Protocol of the Session on September 26, 2007

(Beifall bei der FDP)

Der Finanzierungsvorschlag, den Herr Generalsekretär Schmitt in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ gemacht hat, ist besonders pikant. Er hat dort nämlich gesagt – ich zitiere wörtlich –:

Wir werden das

er meint damit die Mehrausgaben –

durch die Zuwächse der Steuermehreinnahmen finanzieren können.Zugleich sind wir gefordert,Einsparungen im Haushalt vorzunehmen.

Es handelt sich nicht nur um Steuermehreinnahmen, sondern gar um wachsende Steuermehreinnahmen. Davon geht die SPD-Fraktion aus. Es handelt sich auf der Einnahmeseite also um einen doppelten Beschleuniger. Das würde bedeuten, dass wir nur dann eine Finanzierungsmöglichkeit hätten, wenn dies alles so eintreffen würde. – Hierzu muss ich sagen: Da verfahren Sie nach dem Prinzip Hoffnung. Herr Kollege Schmitt, das wird sich kaum machen lassen, wie auch immer die Lage sein wird.

(Norbert Schmitt (SPD): Na klar!)

Es ist extrem unwahrscheinlich, dass die Steuereinnahmen gegenüber dem Stand von heute noch wachsen werden.

(Beifall bei der FDP)

Es wird mit Einsparungen, die pflichtgemäß genannt werden, nicht ernsthaft gerechnet.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Das ist unverantwortlich!)

Der Interviewer der „Frankfurter Rundschau“ stellte eine Zusatzfrage, indem er fragte, ob es einen Haushalt auf Pump gebe. Hierauf antwortete Herr Kollege Schmitt, die Finanzierung von Zukunftsaufgaben habe erste Priorität, zweite Priorität habe der Schul- und Sozialbereich. Was ansonsten mehr eingenommen werde, werde zum Abbau der Nettoneuverschuldung verwandt.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Da wird nichts mehr übrig bleiben!)

Eine Grundvoraussetzung stellen also Mehreinnahmen dar. Man braucht mehr für die Zukunftsausgaben sowie den Sozialbereich; und wenn dann von den Mehreinnahmen noch etwas übrig ist, wird dies zum Abbau der Nettoneuverschuldung verwandt.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren,das ist um keinen Deut solider als das, was die Landesregierung hier vorgelegt hat. Mit der Hoffnung auf weiterhin steigende Steuereinnahmen, wohlklingenden, aber an günstige Umstände gekoppelten Zusagen, der Ankündigung steigender Ausgaben, ohne gleichzeitig an anderer Stelle eine Finanzierung durch sinkende Ausgaben vorzunehmen, guten Absichten und schlechter Praxis ist es nicht getan.

Laut Bericht der Deutschen Bundesbank verantworten Bund, Länder und Kommunen einen gesamten Schuldenstand von 1,6 Billionen c, gemäß dem Stand des ersten Quartals. Auch wenn beim Bund, den Ländern sowie den Kommunen kein einziger Euro neue Schulden gemacht würde, ist der Weg zum Abbau der bestehenden Schulden doch ein Weg, der Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird.

Meine Damen und Herren, das müssen wir uns vor Augen halten.

(Nicola Beer (FDP): Ja!)

Jeder Tag, um den wir diesen Prozess verzögern, wird den Gesamtprozess des Schuldenabbaus, vor dem wir stehen, noch weiter verzögern.

(Beifall bei der FDP)

In diesem Zusammenhang möchte ich für die Länder eine Lanze brechen, denn wenn der Bund gegenüber den Ländern nun so schlaue Ratschläge gibt, dann muss auch gefragt werden, wer überhaupt die meisten Schulden aufnimmt.An dieser Stelle ist festzuhalten,dass der Bund 62 % der gesamten Schulden macht. 31 % der Schulden werden von den Ländern gemacht und der Rest von den Kommunen und Sozialversicherungsträgern. Wenn sich nun gerade der Bund erdreistet und vorgibt, die Länder mit harten Auflagen disziplinieren zu wollen, dann stelle ich fest: Er ist hierfür der denkbar schlechteste Zuchtmeister. Der Bund hat wirklich vorgemacht, wie man es nicht machen darf.

(Beifall bei der FDP)

Es ist schon gesagt worden, dass ausgeglichene Haushalte möglich sind. Dies wird z. B. in Bayern realisiert. Daher hat die Tatsache, dass Herr Stoiber die Bühne der großen bayerischen Politik verlässt, für uns einen ganz großen Vorteil, denn er möchte mit diesem Ausweis eines ausgeglichenen Haushalts abgehen. Das ist ihm gelungen. Wir alle wissen, dass in diesem Zusammenhang in Bayern auch getrickst wurde.Wie dem auch sei, es handelt sich im Endeffekt um eine vorbildliche Haushaltspolitik, die zeigt, dass ein Haushalt ausgeglichen werden kann. Andere Länder – teils Zahlerländer, teils Nehmerländer – sind dabei, dies kurzfristig zu tun.

Nichts spricht dafür, dass es in Hessen, dem pro Kopf reichsten Flächenbundesland in Deutschland, nicht gelingen sollte, dies ebenfalls zu erreichen. Wir müssen es nur wollen und anstreben.

(Beifall bei der FDP)

Was wir wirklich gelernt haben – das hat Herr Minister Weimar zutreffend ausgeführt –, ist, dass die Regelungen, die bisher gegolten haben und die noch gelten, zu seicht sind und nichts an der Verschuldung haben ausrichten können.

Art. 115 des Grundgesetzes hat nicht gegriffen. Ganz abgesehen davon ist die zugrunde liegende keynessche Theorie schon längst nicht mehr Stand der Wissenschaft.Auch wenn sie es gewesen wäre, ist es niemals so gewesen, dass

das Motto: „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“, gegriffen hätte. Die Konjunkturausgleichsrücklage war nie eine solche. Man hat ungebremst weiterhin Schulden gemacht. Herr Kollege Kaufmann, Sie haben es gesagt: Diese Regel ist nichts wert. Zum einen ist der Investitionsbegriff – das haben wir auch schon mehrfach diskutiert – überhaupt nicht handhabbar, x-beliebig und ökonomisch nicht nachvollziehbar. Zweitens ist die Schlupfvariable, die in Form der Möglichkeit eingebaut worden ist, sich bei Verletzung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts trotzdem über den vorgesehenen Bedarf hinaus zu verschulden, so offen gefasst, dass man zu jedem denkbaren Zeitpunkt Schulden machen kann. Denn irgendeines der Kriterien ist fast immer verletzt.Wenn es nicht das Wachstum ist, wenn es nicht der Beschäftigungsstand ist, dann ist zumindest das außenwirtschaftliche Gleichgewicht verletzt. Es gibt immer einen Punkt, den man unter dieser Regel anführen kann. Das heißt, man kann immer, zu jedem Zeitpunkt, Schulden machen. Das kann nicht richtig sein.

(Norbert Schmitt (SPD):Es gibt Staatsgerichtshöfe, die sogar von falschen Tatbeständen ausgehen!)

Herr Kollege Schmitt, ich komme noch auf Staatsgerichtshöfe und das BVG zu sprechen. – In Deutschland kommt eine ganz unglückselige Kombination dazu. Und zwar haben wir auf der einen Seite den Art. 109 des Grundgesetzes,der den Grundsatz der Schuldnerselbstverantwortung fixiert. Das heißt, die Bundesländer sind selbst verantwortlich für ihr Haushaltsgebaren und für die Schulden, die sie aufnehmen. Das klingt zunächst sympathisch: Bremen ist verantwortlich für die Bremer Schulden, Hessen für die hessischen Schulden und Berlin für die Berliner Schulden. Aber 1992 gab es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das den Haftungsverbund von Bund und Ländern eingeführt hat. Mit diesem Haftungsverbund, den die Karlsruher festgelegt haben, wurden die Verschuldungsmöglichkeiten der Bundesländer um ein x-Faches vergrößert. Nun haben wir die unglückselige Kombination,dass auf der einen Seite jeder machen kann, was er will, auf der anderen Seite aber jeder, der Geld hat, für jeden haftet, der kein Geld hat. Das kann so nicht funktionieren. Denn erstens ist der Anreiz für ein Land wie Hessen, von der Verschuldung Abstand zu nehmen, gering. Zweitens gibt es immer die Ausrede: „Ich könnte, wenn ich keinen LFA hätte“. Drittens können die Nehmerländer gerade so weitermachen wie bisher, und das völlig ungestraft. Dieses System aus selbständigem Schuldenmachen und kollektivem Einstehen für die gemachten Schulden ist ein System der organisierten Verantwortungslosigkeit.

(Beifall bei der FDP)

Es führt zu Schulden und immer neuen Schulden und zu einer permanenten Bestrafung der leistungsfähigen Länder.

Aus diesem Dilemma gibt es theoretisch zwei Auswege. Entweder ist jedes Land konsequent für seine Schulden selbst verantwortlich. Dann kann es im Ernstfall aber nicht mehr auf die anderen Länder oder auf den Bund zurückgreifen.Das heißt,es muss alle Konsequenzen tragen. Es hat ein schlechteres Rating. Es zahlt höhere Zinsen, und es wird in jeder Weise vom Markt dafür bestraft, dass es sich falsch verhält. Oder – die zweite Möglichkeit – es gibt eine Verantwortungsgemeinschaft, die dann aber denen, von denen Solidarität erwartet wird, ein hartes Eingreifen in die Haushaltsführung der verschuldeten Länder erlaubt. Ich sehe, dass bei den gegenwärtigen Diskus

sionen auf Bundesebene – der Kollege Hahn ist selbst in der Föderalismuskommission vertreten – keine der beiden Lösungen richtig viele Freunde findet. Deshalb wird es schwer sein, bundesweit eine Regelung zu finden, die mit diesem Unsinn Schluss macht.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg.Michael Bod- denberg (CDU))

Ich fürchte, dass im Rahmen der Föderalismuskommission II am Ende keiner dieser beiden Wege beschritten wird, sondern dass man sich auf etwas härtere, aber dann immer noch weiche neue Verschuldungsgrenzen einigt.

Ich will ganz kurz auf den Vorschlag der Fraktion der GRÜNEN eingehen, die Schweizer Schuldenbremse. Diese Schweizer Schuldenbremse ist ein gut aussehendes theoretisches Modell.

(Zurufe der Abg. Florian Rentsch und Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Zur Wahrheit gehört: Auch in der Schweiz hat sie nie funktioniert. Der einzige Fall, wo sie einsetzen sollte, hat dazu geführt, dass man sie in der Schweiz für mehrere Jahre ausgesetzt hat.

(Nicola Beer (FDP): Hört, hört!)

Da, wo einmal eine Gebietskörperschaft herangezogen wurde, ging es um das Örtchen Leukerbad, das man mit Deutschland nicht ganz vergleichen kann, ohne überheblich sein zu wollen. Ich glaube, da ist ein gewisser Größenunterschied vorhanden. Abgesehen von diesen Differenzen und Schwierigkeiten, die innerschweizerisch bedingt sein können, haben wir folgende Situation. Wir müssen definieren können, wann ein Konjunkturzyklus beginnt und wann er aufhört.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Diese Schwierigkeit ist theoretisch fast nicht lösbar. Sie führt zu immer neuen Problemen. Die einen sagen: Ganz ist er noch nicht vorbei. – Sind denn 2 % bereits eine Hochkonjunktur? – Eigentlich nicht. In früheren Jahrzehnten waren wir ganz anderes gewohnt.

(Norbert Schmitt (SPD): Mittlerweile ja! – Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

Ist 0 % bereits das Ende einer Konjunktur? Man müsste die Wachstumstheorie neu entwickeln. Kollege Grüttner und ich machen das gern, wenn wir viel Zeit haben.

(Minister Stefan Grüttner: Dann kriegen wir einen Nobelpreis!)

Aber das führt zu unendlichen Streitereien. Der Effekt wird sein, dass man mit dem alten keynesianischen Argument Schulden aufnehmen wird: Ich muss Geld ausgeben, damit die Pferde anfangen zu saufen.– Das war immer das Argument von Herrn Schiller.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das war ein Genosse! – Norbert Schmitt (SPD):Wir haben nur gute Leute! – Gegenruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Na ja, komm!)

Herr Schiller war ein Genosse, Keynes ein Liberaler. – Herr Kollege, wir wollen jetzt nicht mit der Aufzählung beginnen. Es gibt sehr unterschiedliche Erfahrungen.

Halten wir fest: Die Schuldenbremse hat in der Schweiz nicht funktioniert, und es spricht überhaupt nichts dafür, dass sie in dem sehr viel größeren und komplexeren Gebilde Deutschland funktionieren könnte.