Protocol of the Session on July 4, 2007

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, wenn Sie nur einen Moment wahrnehmen, was an den Schulen diskutiert wird, was Eltern, Schüler und Lehrerinnen und Lehrer diskutieren, und nicht nur das lesen, was aus dem Hause Wolff kommt, dann müssten Sie wahrnehmen:Wir haben sehr gravierende Probleme an unseren Schulen.

Ich will Ihnen einige Beispiele nennen, damit die Wirklichkeit zumindest an Plenartagen bei Ihnen ein bisschen einbricht.

(Zuruf des Abg. Dr.Walter Lübcke (CDU))

Die „Frankfurter Lehrerzeitung“ der GEW schreibt: „Unterrichtsversorgung 2007/2008:Alles in allem ein weiteres Mal mehr Verwaltung, weniger Unterricht, weniger Unterrichtsqualität“.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Das ist eine Lehrergewerkschaft!)

Jetzt können Sie sagen, die GEW sei für Sie nicht maßgeblich. Ich finde es bedauerlich, wenn eine Regierungsfraktion sagt, dass eine große Interessenvertretung der Lehrerinnen und Lehrer für Sie nicht maßgeblich ist.Darüber sollten Sie nachdenken. Deshalb habe ich Ihnen auch ein Zitat vom Philologenverband mitgebracht. Dort schreibt der Vorsitzende Dr. Dittmann in der Verbandszeitung:

Von „Dialogkultur“, LUSD-Debakel und Bürokratiemonster U-plus – oder: Wie das Traumschiff mit der Realität kollidiert

(Zuruf des Abg. Mark Weinmeister (CDU))

Ich möchte Ihnen weiter nahebringen, wie Ihre Bildungspolitik in der Realität bewertet wird. Die IHK-Arbeitsgemeinschaft Hessen hat ein Papier „Kapital Bildung“ vorgelegt. In diesem Papier heißt es über die hessische Bildungspolitik – auch hier wieder ein Zitat –:

... bei der Bildung junger Menschen ist immer noch keine Verbesserung zu den ersten PISA-Erkenntnissen festzustellen. Drei von vier Ausbildungsbetrieben in Hessen bezeichnen die mangelnde Schulbildung von Bewerbern als prioritäres Ausbildungshemmnis,deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt.

Der Einbruch der Realität in die CDU-Fraktion geht noch ein bisschen weiter. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, erst vergangenen Montag haben der Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer, der Landeselternbeirat, also die Vertretung der Eltern in unserem Land, und die Landesschülervertretung, also die Vertretung der Schülerinnen und Schüler, in einer Pressemitteilung erklärt – auch hier zitiere ich wieder wörtlich –:

Schülerinnen und Schüler, Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrer sehen die Entwicklung in den hessischen Schulen mit Sorge. Sie führen als Kritikpunkte auf: hohe Klassenmindestgrößen mit der Folge des Abbaus wohnortnaher Schulangebote und Schließung von Schulen, Verdichtung des Unterrichts durch Verkürzung der gymnasialen Schulzeit, Erschwerung der Durchlässigkeit zwischen den Schulformen und die verlässliche Schule

mit Defiziten in der Umsetzung und der Qualität des Vertretungsunterrichts und ihrer Entprofessionalisierung des Unterrichts.

Da können Sie wirklich nicht sagen, die Lage an unseren Schulen sei prima. Die Leute, die an unseren Schulen sind und die mit unseren Schulen etwas zu tun haben, sehen die Lage vollkommen anders.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wie weit die Wirklichkeitsverweigerung der CDU im Schulbereich mittlerweile ist, kann man daran sehen, wie der Kollege Irmer in seiner Pressemitteilung auf das reagiert, was ich eben als Position der Lehrerinnen und Lehrer, der Schülerinnen und Schüler und der Eltern vorgetragen habe. Ich erinnere noch einmal daran: Diese drei Gruppierungen benennen die verlässliche Schule mit Defiziten in der Umsetzung und der Qualität des Vertretungsunterrichts und die Entprofessionalisierung des Unterrichts als Problem. Der Kollege Irmer nimmt wahr und versteht – ich zitiere aus seiner Pressemitteilung vom 2. Juli 2007 –: „Eltern, Schüler und Lehrer unterstützen Ziel der verlässlichen Schule.“ Meine Damen und Herren, wenn man solche Wahrnehmungsstörungen hat, ist klar, dass es an der Schule nicht klappt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Kollege Irmer versteigt sich in seiner Pressemitteilung zu einer noch viel interessanteren Feststellung – ich zitiere –: „Der bildungspolitische Sprecher der hessischen CDU-Landtagsfraktion, Hans-Jürgen Irmer, wies die Forderung nach mehr Mitteln für die Schulen vehement zurück“. Herr Irmer, das hat vor Ihnen wirklich noch keiner erklärt. Bislang dachte ich, es sei Konsens in diesem Hause, dass wir in den nächsten Jahren massiv in unsere Schulen investieren müssen. Wenn Sie diese Forderung jetzt vehement zurückweisen, wissen die Hessinnen und Hessen, was sie von Ihnen in den nächsten fünf Jahren zu erwarten hätten. Deshalb tun die Hessinnen und Hessen gut daran, einen Kurswechsel in der Bildungspolitik zu vollziehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Mark Weinmeister (CDU))

Wie kommen denn alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes mit Ausnahme der CDU-Landtagsfraktion zu dem Ergebnis, dass die Lage an unseren Schulen alles andere als gut ist? Sie kommen schlicht und ergreifend deshalb darauf, weil in den vergangenen acht Jahren unter dieser Kultusministerin eine Reform nach der anderen durch unsere Schulen getrieben wurde und diese Reformen in aller Regel schlecht gemacht waren. Die Schulen waren nur noch damit beschäftigt, die bürokratischen Vorgaben, die zentralistischen Anweisungen, die meist unausgegorenen Ideen von Frau Wolff an den Schulen zu verwirklichen. Sie sind nicht mehr dazu gekommen, ihrer eigentlichen Arbeit nachzugehen, nämlich Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern. Dafür ist keine Zeit mehr geblieben. Das ist das grundsätzliche Problem Ihrer Bildungspolitik der letzten acht Jahre.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))

Herr Kollege Irmer, Sie missverstehen uns. Ich glaube, ich kann auch für die SPD und in Teilen auch für die FDP sprechen. Unser Vorwurf in der Bildungspolitik an Sie ist nicht, dass Sie in den vergangenen acht Jahren nichts ge

macht haben. Unser Vorwurf ist, dass es nichts gebracht hat, was Sie gemacht haben. Der zentrale Vorwurf ist, dass die Qualität an den Schulen eben nicht besser geworden ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie orientieren sich in der Bildungspolitik so gerne an Bayern. In Bayern gibt es einen Begriff dafür, wenn man ständig ein Projekt am Start hat, wenn man ständig geschäftig ist, wenn man ständig irgendetwas macht, aber das meiste, was man tut, relativ sinnfrei ist. In Bayern nennt man das Geschaftelhuberei. Ihre Bildungspolitik in Hessen ist Geschaftelhuberei, die die Qualität der Schule aber nicht verbessert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Irmer, ich würde Ihnen sogar zugestehen, dass Sie in Ihrer ersten Legislaturperiode manche richtigen Sachen gemacht haben, z. B. die Einstellung zusätzlicher Lehrerinnen und Lehrer. Das gestehe ich Ihnen ausdrücklich zu. Sie hatten in Ihrer ersten Legislaturperiode eine Prioritätensetzung für Bildung.

(Zuruf des Abg. Mark Weinmeister (CDU))

Die Frage ist aber, warum Sie diese Prioritätensetzung in der zweiten Legislaturperiode aufgegeben haben. Das ist unser Vorwurf an Ihre Bildungspolitik.

(Mark Weinmeister (CDU): Wir haben jetzt mehr Lehrer als 2003! Wir haben weiter eingestellt!)

Das Motto Ihrer Bildungspolitik dieser Legislaturperiode ist: versprochen – gebrochen. Das ist das Fazit Ihrer Bildungspolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Mark Weinmeister (CDU))

Sie hatten den Menschen in unserem Land eine Unterrichtsgarantie, mal mit und mal ohne Plus versprochen. Wir stellen fest: Diese Unterrichtsgarantie ist mit und ohne Plus nicht erfüllt.Versprochen – gebrochen. Sie haben in dieser Legislaturperiode im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ sogar 1.000 Lehrerstellen gekürzt. Das hat auch der Staatssekretär in seinem freundlichen Schreiben an unseren Fraktionsvorsitzenden nicht bestritten.

(Mark Weinmeister (CDU): Wie viele Unterrichtsstunden sind das weniger als 2003?)

Der Herr Staatssekretär hat in seinem Schreiben gesagt, Sie hätten 1.037,5 Lehrerstellen gegengerechnet, auf Deutsch übersetzt heißt gegengerechnet gestrichen.Diese Tatsache hat selbst Ihr Staatssekretär nicht bestritten. Herr Kollege Weinmeister, das sollte bei Ihnen ankommen. Wenn Sie jetzt auch noch sagen: „Ja, das ist aber alles nicht so schlimm, weil wir die Lehrerarbeitszeit dafür erhöht haben“, dann haben Sie wirklich die Qualitätsdebatte an Schulen völlig aus dem Blick verloren.

Wenn Lehrerarbeitszeiterhöhungen für Sie ein Beitrag zur Qualitätssteigerung von Schulen sind, dann sind Sie ganz weit weg von der Realität an unseren Schulen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erst streichen Sie 1.000 Stellen für professionelle Lehrer. Dann sagen Sie: Probieren wir es doch einmal mit Laien. Dann führen wir halt die Unterrichtsgarantie plus ein, um die Lücken abzudecken, die wir selbst aufgerissen haben.

(Zurufe der Abg. Mark Weinmeister und Axel Win- termeyer (CDU))

Es ist sehr interessant, dass es in der Landesregierung offenkundig unterschiedliche Auffassungen dazu gibt, in welchen Bereichen Profis und in welchen Bereichen Laien erforderlich sind.

Ich mache nun einen kleinen Ausflug in den Geschäftsbereich des hessischen Justizministers. Ich fand diese Meldung sehr interessant. In der dpa-Meldung vom vergangenen Wochenende heißt es: Justizminister Banzer: Keine Rechtsprechung durch jedermann. Wer umfassend rechtlich beraten wolle, müsse auch künftig Volljurist sein, sagte Banzer. Der hohe Standard der Rechtsberatung sichere den Verbraucherschutz und sei eine Grundvoraussetzung für ein effizientes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem.

Was für den Geschäftsbereich von Herrn Banzer gilt, nämlich dass man Profis und gut ausgebildete Leute braucht, um einen Standard aufrechtzuerhalten, das muss doch umso mehr im Geschäftsbereich der Kultusministerin gelten. Auch in diesem Bereich brauchen wir keine Laien, sondern Profis. Deshalb ist Ihre Form der Unterrichtsgarantie falsch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Ministerpräsidenten Roland Koch)

Herr Koch, ich habe die Ausführungen von Herrn Banzer zitiert.

(Ministerpräsident Roland Koch: Sie zitieren falsch!)

Herr Kollege Koch, ich übergebe Ihnen das Zitat gern. Dann können Sie es überprüfen. Ich habe das Zitat wörtlich übernommen.

(Ministerpräsident Roland Koch: Ich kenne das Zi- tat!)

Vielleicht suchen Sie einmal das vertrauensvolle Gespräch mit Herrn Banzer. Dann können Sie das klären, Herr Kollege Koch. Sie können sich außerdem gern noch einmal zu Wort melden. Außerdem habe ich gute Erfahrungen mit einer Zwischenfrage von Ihnen gemacht.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich ermuntere Sie ausdrücklich, meine Rede wieder zu bereichern.Sie bringen mich immer auf Ideen,die ich vorher noch nicht hatte. Insofern sind Sie bei der Bildungspolitik eine Inspiration für mich, Herr Ministerpräsident. Das kann man nicht bestreiten.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)