Ich gebe zu, dass die Frage der Authentizität der Unterschriften, aber auch die Frage des Missbrauchs in der schriftlichen Anhörung sehr differenziert erörtert und diskutiert wurde. Nachdem wir die schriftliche Anhörung sehr genau ausgewertet haben, haben wir uns dazu entschlossen, uns denjenigen anzuschließen, die keine durchschlagenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben.Wir sind vor allen Dingen auch deswegen zu dieser Überzeugung gelangt, weil wir die Intention des Gesetzentwurfs verfassungspolitisch für sinnvoll erachten.
Natürlich ist es unstrittig, dass das bisherige Verfahren, das vorsieht, dass man zum Einwohnermeldeamt bzw. zum Stadtbüro geht, sich dort ausweist und eigenhändig unterzeichnet,das Verfahren ist,bei dem die Authentizität am stärksten gesichert ist. Die Verfassung intendiert mit der Möglichkeit der Antragstellung durch das Volk aber, dass es zu einem Meinungsaustausch und einem Willensbildungsprozess in der Bevölkerung kommt. Außerdem haben wir noch die Abschreckungswirkung durch § 267 Strafgesetzbuch, der Urkundenfälschung. Dieser Paragraf besagt: Wer ein Dokument fälscht, indem er eine falsche Unterschrift darunter setzt, wird hinreichend bestraft. – Wir sehen die Gefahr des Missbrauchs durch andere Re
gularien hinreichend abgesichert. Außerdem gibt es da auch noch die Intention der Hessischen Verfassung.
Es ist für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat von zentraler Bedeutung, dass das Geltendmachen von Rechten nicht unnötig erschwert wird. In Zeiten zunehmender Politikverdrossenheit sollten wir die Bürgerinnen und Bürger ermutigen, sich stärker einzumischen, mitzumachen und sich an der Demokratie zu beteiligen. Wir sollten sie da nicht behindern.
Frau Kollegin Hofmann, vielen Dank. – Als nächster Redner ist Herr Dr. Jürgens für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an der Reihe.
Frau Präsidentin,meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat dem Landtag zum wiederholten Mal einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit der wir die Beteiligung des Volks stärken wollen, die an vielen Stellen in der Hessischen Verfassung verankert ist. Die Mehrheit hat entgegen der mündlichen Aussage – das können Sie in dem schriftlichen Bericht nachlesen – angekündigt, auch diesen Gesetzentwurf wie alle anderen wiederum abzulehnen.
Sie werden das hier wahrscheinlich wortreich mit allen möglichen Verklausulierungen begründen. Aber Sie können den Kern Ihrer politischen Blockadehaltung nicht mehr verbergen. Sie haben ein gestörtes Verhältnis zur direkten Demokratie.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Reinhard Kahl (SPD) – Axel Wintermeyer (CDU): Ganz schön schwere Geschütze!)
Im Grunde genommen wollen Sie möglichst wenig, am liebsten gar keine aktive Mitwirkung des Volks. Frau Hofmann hat es schon gesagt: Sie wollen die Menschen in der Ausübung der Rechte behindern, die Ihnen von der Hessischen Verfassung eingeräumt werden. Sie wollen Ihnen das nicht erleichtern.
Worum geht es? Frau Hofmann hat es schon gesagt. Wir wollen die Antragsmöglichkeit erleichtern, die die Hessische Verfassung vorgibt. Wenn sich 1 % der Stimmberechtigten zusammenfindet, können sie ein Gesetz, das der Landtag verabschiedet hat, dem Staatsgerichtshof zur Überprüfung vorlegen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Unterschriften auch in Eintragungslisten gesammelt werden können.
Wir haben dazu eine schriftliche Anhörung durchgeführt. Praktisch alle Sachverständigen haben uns bescheinigt, dass der Vorschlag verfassungskonform ist. Die weit überwiegende Mehrheit hat auch gesagt, dass er, verfassungspolitisch gesehen,wünschenswert ist.Vielleicht ist es nicht zwingend, aber zumindest, verfassungspolitisch gesehen, gerechtfertigt und wünschenswert.
Die Verfassung gibt die Möglichkeit der Volksklage vor. Darüber haben wir nicht zu befinden. Das ist ein Recht nach der Verfassung. Es handelt sich übrigens dabei um ein absolutes Unikat in den Verfassungen der Länder.
Es steht deshalb dem Landtag nicht zu, die Entscheidung des Verfassungsgebers, des hessischen Volks, zu konterkarieren. Nach unserer Überzeugung darf der Gesetzgeber die Wahrnehmung eines Verfassungsrechts nicht behindern. Vielmehr sollte er sie möglichst fördern. Das sehen wir in unserem Gesetzentwurf vor.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Reinhard Kahl (SPD) und Heike Hofmann (SPD))
Ich finde, im Übrigen ist auch sehr interessant, dass z. B. die Kommunalen Spitzenverbände unseren Vorschlag durchgehend begrüßt haben. Sie versprechen sich davon nämlich, wie ich finde, zu Recht eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung.Denn es ist wesentlich einfacher,eine Reihe Unterschriften am Stück zu überprüfen, als wenn jeder einzelne Unterstützer individuell vorbeischaut. Die Kommunalen Spitzenverbände waren sehr dafür, dass das so geregelt wird, wie wir es vorgeschlagen haben.
In den schriftlichen Stellungnahmen fand ich die Ausführungen des Herrn Prof. Lange von der Universität Gießen sehr beeindruckend. Er hat nämlich darauf hingewiesen, wie in der Regel die Willensbildung und die Mitwirkung des Volks, wenn man sie Ernst nehmen will, eigentlich tatsächlich vonstatten geht.Das geschieht nämlich in der Regel nicht dadurch, dass jeder Einzelne mit einem bestimmten Anliegen zu einer bestimmten Stelle dackeln muss. Er schreibt dazu – ich zitiere –:
Meinungs- und Willensbildung des Volks vollzieht sich kommunikativ und in Gemeinschaft. Dem entspricht die Unterzeichnung von Unterschriftslisten im Zusammenhang und am Ort solcher gemeinschaftlicher Meinungs- und Willensbildung.
Es gibt einen wesentlichen Einwand gegen unseren Vorschlag, der von den Mitgliedern der CDU-Fraktion während der Beratung im Ausschuss erhoben wurde und wahrscheinlich auch heute wieder vorgetragen werden wird. Er besagt, bei der Leistung der Unterschrift auf einer Eintragungsliste sei die Ernsthaftigkeit nicht gewährleistet.Das meint:Wenn man praktisch zwischen dem Einkauf beim Bäcker und dem Besuch des Friseurs einmal so im Vorbeigehen in der Fußgängerzone eine Unterschrift leiste, ohne sich darüber klar Gedanken zu machen, was da eigentlich läuft, berge das die Gefahr der Manipulation, es käme zu einer voreiligen, nicht ernsthaften Unterstützung eines Anliegens, über das sich viele gar nicht im Klaren seien.
Diese Einschätzung widerspricht, so glaube ich, eklatant den Erfahrungen, die alle gemacht haben, die in der letzten Zeit Unterschriften gesammelt haben. Die Menschen haben eher Probleme, mit ihrem Namen offen für etwas einzutreten. Das ist selbst dann so, wenn sie das Anliegen unterstützen.
Im Grunde genommen – das ist der Kern, deswegen finde ich das auch so erschütternd – zeugt dieses Argument von
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Reinhard Kahl (SPD) und Hannelore Eckhardt (SPD))
Es ist doch absurd, den Hessinnen und Hessen zu unterstellen, sie wären nicht in der Lage, ernsthafte Entscheidungen zu treffen. Ich räume ein: Das mag in Einzelfällen so sein. – Aber angesichts des Quorums würde das bedeuten, dass sich 43.000 Menschen irren müssten. Sie können doch nicht unterstellen, dass 43.000 Menschen einmal ebenso im Vorbeigehen, ohne dass sie wissen, worum es geht, eine Unterschrift leisten. Das Staatsvolk ist keine Bande von Deppen, wie Sie es möglicherweise unterstellen wollen.
Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe im Saal. – Herr Dr. Jürgens, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich habe in Herrn Dr. Jürgens Äußerungen nichts Unparlamentarisches entdecken können. – Herr Dr. Jürgens, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, etwas ruhiger zu sein, damit Herr Dr. Jürgens die Gelegenheit hat, seinen Schlusssatz zu sagen. Herzlichen Dank.
Wir weisen jedenfalls jede Verleumdung des Souveräns, des hessischen Volkes, zurück. Wir nehmen die Hessische Verfassung ernst und wollen die Mitwirkung erleichtern. Die Mitwirkung des Volkes ist dort verankert.Wir wollen sie in diesem wie auch in anderen Fällen erleichtern. Wir werden nicht müde werden, das zu verfolgen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dr. Jürgens, ich möchte vorweg klarstellen – das gilt für die anderen 108 Kollegen dieses Hauses ebenfalls –, dass jeder Einzelne von uns die Hessische Verfassung ernst nimmt.
Wir – jeder Einzelne von uns – arbeiten nämlich auf der Basis dieser Verfassung, und deswegen kann ich auf jeden
Fall für meine Fraktion, aber, wie ich glaube, auch für alle anderen Kolleginnen und Kollegen die Behauptung zurückweisen, dass auch nur einer von uns die Hessische Verfassung missachte.
Ich habe bereits in der ersten Lesung für meine Fraktion deutlich gemacht, dass wir die Möglichkeit einer Gruppenklage vor dem Staatsgerichtshof gut finden und weiterhin unterstützen – sie ist einzigartig, wie ein Vergleich der Länderverfassungen zeigt und Sie selbst dargestellt haben –, aber für die von Ihnen geforderte Erleichterung auch nach Auswertung der Anhörung keine zwingende Notwendigkeit sehen. Darum geht es schließlich. Sie haben einen ganz konkreten Vorschlag gemacht.
Herr Kollege Dr. Jürgens, es geht in diesem Zusammenhang nicht um eine Meinungsbildung. Eine Meinungsbildung findet überall im kommunikativen Prozess statt. Sie findet z. B. in Bürgerinitiativen statt. Das reicht bis zu plebiszitären Initiativen, die auch die Hessische Verfassung kennt. Ich nenne z. B. den Volksentscheid. Dabei ist es möglich, sich in Unterschriftenlisten einzutragen.
Aber bei dieser Klage, die wir ganz bewusst in der Hessischen Verfassung verankert haben, geht es eben nicht um einen Meinungsbildungsprozess, sondern darum, dass die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung infrage gestellt wird.
Das ist weder ein Meinungsbildungsprozess noch die Anregung, über eine Initiative nachzudenken, sondern dabei geht es ganz klar darum, dass an dieser Stelle eine Rechtssicherheit infrage gestellt wird.Deswegen ist bei dieser Initiative eine wesentlich höhere formale Anforderung notwendig, als es bei anderen plebiszitären Elementen der Fall ist.
Herr Kollege Dr. Jürgens, darin gebe ich Ihnen Recht: Man muss dabei nicht einmal so weit gehen, wie es der Gutachter, Herr Prof. Dr. Kahl von der Universität Bayreuth, getan hat. Er hat erklärt, der Gesetzentwurf genüge nicht einmal den verfassungsrechtlichen Anforderungen.