Protocol of the Session on November 14, 2007

Sie haben Verantwortung abgeschoben. Sie haben gesagt: Für Unterrichtsausfall sind mit der Unterrichtsgarantie plus jetzt die Schulen verantwortlich. – Das haben Sie unter Eigenverantwortlichkeit verstanden. Deshalb hören viele Schulen, wenn Sie Eigenverantwortung sagen, Mangelverwaltung. Das darf aber Eigenverantwortung nicht sein. Sie haben diesem richtigen Ziel der Bildungspolitik durch Ihre Regierungspraxis ganz schweren Schaden zugefügt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch nie wurde so in die Detailarbeit der Schulen hineinregiert, gab es so viele Vorgaben, gab es so viel Bürokratie wie heute. Von Eigenverantwortung kann nun wirklich überhaupt keine Rede sein, Frau Kultusministerin.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Leider, Herr Kollege Irmer. Wir würden uns wünschen, dass Sie es etwas anders machen. Da Sie zu dieser Richtungsumkehr in der Bildungspolitik nicht in der Lage sind, müssen wir Ihnen jedes Jahr dasselbe wieder sagen.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Herr Irmer, aber Hoffnung ist in Sicht. Im nächsten Jahr müssen wir Ihnen nicht mehr dasselbe sagen, weil wir dann alles umsetzen, was wir hier beschreiben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Michael Bodden- berg (CDU): Für wen machen wir das denn?)

Diese Kultusministerin hat es geschafft, dass Eltern nicht mehr darauf vertrauen, dass ihre Kinder jenseits des Gymnasiums optimal gefördert werden.Wir sehen das an den Anmeldezahlen der Gymnasien. Mittlerweile gehen jede zweite Schülerin, jeder zweite Schüler auf ein Gymnasium, weil die Eltern nicht mehr darauf vertrauen, dass wir ein durchlässiges Bildungssystem in unserem Land haben, weil sie spüren und glauben: Wenn mein Kind nicht von Anfang an auf dem Gymnasium ist,dann wird es nicht optimal gefördert. – Dass Sie dieses Vertrauen von Eltern in das Schulsystem in unserem Land zerstört haben, ist eines Ihrer größten Versagen in diesen neun Jahren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Eltern müssen sich wieder darauf verlassen können, dass sie bei der Entscheidung über den weiteren Lebensweg ihrer Kinder nach der Grundschule nichts grundsätzlich falsch machen können,dass die Schule,auf die sie ihr Kind schicken, ihr Kind optimal fördert, dass sie keine Fehler machen können, dass sie keine Angst haben, dass Kinder im Alter von zehn Jahren nicht unter Druck gesetzt werden,sondern völlig klar ist:Jede Schule,auf die die Kinder gehen, wird eine gute Förderung gewährleisten, und es wird nicht im Alter von zehn Jahren über den weiteren Bildungs- und Lebensweg der Kinder entschieden. – Das Vertrauen haben Sie zerstört, und wir werden es wiederherstellen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind selbst dann noch uneinsichtig, wenn Ihnen die Leute vor Ort sagen:Wir wollen ein Bildungsangebot, das sich stärker an dem Bildungssystem orientiert, wie wir es beispielsweise in Finnland haben. – Selbst wenn sich vor Ort alle einig sind, wie wir es in Frankfurt, in Offenbach und Waldeck-Frankenberg haben, gibt es in diesem Land immer noch eine, die es besser zu wissen glaubt: Das ist diese Kultusministerin.

Mit dieser Politik der Bevormundung und der Ideologie werden wir Schluss machen.Wer sich bei der Arbeit seiner Schule stärker an Finnland orientieren will, dem soll dies in unserem Land endlich möglich sein. So einfach ist diese Weisheit. Aber Sie sind mit Ihrem Regierungshandeln weit davon entfernt.

(Michael Boddenberg (CDU): Kommen wir zu Ihrer Telefonaktion!)

Schauen wir uns die U+ an.Wir haben von dem Herrn Ministerpräsidenten gelernt, dass es jetzt nicht mehr „Unterrichtsgarantie plus“ heißt, sondern „U+“. Wahrscheinlich steht diese Abkürzung für „Unterirdisch plus“; denn dieses Projekt ist in der Tat unterirdisch. Frau Kultusministerin, wir haben durch dieses Projekt einen gigantischen bürokratischen Aufwand an den Schulen, und, was noch sehr viel schlimmer ist, Sie haben mit dieser U+ Unterricht durch Betreuung ersetzt und sich damit aus der Debatte über Bildungsqualität grundsätzlich verabschiedet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mittlerweile haben Sie über 50 Millionen c in dieses Projekt gesteckt. Sie haben nicht die Kraft, Ihren Fehler einzugestehen. Deshalb geben Sie immer mehr Geld dafür aus.

(Michael Boddenberg (CDU): Sie beleidigen gerade 8.500 Menschen in diesem Land, die sich für Kinder engagieren!)

Herr Kollege Boddenberg, wir brauchen kein „Weiter so“ in der Bildungspolitik, sondern einen grundsätzlichen Wandel. Wir brauchen den Aufbruch zu einer neuen Schule, so, wie wir es in unseren Haushaltsanträgen beschreiben. Wir brauchen an unseren Schulen mehr Ganztagsangebote. Damit kämen wir in unserem Bildungssystem ein gutes Stück voran. So darf es nicht weitergehen, sondern wir brauchen eine Umkehr. Da Sie aber nicht die Kraft dazu haben, müssen Ihnen die Wählerinnen und Wähler zeigen, dass es so nicht weitergeht. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, muss ich für das Protokoll hinzufügen, dass wir Tagesordnungspunkt 78 einbezogen haben:

Dringlicher Antrag der Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP betreffend Sonderprüfung der Auftragsvergabe des Projektes „Lehrer- und Schüler-Datenbank (LUSD)“ – Drucks. 16/8204 –

Herr Riege hat für die SPD das Wort.

(Zuruf: Nein, Herr Irmer!)

Entschuldigung, Herr Irmer hat für die CDU das Wort.

Ich hätte dem geschätzten Kollegen Riege bei diesem Punkt gern den Vortritt gelassen.Es gibt auch bei der SPD nette Kollegen.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Wagner, nachdem ich Ihnen zugehört habe, muss ich wirklich sagen: Ihr Problem ist, dass Sie zwar ein guter Di

plom-Politologe sein mögen, aber von der Schulwirklichkeit leider keine Ahnung haben.

(Beifall bei der CDU)

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Ich habe am Montag mit Mitgliedern meiner Kreistagsfraktion zwei integrierte Gesamtschulen besucht.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben Sie doch gestern schon einmal erzählt!)

Ja, aber Sie haben es offensichtlich nicht verstanden, oder Sie wollten es nicht hören. Dort haben wir unter anderem das Thema U+ angesprochen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Können Sie mir einmal sagen, wie das richtig heißt?)

Die Mitglieder beider Schulleitungen haben sich zu dem Thema U+ sehr deutlich geäußert. Diese Schulleitungen sind parteipolitisch anders zusammengesetzt – nicht so, wie ich mir das immer vorstelle.Aber der eine Schulleiter ist Sozialdemokrat, und der andere sitzt für die Sozialdemokraten im Stadtrat. Beide haben, im Beisein vieler Mitglieder der Schulleitungen, anderer Kollegen und Mitgliedern der Schülervertretungen, unisono gesagt, U+ laufe hervorragend. Die Schülervertreterinnen haben das bestätigt.

(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Eine Woche vorher war ich im Herborner Gymnasium, dem größten Gymnasium im Lahn-Dill-Kreis. Es hat 1.800 Schüler. Zehn Mitglieder der Schulleitung waren anwesend. Ich habe nach U+ gefragt. Mir wurde gesagt, U+ laufe hervorragend. Der berechtigte Ärger über die Bürokratie, den es anfangs gab, ist heute – in der Lebenswirklichkeit – überhaupt nicht mehr vorhanden.

Sie können also ruhig so weitermachen. Aber die Wahrnehmung bei denjenigen, die U+ täglich vor Ort umzusetzen haben, ist eine völlig andere. Deshalb gehen wir mit dem Thema U+ sehr offensiv um.Sie müssen sich auch die Frage stellen, warum Rheinland-Pfalz, Berlin und andere Bundesländer das hessische Modell übernehmen.

Frau Kollegin Habermann, an Ihre Adresse gerichtet sage ich: Ich habe gestern Abend eine andere bildungspolitische Veranstaltung in Wetzlar besucht. Dort trat eine ehemalige Schulleiterin und ehemalige Schulamtsdirektorin auf, die als junge Lehrerin im Altkreis Wetzlar den Versuch, die integrierte Gesamtschule in Hessen flächendeckend einzuführen, hautnah miterlebt hat. Sie hat vor versammeltem Publikum,also öffentlich,gesagt:Ich bitte Sie, alles daranzusetzen, dass die SPD und die GRÜNEN nicht die Möglichkeit haben, mit der Einheitsschule die Fehler zu wiederholen, die vor 40 Jahren bei der Einführung der integrierten Gesamtschule mit der Einheitsschule gemacht wurden. Sie ist unter allen denkbaren Aspekten pädagogisch gescheitert.

Allein bei der Korrelation von sozialer Herkunft und schulischem Erfolg weisen alle Ergebnisse glasklar darauf hin, dass diese Korrelation bei den Schulen, die einheitsmäßig organisiert sind, am höchsten ist. Mit anderen Worten: Es ist am schlechtesten.

Alle wissenschaftlichen Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass auch die Fachkompetenz bei den Vertreterinnen und Vertretern von Einheitsschulen deutlich

niedriger ist als bei denjenigen, die an Schulen des gegliederten Schulwesens arbeiten.

Der dritte Aspekt ist – auch das ist überall nachzulesen –: Die Sozialkompetenz der Schüler aus Einheitsschulsystemen ist deutlich unterdurchschnittlich im Vergleich zu der Sozialkompetenz von Schülern, die aus herkömmlichen System kommen. Das muss man leider ständig wiederholen. Ich bedauere das. Eigentlich ist es relativ langweilig; denn es ergibt sich nichts wirklich Neues mehr. Aber Sie sind offensichtlich hoffnungslos beratungsresistent.

(Michael Boddenberg (CDU): So ist es!)

Ich möchte in der gebotenen Kürze auf den Haushalt eingehen und Folgendes deutlich machen. Der Kollege Wagner hat das Jahr 1999 erwähnt. Auch ich mache das gelegentlich ganz gern, um eine Vergleichszahl zu haben. Ich gehe aber ein Jahr zurück und nehme das Jahr 1998, in dem Sie noch regierten. Dann wurden Sie zum Glück abgelöst.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, in aller Ruhe. – Seit dieser Zeit gibt es im Schuldienst 4.300 neue Lehrerstellen. Seit dieser Zeit sind 2.100 zusätzliche Referendarstellen geschaffen worden. Seit dieser Zeit – inklusive des nächsten Jahres – sind die Mittel für den Vertretungsunterricht fast verzehnfacht worden: von 5,7 Millionen c auf 52 Millionen c.

(Axel Wintermeyer (CDU): Verzehnfacht! Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen!)

Der Bildungsetat erreicht in diesem Jahr die historische Höchstmarke von 3 Milliarden c.Das sind rund 650 Millionen c mehr als in Ihrem letzten Regierungsjahr. Kumuliert – das wissen Sie – sind das 3 Milliarden c, die – zu Recht – zusätzlich in das Bildungswesen investiert worden sind.

Wenn Sie das Thema Ganztagsangebote ansprechen, sage ich Ihnen: Sie sind ein schlechter Zeuge; denn als wir 1999 die Regierungsverantwortung übernommen haben,gab es 138 Ganztagsangebote. Jetzt sind es 470. Zum 01.08.2008 werden es 530 sein. Das heißt, wir haben die Zahl der Ganztagsangebote fast vervierfacht.