Protocol of the Session on September 26, 2007

Deswegen sind neben der verpflichtenden Teilnahme an den Gesundheitsuntersuchungen die Förderung von Elternkompetenz und niedrigschwellige Angebote für Familien in Not unabdingbar. Ebenso unabdingbar sind die Verlässlichkeit und Verbindlichkeit dieser Angebote. Nur in dieser Einheit wird es uns gelingen, den Kinderschutz in Hessen zu verbessern und den Kindern tatsächlich zu helfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Schulz-Asche. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Ravensburg für die CDUFraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin sehr froh über die Einbringung des hessischen Kinderschutzgesetzes, denn wir können nicht länger auf eine bundeseinheitliche Regelung für verpflichtende U-Untersuchungen aller Kinder warten. Immer wieder erschüttern uns Fälle von Kindesmisshandlungen und -vernachlässigungen, und wir alle müssen uns die Frage gefallen lassen:Was haben wir dagegen getan?

Frau Schulz-Asche hat mit Recht auf die hochkarätig besetzte Anhörung hingewiesen, die wir im Landtag durchgeführt haben. Dort hat sich eindeutig Handlungsbedarf erwiesen. Wir brauchen eine bessere Vernetzung der Institutionen, und wir brauchen auch mehr präventive Maßnahmen, z. B. Hilfsangebote an überforderte Eltern. Dazu gehört aber auch, dass dem allgemeinen Grundsatz Rechnung getragen wird, dass das Kindeswohl vor Elternrecht geht.

Meine Damen und Herren, es kann nicht sein, dass Eltern ihren Kindern wichtige Präventionsmaßnahmen vorenthalten, indem sie nicht mit ihren Kindern die kostenlosen U-Untersuchungen wahrnehmen,

(Florian Rentsch (FDP): Die sind nicht kostenlos, die kosten den Staat Geld!)

denn diese Untersuchungen wurden nach den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen – auch als Kinderrichtlinie bekannt – konzipiert und dienen zur Früherkennung von Defiziten und Erkrankungen bei Kindern. Aber wir sind davon überzeugt, dass sie auch dazu geeignet sind, Kindesvernachlässigung, Gewalt an Kindern und Misshandlungen zu erkennen.Jedoch sollte der Untersuchungskatalog auf diese zusätzlichen Aufgaben noch stärker ausgerichtet werden.

Leider gibt es immer noch Eltern,die die kostenlosen Früherkennungsuntersuchungen aus verschiedenen Gründen nicht nutzen. Es gibt – das haben Untersuchungen gezeigt – Anlass zu vermuten, dass sich unter diesen Kindern leider auch immer solche befinden, die vernachlässigt oder misshandelt wurden. Deshalb ist es so wichtig, dass alle Kinder regelmäßig an den Untersuchungen teilnehmen, nicht etwa, um Eltern zu bestrafen, sondern um diesen Eltern zu helfen.

Wir sind davon überzeugt, dass der Weg, den die Landesregierung mit dem Kinderschutzgesetz vorschlägt, der richtige ist. Es freut mich, dass die Kinder- und Jugendärzte den Entwurf dieses Gesetzes bereits in der Presse begrüßt haben. Die Kinderärzte sind es nämlich, die die Kinder an das neue Kindervorsorgezentrum melden, die an den Vorsorgeuntersuchungen teilgenommen haben. Hier werden die Daten mit den in Hessen registrierten Kindern abgeglichen, sodass innerhalb kürzester Zeit den Jugendämtern die Kinder gemeldet werden können, die sich trotz nochmaliger Aufforderung, doch an den Untersuchungen teilzunehmen, nicht beteiligt haben.

(Heinrich Heidel (FDP): So muss das sein!)

Nach wie vor halte ich eine bundesländerüberschreitende Erfassung für erstrebenswert. Doch durch das hessische Gesetz kann bereits ein großes Problem gelöst werden, dass nämlich Kinder durch Umzug in andere Jugendamtsbezirke oder durch den Wechsel des Kinderarztes durch die Maschen des Gesetzes schlüpfen.

Die Begrenzung dieses Verfahrens auf die Untersuchungen von der U 4 bis U 9 – die Frau Ministerin hat es dar

gestellt –, also vom dritten Lebensmonat bis zur Einschulung, macht in unseren Augen Sinn, da die ersten Untersuchungen in der Regel direkt nach der Entbindung noch im Krankenhaus erfolgen und später, nach dem Eintritt in die Schule, die soziale Kontrolle und die personelle Selbstbestimmung der Kinder ein solches Kontrollverfahren überflüssig machen.

Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle noch einige Sätze zu den Aufgaben der Jugendämter sagen. Hier geht es nicht darum, die Jugendämter mit unnötigen Kontrollaufgaben zu überlasten. Hier geht es um wichtige Informationen, die die Jugendämter entsprechend ihrem Schutzauftrag haben müssen. Es geht um das Kindeswohl. Da ist es einfach notwendig, dass das Jugendamt bei Eltern, die sich trotz Aufforderung den Untersuchungen entziehen, den Gründen nachgeht, warum das so ist.

Das Kinderschutzgesetz hat weitere positive Aspekte.Wir begrüßen ebenso, dass mit diesem Gesetz das Neugeborenenscreening eine höhere Verbindlichkeit erhält,denn die Fachleute sagen uns immer wieder, dass durch eine rechtzeitige Blutuntersuchung schwere Schädigungen am Kind verhindert werden können.

Auch der Impfschutz fordert eine höhere Verbindlichkeit. Ich empfinde es einfach als nicht hinnehmbar, dass sich fast ausgerottete Kinderkrankheiten, die mit einer hohen Gefährdung der erkrankten Kinder verbunden sind, im Deutschland wieder ausbreiten, weil sich eine Impfmüdigkeit unter den Eltern breitmacht. Die Verbindlichkeit soll nicht durch einen Impfzwang erreicht werden, wohl aber durch eine Verpflichtung zum Impfnachweis. Das heißt, Eltern, die nicht an Impfungen teilnehmen, müssen dies schriftlich erklären.

Zum Antrag der GRÜNEN ist zu sagen, dass das Kinderschutzgesetz zur Sicherstellung der Kindervorsorgeuntersuchungen und des Impfschutzes aufgestellt worden ist. Wir haben aber die Aufgabe der Jugendhilfe bereits in einem der modernsten Kinder- und Jugendhilfegesetzbücher in Hessen geregelt.

Zu den Kindergarteneingangsuntersuchungen habe ich an anderer Stelle schon ausgeführt, dass wir zunächst der Aufnahme der U 7a in den verpflichtenden Katalog für alle Krankenkassen den Vorrang geben. Die BKK hat die U 7a bereits in ihren Leistungskatalog aufgenommen.Wir wünschen, dass das zukünftig für alle Krankenkassen gilt.

Natürlich sehen auch wir in den verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen einen Baustein zum Kinderschutz, einen von vielen. Dies setzt das Land bereits ein.Wir wollen diese Maßnahmen weiter ausbauen. Genau aus diesem Grund haben wir diese Maßnahmen noch in unserem zusätzlichen Antrag zu diesem Gesetz aufgeführt, denn der Kinderschutz erfordert ein ganzes Bündel von vernetzten Maßnahmen, um Kinder wirkungsvoll zu schützen und überforderten Eltern Hilfestellung zu geben.

An erster Stelle will ich die Hebammenprojekte nennen. Die Hebammen können bereits am Lebensanfang der Kinder eine wichtige Schlüsselrolle einnehmen. Sie sind nämlich diejenigen, die den Kontakt mit den Müttern zu den Elternhäusern herstellen und bereits während und auch nach der Schwangerschaft – also nach der Geburt – engen Kontakt zu den Müttern haben. Sie sind Vertrauenspersonen und können erkennen, wenn Mütter mit der Schwangerschaft oder nach der Geburt überfordert sind, wenn sie Hilfe benötigen. Sie sind Ansprechpartnerinnen.

Sie können Ratgeberin sein, und sie können als Mittlerin zu den Behörden auftreten.

Das Land beteiligt sich bereits an Weiterbildungsmaßnahmen für Hebammen, dass sie Anzeichen und Gefahrensituationen erkennen können und über ihre Rechte und Handlungsmöglichkeiten informiert sind. Unser Ziel ist es, diese Hebammenprojekte weiter voranzubringen, dass wir überall in Hessen Familienhebammen haben.

Wir brauchen aber auch Hilfestellung für die Eltern, die mit ihrem Kind überfordert sind.Das Projekt „keiner fällt durchs Netz“ an der Bergstraße, aber auch in Offenbach halten wir für ein sehr gutes Projekt, um den Eltern Kurse anzubieten, in denen sie den Umgang mit ihren Kindern lernen können. Meine Damen und Herren, man findet Wege, wie Eltern mit Schreibabys umgehen können, ohne dass sie die Nerven verlieren und vielleicht einmal das Kind schlagen.

Ich möchte noch einen weiteren Baustein nennen, nämlich die Fortbildung. Es ist wichtig, zu erwähnen, dass die Landesregierung die Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der im Bereich Kinderschutz tätigen Institutionen unterstützt und Informationsmaterial zur Verfügung stellt, denn diese Informationen – das hat die Anhörung gezeigt – sind wichtig.

Es gibt immer noch Informationsdefizite und Unsicherheiten, wie man Gewalt an Kindern erkennt: Was ist ein „normaler“ Knochenbruch? Was ist ein „normaler“ blauer Fleck? Wie erkenne ich Verletzungen, die durch Schläge oder Misshandlungen verursacht werden? Was tue ich, wenn ich Gewalt an Kindern und Jugendlichen erkenne? Informationsbroschüren der Landesregierung für die Kindertagesstätten und Arztpraxen liefern hierzu wertvolle Hinweise.

Meine Damen und Herren, wir sind uns bewusst, dass nicht jeder Fall einer schrecklichen Kindesmisshandlung durch staatliche Mittel verhindert werden kann.Aber wir wollen die Eltern wissen lassen, dass der Staat in seiner Schutzfunktion für sie da ist – für Eltern und die Kinder – und dass es Hilfen gibt, dass kein Vater und keine Mutter und vor allem kein Kind allein gelassen wird. Deshalb begrüßen wir diesen Gesetzentwurf. Wir hoffen auf eine gute Beratung im Ausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Ravensburg. – Nächster Redner ist der Kollege Rentsch für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Hessische Landtag diskutiert heute über Möglichkeiten, Kinder vor Gewalt und Vernachlässigung zu schützen. Die FDP-Fraktion sagt Ja zu dem vorgelegten Gesetzentwurf der Landesregierung.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Das, was die Landesregierung vorgelegt hat, ist ein erheblicher Eingriff in die Rechte von Eltern – ja, das stimmt. Aber das Kindeswohl ist ein höheres Gut als das der Eltern. Insofern geht es dem der Eltern auch vor.

Wer sich die Fälle anschaut, die wir in den letzten Monaten und Jahren in den Medien diskutieren konnten – besser gesagt: mussten –, der wird sehen, dass in diesem Bereich viel Handlungsbedarf ist. Wir sind der Auffassung, dass die Anhörung zu diesem Themenkomplex klar gezeigt hat, dass Handlungsbedarf besteht. Der Staat muss handeln. Aber er ist nicht die einzige Ebene, die handeln muss. Ich werde gleich noch etwas zu dem Thema sagen. Wir sind auch der Auffassung, dass natürlich die Zivilgesellschaft gefragt ist, wenn es um Kinderschutz geht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Die verpflichtenden U-Untersuchungen sind ein Baustein in einem ganzen Feld von Maßnahmen, wie man Kinderschutz sicherstellen kann. Wir sagen: Ja, diese müssen durchgeführt werden. Es gibt auch andere Modelle – das will ich hier erwähnen –,wie z.B.ein Modell der BKK,der Betriebskrankenkassen in Hessen, die versucht haben, über eine Prämienzahlung Eltern dazu zu bewegen, zu Untersuchungen zu gehen.Das war sehr erfolgreich.Aber wir wissen auch, dass solche Prämienzahlungen nicht bei allen Eltern der richtige Weg sind.

Warum sind diese U-Untersuchungen ein wichtiger Baustein? – Weil sie erstens frühzeitig einen Kontakt zu den Eltern aufbauen. Man kann von ärztlicher Seite schauen, ob es dort eine Vernachlässigung oder sogar eine Gewaltsituation in der Familie gibt. Zum Zweiten – das ist genauso wichtig – geht es bei diesem Punkt darum, dass man frühzeitig Krankheiten erkennt.

Wir müssen frühzeitig Krankheiten erkennen. Gerade bei einem System der gesetzlichen Krankenkassen, wie wir es in Deutschland organisiert haben, muss es uns darum gehen, frühzeitig Krankheiten zu behandeln und zu beseitigen, damit Kinder letztendlich nicht auf Kosten der Allgemeinheit später erst Krankheiten behandeln lassen. Das ist falsch. Deswegen sagen wir: Es muss frühzeitig gehandelt werden.

Wir sind deshalb der Auffassung, dass – wie es die Union formuliert hat – ein richtiger Schritt gegangen wird. Klar ist, dass für Liberale natürlich das Thema Datenschutz eine wesentliche Rolle spielt. Ja, die Daten, die hier gesammelt werden – das hat die Anhörung gezeigt –,sind relativ weitgehend. Wir sind der Auffassung, und es ist das Gute, dass es die Union im Gesetzentwurf so formuliert hat, dass Sorge dafür getroffen werden muss, dass diese Daten frühzeitig gelöscht werden und nicht in die Hände anderer, dritter Personen fallen.

Frau Ministerin, hier hat der Staat eine erhebliche Verantwortung, der er nachkommen muss. Wir werden gemeinsam sehr genau darauf achten müssen, dass der Datenschutz in diesem Bereich gewährleistet ist. Wir erheben hier nämlich Daten, die sehr wichtig sind, aber auch sehr viel über die Person und die Familiensituation verraten. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, deshalb müssen wir besonders aufpassen.

Fakt ist aber,dass eine verpflichtende U-Untersuchung allein kein Patentrezept ist, um die Vernachlässigung und Verwahrlosung von Kindern zu beseitigen. Das ist völlig klar.Wir dürfen, auch als Vertreter der öffentlichen Hand, nicht den Eindruck erwecken, dass wir es schaffen, mit verpflichtenden U-Untersuchungen demnächst alles zu regeln.

(Axel Wintermeyer (CDU): Der Staat kann nicht alles machen!)

An dieser Stelle brauchen wir auch Zivilcourage innerhalb unserer Gesellschaft, und es ist nötig, dass die Eltern die Verantwortung für ihre Kinder wahrnehmen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Axel Winter- meyer (CDU))

Es gibt in diesem Land sehr viele, die vom Staat unglaublich viel, von sich selbst jedoch unglaublich wenig erwarten. Das darf mit uns nicht zu machen sein. Es geht für uns darum, auch die Eltern in die Pflicht zu nehmen und dafür zu sorgen, dass sie ihrer Verantwortung nachkommen.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb sagen wir, dass sowohl für die Eltern im Besonderen als auch für die Menschen allgemein in unserem Land gelten muss:Wenn Fälle von Vernachlässigung,Verwahrlosung oder Gewalt bekannt werden, sind die Mitglieder unserer Bürgergesellschaft gefragt, hier einzuschreiten. Passanten, die vorbeilaufen, wenn einem Kind ein kleiner Klaps gegeben wird, die sich sozusagen nicht darum kümmern, wenn ein Kind über das normale Maß hinaus schreit, sollte es in unserer Gesellschaft nicht geben. Wir alle sind gefragt, nicht nur der Staat, der einen Teil dazu beitragen kann.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich will zwei Punkte erwähnen, die mir bei der Rede von Frau Schulz-Asche aufgefallen sind und die ich für sehr wesentlich halte. Es geht auch um die Qualität der U-Untersuchungen.Wir können nicht sagen: Ja, wir machen zwar U-Untersuchungen, aber uns ist die Qualität dessen, was dort passiert, relativ egal.

Letztendlich geht es auch um das Curriculum, das dahintersteht. Es ist wichtig, die Mediziner – also die Kinderärzte ebenfalls – so fit zu machen,und zwar auch in der Forensik, dass sie das beurteilen können, was ihnen vorgetragen wird. Wir wissen, dass ein großer Teil der UUntersuchungen von Allgemeinmedizinern durchgeführt wird. Deshalb muss es dort eine Fortbildung geben.

Herr Kollege Dr.Spies,ich glaube,dem stimmen Sie zu:Es geht darum – das wurde auch auf dem Kinderärztetag in Hessen gesagt –,dass man gemeinsam ein Curriculum aufbauen will. Das sollte man machen. Es ist wichtig, dass gemeinsam Qualitätstatbestände formuliert werden, die in diese U-Untersuchungen einfließen. Wir sind dafür, dass dies passiert. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es darf also nicht nur das Ob, sondern es muss auch das Wie geregelt werden.

Frau Ministerin, um etwas Wasser in den Wein zu schütten: Sie haben hier etwas vorgelegt, mit dem letztendlich die Verantwortung auf eine Berufsgruppe übertragen wird, die an vielen Stellen mit vielen Problemen zu kämpfen hat.Leider gehören auch Sie zu denjenigen – vielleicht sind Sie es nicht persönlich –, die an dieser Stelle geholfen haben, Feuer zu legen. Fakt ist nämlich, dass die Ärzte in unserer Gesellschaft – in der Bundesrepublik – zurzeit aufgrund der Gesundheitspolitik von Schwarz-Rot in Berlin kein leichtes Leben haben. Das ist so.