Nasenring durch die Lande ziehen, kennen wir inzwischen alle.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sogar die Sozialministerin kann diesem Sprechzettel substanziell nichts hinzufügen. Interessant wird es vor allem dann, wenn jemand gezwungen ist, ausführlicher zu antworten. Da entrüstet sich beispielsweise der CDU-Landtagsabgeordnete Rüdiger Hermanns in seinem Wahlkreis

ich weiß nicht, ob er gerade da ist; Ihre Reihen sind bei dem Thema etwas gelichtet – über die „wenig qualifizierte Nörgelei“ und erklärt sein Unverständnis, wie man „über gestrichene 1.500 oder auch 3.000 c sich derart aufblasen“ könne. – Vielen Dank, Herr Großhandelskaufmann. Hier spricht die absolute Nullqualifizierung, auf der Ihr so genanntes intelligentes Sparen beruht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Hier zeigt sich die völlige Unkenntnis von Strukturierung und Funktionsweise sozialer Hilfen in Hessen. Meine Damen und Herren von der CDU, wissen Sie eigentlich, wovon die Rede ist, selbst wenn die Landesregierung von Ehrenamtlichkeit spricht? Viele der jetzt von Kürzungen und Streichungen betroffenen Initiativen arbeiten gerade mit geringen Mitteln und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, d. h. mit Menschen, die sich für andere Menschen einsetzen, dafür ihre Freizeit opfern, die selbst häufig Geld drauflegen oder sogar für ihre eigenen Initiativen spenden. Für solche Initiativen bedeutet 1.500 oder 3.000 c weniger, dass die Anmietung eines Raumes nicht mehr finanziert werden kann, dass die Fahrtkosten für Hausbesuche bei alten Menschen nicht mehr erstattet werden können, dass man die Porto- und Telefonkosten aus der eigenen Tasche finanzieren muss.

Herr Abg. Hermanns, nehmen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen einfach einmal mit. Besuchen Sie diese Initiativen, die in so vielen gesellschaftlichen Bereichen ihre freiwillige Arbeit leisten.

(Michael Boddenberg (CDU): Das haben wir doch gemacht!)

Reden Sie mit diesen Menschen über deren Motivation, über ihre Arbeit, über notwendige Hilfestellungen und Vernetzungen und letztendlich über die Folgen der kochschen Giftliste auf ihre ehrenamtliche Arbeit. Was sagen Sie diesen Menschen eigentlich auf die Frage, wie sie trotz dieses sozialen Kahlschlags in den nächsten Jahren ihre Arbeit fortsetzen sollen? Sagen Sie aber bitte auf keinen Fall, es habe keine Alternative gegeben. Deshalb haben wir unser „Sozialbudget neu“ vorgelegt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren von der CDU,was sagen Sie eigentlich Eltern, die sich mit der Bitte um Unterstützung an Sie wenden, weil sie sich Sorgen über eventuellen Drogenkonsum ihres Kindes machen? Derzeit liegen die Wartezeiten in den Beratungsstellen bei bis zu drei Monaten. In Zukunft werden es sechs oder mehr Monate sein, wenn es überhaupt noch Beratungsstellen gibt.Was werden Sie diesen Eltern sagen? Sagen Sie aber bitte auf keinen Fall, es habe keine Alternative gegeben.Deshalb haben wir unser „Sozialbudget neu“ vorgelegt.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren von der CDU,was sagen Sie zu einer jungen Familie mit zwei kleinen Kindern, die sich aufgrund eines Haus- oder Autokaufs verschuldet hat, plötzlich von Arbeitslosigkeit betroffen ist und in einen Schuldenkreislauf, in eheliche Krise und Verzweiflung gerät und dringend Beratung und Hilfe braucht? In den hessischen Schuldnerberatungen sind Familien die Hauptklientel.Verweisen Sie dann auf den berühmten Familientag von Frau Lautenschläger mit einem Luftballon pro Kind und Jahr? Das ist das,was im Sozialetat an Hilfen für

Familien übrig bleiben wird. Aber sagen Sie dieser Familie auf keinen Fall, es habe keine Alternative gegeben. Deswegen haben wir unser „Sozialbudget neu“ vorgelegt.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren von der CDU, was sagen Sie Frauen, die sich jetzt mit ihren Kindern in andere Landkreise begeben müssen, um sich vor häuslicher Gewalt zu schützen? Was sagen Sie obdachlosen Menschen, die sich mit der Bitte um Nahrung oder ein Dach über dem Kopf an Sie wenden? Was sagen Sie den vielen Jugendlichen, die in sozialen Brennpunkten aufwachsen und für die die Einrichtungen vor Ort die einzige Gewähr einer positiven Lebensperspektive bedeuten?

(Petra Fuhrmann (SPD): Oder eine warme Mahlzeit am Tag!)

Die Arbeit in sozialen Brennpunkten, die Förderung nachbarschaftlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft und sozialer Schicht, all das sind Aktivitäten im Sozialbereich, meine Damen und Herren von der CDU, die die Menschen hier, ob bezahlt oder ehrenamtlich, aus den unterschiedlichsten Motiven leisten. Manche nennen es Solidarität, manche nennen es soziales Engagement, und manche nennen es einfach Nächstenliebe.

(Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Manche nennen es christlich!)

Sie haben aber alle das Bewusstsein, dass es Kinder, Jugendliche, Familien, Migranten und alte Menschen in diesem Lande gibt, die auf die Hilfe ihrer Mitmenschen und der Gesellschaft angewiesen sind, die nicht alleine dazu in der Lage sind oder die mit geringen Mitteln dabei unterstützt werden können, wieder auf die eigene Kraft zu vertrauen.

Meine Damen und Herren, die Partnerschaft des Landes Hessen mit den Helfern und den Hilfe Suchenden ist durch die geplanten Kürzungen seitens der Landesregierung einseitig aufgekündigt worden.Lassen Sie dies im Interesse der Menschen in Hessen insgesamt, aber ganz besonders auch in Ihren Wahlkreisen – Sie sind zum großen Teil direkt gewählt worden – nicht zu.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Stimmen Sie stattdessen unserem „Sozialbudget neu“ zu. Aber wenn Sie es nicht tun sollten, dann sagen Sie hinterher auf keinen Fall, es habe keine Alternativen gegeben. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das Wort hat Frau Staatsministerin Lautenschläger.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sparen ist kein Selbstzweck. Das hat niemand hier behauptet.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie wollen etwas kaputtmachen, heißt das also!)

Meine Damen und Herren von der Opposition, vor allem die Kolleginnen von SPD und GRÜNEN, das Geschwätz von der ideologischen Brille sollten Sie besser lassen.Wir regieren bereits vier Jahre.Ich sage Ihnen ganz deutlich,in diesen vier Jahren haben wir in vielen Bereichen gekürzt und im Vorfeld Dinge verändert. Aber wir haben natürlich auch jetzt – das gilt für alle Maßnahmen, bei denen es auch mir persönlich an vielen Stellen schwer gefallen ist – Dinge streichen oder kürzen müssen, die wir selbst aufgebaut haben.

(Zurufe der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) und Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Deswegen halte ich es für völlig unredlich, an dieser Stelle über ideologische Brillen zu sprechen und nicht über die Maßnahmen, um die es tatsächlich geht.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Sparen ist kein Selbstzweck. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Der Sozialhaushalt ist von sehr schmerzhaften Einschnitten betroffen. Man kann aber nicht kürzen, ohne dass es jemand merkt.

(Zurufe von der SPD)

In den letzten drei Jahren hatten wir kein Wachstum mehr. Das hat die von Ihnen geführte Bundesregierung ganz klar mit zu verantworten.

(Beifall bei der CDU – Norbert Schmitt (SPD): Textbaustein Nummer drei! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)